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Ausweisung; Straftaten; Wiederholungsgefahr; schwerwiegendes Ausweisungsinteresse; Bleibeinteresse; Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis; Gesamtabwägung; Einreise- und Aufenthaltsverbot; ausweisungsbedingte Sperrfrist; abschiebungsbedingte Sperrfrist; Ermessensausübung im Gerichtsverfahren; schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 27.02.2018
Aktenzeichen OVG 3 B 11.16 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2018:0227.3B11.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 7 AufenthG, § 9 Abs 2 AufenthG, § 11 Abs 3 AufenthG, § 23a AufenthG, § 53 AufenthG, § 54 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 55 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 55 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 58 Abs 3 Nr 1 AufenthG, § 59 Abs 5 S 1 AufenthG, Art 8 MRK, § 114 S 2 VwGO

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. November 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Ausweisung des Klägers, die Abschiebungsandrohung, die Sperrwirkungen von Ausweisung und Abschiebung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Kläger.

Der 1... im Libanon geborene Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. 1... reisten seine Eltern mit ihm ein. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. 2... erwarb er den mittleren Schulabschluss. Den Besuch einer privaten Schule, der zum Fachabitur geführt hätte, brach er im Sommer 2... ab. Ab dem 31. August 2... besuchte er das Oberstufenzentrum Bautechnik I und begann hierdurch eine Ausbildung zum bautechnischen Assistenten für Gebäude-Energie-Design. Im Sommer 2... brach er die Ausbildung ab. Vom 23. April 2... bis 29. Dezember 2... besaß er eine Aufenthaltsbefugnis. Auf Ersuchen der Härtefallkommission erhielt er ab 11. Januar 2... befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 23a AufenthG. Die ihm zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis war bis 21. September 2... gültig. Am 8. Oktober 2... beantragte er die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Der Kläger ist ledig und kinderlos.

Der Kläger trat strafrechtlich unter anderem wie folgt in Erscheinung:

1.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 27. Mai 2... – (397 Ds) 18 Ju Js 40/10 (84/10) Jug –: eine Woche Dauerarrest wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung, gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und gemeinschaftlichen Diebstahls, begangen im September und November 2...,
2.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 13. März 2... – (421 Ds) 275 Js 3047/11 (258/11) Jug –: zwei Freizeitarreste wegen gemeinschaftlichen Diebstahls sowie Kennzeichenmissbrauchs in Tateinheit mit Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, begangen im April 2...,
3.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 19. Juni 2... – (419 Ds) 263 Js 5274/11 (46/12) Jug –: Unterstellung des Klägers unter die Aufsicht und Leitung eines Betreuungshelfers nach Weisung der Jugendgerichtshilfe für ein Jahr sowie 30 Stunden Freizeitarbeiten wegen Diebstahls, begangen im Mai 2...,
4.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 10. Juni 2... – (393) 265 Js 699/12 Ls (8/13) –: Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung unter Einbeziehung des Urteils vom 19. Juni 2... wegen Diebstahls in zwei Fällen, versuchten Diebstahls, Wohnungseinbruchdiebstahls, Raubs in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruchs sowie unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (Marihuana), begangen im April 2...April, Juni, August, September und Dezember 2..., Februar 2...,
5.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 5. November 2... – (405) 265 Js 1270/13 Ls (55/13) –: Jugendstrafe von drei Jahren unter Einbeziehung der Urteile vom 10. Juni 2... und vom 19. Juni 2... wegen Sachbeschädigung und Diebstahls, begangen im Mai und August 2...,
6.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 19. August 2... – (394) 265 Js 570/14 Ls (33/14) –: Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung der Urteile vom 5. November 2..., 10. Juni 2... und 19. Juni 2...wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana), begangen im März 2...,
7.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 23. Januar 2... – (395 Ls) 265 Js 80/16 (70/16) –, rechtskräftig seit 9. November 2...: einheitliche Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten unter Einbeziehung des Urteils vom 19. August 2... wegen versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, begangen im Januar 2...,
8.Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 1. Februar 2... – (395 Ls) 265 Js 1180/16 (25/17) – rechtkräftig seit 9. Februar 2...: einheitliche Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten unter Einbeziehung des Urteils vom 23. Januar 2... wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und Diebstahls in einem besonders schweren Fall, begangen im Februar 2... und im Zeitraum vom 30. September bis 4. Oktober 2....

Der Kläger befand sich ab 25. August 2... in Haft. Durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Oktober 2... – (418 VRJs) 265 Js 570/14 (275/14) – wurde die Vollstreckung des Rests der Jugendstrafe ab dem 6. November 2015 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Der Kläger wurde für die Dauer von zwei Jahren der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Ihm wurden die Bewährungsweisungen und -auflagen erteilt, sich verabredungsgemäß beim Bewährungshelfer zu melden und sich im Verhinderungsfalle zu entschuldigen sowie die Ausbildung zum Bautechnischen Assistenten für Gebäude-Energie-Design fortzusetzen und erfolgreich abzuschließen. Der Kläger wurde am 6. November 2... aus der Haft entlassen. Seit 3. Januar 2... befindet er sich zur Verbüßung der Restjugendstrafe erneut in Haft.

Nach vorheriger Anhörung wies der Beklagte den Kläger durch Bescheid vom 29. September 2014 aus (Ziffer 1), lehnte die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab (Ziffer 2), drohte dem Kläger die Abschiebung in den Libanon an (Ziffer 3), befristete die Sperrwirkungen der Ausweisung auf sieben Jahre (Ziffer 4) und die der Abschiebung auf drei Monate (Ziffer 5). Der Kläger erfülle aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen mehrere Ausweisungstatbestände. Auf einen besonderen Ausweisungsschutz könne er sich nicht berufen. Die Ausweisung sei bei Abwägung der Fallumstände unter Berücksichtigung der Rechte aus Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig. Einen Aufenthaltstitel könne der Kläger bereits aufgrund der ausweisungsbedingten Sperrwirkung nicht erhalten. Im Hinblick auf das vom Kläger ausgehende hohe Gefährdungspotential sei die Sperrwirkung der Ausweisung an sich auf acht Jahre zu befristen. Zu seinen Gunsten werde aber gewertet, dass er in den ersten Jahren seit seiner Einreise eine angehende Integration habe erkennen lassen. Auch lebe er nunmehr 18 Jahre in Deutschland, habe sich im Vollzug angemessen verhalten und gehe in der Haft einer Beschäftigung nach. Ferner lebten seine Eltern und Geschwister im Bundesgebiet. Daher werde der Befristungszeitraum auf sieben Jahre verkürzt.

