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(Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Versäumung der Berufungsfrist - bewusst falsche Angaben im Prozesskostenhilfeverfahren)


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 17. Kammer Entscheidungsdatum 03.03.2010
Aktenzeichen 17 Sa 423/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 233 ZPO, § 522 Abs 1 S 1 ZPO, § 114 S 1 ZPO, § 66 Abs 1 ArbGG

Leitsatz

Ein Berufungsführer ist ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, wenn er während der Berufungsfrist einen ordnungsgemäßen Antrag auf Berichtigung der Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gestellt hat und annehmen durfte, dass ihm Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Hieran fehlt es, wenn bewusst unrichtige Angaben über das vorhandene Vermögen gemacht werden.

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. 09.2008 - 64 Ca 60931/08 - wird unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags vom 02.03.2009 auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, für die Monate Dezember 2006 bis Oktober 2007 Sozialkassenbeiträge in Höhe von 10.942,76 EUR zu zahlen. Dabei ist zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagte in dem streitbefangenen Zeitraum einen vom betrieblichen Anwendungsbereich des Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) ausgenommenen Malerbetrieb geführt hat.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten durch ein am 17. September 2008 verkündetes Urteil zur Zahlung der genannten Sozialkassenbeiträge verurteilt. Das Urteil wurde dem Beklagten am 17. November 2009 zugestellt.

Der Beklagte beantragte am 16. Dezember 2008, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens zu bewilligen. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 27. November 2009 beigefügt. Der Beklagte gab dort nicht an, dass er über zwei Konten bei der C. verfügte, die am 30. November 2009 ein Guthaben von 3.246,72 EUR bzw. 496,20 EUR aufwiesen.

Das Landesarbeitsgericht wies den Prozesskostenhilfeantrag durch Beschluss vom 9. Februar 2009 zurück, weil die Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe; der Beschluss wurde dem Beklagten am 16. Februar 2009 zugestellt. Der Beklagte legte am 2. März 2009 Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 17. September 2008 ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist; die Berufung wurde mit einem am 15. März 2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Beklagte hat am 15. Juli 2009 erneut die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beantragt, wobei er ein Nettoeinkommen von 2.387,06 und monatliche Belastungen von 2.251,23 EUR angab. Auf Nachfrage des Gerichts gab der Beklagte an, er würde – anders als in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegeben – zwei Darlehensraten von monatlich 500,00 EUR und 385,60 EUR derzeit nicht zahlen. Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass der Beklagte in den Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 8 Sa 331/09 und 9 SHa 746/09 unrichtige bzw. unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hatte, hat es den Beklagten erfolglos zu ergänzenden Angaben aufgefordert. Es hat daraufhin den Prozesskostenhilfeantrag durch Beschluss vom 14. September 2009 zurückgewiesen.

Nachdem der Beklagte in seiner Berufungsbegründungsschrift zunächst behauptet hatte, in seinem Betrieb seien in den Jahren 2006 und 2007 arbeitszeitlich überwiegend Malerarbeiten, also das Tapezieren und Streichen von Wänden, Fassaden und Maschinen ausgeführt worden, hat er – nach Durchführung einer Beweisaufnahme – zuletzt vorgetragen, es seien neben Malerarbeiten und sonstigen Bauarbeiten auch Wärmedämmverbundsystemarbeiten wie folgt ausgeübt worden:

2006:

Malerarbeiten 7.640 Stunden, Wärmedämmverbundsystemarbeiten
1.818 Stunden; sonstige Bauarbeiten 7.031 Stunden,

                 

2007:

Malerarbeiten 8.383 Stunden, Wärmedämmverbundsystemarbeiten
4.023 Stunden, sonstige Bauarbeiten 10.811 Stunden.

Der Beklagte hält seinen Wiedereinsetzungsantrag für begründet, weil er von einer Bewilligung der Prozesskostenhilfe habe ausgehen müssen. Die fehlende Angabe der Konten bei der C. seien – so meint der Beklagte – unschädlich, weil die Kosten des Berufungsverfahrens unter Berücksichtigung eines Schonvermögens von 2.600,00 EUR durch das auf den Konten befindliche Guthaben nicht hätten gedeckt werden können. Der Beklagte ist zudem der Auffassung, die in seinem Betrieb während des streitbefangenen Zeitraums geleisteten Arbeiten stünden einer Anwendung des VTV entgegen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. September 2009 – 64 Ca 60931/08 – abzuweisen und ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für unzulässig, weil der Beklagte die Berufungsfrist verschuldet versäumt habe. Der Beklagte habe damit rechnen müssen, dass sein Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussichten zurückgewiesen werden würde; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme daher nicht in Betracht. Im Übrigen sei der Betrieb des Beklagten in dem streitbefangenen Zeitraum unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV gefallen; sie – die Klägerin – mache sich insoweit den letzten Vortrag des Beklagten hilfsweise zu Eigen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist unzulässig, weil der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat und ihm insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist. Sie war daher als unzulässig zu verwerfen, § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 522 Abs. 1 ZPO.

1. Da das angefochtene Urteil dem Beklagten am 17. November 2008 zugestellt wurde, lief die einmonatige Berufungsfrist (§ 66 Abs. 1 ArbGG) am 17. Dezember 2008 ab. Die Berufungsschrift ging am 2. März 2009 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist bei dem Landesarbeitsgericht ein.

2. Die Berufungsfrist gilt auch nicht im Hinblick auf den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten als gewahrt. Der Beklagte hat die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt; die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) lagen daher nicht vor.

a) Einer Partei, die wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage war, ein Rechtsmittel, das dem Vertretungszwang unterliegt, wirksam zu erheben, ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten. Davon ist auszugehen, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist alles in seinen Kräften Stehende und Zumutbare getan hat, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Aus diesem Grund muss er bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe schaffen (BAG, Beschluss vom 26.1.2006, 9 AZA 11/05 - AP Nr. 81 zu § 233 ZPO 1977 m.w.N.). Hierzu gehört es vor allem, während der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe zu beantragen und dabei – auf einem eingeführten Vordruck – eine ordnungsgemäß ausfüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzugeben und insoweit notwendige Belege einzureichen (§ 117 ZPO). Musste die Partei hingegen vernünftigerweise mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe rechnen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer Rechtsmittelfrist nicht in Betracht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010, XII ZB 108/09 – juris; Beschluss vom 11. Juni 2008 – XII ZB 184/05 – MDR 2008, 1297; Beschluss vom 31. August 2005 – XII ZB 116/05 – MDR 2006, 166 f.; Beschluss vom 19. Mai 2004 – XII ZA 11/03 – FamRZ 2004, 1548; Beschluss vom 27. November 1996 – XII ZB 84/96 – NJW 1997, 1078).

