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Entscheidung S 40 AS 1041/10


Metadaten

Gericht SG Potsdam 40. Kammer Entscheidungsdatum 28.02.2013
Aktenzeichen S 40 AS 1041/10 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 22 Abs 1 S 3 SGB 2, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2

Leitsatz

Übernahme Betriebskostennachforderung nach Umzug unabhängig von Kostensenkungsaufforderung

Tenor

10.03.99 15:2640AS80188AS104110/23Beschlusskunzpet

1. Urteil:Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2010 an die Kläger als weitere Kosten der Unterkunft und Heizung für das Jahr 2008 einen Betrag in Höhe von 138,31 Euro zu zahlen.

2. Der Beklagte hat den Klägern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Übernahme des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 138,81 Euro aus der Betriebskostenabrechnung vom 12. November 2009 für das Jahr 2008 auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II).

Die 1984 geborene Klägerin zu 1) und der 1983 geborene Kläger zu 2) lebten im Jahr 2008 gemeinsam in der 60,68 m² großen Wohnung P Straße 4 in E. Die Kläger befanden sich im gesamten Jahr 2008 im Leistungsbezug auf der Grundlage des SGB II. Leistungsträger war das zuständige Jobcenter E. Der damalige Leistungsträger hatte im Jahr 2008 durchgehend die tatsächliche Miete und Nebenkosten bewilligt. Anstelle des tatsächlich zu leistenden Heizkostenabschlags in Höhe von 91,00 Euro monatlich bewilligte er monatlich 74,62 Euro. Eine nachvollziehbare Berechnungsgrundlage hierfür findet sich nicht im Verwaltungsvorgang. Ebenso wenig findet sich eine Belehrung der Kläger hinsichtlich der vom Beklagten als angemessen erachteten Heizkosten. Die Kläger sind zum 01. September 2009 nach L, in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten, verzogen. Mit Bescheid vom 28. Juli 2009 hatte das Jobcenter E die Zustimmung zu dem Umzug erteilt. Unter dem 12. November 2009 erhielten die Kläger die Betriebkostenabrechnung 2008 für den Zeitraum Januar 2008 bis Dezember 2008 für ihre ehemalige Wohnung P Straße 4 in E. Aus der Abrechnung ergibt sich eine Differenz zwischen den geforderten und gezahlten Vorauszahlungen für Betriebskosten, Heizung und Wasser zu den tatsächlich entstandenen Kosten in Höhe von 138,81 Euro. Die Nachzahlung war innerhalb von sechs Wochen nach Zugang der Rechnung fällig. Der Antrag der Kläger auf Übernahme der Nachzahlung beim Jobcenter E wurde von diesem mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 unter Verweis auf die durch den Umzug nicht mehr gegebene Zuständigkeit abgelehnt. Mit Eingang 21. Dezember 2009 beantragte die Klägerin zu 1) die Kostenübernahme des Nachzahlungsbetrages bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 lehnte der Beklagte die Übernahme mit der Begründung ab, er habe für die Wohnung P Straße 4 in E keine Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht und sei daher für die Übernahme des Nachzahlungsbetrages aus der Betriebskostenabrechnung für das 2008 nicht zuständig. Hiergegen legte die Klägerin am 05. Januar 2010 Widerspruch ein, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass entscheidend für die Zuständigkeit der Übernahme einer Betriebskostennachforderung der Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung sei und nicht der Zeitpunkt für den die Nachforderung entstanden sei. Im Übrigen habe die aus Sicht des Beklagten zuständige Stelle (das Jobcenter E) die Übernahme der Nachzahlung abgelehnt. Der Leistungsempfänger dürfe hier nicht „zwischen die Stühle fallen“. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Er wiederholte und vertiefte die Gründe des Ausgangsbescheides und führte ergänzend aus, er könne nicht über die Angemessenheit der Betriebskosten, die in einem anderen Einzugsbereich angefallen seien, entscheiden.