Der Beklagte wies den gegen die Befristungsentscheidungen (Ziffern 4 und 5 des Bescheids vom 29. September 2014) erhobenen Widerspruch durch Bescheid vom 9. Februar 2015 zurück.

Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 29. September 2014 und gegen diesen Bescheid in Gestalt des Widerspruchbescheids Klage erhoben – VG 19 K 294.14, VG 19 K 104.15 – und im Wesentlichen geltend gemacht: Ihm komme besonderer Ausweisungsschutz zugute. Er sei im Alter von nicht einmal einem Jahr eingereist und habe sein gesamtes Leben in Berlin verbracht. Er habe das deutsche Schulsystem durchlaufen. Er sei ebenso nachhaltig in die deutsche Gesellschaft integriert wie deutsche Staatsangehörige seines Alters mit ähnlicher Schul- und Ausbildungsbiografie. Er sei faktischer Inländer. Zum Libanon habe er keine soziale Beziehung und beherrsche Deutsch weit besser als Arabisch. Bei seinen Straftaten habe er wegen seiner damaligen jugendlichen Unreife die Konsequenzen seines Handelns nicht hinreichend erkannt. Die seit den Taten vergangene Zeit habe er genutzt, um sich mit seinem gewalttätigen Verhalten auseinander zu setzen und seine Ausbildung fortzusetzen. Er habe sich glaubhaft von seiner Delinquenz distanziert. Der Resozialisierungsprozess würde durch die Aufenthaltsbeendigung unterbrochen.

Der Beklagte teilte unter dem 8. Oktober 2015 mit, er übe das Befristungsermessen dahingehend aus, dass hinsichtlich der Ausweisung eine Befristung von sieben Jahren und im Hinblick auf die Abschiebung eine Befristung von drei Jahren angemessen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärte er, dass er die Sperrwirkungen der Ausweisung auf sechs Jahre und die der Abschiebung auf zwei Jahre befriste.

Das Verwaltungsgericht hat die Klagen – VG 19 K 294.14 – und – VG 19 K 104.15 – durch Beschluss vom 27. März 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 10. November 2015 abgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 17. Februar 2016 auf Antrag des Klägers die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Der Kläger begründet die Berufung im Wesentlichen wie folgt: Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Verwaltungsgerichts seien auf der Grundlage des seinerzeit geltenden Aufenthaltsrechts ergangen und stünden mit dem neuen Recht nicht in Einklang. Bei lebensgeschichtlich an das Bundesgebiet gebundener Delinquenz sei ausschließlich im Bundesgebiet auf abweichendes Verhalten zu antworten. Haftstrafen beseitigten nicht den Schutz aus Art. 8 EMRK. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte messe bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dem Alter, in dem der Betreffende die Taten begangen habe, große Bedeutung zu und fordere eine Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens. Die Umstände der vom Kläger begangenen Taten sprächen für jugendtypisches Fehlverhalten. Erneute Verfehlungen seien nicht zu erwarten. Er habe frühzeitig ein von Reue und Einsicht getragenes Geständnis abgelegt und zur Tataufklärung beigetragen. Die Haft habe ihn beeindruckt. Er arbeite am Vollzugsziel mit. Der Beklagte habe hinsichtlich der Befristungsentscheidungen das Ermessen nicht nachträglich erstmalig ausüben können. Zudem sei die Ermessensausübung fehlerhaft erfolgt, da die der Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen nicht erkennbar seien.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. November 2015 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 29. September 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 9. Februar 2015 und der Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin vom 10. November 2015 aufzuheben,

hilfsweise

a) den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 4 des Bescheides vom 29. September 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 9. Februar 2015 und der Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin vom 10. November 2015 zu verpflichten, über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,

b) den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 5 des Bescheides vom 29. September 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 9. Februar 2015 und der Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin vom 10. November 2015 zu verpflichten, über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,

2. den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 29. September 2014 zu verpflichten, dem Kläger einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

Der Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Ausländerakte des Klägers, der Akten der Staatsanwaltschaft Berlin – 265 Js 1270/13, 265 Js 570/14 und 265 Js 80/16 –, der Gefangenen-Personalakten des Klägers – 376/13/6 und 5/18/4 – und der Vollstreckungshefte des Klägers – 418 VRJs 275/14 und 418 VRJs 8/18 – verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist hinsichtlich der Ausweisung (1), der Dauer der ausweisungs- (2) und der abschiebungsbedingten Sperrwirkungen (3), der erstrebten Erteilung eines Aufenthaltstitels (4) und der Abschiebungsandrohung (5) nicht begründet. Die angefochtenen Entscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 18 und – 1 C 27/16 – juris Rn. 12). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), zugrunde zu legen.

1. Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 in Verbindung mit § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.

a) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse unter anderem dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Dieser Tatbestand ist durch die rechtkräftige Verurteilung des Klägers zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten durch das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Februar 2... erfüllt. Unerheblich ist, dass das Amtsgericht die Jugendstrafe unter Einbeziehung des Urteils vom 23. Januar 2... festgesetzt hat. Durch die Bildung der einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 Abs. 1 und 2 JGG liegt eine einzige Verurteilung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 15. Juli 2013 – 3 B 1429/13 – juris Rn. 3; OVG Münster, Beschluss vom 5. Januar 1998 – 18 B 450/96 – juris Rn. 5; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., 2018, § 54 Rn. 8; Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 54 Rn. 10).

