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Bewertung - Einheitswerte für die Grundsteuer


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 29.04.2014
Aktenzeichen 3 K 3370/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 2 Abs 1 S 3 BewÄndG 1965, § 129 Abs 1 BewG, § 79 Abs 1 S 1 BewG, Art 3 Abs 1 GG

Leitsatz

Die Einheitsbewertung für die Grundsteuer ist jedenfalls für Bewertungsstichtage bis einschließlich 01.01.2009 verfassungsgemäß.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung von im Westteil Berlins gelegenen Eigentumswohnungen und Garagen auf den 01.01.2009.

I.

Der Kläger erwarb 2007 das Grundstück B…-straße in Berlin, im Wege der Zwangsversteigerung. Das Grundstück ist mit einem 1981 errichteten, unsanierten Wohnhaus bebaut und vermietet.

2008 teilte der Kläger das Grundstück gemäß Wohnungseigentumsgesetz - WEG -, wodurch fünf Wohnungseigentumseinheiten sowie zwei Teileigentumseinheiten (Garagen) entstanden, die weiterhin im Eigentum des Klägers stehen. Daher erließ das beklagte Finanzamt (FA) im Wege der Nachfeststellung (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 BewG) am 25.06.2010 sieben Einheitswertbescheide auf den 01.01.2009, mit denen es die Einheitswerte wie folgt festsetzte unter Zugrundelegung folgender Wohn- bzw. Grundflächen (und mit daraus resultierenden folgenden Grundsteuermessbeträgen und jährlichen Grundsteuern ab 2009):

Einheit

                

Einheitswert

        

Fläche

        

Messbetrag

        

Steuer

        

Wohnungseigentum

1       

        

16.105 €

        

74 m² 

        

56,36 €

        

456,48 €

        
        

2       

        

20.451 €

        

94 m² 

        

71,57 €

        

579,68 €

        
        

3       

        

16.105 €

        

74 m² 

        

56,36 €

        

456,48 €

        
        

4       

        

19.582 €

        

90 m² 

        

68,53 €

        

555,08 €

        
        

5       

        

16.974 €

        

78 m² 

        

59,40 €

        

481,12 €

        

Teileigentum

1       

        

 1.636 €

        

 7 m² 

        

5,72 €

        

 46,32 €

        
        

2       

        

 1.636 €

        

 7 m² 

        

5,72 €

        

 46,32 €

        

Die Wohnungen wurden im Ertragswertverfahren bewertet. Das FA legte jeweils einen monatlichen Mietwert von 3,90 DM/m² (gute Ausstattung, Mietspiegelfeld I a) und einen Vervielfältiger von 9,1 (Bauausführung A, Nachkriegsbau nach dem 20.06.1948) zugrunde.

Die Garagen wurden im Sachwertverfahren bewertet. Dabei wurde der Bodenwert bei 7 m² anteiliger Grundstücksfläche zu je 18 DM/m² mit 126 DM zugrunde gelegt, das Bauteil in Gebäudeklasse 8.32 (Spanne: 40 DM/m³ bis 55 DM/m³) eingestuft, 64 m³ zu je 45 DM und aufgrund der anteiligen bebauten Fläche von 3 m² ein Zuschlag von 45 % gerechnet und aufgrund des Baujahrs 1982 der Garagen und einer gewöhnlichen Lebensdauer von 40 Jahren keine Wertminderung wegen Alters abgezogen, was zu einem Gebäudewert von 4.176 DM, zu einem Gesamtausgangswert von 4.302 DM und aufgrund der Wertzahl von 75 % zu einem Einheitswert von je 3.200 DM führte.

II.

Die Einsprüche des Klägers vom 12.07.2010 wurden mit sieben gleichlautenden Einspruchsentscheidungen vom 18.11.2010 als unbegründet zurückgewiesen (FG-A Bl. 15-43).

III.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2010 Klage.

