Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 31. Senat | Entscheidungsdatum | 26.05.2011 | |
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Aktenzeichen | L 31 R 386/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 24 SGB 4, § 25 SGB 4 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Klägers, für verspätet entrichtete Nachversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung Säumniszuschläge zu entrichten.
Die 1971 geborene Versicherte stand vom 01. September 1989 bis zum 29. Februar 1992 als Polizeiassistentenanwärterin (Beamtin auf Widerruf), anschließend vom 01. März 1992 bis 30. Juni 1993 als Polizeiassistentin zur Anstellung (Beamtin auf Probe) und danach als Polizeiassistentin im Dienst des Klägers. Am 16. Mai 1994 erhielt sie die Ernennungsurkunde zur Polizeisekretärin. Mit Ablauf des 30. September 1994 wurde sie auf eigenen Antrag aus dem Beamtenverhältnis entlassen (Schreiben des Klägers vom 28. September 1994).
Mit Schreiben vom 22. September 1994 wurde der Versicherten durch die Abteilung Personal und Organisation des Klägers (Sachbarbeiter Herr W) u. a. mitgeteilt, dass sie nach § 184 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert werde, wenn nicht im Einzelnen erläuterte Aufschubgründe vorlägen. Soweit bis zum 31. Oktober 1994 keine gegenteilige Nachricht eingehe, werde davon ausgegangen, dass Aufschubgründe nicht vorlägen und die Nachversicherung daher durchgeführt. Der Personalakte des Klägers betreffend die Versicherte ist weder eine Verfügung zu dem Schreiben noch eine Wiedervorlagefrist zu entnehmen. Aufschubgründe machte die Versicherte nicht geltend, die Nachversicherung unterblieb.
Mit Schreiben vom 28. März 2003 unterrichtete die Beklagte die Personalstelle des Klägers über die geänderte Verwaltungspraxis zur Erhebung von Säumniszuschlägen. Im Ergebnis wurde mitgeteilt, dass an der Verwaltungspraxis, von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen, aufgrund einer Gesetzesänderung zum 01. Januar 1995 abgesehen werde. Da die Erhebung von Säumniszuschlägen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr im Ermessen der Beklagten stehe, seien diese zu erheben.
Im Rahmen eines bei der Beklagten auf Antrag vom 07. März 2008 geführten Kontenklärungsverfahrens gab die Versicherte ihre Beschäftigung im Beamtenverhältnis beim Kläger an.
Mit Schreiben vom 03. April 2008 wandte sich die Beklagte wegen der Nachversicherung an den Kläger. Letzterer ermittelte für die Zeit vom 01. September 1989 bis 30. September 1994 einen Nachversicherungsbeitrag von 16.495,29 Euro und überwies diesen mit Wertstellung vom 22. April 2008 an die Beklagte. Im Schreiben vom 15. April 2008 wies er darauf hin, dass ein Säumniszuschlag nicht gezahlt werde, da die Nachversicherung trotz eingetretener Verjährung aus fürsorgerischen Gründen für die Versicherte entrichtet worden sei.
Die Beklagte errechnete eine Nachversicherungsschuld von 13.228,18 Euro, rundete diese auf 13.200 Euro ab, stellte eine Säumnis vom 01. Januar 1995 bis 22. April 2008 von 160 Monaten fest und ermittelte daraus einen Säumniszuschlag von 21.120 Euro (13.200 EUR x 160 Monate x 1 Prozent = 21.120 Euro). Diesen Betrag machte sie mit Anhörungsschreiben vom 26. September 2008 geltend.