Auch bei Verwirklichung eines Tatbestands nach § 54 AufenthG bedarf es stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 3/16 – juris Rn. 26). Für die dem Gericht obliegende Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei der insoweit zu treffenden Prognose ist nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat abzustellen. Einzubeziehen sind vielmehr die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 13/11 – juris Rn. 12 und 18; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2017 – OVG 11 B 12.16 – juris Rn. 35).

Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger erneut Straftaten im Bereich der Eigentumsdelikte und Taten mit Gewaltanwendung begehen wird. Hierfür spricht zum einen die hohe Anzahl seiner Verurteilungen wegen der Begehung derartiger Delikte. Auch hielten ihn bereits erfolgte Verurteilungen wegen einschlägiger Taten nicht davon ab, solche Taten wieder zu begehen. Nach seiner unter anderem wegen gemeinschaftlichen Diebstahls am 27. Mai 2... erfolgten Verurteilung beging er im April und Mai 2011 wieder Diebstähle. Nachdem er am 13. März 2... unter anderem wegen gemeinschaftlichen Diebstahls verurteilt worden war, beging er am 25. August 2... einen Diebstahl, in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... einen versuchten Diebstahl, in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... einen Wohnungseinbruchdiebstahl und im Zeitraum von 30. September 2... bis 4. Oktober 2... einen Diebstahl in einem besonders schwerem Fall. Die Körperverletzungsdelikte und den Raub hat der Beklagte zwar vor längerer Zeit begangen, beim versuchten Diebstahl in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... führte er aber eine Waffe mit sich. Besonders schwer wiegt, dass der Kläger den gemeinschaftlichen Diebstahl am 25. August 2..., den versuchten Diebstahl in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... sowie die Diebstahlstaten in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... und im Zeitraum von 30. September 2... bis 4. Oktober 2... jeweils während laufender Bewährungszeiten beging. Auch Haftzeiten veranlassten ihn nicht, von neuen Straftaten Abstand zu nehmen. Nach seiner vom 25. August 2... bis 6. November 2... mehr als zwei Jahre dauernden Haft beging er in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2016 einen versuchten Einbruchdiebstahl, in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... einen Wohnungseinbruchdiebstahl und im Zeitraum von 30. September 2... bis 4. Oktober 2... einen Diebstahl in besonders schwerem Fall. Zudem war die Rückfallgeschwindigkeit oftmals hoch. Die Tat am 25. August 2... beging der Kläger nur etwa zweieinhalb Monate nach der Verurteilung am 10. Juni 2.... Zwischen der Haftentlassung am 6. November 2... waren bis zur Begehung des versuchten Einbruchdiebstahls in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... weniger als drei Monate vergangen. Seine von der Jugendstrafanstalt in der Stellungnahme vom 22. September 2... beschriebene positive Entwicklung konnte der Kläger nach der Haftentlassung nicht fortsetzen. Nach der Beurteilung der Jugendstrafanstalt hat der Kläger die Inhaftierung genutzt, sich mit seiner delinquenten Entwicklung auseinanderzusetzen. Er sei hoch motiviert, in Zukunft straffrei zu leben. Er habe am Urinkontrollprogramm teilgenommen und seit über einem Jahr seine Abstinenz unter Beweis stellen können. Seine Abstinenzmotivation sei gut ausgeprägt. Er habe einen legalen Lebensentwurf entwickelt und mit dessen Umsetzung begonnen. Insbesondere die berufliche Ausbildung biete ihm die Möglichkeit, sich sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Seine Berufsausbildung vermittle ihm eine stabile Tagesstruktur. Nach der Haftentlassung ist er mit dem versuchten Einbruchdiebstahl in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2..., dem Wohnungseinbruchdiebstahl in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... und dem Diebstahl in besonders schwerem Fall wieder rückfällig geworden. Zudem hatte er nach eigenen Angaben am Abend vor der in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... begangenen Tat „ziemlich viel gekifft“. Hierdurch hat er seine im letzten Jahr der Haft gezeigte Betäubungsmittelabstinenz wieder aufgegeben und an sein früheres Verhalten angeknüpft. Nach der Stellungnahme der Jugendstrafanstalt Berlin vom 22. September 2... haben die – bis dahin begangenen – Straftaten auch der Finanzierung des Drogenkonsums gedient. Die Ausbildung, die die Jugendstrafanstalt als stabilisierenden Faktor angesehen hat, hat der Kläger zum Sommer 2... abgebrochen, wobei der Kläger den versuchten Einbruchdiebstahl in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... und den Wohnungseinbruchdiebstahl in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... bereits während der seinerzeit noch laufenden Ausbildung begangen hat. Aufgrund der wiederholten einschlägigen Straffälligkeit des Klägers nach der am 6. November 2... erfolgten Haftentlassung kommt der vom Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 16. Oktober 2... verfügten Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016 – 2 BvR 1943/16 – (juris) keine durchgreifende Bedeutung zu. Die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, hat sich nicht erfüllt. Es kommt hinzu, dass der Kläger die ihm erteilten Bewährungsweisungen und -auflagen nicht erfüllt hat. Die Ausbildung hat er abgebrochen. Nach Mitteilung seines Bewährungshelfers hat der Kläger nur selten Kontakt zu ihm gehalten und Gesprächstermine als sinnlos angesehen. Hiernach fehlt ihm die Bereitschaft, die Vorgaben zu beachten, die ihm Hilfe auf dem Weg in ein straffreies Leben bieten sollen. Es spricht auch nichts dafür, dass im Leben des Klägers nach dessen letzter Straffälligkeit eine Zäsur eingetreten ist. Er ist weiterhin ohne Ausbildung. Einer Erwerbstätigkeit ist er nicht nachgegangen. Seine Eltern, zu denen er nach der Stellungnahme der Jugendstrafanstalt vom 22. September 2... eine enge emotionale Bindung hat, die ihn unterstützten und in deren Haushalt er nach der Haftentlassung wieder gelebt hat, konnten ihn von seiner (erneuten) Straffälligkeit nicht abhalten. Der Annahme der Wiederholungsgefahr steht nicht entgegen, dass der Kläger die Straftaten, derentwegen er seit 2... verurteilt worden ist, größtenteils als Jugendlicher und Heranwachsender begangen hat. Er sieht die Taten als jugendtypische Verfehlungen an. Das Amtsgericht hat noch im Urteil vom 1. Februar 2...Jugendstrafrecht angewandt. Es hat aber auf schädliche Neigungen des Klägers hingewiesen und im Urteil vom 23. Januar 2... festgestellt, dass der Kläger durch seine Tatbegehung wiederholt gezeigt habe, dass er weiterhin erhebliche charakterliche Defizite habe. Es ist nicht erkennbar, dass die seit weniger als zwei Monaten erneut vollstreckte Jugendstrafe diese schädlichen Neigungen und charakterlichen Defizite beseitigt hat. Ohne durchgreifendes Gewicht ist der Umstand, dass der Kläger sich wiederholt geständig gezeigt hat. Nach seinen Angaben waren die geständigen Einlassungen von Einsicht und Reue getragen. Aus den Geständnissen kann nicht auf einen nachhaltigen Einstellungswandel des Klägers geschlossen werden. Nachdem er Taten zugegeben hat, ist er erneut straffällig geworden. Er war hinsichtlich der Taten, die zu den Verurteilungen am 19. Juni 2... und 5. November 2... geführt haben, geständig, ist in der Folgezeit aber insbesondere mit dem versuchten Diebstahl in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2..., dem Diebstahl in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... und dem im Zeitraum vom 30. September 2... bis 4. Oktober 2... verübten Diebstahl erneut einschlägig straffällig geworden. Von der Begehung dieser Tat hat ihn auch die verfahrensgegenständliche Ausweisungsverfügung nicht abgehalten, obwohl sie ihm die aufenthaltsrechtlichen Folgen seines strafbaren Verhaltens aufgezeigt hat. Überdies war der Schaden, den der Kläger durch den im Zeitraum vom 30. September bis 4. Oktober 2... verübten Diebstahl verursacht hat, mit insgesamt 5.900,00 Euro hoch.

