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Zulassungsverfahren; Prüfungsrecht; 2. jur. Staatsprüfung; Anfechtungsurteil; Obsiegen des Klägers; Zulassungsantrag des Klägers; Beschwer; Bewertungsfehler; Unlesbarkeit einer Klausurbearbeitung; unvollständiger Sachverhalt; Überdenkungsverfahren; kein Ausräumen des Prüfungsfehlers; Befangenheit der Prüfer; Voreingenommenheit; Rügeverzicht


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 27.11.2013
Aktenzeichen OVG 7 N 18.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 113 Abs 1 S 1 VwGO, § 121 VwGO, § 21 VwVfG, § 7 Abs 1 S 4 JAG BB, § 17 Abs 1 S 4 JAG BB

Leitsatz

Ein Urteil, mit dem ein Prüfungsbescheid aufgehoben wird, beschwert den Kläger auch dann nicht, wenn es die Bewertung einer Klausurarbeit neben unvollständiger Berücksichtigung des Sachverhalts auch wegen Befangenheit der Erstkorrektoren beanstandet, ohne dass der Kläger die Befangenheit gerügt hätte.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Februar 2011 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Da der Kläger mit seinem – allein gestellten - Anfechtungsantrag vollständig obsiegt hat, ist er durch das angefochtene Urteil nicht beschwert. Soweit er dagegen einwendet, dass hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht angenommenen, von ihm aber nicht gerügten Befangenheit der Prüfer der Klausur ÖR 1 eine der Neubescheidungsklage vergleichbare Konstellation vorliege, vermag er damit die Beschwer nicht zu begründen.

Für die Neubescheidungsklage wird in der Rechtsprechung anerkannt, dass an der Rechtskraft eines stattgebenden Urteils auch die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung des Gerichts teilhat, was auch die Teile der Urteilsbegründung erfassen soll, mit denen erläutert wird, inwieweit der Kläger mit seinem materiellen Begehren nicht durchgedrungen und insoweit durch das stattgebende Urteil als beschwert angesehen werden kann (vgl. ausführlich hierzu, auch zur isolierten Anfechtungsklage: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2010 – 10 N 86.08 – juris R. 4 f.). Dies ist im Prüfungsrecht von Bedeutung, wenn nur ein Bescheid über das Gesamtergebnis ergeht und sich dieses Gesamtergebnis aus Einzelleistungen zusammensetzt, deren Ergebnis nicht isoliert überprüfbar ist. Ob nach der zitierten Rechtsprechung auch dann eine Beschwer durch ein Neubescheidungsurteil anzunehmen ist, wenn der Betroffene nur mit einzelnen, nicht aber mit allen von ihm gegen die Bewertung einer der Teilleistungen erhobenen Rügen erfolgreich ist, erscheint allerdings zweifelhaft, wenn - wie hier - die Neubewertung der Teilleistung schon dann umfassend vorzunehmen ist, wenn der Betroffene mit einer bestimmten Rüge erfolgreich ist. Hiervon ausgehend kann nicht angenommen werden, dass im Falle des vorliegenden bloßen Kassationsausspruchs eine Beschwer aus Gründen abgeleitet werden kann, die zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führen. Soweit die Rechtswidrigkeit den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, sind alle Fehler des Verwaltungsakts gleichwertig und führen zu dessen Aufhebung.

Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass der Kläger die Befangenheit der Prüfer als einen für sein Begehren grundsätzlich günstigen Umstand nicht gerügt hat. Der Begründungsgang des Urteils (S. 6 f. des Urteilsabdrucks) mag für den Kläger eine Betrachtung nahelegen, nach der zwischen dem zunächst angenommenen Bewertungsfehler eines von den Prüfern unrichtig zugrunde gelegten Sachverhalts infolge der unzureichenden Berücksichtigung der vom Erstkorrektor der Klausur beanstandeten unleserlichen Passagen der Bearbeitung und der an die Ausführungen der Prüfer im Überdenkungsverfahren anknüpfenden Annahme der Befangenheit als jeweils isolierte Fehler der Bewertung getrennt werden kann. Tatsächlich steht hier aber die Befangenheit der Prüfer im Überdenkungsverfahren mit dem Fortbestehen des Sachverhaltsfehlers in Zusammenhang: Denn jedenfalls nach der – als solche durchaus fragwürdigen, nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Lesbarkeit der Bearbeitung jedoch nicht ergebnisrelevanten – Übertragung der angeblich unleserlichen Passagen in Reinschrift durch den Kläger im Widerspruchsverfahren ist davon auszugehen, dass die Prüfer im Überdenkungsverfahren den vollen textlichen Gehalt der Bearbeitung zur Kenntnis nehmen und ihrer Bewertung zugrunde legen konnten. Deshalb würde der Bewertung dieser Mangel nicht mehr ohne Weiteres anhaften, wenn nicht die Prüfer im Überdenkungsverfahren ihre Abneigung zum Ausdruck gebracht hätten, sich mit der Bearbeitung inhaltlich erneut auseinanderzusetzen, und aus dieser Haltung heraus an der Sichtweise der Erstkorrektur festgehalten hätten. Nach den Urteilsgründen (S. 7 des Urteilsabdrucks) besteht kein Zweifel daran, dass die Befangenheit der Prüfer den Sachverhaltsfehler im Ergebnis des Überdenkungsverfahrens perpetuiert, weil keine Bereitschaft besteht, den Fehler einzugestehen und ihn auszuräumen. In einer solchen Situation kann es keine Rolle spielen, ob der Kläger die Befangenheit gerügt hat. Es ist nämlich fraglich, ob anderenfalls die Beanstandung, zu Unrecht seien unleserliche Passagen bei der Bewertung unberücksichtigt geblieben, noch in der bisherigen Form hätte aufrechterhalten werden können. Die Erwartung des Klägers, die zunächst eingesetzten Prüfer müssten als Juristen oder kraft der von ihnen bekleideten Ämter zu einer unvoreingenommenen Neubewertung in der Lage sein, wenn er insoweit keine Beanstandungen erhebe, ist allerdings dann verfehlt, wenn bereits das Verhalten der Prüfer im Überdenkungsverfahren den Vorwurf ihrer Befangenheit begründet hat.

Jedenfalls gehen die Ausführungen des Klägers fehl, wonach die Befangenheit der Prüfer vom Gericht nicht hätte angenommen oder berücksichtigt werden dürfen. Das Prüfprogramm von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO schließt grundsätzlich jede zur Rechtswidrigkeit des Prüfungsbescheides führende Fehlerhaftigkeit ein. Dazu gehört auch die Befangenheit der Prüfer, wenn deren Äußerungen dazu Anlass geben. Sie ist hier – wie ausgeführt – überdies mit einem vom Kläger gerügten Bewertungsfehler verknüpft. Darüber hinaus kann auf sich beruhen, ob die Feststellung der Befangenheit bei einem Rügeverzicht des Prüfungskandidaten diesen in seinen Rechten verletzt. Wenn das Gericht neben anderen Bewertungsfehlern ohne einen entsprechenden Zusammenhang gleichwohl die Befangenheit der Prüfer feststellt, handelt es sich möglicherweise um den Ausspruch nicht tragende Ausführungen, weil der Rügeverzicht die Geltendmachung einer Rechtsverletzung ausschließt. Daraus kann für den Kläger erst recht keine Beschwer für ein Rechtsmittelverfahren erwachsen. Mit der ursprünglichen Auswahl der Prüfer verbundene Positionen des Prüfungskandidaten sind danach erst dann einer Prüfung zugänglich, wenn die Prüfungsbehörde im weiteren Prüfungsverfahren neue Prüfer einsetzt.

Auf die Ausführungen des Klägers dazu, was der Begriff der Befangenheit nach § 21 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 BlnVwVfG voraussetzt, muss hiernach nicht näher eingegangen werden. Es entspricht allerdings allgemeiner Auffassung, dass im Anwendungsbereich dieser Vorschrift die Besorgnis der Befangenheit ausreichend ist. Ein Grund im Sinne der Vorschrift, der geeignet ist, Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, liegt vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 21, Rn. 13; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 21, Rn. 9). Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 4 A 4000.09 –, juris Rn. 31). Ob bei Prüfungsentscheidungen, die – wie hier die Bewertung der Klausur ÖR 1 – keine Verwaltungsakte sind, die Besorgnis der Befangenheit nicht genügt, sondern eine Voreingenommenheit des Prüfers erkennbar sein muss (s. für dienstliche Beurteilungen: BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 – 2 A 8.03 –, Buchholz 232 § 23 BBG Nr 43, juris, Rn. 26), bedarf hier keiner Entscheidung; die Feststellungen des Verwaltungsgerichts führen auch dann zur Voreingenommenheit der Prüfer. Denn das Verwaltungsgericht hat darauf abgehoben, dass es den Prüfern an der Fähigkeit gebricht, eigene Fehler zu erkennen und einzuräumen und diese mit dem ihnen objektiv zukommenden Gewicht zu bereinigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1999 – 6 C 13.98 – NVwZ 2000, 915, juris Rn. 58).

Ein Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) haftet dem angefochtenen Urteil im Übrigen nicht deshalb an, weil das Verwaltungsgericht insoweit bereits nach Lage der Akten zu entsprechenden objektiven Feststellungen gelangt ist. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) setzt voraus, dass das Gericht Aufklärungsmaßnahmen unterlassen hat, die sich ihm nach seiner Rechtsauffassung aufdrängen mussten; im Übrigen kann ein Aufklärungsmangel als Verfahrensfehler nur gerügt werden, wenn der Kläger selbst auf die Aufklärungshandlungen in der gebotenen Weise hingewirkt hat. All dies hat der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht dargetan; folgt man seinem Gedankengang, könnte das Urteil auf dem behaupteten Aufklärungsmangel nicht beruhen, weil das Verwaltungsgericht die Frage der Befangenheit der Prüfer gar nicht untersuchen durfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).