Gericht | OLG Brandenburg 2. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 11.09.2012 | |
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Aktenzeichen | 2 Ws (Reha) 4/12 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2012:0911.2WS.REHA4.12.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Potsdam vom 30. November 2011 wird als unbegründet verworfen.
I.
Der Betroffene begehrt mit Antrag vom 10. Dezember 2009 Rehabilitierung für seine Unterbringung im Spezialkinderheim "…" in P… im Zeitraum vom 1. September 1979 bis zum 1. September 1980. Grundlage für die Unterbringung waren eine vorläufige Verfügung über die Heimunterbringung vom 20. Juli 1977, die Verfügung des Aufnahmeheims der Jugendhilfe E…vom 17. August 1977 sowie der Beschluss des Rates des Kreises …– Referat Jugendhilfe – vom 9. November 1977.
Die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Potsdam hat den Antrag durch Beschluss vom 30. November 2011 zurückgewiesen. Hiergegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat zunächst beantragt, den angefochtenen Beschluss aufgrund der fehlenden Entscheidung über das vom Betroffenen mit Schreiben vom 23. Januar 2011 geltend gemachte weitergehende Rehabilitierungsbegehren wegen einer Unterbringung im Zeitraum von 1983 bis 1985 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückzuverweisen. Das Landgericht hat das Verfahren durch Verfügung vom 26. März 2012 nach Rückgabe der Sache durch den Senat hinsichtlich des weitergehenden Rehabilitierungsantrages vom 23. Januar 2011 abgetrennt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt nunmehr, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und auch im übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§ 13 Abs. 1 StRehaG), hat in der Sache jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen des Betroffenen rechtfertigt eine hiervon abweichende Beurteilung nicht.
Behördliche Entscheidungen der ehemaligen DDR über eine Heimunterbringung unterliegen der strafrechtlichen Rehabilitierung, wenn sie der politischen Verfolgung bzw. sonst sachfremden Zwecken gedient haben oder die angeordneten Rechtsfolgen in einem groben Missverhältnis zu dem zu Grunde liegenden Anlass stehen (§ 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 StrRehaG). Dabei bedarf der Gesichtspunkt des freiheitsentziehenden Charakters einer solchen Maßnahme nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keiner gesonderten Überprüfung, denn hierfür streitet gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG eine gesetzliche Vermutung (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. vom 17. Januar 2012 – 1 Ws Reha 50/11, zit. nach Juris).
Die Anordnung der Heimunterbringung diente ausweislich des aus der Jugendamtsakte ersichtlichen Sachverhaltes weder der politischen Verfolgung noch sonst sachfremden Zwecken. Bei dem damals 10jährigen Betroffenen gab es erhebliche Probleme in der Schule und im Elternhaus. Er hielt sich mit seiner Mutter teilweise bis in die Nachtstunden in Gaststätten auf, musste den Notruf der Volkspolizei kontaktieren, weil er – was kein Einzelfall war – nicht in seine Wohnung kam und die Mutter erst gegen 2:00 Uhr nachts nach Hause zurückkehrte, fiel durch Ladendiebstähle auf und schwänzte tage- und wochenlang die Schule, wo es im Übrigen zu aggressiven Auseinandersetzungen mit Lehrern und Mitschülern kam. Bei dieser Sachlage ist insgesamt für eine sach- und zweckfremde Motivation seitens der staatlichen Behörden der ehemaligen DDR nichts festzustellen.
Auch ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass für die Unterbringungsentscheidungen und den angeordneten Rechtsfolgen liegt nicht vor.
Grund für eine Rehabilitierung ist dabei nicht bereits eine bloße Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden behördlichen Maßnahme, sondern nur eine Entscheidung, die in erheblicher Weise gegen freiheitlich-rechtsstaatliche Grundsätze verstößt. Es muss ein gänzlich unerträgliches, die Menschenwürde des Betroffenen verletzendes Missverhältnis festzustellen sein, durch das dieser zum bloßen Objekt staatlicher Interessendurchsetzung degradiert worden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 8. Dezember 2009 - 2 Ws Reha 47/09 m. w. N.).
Darüber hinaus ist nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes allein die jeweilige staatliche Entscheidung auf ihre Rechtsstaatswidrigkeit zu überprüfen, so dass grundsätzlich nur die Gründe für die Anordnung der Heimerziehung ausschlaggebend für die Rehabilitierungsentscheidung sein können, nicht aber die jeweiligen Bedingungen der Unterbringung im Heim (vgl. Wapler, Rechtsfragen der Heimerziehung in der DDR in: Expertisen zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR, S. 99). Dies entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung (KG, Beschl. v. 30. September 2011 – 2 Ws 641/10 REHA; OLG Naumburg, Beschl. v. 2. November 2011 - 2 Ws Reh 276/11, jeweils zit. nach Juris; OLG Rostock, Beschl. v. 27. Oktober 2010 – WsRH 33/10, BeckRS 2010, 28836; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss v. 17. September 2010 – 1 Ws Reha 50/10, BeckRS 2010, 25902). Auch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Mai 2009 (2 BVR 718/08, zit. nach Juris) ergibt sich nichts Abweichendes (vgl. hierzu KG, Beschl. v. 28. Oktober 2011 – 2 Ws 177/11 Reha, zit. nach Juris, Rn. 38).
Daraus folgt allerdings nicht, dass das Ausmaß des mit der Anordnung der Heimunterbringung verbundenen Eingriffs bei der Beurteilung der Frage der Rechtstaatswidrigkeit bedeutungslos bleibt. Ob ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass für den Eingriff und den angeordneten Konsequenzen vorliegt, kann sachgerecht nur unter Berücksichtigung der Art und Weise der festgelegten Rechtsfolgen beurteilt werden, so dass insofern auch die allgemein vorherrschenden Lebensbedingungen in den Heimen nicht ohne Relevanz sind (vgl. Wapler, aaO.). Dies indes führt nicht dazu, dass die Einweisung in Spezialheime der DDR – wie im vorliegenden Fall – generell als rechtsstaatswidrig zu werten ist (vgl. hierzu KG – Beschl. v. 28. Oktober 2011, 2 Ws 177/11 Reha, zit. nach Juris).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist angesichts der gravierenden Gründe für eine Heimeinweisung auch angesichts der vom Betroffenen angedeuteten und dem Senat aus anderen Verfahren bekannten schlechten Bedingungen der Unterbringung (vgl. hierzu auch Glocke, Erziehung hinter Gittern: Schicksale in Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR; Sachse, Der letzte Schliff, Jugendhilfe der DDR im Dienst der Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen, S. 205 ff.) ein grobes Missverhältnis, das zur Unvereinbarkeit der Maßnahme mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung führen würde, nicht festzustellen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. § 14 Abs. 1 StrRehaG).