b) Dem Kläger steht kein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 AufenthG und kein in § 55 Abs. 2 AufenthG benanntes schwerwiegendes Bleibeinteresse zur Seite.

Die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sind nicht erfüllt. Der Kläger besaß nie eine Niederlassungserlaubnis. Auch hatte er, sofern über den Wortlaut der Bestimmung hinaus ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis genügen sollte (vgl. Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 55 Rn. 8), im insoweit entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Ausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 – 1 C 45/06 – juris Rn. 24) keinen dahingehenden Anspruch. Er folgt vor allem nicht aus § 9 Abs. 2 AufenthG. Der Lebensunterhalt des Klägers war nicht gesichert (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 2 Abs. 3 AufenthG). Der Kläger war, obwohl ihm die Erwerbstätigkeit gestattet war, abgesehen von einer lediglich zweimonatigen Aushilfstätigkeit, der er nach dem Schulabbruch nachgegangen ist, außerhalb der Haft nicht erwerbstätig. Er und seine elterliche Familie, bei der er vor und nach der Haft gelebt und mit der er eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hat (§ 7 Abs. 3 Nr. 4, § 9 Abs. 2 SGB II), nahmen ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) in Anspruch (vgl. zur Maßgeblichkeit der Regeln über die Bedarfsgemeinschaft: BVerwG, Urteil vom 16. August 2011 – 1 C 4/11 – juris Rn. 14).

Der Kläger kann sich auch nicht auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG berufen. Seine letzte Aufenthaltserlaubnis war bis zum 21. September 2... gültig und im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung, auf den wie bei § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzustellen ist (vgl. Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 55 Rn. 10), bereits abgelaufen. Der Kläger hatte, soweit dies ausreichen sollte (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 10. Mai 2011 – 1 A 306/10, 1 A 307/10 – juris Rn. 76), auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ein Erteilungsanspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 23a AufenthG, da diese Bestimmung gemäß § 23a Abs. 1 Satz 4 AufenthG keine subjektiven Rechte des Ausländers begründet (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 17. April 2007 – 10 LC 262/05 – juris Rn. 23; OVG Schleswig, Beschluss vom 27. Juli 2005 – 4 MB 72/05 – BA S. 2). Abgesehen davon ist nicht aktenkundig, dass der Kläger vor Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis deren Verlängerung oder Neuerteilung beantragt hat. Der Kläger kann nach eigenen Angaben nicht nachweisen, einen dahingehenden Antrag gestellt zu haben. Auch umfasst der Antrag auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis. Dies folgt aus dem in § 7 AufenthG verankerten aufenthaltsrechtlichen Trennungsprinzip zwischen den Aufenthaltszwecken (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 – 1 C 11/08 – juris Rn. 13). Der Streitgegenstand eines auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gerichteten Verfahrens wird bestimmt und begrenzt durch die Aufenthaltszwecke, aus denen der Anspruch hergeleitet wird. Ein Ausländer ist regelmäßig darauf zu verweisen, seine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche aus den Rechtsgrundlagen abzuleiten, die der Gesetzgeber für die spezifischen Aufenthaltszwecke geschaffen hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2015 – OVG 11 S 37.15 – juris Rn. 8).

c) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet (§ 53 Abs. 1 AufenthG).

