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Entscheidung 10 UF 154/13


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 07.11.2013
Aktenzeichen 10 UF 154/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 20. Juni 2013 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst.

Der Mutter wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung schulischer und behördlicher Angelegenheiten für das Kind P… S…, geboren am …. Dezember 2002, entzogen.

Zum Ergänzungspfleger für das Aufenthaltsbestimmungsrecht wird das Jugendamt des Landkreises … bestellt.

Zum Ergänzungspfleger für die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Regelung schulischer und behördlicher Angelegenheiten werden die Pflegeeltern bestellt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Es bleibt bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am ….12.2002 geborenen P… S… ist der Sohn des Beteiligten zu 2. und der am ...2.1972 geborenen Beteiligten zu 1., die die elterliche Sorge allein ausübt. Die Mutter hat drei weitere Kinder, M…, geboren am ….4.1994, J…, geboren am ….8.1997, und Ph…, geboren am ….4.2000. Aufgrund ihrer Intelligenzminderung erhält die Mutter Unterstützung durch ihre Betreuerin und ambulante Unterstützung durch den Lebenshilfe e.V. Ihre Kinder befinden sich mit ihrer Zustimmung seit dem Jahr 2004 im Heim bzw. in Pflegefamilien. Eine Rückführung der Kinder zur Mutter steht nicht in Aussicht. P… lebt seit dem 24.11.2004 bei den Pflegeeltern O…. Umgang fand bislang einmal im Monat ohne Übernachtung von 10 bis 17 bzw. 18 Uhr im Haushalt der Mutter statt. Kontakt zum Vater hat P… nicht.

Der Pflegevater arbeitet bereits seit März 2011 in der Schweiz. In einem Telefonat im April 2011 äußerte die Pflegemutter gegenüber dem Jugendamt ihre damals noch unverbindliche Überlegung, zusammen mit P… ebenfalls in die Schweiz zu ziehen. Im September 2011 sprach sie darüber auch mit der Mutter, die bereits im März 2012 erklärte, mit dem Umzug nicht einverstanden zu sein und im Falle eines Umzugs ihre Einwilligung zur Unterbringung bei der Pflegefamilie zurückzuziehen.

Auf Veranlassung des Jugendamts ist das vorliegende Verfahren im Mai 2012 eingeleitet worden. Das Jugendamt hat angeregt, der Mutter nötigenfalls Teile der elterlichen Sorge zu entziehen und den Pflegeeltern zu übertragen, da P… auf jeden Fall bei den Pflegeeltern bleiben solle, auch im Falle eines Umzug in die Schweiz. Die Pflegeeltern seien in der Lage, die für P… problematischen Änderungen des Lebensumfelds zu bewältigen. Die enge und sichere Bindung an die Pflegeeltern rechtfertigten den Umzug P…s, der von seinen Pflegeeltern bereits auf den Umzug vorbereitet worden sei. Seine Unterbringung in einem Pflegeheim oder bei anderen Pflegeeltern als einzig in Betracht kommende Alternative entspreche nicht dem Wohl des Kindes.

Die Mutter ist dem Antrag entgegengetreten und hat vorgetragen, die Pflegefamilie sei nicht bereit, die Bindung P…s an sie zu fördern. Umgangstermine würden kurzfristig abgesagt, die Pflegefamilie habe sie nicht einbezogen. Die Teilnahme an Geburtstagen oder anderen Veranstaltungen werde durch die Pflegeeltern abgelehnt.

Durch Beschluss vom 20.6.2013 hat das Amtsgericht nach Anhörung der Beteiligten und Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Psych. D… der Mutter die elterliche Sorge für die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Regelung schulischer und behördlicher Angelegenheiten entzogen und die Eheleute A… und J… O… zum Pfleger bestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Weigerung der Mutter, dem Umzug P…s in die Schweiz zuzustimmen, stelle eine Kindeswohlgefährdung dar, die den teilweisen Entzug der elterlichen Sorge rechtfertige. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mutter, mit der sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt und darauf hinweist, dass es durch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Pflegeeltern zu einer faktischen Trennung von P… und ihr kommen werde. Dies müsse auch mit Blick auf ihre Grundrechte aus Art. 6 GG in der Entscheidung berücksichtigt werden.

Sie beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts vom 20.6.2013 aufzuheben.

Die Pflegeeltern beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und weisen u.a. darauf hin, dass auch P… Träger von Grundrechten ist und in der gegebenen Situation eine Trennung P…s von ihnen nicht in Betracht komme.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Der Senat hat die Mutter, das Kind, die Pflegeeltern und die Vertreter des Jugendamtes angehört. Die Verfahrensbeiständin hat sich schriftlich geäußert.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter führt in der Sache teilweise zum Erfolg. Es muss zwar bei der Entziehung der in der Beschlussformel genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge verbleiben. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist aber dem Jugendamt und nicht den Pflegeeltern zu übertragen. Lediglich für die Bereiche der Gesundheitsfürsorge sowie der behördlichen und schulischen Angelegenheiten sind die Pflegeeltern zu Ergänzungspflegern zu bestimmen.