Die Klägerin zu 1) hat am 29. März 2010 Klage erhoben. Die Klage, mit der die Übernahme des gesamten Nachzahlungsbetrages, der gegenüber beiden Klägern fällig geworden ist, begehrt wird, war nach dem Meistbegünstigungsprinzip so auszulegen, dass auch der Kläger zu 2) klagt. Vor diesem Hintergrund war das Rubrum - entsprechend der Bitte in der Klageschrift - um den Kläger zu 2) zu erweitern. Die Kläger vertiefen die Begründung ihres Widerspruchs und weisen ergänzend darauf hin, dass es auf die Angemessenheit der Kosten für die Wohnung in E nicht ankomme, weil die Kläger keine Kostensenkungsaufforderung bekommen hätten.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

den Bescheid vom 23. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Betriebskostennachzahlung in Höhe von 138,81 Euro zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, das das Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. Dezember 2011 (B 4 AS 9/11 R), wonach eine Betriebskostennachforderung auch für eine im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit nicht mehr bewohnte Wohnung als eine einmalige Leistung für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmen sein kann, nur für den Fall gelte, dass ein Umzug in Wahrnehmung einer Obliegenheit zur Kostensenkung statt gefunden habe.

Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten zur BG-Nr. sowie den Verwaltungsvorgang des Jobcenters E zur BG-Nr. verwiesen, die – soweit maßgeblich – Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetzt - SGG -). Die Beteiligten sind zuvor gehört worden.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Kläger haben einen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der fraglichen Betriebskostennachzahlung in voller Höhe. Die mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2010 ausgesprochene Ablehnung der Übernahme ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 1, 2 und 4 SGG).