Neben den sich aus den §§ 54 und 55 AufenthG ergebenden schwerwiegenden oder besonders schwerwiegenden Ausweisungs- oder Bleibeinteressen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Ergänzend wie auch für die Bedeutung einzelner Umstände ist, worauf der Kläger hinweist, die einschlägige Rechtsprechung insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK zu beachten, zumal sich der Gesetzgeber (BT-Drucks. 18/4097, S. 49 ff.) bei seiner bewusst nicht abschließenden Aufzählung ausdrücklich an den Kriterien orientiert hat, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als für die Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK maßgeblich zu berücksichtigende Gesichtspunkte heranzieht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Juli 2017 – OVG 11 B 12.16 – juris Rn. 43).

Hiernach war zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger durch seine Verurteilung zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründet hat und von ihm eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgeht. Soweit der Kläger geltend macht, dass er faktischer Inländer sei, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 23. Juni 2008 – 1638/03 – InfAuslR 2008, 333, 334, Maslov II) Art. 8 EMRK keiner Kategorie von Fremden einen absoluten Schutz vor Abschiebung bietet. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Kläger ein junger Erwachsener ist, der noch keine eigene Familie gegründet hat. Bei diesem Personenkreis sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteile vom 23. Juni 2008 – 1638/03 – InfAuslR 2008, 333, 334, Maslov II, und vom 13. Oktober 2011 – 41548/06 – juris Rn. 55) bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Art und Schwere der vom Betreffenden begangenen Straftaten, die Dauer seines Aufenthalts im Land, aus dem er ausgewiesen wird, die zwischen der Begehung der Delikte verstrichene Zeit und das Verhalten des Betreffenden während dieser Zeit sowie seine sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und dem Zielstaat der Ausweisung wesentlich.

Bei der Beurteilung von Art und Schwere der Straftaten ist zu beachten, ob der Betreffende bei Tatbegehung noch minderjährig war. Dies gilt auch dann, wenn er mittlerweile nicht mehr minderjährig ist. Bei aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen gegen einen jugendlichen Straftäter besteht die Verpflichtung, seine Resozialisierung zu erleichtern. Dieses Ziel wird nicht erreicht, indem familiäre und soziale Bindungen durch die Ausweisung getrennt werden, die bei jugendlichen Straftätern der letzte Ausweg bleiben muss. Für die Ausweisung eines niedergelassenen Einwanderers aufgrund von überwiegend nicht gewalttätigen Straftaten, die er als Minderjähriger begangen hat, besteht aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 23. Juni 2008 – 1638/03 – InfAuslR 2008, 333, 334, Maslov II) wenig Raum.

Bei der Begehung der Straftaten, die zu den Verurteilungen am 5. November 2..., 19. August 2..., 23. Januar 2... und 1. Februar 2... führten, war der Kläger bereits volljährig. Das Strafgericht hat zwar in allen Fällen Jugendstrafrecht angewandt, weil der Kläger auch noch im Zeitpunkt des in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... begangenen Wohnungseinbruchdiebstahls in seiner geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichgestanden habe, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 13. Oktober 2011 – 41548/06 – juris Rn. 57) kann dennoch nicht angenommen werden, dass, weil der Kläger bei Tatbegehung bereits volljährig war, es sich hierbei um in der Jugendzeit begangene Delikte gehandelt hat. Zudem war der Kläger bei der im Zeitraum vom 30. September bis 4. Oktober 2... begangenen Tat auch kein Heranwachsender mehr (§ 1 Abs. 2 JGG). Des Weiteren beging der Kläger mit vorsätzlicher Körperverletzung, gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung, dem am 13. Dezember 2... verübten Raub in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung auch Straftaten mit Gewaltanwendung. Diese Taten beging er zwar als Minderjähriger, doch fällt ins Gewicht, dass es mehrere Taten waren. Überdies hat der Kläger mit dem versuchten Diebstahl mit Waffen in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2..., dem Wohnungseinbruchdiebstahl in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... und dem im Zeitraum vom 30. September bis 4. Oktober 2... verübten Diebstahl mit Eindringen in Geschäftsräume als Volljähriger Delikte begangen, die ausweislich des gesetzlichen Strafrahmens einen hohen Unrechtsgehalt aufweisen (vgl. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Zu Lasten des Kläger fallen auch die hohe Zahl seiner Straftaten und dass er sich weder durch vorangegangene Verurteilungen und Haftzeiten noch dadurch, dass ihm spätestens mit der Ausweisung die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen seines strafbaren Verhaltens vor Augen geführt worden sind, davon abhalten ließ, wieder Straftaten zu begehen, er während laufender Bewährungszeiten mehrfach straffällig wurde und Bewährungsweisungen und -auflagen nicht erfüllte. Hinzukommen die kurze Zeit, in der er nach der Verurteilung am 10. Juni 2... im August 2... und nach der Haftentlassung am 6. November 2015 in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 2... sowie in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 2... erneut straffällig geworden ist. Auch haben sich seit der letzten Tatbegehung keine Umstände ergeben, die zugunsten des Klägers ins Gewicht fallen. Seine Ausbildung hatte er bereits abgebrochen. Einer Erwerbstätigkeit ist er nicht nachgegangen. Zu Lasten des Klägers ist zu werten, dass er den Konsum von Drogen wieder begonnen hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass die vom Amtsgericht Tiergarten im Urteil vom 23. Januar 2... angeführten charakterlichen Defizite des Klägers und die im Urteil vom 1. Februar 2018 erneut festgestellten schädlichen Neigungen in dem kurzen Zeitraum der seit 3. Januar 2... vollstreckten Jugendstrafe beseitigt worden sind, worauf das Amtsgericht im Urteil vom 1. Februar 2... hinweist.

Zugunsten des Klägers ist zu werten, dass er im Alter von einem Jahr eingereist ist und seit seiner Einreise im Bundesgebiet gelebt hat. Neben der erheblichen Dauer des Aufenthalts des Klägers ist auch in Rechnung zu stellen, dass der Kläger über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren Aufenthaltserlaubnisse besessen hat, die allerdings jeweils befristet waren, wodurch sich ihre abwägungsrelevante Bedeutung verringert (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 – 41548/06 – juris Rn. 56).