b) Der Beklagte durfte im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen, dass ihm auf seinen Antrag vom 16. Dezember 2008 hin Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens bewilligt werden würde. Dem steht bereits entgegen, dass der Beklagte in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erhebliche Bestandteile seines Vermögens – zwei Konten bei der C. mit einem Kontostand von 3.742,92 EUR – nicht angegeben hatte. Zwar hindert nicht jede ungenaue oder unrichtige Angabe in dem Vordruck über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwangsläufig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Können lückenhafte Angaben oder Zweifel an der Richtigkeit der dargestellten Verhältnisse ohne weiteres, z.B. anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen oder ausgeräumt werden, darf die Partei möglicherweise gleichwohl von einer Bewilligung der Prozesskostenhilfe ausgehen. Gleiches kann gelten, wenn zwar einzelne Fragen in dem Vordruck nicht beantwortet wurden, es sich aber aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 – XII ZB 184/05 – a.a.O.). Eine derartige Sachverhaltsgestaltung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Der Beklagte hat vielmehr bewusst Guthaben auf Konten verschwiegen, das zumindest teilweise zur Deckung der Prozesskostenhilfe hätte verwendet werden können. Er durfte nicht darauf vertrauen, dass dieser Umstand unentdeckt und das Gericht ihm gleichwohl Prozesskostenhilfe bewilligen würde. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der Beklagte das verschwiegene Guthaben möglicherweise nicht vollständig für den vorliegenden Prozess hätte einsetzen müssen. Denn es steht nicht im Belieben der Partei, die Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse davon abhängig zu machen, ob sie für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe von Belang sind. Es obliegt vielmehr dem Gericht, auf der Grundlage der – vollständigen und wahrheitsgemäßen – Angaben der Partei über den Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Sind die Angaben hingegen nicht ordnungsgemäß erfolgt, kann die Partei nicht annehmen, ihr werde Prozesskostenhilfe gewährt; sie muss vielmehr damit rechnen, dass ihr Prozesskostenhilfegesuch abschlägig beschieden werden wird. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Angaben des Beklagten im Zusammenhang mit den gestellten Prozesskostenhilfeanträgen auch sonst nicht ohne weiteres zu einer Bewilligung der Prozesskostenhilfe führen konnten, sondern Anlass zu Nachfragen gab und zur Verweigerung der Prozesskostenhilfe führte. So hatte der Beklagte im Zusammen-hang mit seinem Prozesskostenhilfeantrag monatliche Belastungen angegeben, die sein Einkommen überstiegen; der Antrag wurde von dem Arbeitsgericht zurückgewiesen. Auch die Angaben im Zusammenhang mit dem Prozesskosten-hilfeantrag vom 15. Juli 2009 waren – ebenso wie die in den weiteren Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg 8 Sa 331/09 und 9 SHa 746/09 gemachten Angaben – unrichtig bzw. unvollständig. Die Erklärungen des Beklagten über seine wirtschaftlichen Verhältnisse waren regelmäßig anzuzweifeln, wenn nicht ihre Unrichtigkeit offenkundig war. Bei dieser Sachlage konnte der Beklagte erst recht nicht annehmen, sein Prozesskostenhilfegesuch vom 16. Dezember 2008 werde ohne weiteres Erfolg haben; letztlich gilt dies aber bereits wegen der unterlassenen Angaben zu den Konten bei der C..

II.

Die Berufung wäre im Übrigen – ihre Zulässigkeit einmal unterstellt – unbegründet. Der Beklagte ist zur Zahlung der eingeklagten Sozialkassenbeiträge verpflichtet, weil sein Betrieb in dem streitbefangenen Zeitraum unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV fiel. Das Arbeitsgericht hat der Klage daher zu Recht entsprochen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hängt ist für die Frage, ob ein Betrieb von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst wird, auf die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer, nicht jedoch auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien abzustellen. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VI VTV unterfallen Betriebe als Ganzes dem VTV, wenn in ihnen arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Werden überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV genannten Tätigkeiten ausgeführt, fällt der Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV sind Betriebe verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV ausgenommen, unter ihnen gemäß Nr. 6 Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks, soweit nicht Arbeiten der in Abschnitt IV und V aufgeführten Art ausgeführt werden. Die Partei, die sich auf eine Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV beruft, hat die hierfür maßgeblichen Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen (BAG, Urteil vom 24. November 2004 – 10 AZR 169/04 – AP Nr. 12 zu § 61 ArbGG 1979).

2. Im vorliegenden Fall wurden nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten in seinem Betrieb sowohl im Jahr 2006 als auch im Jahr 2007 arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten i.S.d. § 1 Abs. 2 Abschnitt V VTV verrichtet, nämlich die als „sonstige Bauarbeiten“ bezeichneten Trockenbauarbeiten, Maurer- und Betonbauerarbeiten, Fliesen-, Platten- und Mosaik-Ansetz- und Verlegearbeiten sowie Wärmedämmverbundsystemarbeiten (Nr. 5, 15, 23, 37, 40), was zur Anwendbarkeit des VTV führt. Eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des VTV nach § 1 Abs. 2 Abschnitt VII VTV liegt nicht vor. Auch wenn es sich bei dem Betrieb des Beklagten um einen solchen des Maler- und Lackiererhandwerks gehandelt haben sollte, wurden dort doch arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten der in Abschnitt IV und V genannten Art ausgeführt mit der Folge, dass es bei der Anwendbarkeit des VTV bleibt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.