1.

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist der Mutter zu entziehen. Denn die Ausübung durch sie führt dazu, dass P… den Haushalt der Pflegeeltern verlassen und anderweitig in räumlicher Nähe des Wohnorts der Mutter untergebracht werden müsste, wodurch sein Wohl erheblich gefährdet würde.

Mit § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 1666 a BGB hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es ermöglicht, dem Schutz der Grundrechte des Kindes einerseits und dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht andererseits Rechnung zu tragen (BVerfG FamRZ 2006, 1593). Danach kann durch gerichtliche Entscheidung die elterliche Sorge ganz oder in Teilen auch dann entzogen und damit in die Grundrechte der Eltern eingegriffen werden, wenn durch die Entscheidung die Trennung des Kindes von seinen Eltern verbunden ist, soweit ein schwerwiegendes - auch unverschuldetes - Fehlverhalten der Eltern vorliegt und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls besteht. Dies ist vorliegend der Fall, nachdem die Mutter ihre Zustimmung zum Umzug P…s in die Schweiz verweigert hat, so dass er in Deutschland bleiben müsste und von den nun in der Schweiz lebenden Pflegeeltern getrennt würde.

P… ist im Alter von knapp zwei Jahren in die Pflegefamilie O… gekommen. Er lebt dort seit dem 24.11.2004, mithin seit fast neun Jahren. Das Pflegeverhältnis ist nach der Mitteilung des Jugendamtes auf Dauer angelegt, um dem Kind eine Perspektive zu geben. Eine Rückkehr zur Mutter war bislang nicht vorgesehen und auch von der Mutter, die P… selbst in Pflege gegeben hat, nicht beabsichtigt. Nach dem klaren, nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen D…, dem sich der Senat anschließt, hat P… zu seinen Pflegeeltern eine verlässliche und stabile Bindung und Beziehung entwickelt. Sie sind seit seinem 2. Lebensjahr die Hauptbezugspersonen und seine „psychologischen Eltern“ geworden sowie in der Lage und bereit, die Bedürfnisse P…s zu erkennen, zu fördern und ihm die nötige Hilfe zukommen zu lassen. P… nennt die Pflegeeltern Mama und Papa, sie sind seine Familie. Wie der Sachverständige dargestellt hat, führt bereits die Aussicht auf eine Trennung P…s von der Pflegefamilie bei ihm zu Verunsicherungen und ausgeprägten Verlustängsten; im Falle der Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt der Pflegeeltern besteht die Gefahr einer Retraumatisierung bzw. Reinszenierung seiner frühen Bindungserfahrungen. Ein Heimaufenthalt stellt nach der Beurteilung des Sachverständigen, die der Senat teilt, keine Alternative dar. Somit ist davon auszugehen, dass eine Herausnahme des Kindes und eine Trennung P…s von der Pflegefamilie mit den vom Sachverständigen geschilderten erheblichen und naheliegenden Folgen, die vermeidbar und ihm nicht zuzumuten sind, sein Wohl erheblich gefährdet.

Dies gilt umso mehr als P… in einem Heim untergebracht werden müsste (vgl. dazu BVerfG NJW 1988, 125). Zwar hat die Mutter bei ihrer Anhörung durch den Senat geäußert, dass sie sich auch eine Rückkehr des Kindes in ihren Haushalt vorstellen könnte. Tatsächlich hat sie jedoch keine realistischen Vorstellungen darüber, wie sie P… versorgen, betreuen und fördern sollte. Den erhöhten Anforderungen, die an sie aufgrund der für P… durch ihre Entscheidung entstehenden besonderen Belastungen zu stellen sind, wäre sie erkennbar nicht gewachsen. Sie war bei der Anhörung durch den Senat erkennbar kaum in der Lage, die ihr gestellten Fragen zu verstehen und sachgerecht zu antworten. Dieser Eindruck wird bestätigt durch die Feststellungen der Verfahrensbeiständin, des Jugendamtes und des Sachverständigen.

In dieser Situation erfordert es das Kindeswohl, dass P… bei seinen Pflegeeltern bleibt. Dies gilt auch dann, wenn er mit diesen den Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt. Denn auch dort ist die Betreuung durch die Pflegeeltern, die bislang verlässlich und im Sinne des Kindes gehandelt haben, gesichert. Sie stehen auch weiterhin unter der Aufsicht des deutschen Jugendamtes und der schweizerischen Behörden. Wie das Jugendamt in Übereinstimmung mit den Pflegeeltern berichtet hat, gibt es in der Schweiz eine mit dem hiesigen Jugendamt vergleichbare behördliche Einrichtung. Diese hat bereits mit den Pflegeeltern Kontakt aufgenommen und nimmt eine Prüfung der Verhältnisse vor Ort vor. Der Abschluss eines Pflegevertrages, der auch Regelungen zur Umgangsgewährung mit den leiblichen Eltern enthält, ist in Vorbereitung. Die Pflegeeltern werden auch künftig durch die Behörde betreut. Das deutsche Jugendamt wird ebenfalls über die Entwicklung informiert, zumal, wie die Vertreter des Jugendamtes bei ihrer Anhörung mitgeteilt haben, hier weiterhin Kosten der Pflege zu tragen sind. Das Wohl von P… steht daher auch künftig im Vordergrund und unter behördlicher Aufsicht. Letztlich besteht nun auch bei der Mutter die Einsicht in die Notwendigkeit des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Sie ist diesem nämlich im Ergebnis des Anhörungstermins am 3.9.2013 nicht mehr entgegengetreten.