Weiter ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seine Sozialisation im Bundesgebiet erfahren hat, Deutsch beherrscht und den Schulbesuch mit dem mittleren Schulabschluss beendet hat sowie dass seine Eltern und Geschwister in Berlin leben und er bis zu seiner erneuten Inhaftierung wieder im Haushalt seiner Eltern gewohnt hat. Bei erwachsenen Kindern verlieren die Beziehungen zu ihrer Herkunftsfamilie aber an Gewicht. Dies rechtfertigt sich aus der lebensnahen Erwägung, dass mit zunehmendem Alter und Eintritt der Volljährigkeit gemeinhin die Ablösung eines Kindes vom Elternhaus ebenso stattfindet wie eine Lockerung der geschwisterlichen Beziehungen, die zu ihrer Aufrechterhaltung nicht mehr eines gemeinsamen Haushaltes oder der Möglichkeit häufiger persönlicher Zusammentreffen bedürfen (Beschluss des Senats vom 14. Januar 2008 – OVG 3 S 4.08 – BA S. 4). Im Übrigen lebte der Kläger haftbedingt bereits über mehrere Jahre von seiner Familie getrennt. Allein die Haft vom 25. August 2... bis 6. November 2... betrug mehr als zwei Jahre. Außerdem kann der Kläger vom Libanon aus den Kontakt mit Eltern und Geschwistern insbesondere telefonisch und durch Nutzung weiterer Kommunikationsmittel wie „Skype“ halten. Seine Eltern können Urlaubsaufenthalte im Libanon zum unmittelbaren Kontakt mit dem Kläger nutzen.

Zuungunsten des Klägers fällt ins Gewicht, dass ihm die wirtschaftliche Integration bislang nicht gelungen ist. Über eine Berufsausbildung verfügt er nicht. Nach Abbruch der Schule arbeitete er zwei Monate als Aushilfe in einem Restaurant. Eine weitere Erwerbstätigkeit hat er außerhalb der Haft nicht ausgeübt. Angesichts seiner erheblichen Straffälligkeit kann er eine erfolgreiche gesellschaftliche Eingliederung ebenfalls nicht vorweisen.

Die Beziehungen des Klägers zum Libanon sind gering. Nach eigenen Angaben kennt er das Land lediglich aus Urlaubsreisen und hat dort keine verwandtschaftlichen Bindungen. Allerdings ist das Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen im Herkunftsstaat bei Volljährigen kein Umstand, aus dem sich die Unzumutbarkeit der Rückkehr ableiten lässt (Beschluss des Senats vom 14. Januar 2008 – OVG 3 S 4.08 – BA S. 5 f.). Im Übrigen folgt aus den Urlaubsaufenthalten des Klägers im Libanon, dass ihm das Land nicht gänzlich unbekannt ist. Des Weiteren spricht der Kläger Arabisch. In dieser Sprache unterhält er sich mit seinen Eltern. Arabisch kann er eigenen Angaben zufolge kaum lesen und schreiben, doch ist es ihm zumutbar, seine Arabischkenntnisse zu vertiefen. Als 23-Jährigem wird es ihm überdies möglich sein, sich im Libanon eine wirtschaftliche Grundlage für seinen Lebensunterhalt zu schaffen.

2. Die Befristung des an die Ausweisung anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG auf sechs Jahre ist nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 27/16 – Rn. 19). Die Entscheidung des Beklagten ist frei von Ermessensfehlern (§ 114 Satz 1 VwGO). Entgegen der Annahme des Klägers liegt kein Ermessensausfall vor (a). Die Bemessung der Befristungsdauer genügt den höchstrichterlichen Vorgaben (b). Der Beklagte konnte die Frist auf mehr als fünf Jahre festsetzen (c).

a) Die Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 8. Oktober 2015 sind zwar kurz, der Beklagte hat aber ausdrücklich die Verhältnismäßigkeitserwägungen im Ausgangs- und im Widerspruchbescheid in die Ausübung seines Befristungsermessens aufgenommen. Sie sind auch für die Bemessung der Sperrfrist von wesentlicher Bedeutung (vgl. nachstehend 2 b). Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfungsprogramm (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23). Zudem hat der Beklagte die Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ergänzt.

§ 114 Satz 2 VwGO schließt es im Rechtsstreit um eine Befristungsentscheidung nicht aus, eine behördliche Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen und zur gerichtlichen Prüfung zu stellen, wenn sich aufgrund neuer Umstände wie hier durch die Neuregelung des § 11 AufenthG durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. November 2016 – OVG 12 N 30.16 – juris Rn. 7; VGH München, Urteil vom 20. Juni 2017 – 10 B 17.135 – juris Rn. 24; OVG Bautzen, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 A 115/15 – juris Rn. 17). Die systematischen Gründe sowie Sinn und Zweck der Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 C 14/10 – juris Rn. 9) für die Rechtfertigung der Einbeziehung nachträglicher Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde heranzieht, die ihrer Verpflichtung zur Aktualisierung durch erstmalige Ausübung des Ausweisungsermessens während des gerichtlichen Verfahrens nachgekommen ist, tragen im Hinblick auf die Ausübung des Befristungsermessens gleichermaßen (vgl. VGH München, Urteil vom 20. Juni 2017 – 10 B 17.135 – juris Rn. 24). Der systematische Zusammenhang mit § 114 Satz 1 VwGO macht deutlich, dass es um die gerichtliche Nachprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen geht und hierbei – prozessual – auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde einbezogen werden dürfen. Überdies hat der Gesetzgeber mit der Einführung von § 114 Satz 2 VwGO die Nachbesserung einer unzureichenden Behördenentscheidung erleichtern und nicht erschweren wollen. Es sollte ausdrücklich ermöglicht werden, dass eine defizitäre Ermessensentscheidung aus verfahrensökonomischen Gründen durch nachgeschobene Erwägungen der Behörde nachgebessert und geheilt werden kann (BT-Drucks. 13/3993, S. 13, und 13/5098, S. 24). So soll vermieden werden können, dass die Entscheidung vom Gericht aufgehoben und durch eine neue behördliche Entscheidung ersetzt wird, die dann in einem weiteren gerichtlichen Verfahren überprüft wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 C 14/10 – juris Rn. 9).

b) Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, das heißt verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 der Charta der EU-Grundrechte und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessenentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – 1 C 27/16 – juris Rn. 23).

