Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 19.04.2011 | |
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Aktenzeichen | 7 Sa 127/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 4 TVG, § 611 BGB |
Anwendungsfall der Rechtsprechung des BAG für die Auslegung einer Bezugnahme auf die jeweils geltenden Tarifverträge als Gleichstellungsabrede für Arbeitsverträge vor dem 01.01.2002 (BAG vom 17.11.2010 - 4 AZR 127/09)
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 18.11.2010 - 4 Ca 620/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten darüber, ob der Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütung für den Einzelhandel im Land Brandenburg vom 01.07.2009 auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet und die Klägerin daraus einen Anspruch auf Zahlung der dort vorgesehenen Tariflohnerhöhungen hat.
Die Klägerin, die Mitglied der Gewerkschaft ver.di ist, ist seit dem 22.06.1992 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.06.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Auszeichnerin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 28,50 Stunden beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 18.06.1992, für dessen Einzelheiten auf Bl. 5 -8 d.A. Bezug genommen wird, heißt es unter § 9 Nr. 1:
„Im Übrigen gelten für das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Tarifverträge. Die Verträge sind in der jeweiligen Betriebsstelle einzusehen.“
Bei Abschluss des Arbeitsvertrages war Arbeitgeberin die M. GmbH & Co. OHG. Mit Wirkung zum 25.11.2007 ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsüberganges auf die jetzige Beklagte über. Dazu erhielt die Klägerin von ihrer früheren Arbeitgeberin ein Informationsschreiben vom 23.11.2007 (Bl. 85 - 89 d. A.), in dem auf Seite 2 darauf verwiesen wird, dass sowohl die M. Handelsgesellschaft mbH & Co. OHG als auch die Übernehmerin denselben Tarifverträgen unterliegen würde und sich insoweit keinerlei Veränderungen für sie ergeben würden.
Die Beklagte zahlte nach dem Betriebsübergang die Gehälter nach Maßgabe des Tarifvertrages für den Einzelhandel im Land Brandenburg weiter. Mit Inkrafttreten des neuen Tarifvertrages vom 01.07.2009 nahm sie eine Erhöhung des Gehaltes und der Sonderzuwendung jedoch nicht mehr vor. Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang geltend, sie sei nicht tarifgebunden, sondern OT-Mitglied des Einzelhandelsverbandes Nord e. V. Bei der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrages handele es sich um eine Gleichstellungsabrede, die dazu führe, dass mit dem Betriebsübergang zum 25.11.2007 die Tarifverträge nur noch statisch fortgelten würden.
Mittlerweile hat die Gewerkschaft ver.di mit der Beklagten einen Tarifvertrag abgeschlossen, der eine Tarifgeltung für die bei ihr Beschäftigten im Laufe des Jahres 2011 vorsieht.
Das Arbeitsgericht Eberswalde hat mit Urteil vom 18.11.2010, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, die Klage auf Zahlung einer monatlichen Differenz in Höhe von 35,85 € brutto für den Zeitraum vom 01.11.2009 bis zum 30.06.2010 sowie die Differenz in Bezug auf die Sonderzahlung in Höhe von 14,55 € brutto abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, bei der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme auf den Tarifvertrag handele es sich um eine Gleichstellungsabrede, die nach dem Betriebsübergang nur noch statisch auf die Tarifverträge verweise.
Gegen dieses der Klägerin am 21.12.2010 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 17.01.2011 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 18.02.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Klägerin bestreitet erstmalig in der Berufungsinstanz, dass die frühere Arbeitgeberin tarifgebunden gewesen sei und einheitlich die Tarifverträge für den Einzelhandel in Bezug genommen habe. Weiterhin bestreitet sie eine wirksame OT-Mitgliedschaft der Beklagten im Arbeitgeberverband Einzelhandel Nord e. V. Außerdem hält sie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Vertrauensschutz für diejenigen Arbeitsverträge, die vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossen wurden, für falsch.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 18.11.2010 - 4 Ca 620/10 - zu verurteilen, an die Klägerin 300,55 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 15.07.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde - 4 Ca 620/10 - vom 18.11.2010 zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte behauptet, die frühere Arbeitgeberin sei bereits 1989 tarifgebunden gewesen. Sie verweist dazu auf ein Schreiben des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen e. V. vom 05.04.1989, für dessen Einzelheiten auf Bl. 108 ff. d. A. Bezug genommen wird, in dem auf die Mitgliedschaftsvereinbarung mit der AVA-Gruppe, zu der auch die frühere Arbeitgeberin gehört habe, ausdrücklich hingewiesen werde. Sie selbst habe ursprünglich die Begründung einer tarifgebundenen Mitgliedschaft beabsichtigt. Dazu sei es aber aufgrund von Verhandlungsdifferenzen nicht gekommen. Sie habe dann eine OT-Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband Nord e. V. vereinbart. Eine solche OT- Mitgliedschaft sei zulässig, da die Satzung eine Einflussnahme der tarifungebundenen Mitglieder auf die Tarifabschlüsse beim Einzelhandelsverband Nord e. V. ausschließe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Klägerin und Berufungsklägerin vom 11.02.2011 (Bl. 82 - 89 d. A.) sowie auf denjenigen der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 30.03.2011 (Bl. 110 - 115 d. A.) Bezug genommen.
1. Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2a) ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).
Die Berufung der Klägerin ist daher zulässig.
2. Die Berufung der Klägerin hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhung, da der Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütung für den Einzelhandel im Land Brandenburg vom 01.07.2009 keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis findet.
2.1 Zunächst ergibt sich der Anspruch der Klägerin nicht unmittelbar aus dem Tarifvertrag vom 01.07.2009. Dieser gilt nicht nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend zwischen den Parteien. Zwar ist die Klägerin als Mitglied der Gewerkschaft ver.di tarifgebunden, indes fehlt es an der Tarifgebundenheit der Beklagten. Abgeschlossen wurde der hier in Anspruch genommene Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft ver.di und dem Arbeitgeberverband für den Einzelhandel des Landes Brandenburg. Dass die Beklagte Mitglied dieses Arbeitgeberverbandes ist, behauptet die Klägerin nicht. Sie trägt auch keinen anderen Sachverhalt zur Begründung der unmittelbaren Tarifbindung vor. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da die Klägerin für die Tarifbindung ihrer Arbeitgeberin aufgrund Mitgliedschaft nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln darlegungs- und beweispflichtig ist. Es handelt sich um ein anspruchsbegründendes Merkmal.
Soweit die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte „nur“ OT-Mitglied im Einzelhandelsverband Nord e. V. ist und weiterhin die Zulässigkeit einer solchen OT-Mitgliedschaft aufgrund der Regelungen der Satzung bestreitet, kann dahinstehen, ob das bloße Bestreiten überhaupt ausreichend ist (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast BAG vom 04.06.2008 - 4 AZR 419/07 -, AP Nr. 38 zu § 3 TVG). Denn unterstellt, die Beklagte wäre nicht nur OT-Mitglied oder aber die Satzung würde den Anforderungen an eine wirksame OT-Mitgliedschaft nicht genügen (dazu BAG vom 04.06.2008 - 4 AZR 419/07 - AP Nr. 38 zu § 3 TVG) und es ergäbe sich dann - wie von der Klägerin angenommen - eine Vollmitgliedschaft, heißt dies noch nicht, dass die Beklagte nach § 4 Abs. 1 TVG an den Tarifvertrag für den Einzelhandel des Landes Brandenburg gebunden wäre. Denn der Einzelhandelsverband Nord e. V. ist nicht Vertragspartei dieses Tarifvertrages.
2.2 Der Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme der für das Arbeitsverhältnis jeweils gültigen Tarifverträge in § 3 des Arbeitsvertrages. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die keine von der Tarifgebundenheit der Beklagten unabhängige unbedingte zeitdynamische Verweisung auf die darin genannten Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung zum Inhalt hat. Vielmehr endet die dynamischen Inbezugnahme der im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge zum Zeitpunkt des Übergangs des Betriebes auf die nicht tarifgebundene Beklagte, weshalb die nachfolgend geschlossenen Tarifverträge nicht mehr von ihr erfasst werden.