Auf dieses Schreiben hin erhob der Kläger am 09. Oktober 2008 die Einrede der Verjährung. Mit Schreiben der Senatsverwaltung für Inneres vom 29. April 2003 sei bekannt gegeben worden, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, jetzt Deutsche Rentenversicherung (die Beklagte), im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung und dem Bundesrechnungshof ihre bisher vertretene Rechtsauffassung (von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen) aufgegeben habe und künftig in allen Fällen der verspäteten Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) erheben werde. Der vorliegende Einzelfall stelle sich wie folgt dar: Da die Dienstkraft ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden sei, lägen die Voraussetzungen zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung vor. Aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen sei eine Nachversicherung nicht erfolgt. Die Nachversicherungsbeiträge seien im April 2008 aus Gründen der Fürsorge überwiesen worden, obwohl im vorliegenden Fall Verjährung nach § 25 SGB IV des Beitragsanspruchs eingetreten sei. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährten Ansprüche auf Nachversicherungsbeiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien. Der Anspruch auf Zahlung der Nachversicherungsbeiträge für die Versicherte sei danach am 31. Dezember 1998 verjährt gewesen. Wenn eine Nachversicherung nicht durchgeführt worden sei, könne der Dienstherr aus Gründen der Fürsorge die versäumte Entrichtung der auf den Beschäftigungszeitraum entfallenden Nachversicherungsbeiträge nachholen. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn die Verjährungsfrist abgelaufen sein sollte. Sie vertrete die Auffassung, dass die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV auf Nebenforderungen anzuwenden sei, wenn die Behörde zwar Kenntnis von der Verpflichtung zur Durchführung der Nachversicherung gehabt habe, diese aber versehentlich unterblieben sei.
Mit Bescheid vom 05. Juni 2009 erhob die Beklagte auf den von ihr ermittelten Nachversicherungsbeitrag einen Säumniszuschlag in Höhe von 21.120 Euro. Nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung sei das Vorliegen eines Aufschubgrundes nicht geltend gemacht worden. Die Nachversicherungsbeiträge seien daher am 01. Oktober 1994 fällig gewesen. Es gelte die 30jährige Verjährungsfrist, da der Kläger Kenntnis von der Verpflichtung zur Zahlung der Nachversicherungsbeiträge gehabt habe. Demnach sei der Beitragsanspruch und damit auch der Anspruch auf Säumniszuschläge zum Zeitpunkt der Beitragszahlung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV noch nicht verjährt gewesen.
In der Sitzung vom 31. März 2010 im Rahmen der hiergegen zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage haben die Beteiligten die Berechnung des Säumniszuschlages durch Teilvergleich für unstreitig erklärt. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV für die Erhebung von Säumniszuschlägen seien im vorliegenden Fall gegeben. Ein fälliger Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Nachversicherungsbeiträge liege vor. Darüber hinaus sei der Kläger in Bezug auf die Zahlung der geschuldeten Beiträge vom 01. Januar 1995 bis zum 22. April 2008 säumig gewesen. Der Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV stehe auch nicht die Regelung des § 24 Abs. 2 SGB VI entgegen. Danach sei, wenn eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt werde, ein hierauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft mache, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. Diese Regelung finde über ihren Wortlaut hinaus in Fällen der Nachversicherung wie dem vorliegenden, in denen die Beitragsschuld vom Beitragsschuldner selbst ermittelt und durch die Zahlung dokumentiert werde, entsprechende Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2004, Aktenzeichen B 13 RJ 2803 R, Urteil vom 17. April 2008, Aktenzeichen B 13 R 123/078 R). Vorliegend sei dem Kläger, der sich insoweit das Wissen der Dienstherrn-Behörde zurechnen lassen müsse, bekannt gewesen, dass die Versicherte unversorgt aus dem Dienst ausgeschieden sei. Dies ergebe sich bereits aus dem an die Versicherte aus Anlass ihrer Entlassung gerichteten Schreiben des Klägers vom 22. September 1994, in dem die Versicherte darauf hingewiesen worden sei, dass eine Nachversicherung für die Beschäftigungszeit beim Kläger durchgeführt werde, sofern keine Umstände benannt würden, welche zu einem Aufschub der Nachversicherung Anlass geben könnten. Dem Anspruch der Beklagten auf die erhobenen Säumniszuschläge stehe auch nicht die vom Kläger erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Denn insoweit sei der Anspruch der Beklagten auf die Säumniszuschläge nicht nach § 25 SGB IV verjährt. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjährten Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres in dem sie fällig geworden seien. Dies gelte auch für die auf die Nachversicherungsbeiträge entfallenden Nebenforderungen wie Säumniszuschläge (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2008, Az.: B 13 R 123/07 R). Denn nach dem Rechtsgedanken des § 217 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) teilten Nebenforderungen im Hinblick auf die Verjährung das Schicksal der ihnen zugrunde liegenden Hauptforderung. Eine Verjährung des Anspruchs auf die Säumniszuschläge läge nur dann vor, wenn der Anspruch auf die Nachversicherungsbeiträge als solcher verjährt sei. Diesbezüglich könne der Beitragsschuldner aber auch – wie hier der Kläger – auf die Hauptforderung zahlen und sich lediglich in Bezug auf die Nebenforderung auf Verjährung berufen (so BSG, Urteil vom 17. April 2008 a.a.O.). Die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV wäre hier nach Fälligkeit der Nachversicherungsbeiträge am 01. Oktober 1994 am 31. Dezember 1998 abgelaufen. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjährten jedoch Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden seien. Aufgrund dieser Vorschrift könne sich der Kläger hier im Hinblick auf den von der Beklagten als Nebenforderung geltend gemachten Anspruch auf Säumniszuschläge nicht mit Erfolg auf Verjährung berufen. Denn vorliegend sei von einem vorsätzlichen Vorenthalten der Nachversicherungsbeiträge durch den Kläger im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV auszugehen, so dass die 30jährige Verjährungsfrist sowohl auf den Anspruch auf die Nachversicherungsbeiträge als Hauptforderung als auch auf den Anspruch auf den Säumniszuschlag als Nebenforderung Anwendung finde. Die 30jährige Verjährungsfrist sei auch noch nicht abgelaufen. Der Begriff „vorsätzlich“ im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV schließe den bedingten Vorsatz mit ein. Für diesen sei es im Rahmen dieser Vorschrift bereits ausreichend, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen habe (so BSG, Urteil vom 17. April 2008, Az.: B 13 R 123/07 R). Sofern eine natürliche Person Beitragsschuldner sei, werde im Regelfall die Kenntnis von der Beitragspflicht und der Umstand, dass die Beiträge nicht (rechtzeitig) gezahlt worden seien, genügen, um feststellen zu können, dass der Beitragsschuldner die Beiträge zumindest bedingt vorsätzlich vorenthalten habe. Denn die Rechtspflicht zur Beitragszahlung habe zur Folge, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen sei. Aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, folge aber in aller Regel auch das entsprechende Wollen. Jedenfalls dann aber, wenn feststehe, dass der Schuldner innerhalb der kurzen Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV Kenntnis von der Beitragspflicht gehabt habe und die Zahlung nicht sichergestellt habe, obwohl er hierzu in der Lage gewesen sei, indiziere dies den im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erforderlichen Vorsatz. Dann liege es am Beitragsschuldner, besondere, im Einzelnen zu prüfende Umstände vorzutragen, die diesen Vorwurf des Vorsatzes aus seiner Sicht entkräfteten (BSG, Urteil vom 17. April 2008, Az.: B 13 R 123/07 R). Dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts schließe sich die erkennende Kammer vorbehaltlos an, denn wie das Bundessozialgericht überzeugend ausgeführt habe, würde die verlängerte Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV anderenfalls auch bei bedingtem Vorsatz weitgehend ins Leere laufen. Denn dann könne sich ein Beitragsschuldner nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist seiner Beitragspflicht mit der Behauptung entziehen, er habe zwar zunächst von seiner Zahlungspflicht gewusst, die von ihm beabsichtigte Zahlung sei jedoch unterblieben, weil er den Vorgang verlegt oder schlicht vergessen habe. Wie bereits ausgeführt, habe beim Kläger ausweislich des Anschreibens an die Versicherte vom 22. September 1994 Kenntnis von der Nachversicherungspflicht bestanden. Mit Vorliegen dieser Erkenntnis werde nach den dargestellten Maßstäben aber der Vorsatz für die Vorenthaltung der Nachversicherungsbeiträge indiziert. Der Kläger habe hier keine besonderen, im Einzelnen darzustellenden Umstände vorgetragen, die diesen indizierten Vorwurf des Vorsatzes hätten entkräften können. Der Kläger könne sich gegenüber dem von der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf die Erhebung von Säumniszuschlägen auch nicht mit Erfolg auf eine vollständige oder teilweise Verwirkung des Rechts zur Geltendmachung von Säumniszuschlägen berufen (wird ausgeführt).