Der Mutter war es jedoch wichtig, dass sie in Zukunft den Kontakt zu P… nicht verliert und der regelmäßige Umgang mit ihm gewährleistet wird. Nur so vermochte sie den Teilentzug der elterlichen Sorge zu akzeptieren. Diesem legitimen und nachvollziehbaren Recht der Mutter, den Kontakt mit P… durch regelmäßige Umgänge auch bei der großen Entfernung zu gewährleisten, hat der Senat dadurch Rechnung getragen, dass er das Jugendamt des Landkreises … und nicht die Pflegeeltern zum Ergänzungspfleger bestimmt hat. Denn damit wird abgesichert, dass die Mutter in den ihren Sohn P… betreffenden Angelegenheiten einen Ansprechpartner in Deutschland behält, was insbesondere im Hinblick auf den von den Pflegeeltern in Aussicht gestellten Umgang von Bedeutung ist.

Der Kontakt zwischen Mutter und P… ist wichtig und aufrechtzuerhalten. Denn in Fällen, in denen - wie hier - nachweislich Familienbande zwischen Mutter und Kind bestehen, ist so zu handeln, dass sich diese Beziehung weiterentwickeln kann (Artikel 8 der MRK; EGMR FamRZ 2004, 1456). Das Verhältnis zwischen P… und seiner Mutter ist - wie von allen Beteiligten beschrieben und auch sachverständig bestätigt - gut. Die Mutter ist an den Umgangskontakten interessiert. Auch P… will weiterhin den Kontakt zur Mutter pflegen. Dies zeigen seine Äußerungen, sich in den Ferien, die in der Schweiz alle zwei bis drei Monate stattfinden, mit der Mutter treffen zu wollen. Diesem Wunsch wollen die Pflegeeltern nachkommen. Sie haben angeboten, in den Ferien den Umgangskontakt zu ermöglichen. Es liegt nunmehr in ihren Händen und denen der Mutter, eine konkrete Umgangsvereinbarung zu treffen, die auch in die Pflegevereinbarung mit der Schweizer Behörde einfließen kann. Durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger ist zudem sichergestellt, dass - sollten sich die Befürchtungen der Mutter bestätigten, dass der Umgang künftig nicht im gebotenen Maße stattfindet - auf die Pflegeeltern entsprechend eingewirkt werden kann.

2.

Mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht sind auch das damit eng verknüpfte Recht zur Regelung schulischer und behördlicher Angelegenheiten, sowie das Recht der Gesundheitsfürsorge zu entziehen und - anders als das Aufenthaltsbestimmungsrecht - auf die Pflegeeltern zu übertragen. Denn mit dem Auslandsaufenthalt P…s sind schulische und behördliche Angelegenheiten vor Ort zu klären. Ebenfalls ist vor Ort die gesundheitliche Betreuung des Kindes zu gewährleisten. Es ist daher zum Wohl des Kindes erforderlich, dass die ihn betreuenden Personen in der Schweiz insoweit für ihn handlungsfähig sind, ohne sich jeweils mit der in Deutschland lebenden Mutter oder dem deutschen Jugendamt abstimmen zu müssen. Denn eine solche führt schon wegen der zu überbrückenden großen Entfernungen zu erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerungen. Hinzu kommt, dass - wie sich bei ihrer Anhörung vor dem Senat gezeigt hat - eine Verständigung mit der Mutter aufgrund ihrer intellektuellen Beeinträchtigungen trotz der Unterstützung durch die Betreuerin und den Lebenshilfe e.V. schwierig ist und erheblichen Erklärungs- und Abstimmungsbedarf erzeugt. Eine Internetnutzung durch sie wäre - wenn überhaupt - nur sehr eingeschränkt möglich. Als Ergänzungspfleger sind insoweit die Pflegeeltern zu bestellen, bei denen P… auch künftig leben wird. Sie haben ihn, wie sich durch ihre Anhörung vor dem Senat bestätigt hat, bislang zuverlässig auf seinem Lebensweg begleitet. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie künftig nicht im Interesse des Kindes handeln werden. Dies ist letztlich auch durch die weiterhin bestehende behördliche Kontrolle gewährleistet.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG.