Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 22.06.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 3 M 30.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 36 Abs 1 SondPädV BE, § 36 Abs 2 SondPädV BE |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. März 2012 wird geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den ersten Rechtszug bewilligt und ihr Rechtsanwalt beigeordnet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Die Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl., 2012, § 166 Rn. 8 m.w.N.). Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaat erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347, zit. nach juris, Rn. 26; BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, juris, Rn. 20).
Gemessen daran sind die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens, mit dem die Klägerin die Verpflichtung des Beklagten erstrebt, für ihren Sohn C... nach § 36 der Sonderpädagogikverordnung (SopädVO) vom 19. Januar 2005 (GVBl. S. 57, zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. April 2012, GVBl. S. 121) die Schülerbeförderung von der C...-Schule in Berlin-L... zur Wohnung in Berlin-H... zu bewilligen, zumindest offen.
Die Klägerin ist klagebefugt Im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO, obwohl Gegenstand der Klage ein von ihr in eigenem Namen geltend gemachter Anspruch ihres Sohnes auf Beförderung nach § 36 Abs. 1 SopädVO ist. Unabhängig davon, ob ein Recht der Eltern, gesetzlich geregelte Ansprüche auf Beförderung für den Schulweg des Kindes generell zu bejahen wäre (so BayVGH, Urteil vom 8. Januar 2008 - 7 B 07.1008 - juris, Rn. 18), folgt dies vorliegend aus der Regelung des § 36 Abs. 2 SopädVO, die ausdrücklich vorsieht, dass der Antrag auf Beförderung von den Erziehungsberechtigten zu stellen ist (zur Ermittlung des Normadressaten vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 4. April 2008 - 2 LB 7/07 - juris, Rn. 43). Dementsprechend hat der Beklagte seine Bescheide an die Klägerin gerichtet.
Der Sohn der Klägerin leidet an einer Nierenfunktionsstörung; eine Niere musste bereits entfernt werden, die Funktionsfähigkeit der verbliebenen Niere ist beeinträchtigt. Dies wird in der beim Verwaltungsvorgang befindlichen fachärztlichen Stellungnahme der Schulärztin vom 1. Februar 2010 ebenso bestätigt wie in den von der Klägerin eingereichten Bestätigungen des behandelnden Nephrologen. Dementsprechend hat die zuständige Schulärztin noch am 3. Mai 2011 im Ergebnis der schulärztlichen Untersuchung/schulpsychologischen Begutachtung - wenn auch versehen mit dem Zusatz, die Beförderung werde nur für die Hinfahrt befürwortet - bestätigt, dass der Sohn der Klägerin nicht in der Lage sei, den täglichen Schulweg ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Zwar hat dieselbe Ärztin ihm in der weiteren Stellungnahme vom 21. November 2011 bescheinigt, er sei in der Lage, den Schulweg selbständig zurückzulegen, verbunden mit dem Hinweis, die Anfahrt sollte weiter aus psychologischer Sicht erfolgen, die Rückfahrt könne mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen, dies werde seit August 2011 ohne gesundheitliche Probleme selbständig praktiziert. Eine Begründung für die geänderte Einschätzung lässt sich der Stellungnahme indessen nicht entnehmen. Im Übrigen enthält der Verwaltungsvorgang eine Stellungnahme der Schulleiterin vom 15. April 2011, wonach aus pädagogischen Gründen eine Schülerbeförderung nur für den Hinweg befürwortet werde, und das mit den Worten „Entscheidung weiterhin nur HF“ protokollierte Ergebnis einer Besprechung des Schulamtes mit Schulärztin und Schulleiterin vom 1. September 2011; in der Klageerwiderung heißt es hierzu erläuternd, nach pädagogischer Einschätzung durch die Schule sei es wichtig, dass der Sohn der Klägerin „mehr Verselbständigung erfahren“ solle. Dem gegenüber steht die von der Klägerin vorgelegte ärztliche Bescheinigung des behandelnden Nephrologen vom 7. September 2011, wonach infolge der Nierenfunktionsstörung eine Infektanfälligkeit und eine eingeschränkte Belastbarkeit bestehe, so dass aus medizinischer Sicht ein Transport zur Schule notwendig sei und dringend angeraten werde. Auch wenn insoweit eine Steigerung gegenüber der Stellungnahme desselben Arztes vom 2. August 2011 zu verzeichnen ist, wonach der Wunsch des Patienten, für den täglichen Weg zur Schule den Schulbus zu benutzen, unterstützt werde, spricht Einiges dafür, dass der Frage der medizinischen Erforderlichkeit der Beförderung des Sohnes der Klägerin auch von der Schule nach Hause im Klageverfahren weiter nachzugehen sein wird. Jedenfalls dürfte diese Erforderlichkeit nicht ohne weiteres mit Blick auf die Ausführungen in dem schulischen Bericht vom 8. Februar 2011 über die sportlichen Leistungen (einschließlich der Teilnahme am Schwimmkurs) des Sohnes der Klägerin zu verneinen sein, zumal sie mit dem Hinweis verbunden sind, er sei bei längerer Belastung schnell erschöpft und benötige Ruhephasen. Danach erscheint die Aussage in der im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahme des behandelnden Nephrologen vom 20. April 2012, eine wichtige Maßnahme zu Minimierung des Infektrisikos sei vor allem der Transport von der Schule nach Hause, da nach dem belastenden Schultag die Infektanfälligkeit höher sei, immerhin plausibel. Es liegt auch nicht auf der Hand, dass der als Sammelbeförderung organisierte Schultransport für den Sohn der Klägerin wegen der längeren Dauer der Tour belastender wäre als der - nach den vom Beklagten vorgelegten VBB-Informationen zumindest mit einmaligem Umsteigen vom Bus in U- oder S-Bahn verbundene - Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Im Hinblick auf diese Fragen wie auch diejenige nach dem Gewicht der vom Beklagten angeführten pädagogischen Gründe gegen die erstrebte Bewilligung des Transports von der Schule nach Hause, denen im Hauptsacheverfahren ggf. nachzugehen sein wird, stellen sich die Erfolgsaussichten der Klägerin derzeit als offen dar, so dass Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).