Gegen das ihm 28. April 2010 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung vom 04. Mai 2010. Er macht geltend, die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters, des Herrn W, von der Zahlungspflicht könne nicht bestritten werden. Dies ergebe sich aus dessen Schreiben vom 22. September 1994, in dem er die Nachversicherung nach Ablauf des 31. Oktober 1994 angekündigt habe, sofern nicht Aufschubgründe geltend gemacht würden. Dass die Nachversicherungsfrage vom Sachbearbeiter offenbar nicht wieder aufgegriffen, sondern schlicht vergessen und der Vorgang archiviert worden sei, sei ein fahrlässiger Bearbeitungsfehler, der auch durch organisatorische Maßnahmen nicht vollumfänglich vermeidbar sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass vorliegend eine ordnungsgemäße Weisungslage bestanden habe, bei einem Ausscheiden des Beamten ohne Anspruch auf Versorgung die Nachversicherungsvoraussetzungen und mögliche Aufschubgründe zu prüfen. Auch wenn diese Weisung nicht in schriftlicher Form (Rundschreiben, Geschäftsanweisungen, etc.) vorgelegen habe, sei jedem Sachbearbeiter bekannt gewesen, dass die Nachversicherung unverzüglich durchzuführen gewesen sei. Der Gesetzgeber habe in der Systematik des § 25 Abs. 1 SGB IV eine fahrlässige Pflichtverletzung des zuständigen Amtswalters gerade nicht zum Anlass nehmen wollen, eine 30jährige Verjährungsfrist anzuordnen. Die entgegenstehenden Überlegungen des Bundessozialgerichts seien nicht überzeugend. Es entstehe vielmehr der Eindruck, das Bundessozialgericht habe die Rolle des Ersatzgesetzgebers übernommen, um ein ungewünschtes Ergebnis zu vermeiden. Das Gericht habe nicht nur Auslegungsregeln verletzt, sondern eine Art Beweislastumkehr erfunden, die im Gesetz keine Stütze finde. Jedenfalls könne die Kenntnis von der Zahlungspflicht im öffentlichen Dienst anders als bei Privatunternehmen den Vorsatz schon deshalb nicht indizieren, weil eine vorsätzliche Beitragsvorenthaltung bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn ausscheide.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 05. Juni 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der Bescheide, die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das Urteil des Sozialgerichts Berlin sowie auf die jüngst ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 01. Juli 2010, Aktenzeichen B 13 R 67/09 R, wonach auch das Schreiben der Beklagten vom 28. März 2003 einem Anspruch auf Erhebung des Säumniszuschlages nicht entgegenstehe, weil es weder eine Zusicherung noch einen Verzicht enthalte.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsausführungen und der Sachdarstellung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, des Klägers und der Gerichtsakten Bezug genommen. Die Akten haben im Termin vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05. Juni 2009 ist rechtmäßig, so dass das Sozialgericht die hiergegen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen hat. Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht (§ 78 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist für Beiträge, die der Zahlungspflichtige bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v. H. des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Die Nachversicherungsbeiträge für die Versicherte waren am 01. Oktober 1994 fällig; soweit die Beklagte die Säumnis in Anwendung des Rundschreibens des Bundesministers des Innern vom 27. April 1999 erst drei Monate später hat beginnen lassen (vgl. nunmehr auch § 184 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VI) ist dies dem Kläger nur günstig und hier schon deshalb aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Im Übrigen haben die Beteiligten die Höhe und Berechnungsweise des Säumniszuschlages durch den Teilvergleich vor dem Sozialgericht Berlin am 31. März 2010 unstreitig gestellt.
Die Versicherte war am 30. September 1994 auf eigenen Antrag aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden, so dass die Nachversicherungsschuld am 01. Oktober 1994 entstanden war. Gründe für den Aufschub der Beitragszahlung (§ 184 Abs. 2 SGB VI) lagen nicht vor, da die Versicherte nach ihren Angaben im Kontenklärungsverfahren im Anschluss an die Beendigung ihres Beamtenverhältnisses ein Fachhochschulstudium aufgenommen hat, welches sie mit der Prüfung am 04. Mai 2000 beendete.