Er hält die Einheitsbewertung für Zwecke der Grundsteuer für verfassungswidrig und bezieht sich auf die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.06.2010 (II R 60/08, DStR 2010, 1618, und II R 12/09, DStRE 2010, 1194). Ergänzend führt er aus:

Die Einheitsbewertung in Berlin habe sich vollkommen von den heutigen Ertragsverhältnissen entfernt. Ein 1910 erbautes, hochwertig saniertes Mietshaus in der C…-straße mit einer Marktmiete von zwischen 15 €/m² und 20 €/m² nettokalt erzeuge eine geringere Grundsteuerlast als eine einzelne Wohnung seines zentrumsfernen, peripher gelegenen Mietshauses mit einer Miethöhe nur von 1/3.

Es liege ein erhebliches Vollzugsdefizit vor, da nicht baugenehmigungspflichtige Sanierungen häufig nicht zur Kenntnis der für die Bewertung zuständigen Finanzämter gelangten. Die meisten Altbauten im Ostteil Berlins seien unzutreffend bewertet. Die Unterbewertung eines Teils der Grundstücke führe wegen des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand zu einem höheren Hebesatz und damit zu einer Mehrbelastung der anderen Grundstücke. Die Verzerrung sei beispielsweise am Berliner Betriebskostenspiegel 2009 ablesbar, wonach sich eine Spanne für die Nebenkostenart „Grundsteuer“ von 15 Cent/m² bis 37 Cent/m² ergebe bei einem Mittelwert von 25 Cent/m². Spreche schon die Größe der Spanne für einen Gleichheitsverstoß, so seien die im Falle des Klägers sich ergebenden 50 Cent/m² offensichtlich gleichheitswidrig.

Die Behandlung des unsanierten Gebäudes des Klägers bei der bewertungsrechtlichen Einordnung als Neubau sei verfassungswidrig. Zur Herstellung der Verfassungsmäßigkeit seien Wertabschläge wegen des Bauzustandes vorzunehmen. Eine normerhaltende Auslegung und Anwendung sei notwendig. Auch der Mietspiegel sei fortzuschreiben. Dazu sei nach dem aktuellen Mietspiegel zu bewerten und auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 zurückzurechnen.

Der Kläger beantragt,

die sieben Einheitswertbescheide vom 25.06.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 18.11.2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Solange das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht die Verfassungswidrigkeit festgestellt habe, sei das FA an das BewG gebunden.

Die mutmaßliche Unterbewertung anderer Grundstücke beschwere den Kläger nicht, denn deren Korrektur hätte nur eine höhere Grundsteuer für Dritte, nicht aber eine niedrigere für den Kläger zur Folge.

IV.1.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (FG-A Bl. 73a, 76).

2.

Die sieben Einheitswert- und Grundsteuerakten für die Einheiten nach der Teilung (FA Reinickendorf Steuernummern …, …, …, …, …, …, …) lagen vor.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Einheitswertbescheide sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

I.

Die festgestellten Einheitswerte entsprechen den Vorschriften des BewG, also dem einfachen Gesetzesrecht, was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.

II.

Die vom Kläger angestrebten Minderungen durch verfassungskonforme Auslegung können nicht vorgenommen werden, weil das Gesetz eine solche Auslegung aufgrund seines Wortlautes und seiner Systematik nicht zulässt.

1.

Insbesondere ist es nicht zulässig, aus einem aktuellen Mietspiegel unter Berücksichtigung von Preisindizes zurückzurechnen, weil dies nicht die Mietzinsverhältnisse von 1964 widerspiegeln würde, auf die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 BewG abzustellen ist (FG Hamburg, Urteil vom 30.08.2013 3 K 206/11, EFG 2014, 113, Juris Rn. 45; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2009 3 K 2567/04, Juris Rn. 29).

2.