Der Beklagte ist zutreffend von der fortbestehenden Gefahr erneuter Straffälligkeit des Klägers ausgegangen, die er überzeugend aus der erheblichen Zahl der vom Kläger begangenen Straftaten, der hohen Begehungsfrequenz, dem Umstand, dass der Kläger in Kenntnis der aufenthaltsrechtlichen Folgen seines strafbaren Verhaltens wieder straffällig geworden ist, einer fehlenden Zäsur in den Lebensumständen des Klägers und dessen fehlendem Einstellungswandel abgeleitet hat. Spätestens durch die Ausweisungsverfügung waren dem Kläger die aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen seines strafbaren Handelns bekannt. Dennoch ist er in der Folgezeit im Jahr 2... mehrfach straffällig geworden.

Die Annahme des Beklagten, in den Lebensumständen des Klägers sei keine Zäsur eingetreten, ist nachvollziehbar, da der Kläger die Berufsausbildung nicht zu Ende geführt, außerhalb der Haft abgesehen von einer zweimonatigen Aushilfstätigkeit nach dem Schulabbruch keine Erwerbstätigkeit aufgenommen und erneut begonnen hat, Betäubungsmittel zu konsumieren. Der fehlende Einstellungswandel zeigt sich darin, dass der Kläger nach der letzten Haftentlassung wiederholt straffällig geworden ist. Zutreffend ist auch der Hinweis des Beklagten auf die zum Teil erhebliche Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten (vgl. 1 c). Aufgrund der bestehenden Wiederholungsgefahr kommt es auf die generalpräventiven Überlegungen des Beklagten nicht an.

Der Beklagte hat Art und Gewicht der persönlichen Belange des Klägers beanstandungsfrei berücksichtigt. Er hat auf die Dauer des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet und darauf verwiesen, dass der Kläger Kindheit und Jugend in der Bundesrepublik verbracht habe und Deutsch gut beherrsche. Diesen Umständen hat er in nicht zu beanstandender Weise gegenüber gestellt, dass dem Kläger die gesellschaftliche Integration allenfalls partiell gelungen sei. Diese Feststellung beruht auf der erheblichen Straffälligkeit des Klägers und darauf, dass er nicht über eine Berufsausbildung verfügt und abgesehen von der Aushilfstätigkeit von zwei Monaten einer Erwerbstätigkeit außerhalb der Haft nicht nachgegangen ist. Zutreffend ist der weitere Hinweis des Beklagten, dass der Kläger keine Aussicht auf einen legalen Aufenthalt habe (vgl. 1 b). Den Bindungen des Klägers an seine im Bundesgebiet lebenden Eltern und Geschwister hat der Beklagte aufgrund der Volljährigkeit des Klägers und im Hinblick darauf, dass der Kontakt insbesondere durch die Nutzung moderner Kommunikationsmittel und Besuchsaufenthalte seiner Eltern und Geschwister im Libanon gehalten werden könne, zutreffenderweise kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen. Der Beklagte hat die vom Kläger in der Haft, die bis zum 6. November 2... gedauert hat, ausweislich der Stellungnahme der Jugendstrafanstalt vom 22. September 2... gezeigte positive Entwicklung insoweit berücksichtigt, als er die Befristungsdauer auf sechs Jahre herabgesetzt hat. Eine weitergehende Reduzierung war vor dem Hintergrund, dass der Kläger nach der Haftentlassung die positive Entwicklung nicht fortgesetzt hat, sondern erneut und wiederholt straffällig geworden ist, nicht geboten. Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Beklagten, dass der Kläger aufgrund der erheblichen Dauer seines Aufenthalts in der Bundesrepublik im Hinblick auf den Libanon einen erheblichen Grad der Entwurzelung erreicht habe, ihm die Integration in die dortigen Lebensverhältnisse aber nicht unmöglich sei, da er in einer arabischsprachigen Umgebung aufgewachsen sei und anzunehmen sei, dass seine Eltern ihm die Kultur des Libanon vermittelt hätten, und ihm das Land aufgrund der Urlaubsaufenthalte nicht gänzlich fremd sei.

c) aa) Die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn von dem Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Regelung beruht auf Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. EU Nr. L 348/98 vom 24. Dezember 2008 (vgl. BT-Drucks. 17/5470, S. 21). Hiernach kann die Dauer des Einreiseverbots fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige unter anderem eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt. Von einer derartigen Gefahr ist jedenfalls dann auszugehen, wenn – wie hier (vgl. 1 a) – einer der Tatbestände des § 54 Abs. 1 AufenthG erfüllt ist (vgl. Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., 2018, § 11 Rn. 55; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 11 Rn. 116, Stand: Oktober 2015). Hinzutreten muss die Gefahr der erneuten Begehung schwerwiegender Straftaten (vgl. Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 11 Rn. 116, Stand: Oktober 2015; Huber, in: ders., Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., 2016, § 11 Rn. 18). Sie ist beim Kläger gegeben. Die von ihm verübten Wohnungseinbruchdiebstähle, der Diebstahl mit Eindringen in Geschäftsräume, der versuchte Diebstahl mit Waffen, die vorsätzlichen Körperverletzungstaten, die gefährliche Körperverletzung und der Raub sind schwerwiegende Delikte (vgl. 1 c). Die Gefahr der erneuten Begehung einschlägiger Taten ist hoch. Sie ergibt sich aus der Vielzahl der vom Kläger begangenen Taten, der zum Teil erheblichen Tatfrequenz, der Rückfallgeschwindigkeit nach Verurteilungen und Haftentlassung, der Tatbegehung während laufender Bewährungszeit, dem Verstoß gegen Weisungen und Bewährungsauflagen, dem Umstand, dass auch mehrjährige Haftzeiten und die spätestens durch die Ausweisung erlangte Kenntnis von den aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen seines strafbaren Verhalten den Kläger nicht davon abgehalten haben, wieder Straftaten zu begehen, sowie daraus, dass er den Drogenkonsum nach der am 6. November 2... erfolgten Haftentlassung wieder aufgenommen hat, der fehlenden Zäsur in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen seit der vorgenannten Haftentlassung und seinen vom Strafgericht auch zuletzt noch festgestellten, in der wiederholten Tatbegehung zum Ausdruck kommenden fortbestehenden schädlichen Neigungen und charakterlichen Defiziten (vgl. 1 a).