2.2.1 In § 3 des Arbeitsvertrages haben die damaligen Vertragsparteien eine Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vereinbart. Nach dieser Rechtsprechung waren bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers Verweisungsklauseln auf den jeweils gültigen Tarifvertrag im Arbeitsvertrag der Parteien in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen. Dies beruhte auf der Vorstellung, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden sollte, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrages zu kommen und damit - bei deren generellen Verwendung - zu dessen Geltung für alle Beschäftigten (vgl. BAG vom 10.12.2008 - 4 AZR 881/07 - AP Nr. 68 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Diese Auslegungsregel zur Feststellung einer Gleichstellungsabrede ist für Arbeitsverträge, die - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 abgeschlossen worden sind, aus Gründen des Vertrauensschutzes nach wie vor anzuwenden (std. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt BAG vom 17.11.2010 - 4 AZR 127/09 - EzA-SD 2011, Nr 7, 12-13; BAG vom 26.08.2009 - 4 AZR 285/08 - AP Nr. 45 zu § 3 TVG). Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage der Gewährung von Vertrauensschutz nochmals ausführlich in der Entscheidung vom 26.08.2009 - 4 AZR 285/08 a. a. O. begründet. Das Berufungsgericht schließt sich diesen überzeugenden Gründen an. Die Klägerin hat dagegen keine weiteren Argumente vorgebracht.
2.2.2 Diese Auslegungsregel gilt auch für die vorliegende Bezugnahmeklausel. Dabei ging das Berufungsgericht zunächst davon aus, dass die damals vertragsschließende Arbeitgeberin, die M. GmbH & Co. OHG, bei Abschluss des Arbeitsvertrages tarifgebunden war. Dies ergibt sich bereits aus dem Schreiben des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen e. V. vom 05.04.1989. In diesem Schreiben wird ausdrücklich auf die Vereinbarung der flächendeckenden Mitgliedschaft der AVA-Gruppe hingewiesen und auch die frühere Arbeitgeberin, die M., angeführt. Auf diesen Vortrag hat die Klägerin nicht mehr reagiert. Mithin ist dieser konkrete Vortrag der Beklagten zur Mitgliedschaft der früheren Arbeitgeberin im Einzelhandelsverband als Mitglied der AVA-Gruppe und zur Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband als zugestanden anzusehen. Auch das von der Klägerin selbst eingereichte Schreiben ihrer früheren Arbeitgeberin im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang nimmt auf die bestehende Tarifbindung Bezug. Hier wäre es Sache der Klägerin gewesen, die dieses Schreiben selbst eingeführt hat, um gerade mit dem maßgeblichen Passus die Tarifbindung der Beklagten zu begründen, näher darzulegen, warum sie ungeachtet dieser Informationen nun in der Berufungsinstanz von einer fehlenden Tarifbindung ihrer früheren Arbeitgeberin ausgeht
Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsverhandlung bestreitet, dass ihre frühere Arbeitgeberin die Bezugnahmeklausel allgemein in den Arbeitsverträgen verwendet habe, war dies schon deshalb nicht ausreichend, weil die Klägerin für sich selbst in Anspruch nimmt, bei der Formulierung handle es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die für eine Vielzahl von Verträgen gedacht gewesen sei. Es waren keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die frühere tarifgebundene Arbeitgeberin in ihren Arbeitsverträgen nicht die für sie maßgeblichen Tarifverträge in Bezug genommen haben sollte, zumal beide Parteien in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen haben, es sei eine Vielzahl von Parallelverfahren noch anhängig, das vorliegende Verfahren und das Verfahren vor der Kammer 22 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg seien quasi als Pilotverfahren ausgewählt worden
2.2.3 Handelt es sich aber bei der Bezugnahme auf die Tarifverträge um eine so genannte Gleichstellungsabrede führt dies bei einem Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers dazu, dass die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung zum Zeitpunkt des Austritts bzw. des Betriebsübergangs anzuwenden sind (BAG vom 17.11.2010 - 4 AZR 127/09 – a.a.O.). Da die Beklagte infolge des Betriebsüberganges gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB in die arbeitsvertraglich begründeten Rechte und Pflichten in dem dort beschriebenen Umfang eingetreten ist, endete die Dynamik der durch die Bezugnahmeklausel begründeten vertraglichen Tarifgeltung wegen der fehlenden Tarifgebundenheit der Beklagten mit Ablauf des 30.06.2009. Die mit Wirkung zum 01.07.2009 von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Entgelterhöhungen wurden von der Bezugnahmeklausel nicht mehr erfasst.
3. Endete aber die Tarifbindung, fand der Tarifvertrag vom 01.07.2009 auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Mithin stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die Berufung der Klägerin war zurückzuweisen, mit der Folge, dass sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Es geht vorliegend allein um die Auslegung eines Arbeitsvertrages.