Die Kläger haben Anspruch auf Übernahme der Betriebskostennachforderung für ihre Wohnung in E in Höhe von 138,81 Euro. Anspruchsgrundlage für die begehrte Übernahme der Betriebskostennachzahlung ist § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Diese Norm erfasst nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 14/7 BAS 58/06 R, BSGE 102, 194 ff). Soweit – wie hier – eine Nachforderung in einer Summe fällig ist, ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7 BAS 58/06 R -, SozR. 4-4200, § 9 Nr. 5 Rd.-Nr. 36). Nachzahlungen gehören daher zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat (BSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R -, SozR 4-4200, § 22 Nr. 38 Rd.-Nr. 13). Der Nachzahlungsbetrag aus der Betriebskostenabrechnung vom 12. November 2009 war sechs Wochen nach Zugang, mithin wohl im Dezember 2009, fällig. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend die Betriebskostennachforderung auch für die im Fälligkeitszeitpunkt der Nachforderung nicht mehr bewohnte Wohnung in E ein einmaliger Bedarf für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt geltenden Fassung. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1SGB II in der im Dezember 2009 geltenden Fassung, werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit beurteilt sich dabei nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die fragliche Forderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinn zuzuordnen ist (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 12/10 R -, amtlicher Umdruck). Wie das Bundessozialgericht in dem eben zitierten Urteil zutreffend ausführt, spricht für eine derartige Auslegung schon die Überlegung, dass der Leistungsberechtigte allein in diesem Zeitraum die Unterkunfts- und Heizungskosten im Sinne seiner Obliegenheit zur Kostensenkung beeinflussen konnte. Die Kostensenkungsobliegenheit folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt maßgeblichen Fassung, wonach die Aufwendungen für die Unterkunft, die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, solange als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen sind, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Diese Vorschrift bezieht sich dem Wortlauf nach auf die Kosten der Unterkunft (Mietkosten und kalte Betriebskosten), nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes jedoch ebenfalls auf die Heizkosten (vgl. nur BSG, Urteil vom 19.09.2008 - B 14 AS 54/07 R -, amtlicher Umdruck). Anhaltspunkte für die Unangemessenheit von Betriebs- und Heizkosten der Kläger im Jahr 2008 hat das Gericht nicht. Die geschuldeten Betriebskosten wurden vom damals zuständigen Jobcenter E regelmäßig in tatsächlicher Höhe als angemessene Kosten bewilligt. Der vom damals zuständigen Jobcenter E vorgenommene Abzug von den tatsächlich zu zahlenden monatlichen Heizkosten ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und dürfte zwischenzeitlich jedenfalls nicht mehr im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Angemessenheit von Heizkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft (Anlehnung an den bundesdeutschen Heizkostenspiegel, hier extrem hohe Werte) stehen. Eine abschließende Angemessenheitsprüfung muss vorliegend jedoch nicht durchgeführte werden. Die Kläger traf im streitgegenständlichen Zeitraum 2008 keine Kostensenkungsobliegenheit. Der damalige Leistungsträger hatte den Klägern hinsichtlich der Heizkosten keinen Hinweis auf die aus seiner Sicht angemessenen Kosten erteilt. Aus den Bescheiden, die die Kläger für das Jahr 2008 erhalten haben, sind lediglich die gesamten bewilligten Kosten der Unterkunft aufgeteilt nach Kopfteil ersichtlich, nicht jedoch ihre Zusammensetzung. Die Kläger hatten vor diesem Hintergrund keinen Anlass, ihr Verbrauchsverhalten im Jahr 2008 zu ändern. Die Tatsache, dass die Kläger die Wohnung, für die die Betriebskosten nachgefordert worden sind, im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Nachforderung nicht mehr bewohnt haben, ändert nichts an der Leistungspflicht des Beklagten. Zunächst verfängt das Argument, er könne die Angemessenheit von Betriebskosten, die in einem anderen Einzugsbereich angefallen sind, nicht überprüfen, nicht. Diesbezüglich gilt für den Beklagten ebenso wie für das Gericht die Amtsermittlungspflicht. Dieser Gesichtspunkt spielt dementsprechend auch im Urteil des BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 9/11 E -, in dem das Bundessozialgericht grundsätzlich dazu entschieden hat, dass es sich auch bei einer Nachforderung für eine im Fälligkeitszeitpunkt der Nachforderung nicht mehr bewohnte Wohnung um einen einmaligen Bedarf für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II handeln kann, keine Rolle. Dem eben zitierten Urteil kann das Gericht - entgegen der Auffassung des Beklagten - auch nicht den Grundsatz entnehmen, dass eine Leistungspflicht des nunmehr zuständigen Leistungsträgers nur dann angenommen werden kann, wenn ein Umzug aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung des ehemals zuständigen Leistungsträgers im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II aufgegeben wurde. Entscheidender Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Gerichts in dem Urteil des Bundessozialgerichts vielmehr, dass, so lange die Leistungen für die Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu erbringen waren, sie einen grundsicherungsrechtlichen Bedarf der Existenzsicherung im Bereich des Wohnens darstellen. Als weitere Voraussetzungen hat das Bundessozialgericht für das erkennende Gericht nachvollziehbar dargestellt, dass der Hilfebedürftige zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Aufwendungen (Fälligkeit der Nachforderung) im Leistungsbezug stehen muss, keine andere Bedarfsdeckung eingetreten sein darf und es sich nicht um Schulden handeln darf. Unstreitig waren die Kläger auch im Dezember 2009 grundsätzlich hilfebedürftig auf der Grundlage des SGB II. Sie standen zu diesem Zeitpunkt im Leistungsbezug beim Beklagten. Eine anderweitige Bedarfsdeckung ist nicht eingetreten. Wie sich aus der Abrechnung eindeutig ergibt, handelt es sich bei den streitgegenständlichen 138,81 Euro auch nicht um Schulden. Die geforderten Vorauszahlungen wurden vielmehr durch die Kläger im Jahr 2008 in voller Höhe beglichen. Weshalb die Übernahme einer Nachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung nur unter der Voraussetzung des Umzugs aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung anerkannt werden soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Soweit das Bundessozialgericht eindeutig entschieden hat, dass eine Betriebskostennachforderung auch für eine nicht mehr bewohnte Wohnung und damit einhergegangenem Wechsel der Zuständigkeit der Leistungsträger von dem nunmehrigen Leistungsträger grundsätzlich zu übernehmen sein kann, ist eine Differenzierung nach einer vorausgegangenen Kostensenkungsaufforderung nicht sachgerecht. Das Gericht ist insoweit mit den Klägern der Rechtsansicht, dass es auf den Grund des Umzugs nicht ankommen kann. Vorliegend sind die Kläger überdies mit Zustimmung des ehemaligen Leistungsträgers umgezogen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 193 SGG.

Die Nichtzulassung der Berufung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 144 SGG. Der mögliche Wert des Beschwerdegegenstandes für die Beteiligten übersteigt den Wert von 750,00 Euro nicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG ist nicht gegeben.