Der Erhebung des Säumniszuschlages steht auch keine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht der Nachversicherungsbeiträge entgegen (§ 24 Abs. 2 SGB IV). Bereits im Urteil vom 17. April 2008 (Az.: B 13 R 123/07 R), auf welches der Senat und das Sozialgericht Berlin hingewiesen haben, ist ausgeführt, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts genauso wenig selbst Kenntnis von bestimmten Umständen haben kann wie eine juristische Person des Privatrechts. Abzustellen ist daher auf die Kenntnis des zuständigen Amtswalters. Vorliegend war der zuständige Amtswalter der für den Vorgang der Klägerin zuständige Sachbearbeiter W, der im Schreiben vom 22. September 1994 die Durchführung der Nachversicherung für den Fall des Nichteingangs der Erklärung über Aufschubgründe bis zum 31. Oktober 1994 angekündigt hat. Die Versicherte hatte im Hinblick auf dieses Schreiben auch keine Veranlassung den Erklärungsbogen zurückzusenden, da Aufschubgründe wegen der Aufnahme des Fachhochschulstudiums nicht vorlagen und die Nachversicherung nach dem Inhalt des Schreibens vom 22. September 1994 nach dem 31. Oktober 1994 durchgeführt werden sollte, wenn keine gegenteilige Nachricht – über Aufschubgründe – seitens der Versicherten übersandt werden sollte. Bei Kenntnis des Amtswalters entfällt jede Exkulpationsmöglichkeit (BSG, a.a.O. zitiert nach juris Rdnr. 22).
Besteht – wie hier – ein Anspruch der Beklagten auf den geltend gemachten Säumniszuschlag wegen verspätet geleisteter Nachversicherungsbeiträge, ist dessen Verjährung zu prüfen. Die entsprechende Einrede hat der Kläger im Anhörungsschreiben erhoben.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Dies gilt auch für die auf die Nachversicherungsbeiträge entfallenden Nebenforderungen wie u. a. Säumniszuschläge. Der Beitragsschuldner kann auch auf die Hauptleistung zahlen – etwa, weil er hierzu nach beamtenrechtlichen Grundsätzen verpflichtet ist – sich jedoch nur wegen einer Nebenforderung auf die Verjährung berufen. Hingegen verjähren, wie die Beiträge, auch die Nebenleistungen in 30 Jahren (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind. Wie der Begriff vorsätzlich auszulegen ist, hat bereits das Sozialgericht Berlin unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. April 2008 (B 13 R 123/07 R) ausführlich dargestellt, so dass der Senat hierauf Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Danach indiziert die Kenntnis von der Nachversicherungspflicht zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der kurzen Verjährungsfrist den Vorsatz im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, weil die Rechtspflicht zur Beitragszahlung zur Folge hat, dass das Unterlassen der Zahlung einem aktiven Handeln gleichzustellen ist und aus einem aktiven Handeln im Bewusstsein, so vorzugehen, in aller Regel auch das entsprechende Wollen folge. Diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts, denen der Kläger vornehmlich entgegentritt, folgt der Senat ebenso wie das Sozialgericht Berlin.