Dass ein nach heutigen Maßstäben unsaniertes, nicht mehr neues Gebäude nach den Wertverhältnissen von 1964 gleichwohl als gut oder sehr gut baulich ausgestattet einzuordnen sein kann, liegt aufgrund der zwischenzeitlichen allgemeinen Anhebung baulicher Standards auf der Hand. Nach der Systematik des Gesetzes kommt es zwar auf die tatsächlichen Verhältnisse am Bewertungsstichtag, jedoch auf die Wertverhältnisse ausschließlich zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 an (§ 79 Abs. 1 Satz 1 BewG, vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.02.2013 3 K 3190/09, EFG 2013, 914, DStRE 2013, 1122, Juris Rn. 37).

III.

Der Senat holt auch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ein. Zwar bestehen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung des Grundvermögens. Für den vorliegend streitigen Stichtag 01.01.2009 ist die Einheitsbewertung jedoch noch als verfassungsgemäß anzusehen.

1.a)

Im Jahr 2010 hat der BFH entschieden, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer mit verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere dem Gleichheitssatz, nicht zu vereinbaren sei. Eine Bewertung, die unverändert auf die Wertverhältnisse am 01.01.1964 - vor mehr als vier Jahrzehnten - abstelle, entspreche nicht mehr der gebotenen Ausrichtung der Steuerlast an den Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. Zwar stelle sich bei der Grundsteuer nicht - wie bei der Erbschafts- und Schenkungsteuer - das Problem der Gleichbehandlung mit anderen Gegenständen, die mit dem Verkehrswert anzusetzen sind. Jedoch auch innerhalb des Grundvermögens träten durch den langen Hauptfeststellungszeitraum gleichheitswidrige Verzerrungen ein, selbst innerhalb des Gebiets ein- und derselben Gemeinde, z. B. aufgrund unterschiedlicher Wertveränderungen in einzelnen Gemeindeteilen. Bei Anwendung des Sachwertverfahrens, bei dem die Baupreisverhältnisse von 1958 anzuwenden sind (§ 85 Satz 1 BewG), stünden zwischenzeitlich eingetretene technische Veränderungen im Bauwesen einer auch nur annäherungsweisen Aussagekraft entgegen. Mit zunehmendem Zeitablauf entstehe die Gefahr, dass einzelne Vollzugsunzulänglichkeiten sich zu strukturellen Defiziten auswachsen. Diese Überlegungen wögen noch schwerer im Beitrittsgebiet aufgrund der dort zugrunde zu legenden Wertverhältnisse auf den 01.01.1935; eine angemessene Übergangsfrist aufgrund der Wiedervereinigung dürfte mehr als 18 Jahre nach dieser abgelaufen sein (zum Ganzen ausführlich: BFH, Urteil vom 30.06.2010, II R 60/08, DStR 2010, 1618, Juris Rn. 20-28).

Hinzu kämen teils erhebliche Diskrepanzen zwischen den Ergebnissen des Ertragswert- und des Sachwertverfahrens. In Zweifelsfällen (vgl. § 76 Abs. 3 BewG) wird über die Anwendbarkeit des einen oder anderen Verfahrens deshalb erbittert gestritten. Beim Ertragswertverfahren sei weiter zu sehen, dass 1964 vielfach Mietpreisbindungen bestanden hätten, die inzwischen entfallen sind (vgl. BFH, Urteil vom 30.06.2010 II R 12/09, DStRE 2010, 1194, Juris Rn. 18).

b)

Soweit früher für die Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung angeführt wurde, dass die an und für sich gleichheitswidrigen Wertverzerrungen wegen der geringeren steuerlichen Belastungswirkung der Grundsteuer im Verhältnis zur Erbschaft- und Schenkungsteuer und zur Grunderwerbsteuer verfassungsrechtlich eher hinnehmbar seien, dürfte dies inzwischen nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in dieser Allgemeinheit gelten. In Berlin wurde der Grundsteuerhebesatz zum 01.01.2007 von 660 % auf 810 % angehoben. Für finanzschwache Eigenheimbesitzer wird die Grundsteuer so zu einem erheblichen, ernstlich belastenden Ausgabeposten, zumal die Grundsteuer, anders als die Erbschaft- und Schenkungsteuer und die Grunderwerbsteuer, nicht einmalig, sondern jährlich wiederkehrend erhoben wird. Davon abgesehen wird die Grundsteuer vielfach auf Mieter abgewälzt, unter denen naturgemäß häufig Personen sind, bei denen schon eine geringe Mehrbelastung zu einer finanziellen Einengung führt.

