Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat | Entscheidungsdatum | 27.03.2012 | |
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Aktenzeichen | L 13 VG 28/11 B PKH | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 73a SGG, § 114 ZPO, § 15 KOVVfG, § 10 EG |
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. August 2011 aufgehoben und der Klägerin unter Beiordnung von Rechtsanwältin S, B, Prozesskostenhilfe ab dem 10. Dezember 2007 bewilligt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Die gemäß § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Streitverfahren zum Aktenzeichen S 42 VG 266/07 zu Unrecht zurückgewiesen.
Die Klägerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht – auch nicht in Raten – aufbringen kann, hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe dieses Verfahren an die Stelle des Verfahrens der Hauptsache treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 28. November 2007, 1 BvR 68/07). Aus diesem Grunde dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen in dem Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von dem Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Verfahren der Hauptsache zugeführt werden können (BVerfG a.a.O).
Vor diesem Hintergrund ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält bzw. – sofern der Tatsachenstoff noch nicht geklärt ist – eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde (so BVerfG a.a.O. mit weiteren Nachweisen).
Hiernach ist der von der Klägerin beabsichtigten Rechtsverfolgung im maßgeblichen Zeitpunkt für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag, nämlich dem Tag des Eingangs der vollständigen Unterlagen - hier mit Antragstellung im Zeitpunkt der Klageerhebung am 10. Dezember 2007 -, eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abzusprechen.
Die Frage, ob die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, tätlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (ggf. i. V. m. § 10 a Abs. 1 OEG) gewesen ist, ist nach den gegenwärtigen Feststellungen nicht abschließend geklärt, so dass eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des § 114 ZPO besteht. Nach der vom Sozialgericht bereits in Bezug genommenen Vorschrift des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG), die über § 6 Abs. 3 OEG im Recht der Entschädigung von Opfern von Gewalttaten grundsätzlich anwendbar ist, können, wenn der Nachweis eines Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht verbracht werden kann, die Angaben des Antragstellers der Entscheidung zugrunde gelegt werden, soweit diese nach den Umständen des Falles als glaubhaft erscheinen. Mit dem Sozialgericht stimmt der Senat überein, dass sich weder aus vorliegenden Unterlagen, noch aus Rückschlüssen aufgrund von Diagnosen der Nachweis eines Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG führen lässt. Entscheidend dürfte daher vorliegend sein, inwieweit die Angaben der Klägerin über vermeintliche Angriffe auf ihre Person glaubhaft sind. Die Annahme des Sozialgerichts, dass (wohl auch insoweit) weitere Ermittlungen nicht erfolgversprechend seien, mithin von einem Zustand einer - zu Lasten der Klägerin gehenden - Beweislosigkeit auszugehen sei, geht jedoch fehl. Vielmehr dürfte es, um die Glaubhaftigkeit der Aussage der Klägerin tatrichterlich beurteilen zu können, deren persönlicher Einvernahme durch das Gericht bedürfen, um bei bestehender Beweisnot der dem Gericht obliegenden Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen umfassend gerecht zu werden. In Fällen der vorliegenden Art ist es für eine erschöpfende Beweiswürdigung grundsätzlich unverzichtbar, dass sich das Tatsachengericht selbst in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von dem Kläger oder der Klägerin verschafft (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, 9 RVg 3/89).
Die im Verwaltungsverfahren des Beklagten eingeholte aussagepsychologische Stellungnahme des Gutachters Prof. Dr. S vom 19. Oktober 2007, der die Glaubhaftigkeit der klägerischen Aussage verneint, dürfte eine persönliche Einvernahme der Klägerin durch das Gericht - ungeachtet der Tatsache, dass sich das Sozialgericht auf diese Stellungnahme in seiner Entscheidung nicht stützt – nicht entbehrlich machen, zumal Prof. Dr. S seine Einschätzung selbst nur aufgrund eines Gutachtens nach Aktenlage getroffen hat.
Vor diesem Hintergrund ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des § 114 ZPO zu bejahen; die Beiordnung folgt aus § 121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).