Das Bundessozialgericht stand bei der bereits mehrfach zitierten und vom Kläger inhaltlich angegriffenen Entscheidung vom 17. April 2008 vor der Frage, wie die Voraussetzungen der beiden Alternativen des § 25 Abs. 1 SGB IV gegeneinander abzugrenzen sind. In lebensnaher Weise hat das Bundessozialgericht dann dargestellt, dass kein Anwendungsbereich für die 30jährige Verjährungsfrist mehr verbliebe, wenn man die schlichte Nichtzahlung der Beiträge nach Kenntnis von der Pflicht zur Zahlung als nur fahrlässig qualifizieren würde. Dieser Ansatz des Bundessozialgerichts ist auch aus der Sicht des Senats ohne weiteres richtig. Denn jeder Arbeitgeber könnte sich nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist ohne weiteres von der Pflicht zur Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen befreien, indem er behauptete, die Zahlungspflicht gekannt, die Zahlung selbst aber schlicht vergessen zu haben. Da ein solcher Vortrag praktisch nicht zu widerlegen wäre, auch hier folgt der Senat dem Bundessozialgericht, bliebe für die 30jährige Verjährungsfrist praktisch kein Anwendungsbereich, denn es ist wohl kaum ein Arbeitgeber vorstellbar, der gegenüber der Behörde nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist einräumen würde, er habe die Beiträge trotz Kenntnis seiner Zahlungspflicht bedingt vorsätzlich vorenthalten. Damit drängt es sich geradezu auf, dass die Nichtzahlung in Kenntnis der Zahlungspflicht den Vorsatz der Vorenthaltung der Beiträge indizieren muss, da der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann, dass die 30jährige Verjährungsfrist praktisch keinen Anwendungsbereich hat. Da eine solche fehlende Anwendungsmöglichkeit einer Sanktion dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, drängt sich die Richtigkeit der vom BSG aufgestellten Verschuldensvermutung geradezu auf. Daraus ergibt sich auch, dass die vom Kläger hier gerügte „Beweislastumkehr“ eine Stütze im Gesetz findet, weil ohne diese Beweislastumkehr eine 30jährige Verjährungsfrist praktisch nie eintreten würde. Soweit der Kläger geltend macht, die vom BSG „erfundene Beweislastumkehr“ finde keine Stütze im Gesetz, ist das Gegenteil soeben dargelegt worden.
Soweit der Kläger geltend macht, die Auslegung des BSG führe dazu, dass die erste Alternative des § 25 Abs. 1 SGB IV praktisch keinen Anwendungsbereich mehr habe, ist zuzugeben, dass der Anwendungsbereich jedenfalls im Hinblick auf Nachversicherungsschulden und Beitragszuschläge schmal bleibt. Denn derjenige, der unverschuldet keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hatte, muss nach § 24 Abs. 2 SGB IV schon keine Säumniszuschläge zahlen, so dass es auf eine eventuelle Verjährung nicht ankommt. Dennoch bleibt die Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV auch im hier zu beurteilenden Sachzusammenhang nicht anwendungslos. Das BSG selbst hat in seinem Urteil vom 17. April 2008 darauf hingewiesen, dass trotz Kenntnis von der Zahlungspflicht bei einem Verschulden Dritter, zum Beispiel einer Fehlüberweisung der Bank oder bei einer Insolvenz des Schuldners nicht von einer Indikation des Vorsatzes ausgegangen werden könne und somit die vierjährige Verjährungsfrist gelte. Das Bundessozialgericht hat auch ausdrücklich ausgeführt, dass weitere Fallgestaltungen denkbar seien. Es hat aber darauf hingewiesen, dass diese dasselbe Gewicht haben müssten wie die Insolvenz des Schuldners oder das Verschulden Dritter. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht Aufgabe des Bundessozialgerichts sein, sämtliche hier denkbaren Möglichkeiten darzustellen.
Vorliegend ist mit dem Sozialgericht Berlin aber darauf hinzuweisen, dass der Kläger überhaupt keine Umstände vorgetragen hat, die über den vom Bundessozialgericht abgeschnittenen Einwand des Bearbeitungsfehlers des schlichten Vergessens der Zahlung hinausgehen. Der Senat hat im Berufungsverfahren noch einmal auf das Urteil vom 17. April 2008 hingewiesen und dem Kläger die Möglichkeit gegeben, seinen Vortrag „nachzubessern“. Der Kläger hat aber daran festgehalten, dass ein schlichter Bearbeitungsfehler im Rahmen der Nichtzahlung trotz Zahlungspflicht nicht mit der 30jährigen Verjährungsfrist sanktioniert sei. Dies ist nach der hier noch einmal ausführlich dargestellten und überzeugenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aber rechtlich nicht zutreffend.