bb) Der Beklagte hat die ermessenslenkenden Regelungen in Ziffer 13.3.1.1 seiner Verfahrenshinweise eingehalten. Hiernach ist die in § 11 Abs. 3 AufenthG genannte Frist von fünf Jahren auch hinsichtlich der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten Ausnahmefälle (Ausweisung aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung, Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) grundsätzlich beachtlich; sie kann jedoch in diesen Ausnahmefällen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls überschritten werden. Die Annahme eines Ausnahmefalls kommt in der Regel dann in Betracht, wenn die Ausweisung auf einer Verurteilung basiert, durch die ein besonders schweres und/oder schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG besteht oder anzunehmen ist, dass ein derartiges Ausweisungsinteresse weiterhin droht. Der Beklagte bemisst den Orientierungsrahmen bei einem Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 AufenthG bei hoher Wiederholungsgefahr, insbesondere bei Wiederholungstätern, auf sechs bis zehn Jahre. Beim Kläger besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG; die Wiederholungsfahr ist hoch; er ist mehrfacher Wiederholungstäter (vgl. 1 a).

3. Die Festsetzung der abschiebungsbedingten Frist nach § 11 Abs. 2 und 3 Satz 1 AufenthG auf zwei Jahre ist rechtsfehlerfrei. Wie bei der an die Ausweisung anknüpfenden Frist konnte der Beklagte das Ermessen zulässigerweise erstmalig im Gerichtsverfahren ausüben. Es liegt kein Ermessensausfall vor. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 8. Oktober 2015 sind kurz gehalten, der Beklagte hat jedoch ausdrücklich die Verhältnismäßigkeitserwägungen im Ausgangs- und im Widerspruchbescheid in die Ausübung seines Befristungsermessens eingebunden. Es liegen auch keine sonstigen Ermessensfehler vor.

Das mit der Abschiebung verbundene Einreise-, Aufenthalts- und Titelerteilungsverbot soll den Ausländer treffen, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass dies bei einem künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet erneut der Fall sein könnte. Insofern soll die Abschiebesperrfrist den abgeschobenen Ausländer zur Beachtung des deutschen Aufenthaltsrechts im Allgemeinen und der Ausreisepflichten im Besonderen anhalten, um erneuten Zwangsvollstreckungsbedarf zu verhindern (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 – 11 S 59/03 – juris Rn. 34; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl., 2017, § 7 Rn. 239; Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 11 Rn. 52; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 11 Rn. 119, Stand: Oktober 2015). Von dieser Zweckbestimmung ist der Beklagte bei der Fristbemessung ausgegangen. In Ziffer 11.3.2 seiner ermessensleitenden Verfahrenshinweise weist er darauf hin, dass das mit der Abschiebung durchzusetzende öffentliche Interesse auf die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet gerichtet ist, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass dies bei einem künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet erneut der Fall sein könnte. Von diesem Verständnis ist der Beklagte auch im angefochtenen Bescheid vom 29. September 2014 ausgegangenen, indem er angeführt hat, der festgesetzte Befristungszeitraum diene dazu, den Kläger anzuhalten, sich an die gesetzlichen Regelungen zu halten.

Der Beklagte hat mit der Festsetzung der Frist auf zwei Jahre die Vorgaben in Ziffer 11.3.2.1 seiner Verfahrenshinweise beachtet, wonach diese Dauer der Sperrfrist im Rahmen der einheitlichen Ermessensausübung im Regelfall festzulegen sei. Der Beklagte war auch nicht gehalten, die Frist im Hinblick auf etwaige schutzwürdige Belange des Klägers auf weniger als zwei Jahre festzusetzen. Zwar sind bei der Bemessung der Abschiebungssperrfrist wie bei der ausweisungsbedingten Sperrfrist die einschlägigen höherrangigen Schutzzwecke und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen, insbesondere Art. 6 GG, sowie Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta der EU-Grundrechte zu beachten und den öffentlichen Interessen gegenüber zu stellen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 – 11 S 59/03 – juris Rn. 36), doch kommt vor allem den familiären Beziehungen des Klägers zu seinen Eltern und Geschwistern kein Gewicht zu, das eine kürzere Frist erforderte (vgl. 1 c).

4. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels kommt gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

5. Die Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Anforderungen (§§ 58, 59 AufenthG). Der Beklagte konnte gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG davon absehen, dem Kläger eine Frist zur Ausreise zu setzen. Der Kläger befindet sich aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Januar 2... – (395 Ls) 265 Js 80/16 (70/16) – und somit auf richterliche Anordnung in Haft. Die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG sind gewahrt. Nach dieser Bestimmung darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – C-554/13 – juris Rn. 60). Diese Voraussetzung ist bei der Gefahr erneuter Straffälligkeit des Betreffenden gegeben (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29. März 2017 – 11 S 2029/16 – juris Rn. 94). Vom Kläger geht die hohe Gefahr aus, dass er wieder Straftaten im Bereich der Eigentumsdelikte und Delikte mit Gewaltanwendung begehen wird (vgl. 1 a und c).

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.