c)

Besonders bedeutsam ist jedoch die legislatorische Inaktivität. Wäre eine Reform zu einem späteren Stichtag bereits beschlossen oder zumindest ernsthaft in Arbeit, läge es nahe, für alle vorherigen Bewertungsstichtage dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zuzubilligen. Seit der Veröffentlichung der Urteile des BFH vom 30.06.2010, mit denen der Gesetzgeber sich nachhaltig zu Reformmaßnahmen aufgefordert fühlen musste, am 11.08.2010 bzw. 18.08.2010, sind bereits mehr als dreieinhalb Jahre vergangen, ohne dass auch nur ein Referentenentwurf oder gar ein Regierungsentwurf vorläge. Zwar erfordert die notwendige Zustimmung des Bundesrates im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sowie die Betroffenheit der Gemeinden eine intensive Abstimmung im föderalen System. Ernsthafte Arbeiten oder auch nur nachhaltige Absichten sind jedoch bisher nicht erkennbar. Leitner konstatiert - vermutlich nicht zu Unrecht -, dass der Gesetzgeber zunehmend verfassungsrechtlich gebotene Entscheidungen, für die eine politische Mehrheit fehlt, zurückstellt und darauf wartet, dass ihm vom BVerfG mit der Drohung des ersatzlosen Wegfalls der Steuereinnahmen ein Ultimatum gestellt wird (Leitner, EFG 2013, 762).

2.a)

Der BFH hat in den vorgenannten Urteilen vom 30.06.2010 ausgesprochen, dass für Bewertungsstichtage bis zum 01.01.2007 das Stadium der Verfassungswidrigkeit noch nicht erreicht sei, ohne dies jedoch zu begründen. Aus Sicht des Senats verdichten sich zwar die Anzeichen für eine Verfassungswidrigkeit zunehmend mit jedem weiteren Jahr, d. h. Bewertungsstichtag nach dem 01.01.2007.

b)

Es darf jedoch andererseits nicht unbeachtet bleiben, dass den Entscheidungen des BFH vom 30.06.2010 lediglich Ankündigungscharakter beizumessen ist (vgl. Becker, BB 2010, 535 ff.). Nach jahrzehntelanger Zurückhaltung der finanzgerichtlichen Rechtsprechung, die maßgebenden Vorschriften der Einheitsbewertung als Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Grundsteuer in den alten und neuen Bundesländern für verfassungswidrig zu erachten, muss dem Gesetzgeber deshalb auch für Stichtage nach dem 1. Januar 2007 noch eine zeitlich ausreichende Übergangsphase eingeräumt werden, eine gesetzliche Neugestaltung der Grundsteuer zu schaffen.

Insoweit ist besonders bedeutsam, dass die vorerwähnten Ankündigungsentscheidungen des BFH erst nach dem hiesigen Stichtag 1. Januar 2009 im Jahr 2010 ergangen und veröffentlicht worden sind (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.02.2013 3 K 3190/09, EFG 2013, 914, DStRE 2013, 1122, Juris Rn. 44).

IV.1.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Allein das beim BFH bereits anhängige Revisionsverfahren II R 16/13 (ebenfalls betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung auf den Bewertungsstichtag 01.01.2009) beseitigt die grundsätzliche Bedeutung nicht, solange der BFH nicht entschieden hat.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

3.

Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung aufgrund des Verzichts der Beteiligten.