Im Urteil vom 01. Juli 2010 (Az.: B 13 R 67/09 R) hat das Bundessozialgericht im Einzelnen auch ausgeführt, warum aus dem von der Beklagten versandten Informationsblatt über die Änderung ihrer Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Erhebung von Säumniszuschlägen vom 28. März 2003 nichts für die betroffenen Beitragsschuldner Positives folgt. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, die auch der Kläger nicht angegriffen hat. Denn nach der Gesetzesänderung zum 01. Januar 1995 war die Beklagte gesetzlich verpflichtet, Säumniszuschläge auch in Nachversicherungsfällen zu erheben. Auch der Kläger als in Betracht kommender Nachversicherungsschuldner muss von für ihn geltenden Vorschriften, so auch der Änderung des § 24 SGB IV grundsätzlich Kenntnis haben. Somit war für ihn ab 01. Januar 1995 erkennbar, dass die Beklagte rechtmäßig an ihrer Verwaltungspraxis, keine Säumniszuschläge auf verspätet gezahlte Nachversicherungsbeiträge zu erheben, nicht mehr festhalten durfte. Ein Vertrauen auf die Beibehaltung einer als rechtswidrig erkannten Verwaltungspraxis verdient im Verhältnis zwischen Behörden regelmäßig keinen Vertrauensschutz. Dies hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 01. Juli 2010 ausführlich ausgeführt. Davon abzurücken besteht kein Anlass.
Nichts anderes folgt daraus, dass die unverzügliche Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen bis zum 31. Dezember 1994 angesichts „leerer Kassen“ beim Kläger geradezu wirtschaftlich naiv erscheinen musste. Ein allein haushälterisch denkender Sachbearbeiter hätte daher zugunsten seines Dienstherrn ohne weiteres zu dem Schluss kommen können, dass es wirtschaftlich besser sei, auf die Anforderung der Beiträge zu warten und die infrage kommenden Nachversicherungsbeiträge zu Zinsgewinnen im Haushalt zu behalten. Denn wie aus der Verwaltungspraxis bekannt ist, hat er sich aus fürsorgerischen und beamtenrechtlichen Gründen im Hinblick auf den dem Versicherten zugute kommenden Nachversicherungsbeitrag jedenfalls vor Ablauf der 30jährigen Verjährungsfrist nicht auf Verjährung berufen, so dass dem ausgeschiedenen Beamten insoweit durch die nicht unverzügliche Zahlung nie ein Schaden entstehen konnte. Die Geltendmachung von Säumniszuschlägen musste er jedenfalls aufgrund der Verwaltungspraxis bis zum 31. Dezember 1994 nicht befürchten. Folglich bestand wirtschaftlich kein nachvollziehbarer Grund eine Forderung aus „leeren Kassen“ zu bedienen, wenn die verspätete Nichtzahlung sanktionsfrei blieb. Eine solche Verwaltungspraxis wäre auch aus der Sicht des Senats nicht zu beanstanden, da sie dem geltenden Recht des 31. Dezember 1994 durchaus entsprach. Auch wenn es eine solche entsprechende Weisung nicht gegeben haben sollte, wäre ein solches Verhalten angesichts der Rechtslage und der Verwaltungspraxis der Beklagten jedoch nahe liegend. Bei der Ausnutzung solcher haushälterischen Spielräume hätte aber dafür Sorge getragen werden müssen, dass die Sach- und Rechtslage laufend kontrolliert wird, um mögliche eintretende Schäden zu verhindern. So hätte die Rechtsänderung ab 01. Januar 1995 auffallen müssen, die zur Folge hatte, dass die Beklagte gar nicht mehr auf Säumniszuschläge verzichten durfte, weil ihre Erhebung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr im Ermessen der Beklagten stand, sondern gesetzliche Pflicht war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wäre zu prüfen gewesen, ob nicht die unverzügliche Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen der bessere Weg gewesen wäre, um Säumniszuschläge zu verhindern. Dies scheint allerdings nicht erfolgt zu sein, was wiederum dadurch nachvollziehbar wird, dass beim Kläger eine Weisungslage bestanden haben soll, Nachversicherungsbeiträge unverzüglich zu zahlen. Vor diesem Hintergrund ist es dann aber anscheinend zu einer Vielzahl von Bearbeitungsfehlern gekommen, die nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat ausdrücklich folgt, als vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen zu qualifizieren ist.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).