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Entscheidung 1 AR 36/10


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 12.11.2010
Aktenzeichen 1 AR 36/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Zuständig ist das Amtsgericht Neuruppin.

Gründe

I.

Die Antragstellerin hat mit Eingang am 06.01.2010 beim Amtsgericht Neuruppin die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Nach der Antragsschrift war Sitz der Schuldnerin in H…, … Straße 5. Im Handelsregister ist ebenfalls ein Sitz in H… eingetragen. Die Antragstellerin legte ein Pfändungsprotokoll vom 06.10.2009 vor, wonach sich der Gerichtsvollzieher in die Geschäftsräume der Schuldnerin unter der oben genannten Anschrift begeben hatte und feststellte, der „Firmensitz ist im Haus des Steuerbüro M… nur Postadresse …“, und weiter: „der Geschäftsführer befindet sich z. Zt. in Kroatien …“.

Das Amtsgericht Neuruppin bestellte zur Aufklärung des Sachverhalts einen Rechtsanwalt. Dieser teilte dem Amtsgericht Neuruppin mit, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin seine Wohnanschrift unter „K… L…, c/o M… S…, …straße 25, B…“ angegeben und zudem ein Steuerbüro am Firmensitz der Schuldnerin mitgeteilt habe, die Schuldnerin habe ihren Sitz nie in H… gehabt. In einem Zwischenbericht äußerte der Rechtsanwalt Bedenken zur örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Neuruppin. Nach seinen Ermittlungen habe die Schuldnerin spätestens im III. Quartal des Jahres 2009 den Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht mehr in H… gehabt. Vielmehr sei zu vermuten, dass die Schuldnerin dort nur einen Briefkasten unterhalten habe, während die Geschäftsführung an einem anderen Ort stattfindet bzw. stattfand. Der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit habe spätestens seit dem III. Quartal des Jahres 2009 in B… bzw. Kroatien gelegen.

Das Amtsgericht Neuruppin hat die Antragstellerin auf den nicht gegebenen Mittelpunkt der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit in H… hingewiesen und das Amtsgericht Charlottenburg als zuständig angesehen, sich schließlich auf Antrag vom 17.08.2010 mit Beschluss vom 20.08.2010 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen.

Nach einer vom Amtsgericht Charlottenburg eingeholten Melderegisterauskunft zum Wohnsitz des Geschäftsführers der Schuldnerin ist dieser am 31.12.2009 nach Z…/Kroatien verzogen. Das Amtsgericht Charlottenburg hat sich mit Beschluss vom 30.09.2010 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht Charlottenburg ausgeführt, die Schuldnerin habe im Zeitpunkt der Antragstellung weder den Mittelpunkt einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit in seinem Gerichtsbezirk unterhalten noch ihren allgemeinen Gerichtsstand gehabt. Ergänzend wird auf die Begründung des Beschlusses verwiesen.

II.

1. Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist gemäß § 4 InsO i. V. m. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zuständig, weil das zu seinem Bezirk gehörende Amtsgericht Neuruppin unter den am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten zuerst mit dem Verfahren befasst gewesen ist.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Neuruppin als auch das Amtsgericht Charlottenburg haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch den nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 20.08.2010, letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluss vom 30.09.2010, der als solcher den Anforderungen genügt, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekannt gemachte ausdrückliche beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (MünchKomm, InsO, 2.Aufl., Ganter, § 3 Rdnr. 34).

3. Das Amtsgericht Neuruppin ist für die Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, weil der im Handelsregister eingetragene Sitz der Schuldnerin in seinem Bezirk liegt und der Verweisungsbeschluss vom 20.08.2010 ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet. Ein nach §§ 4 InsO, 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO grundsätzlich bindender Verweisungsbeschluss ist ausnahmsweise nämlich dann nicht verbindlich, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (MünchKomm, InsO, 2. Aufl., Ganter, § 3 Rdnr. 28 m. w. N.). Die Schuldnerin ist zum Verweisungsantrag vor Erlass des Verweisungsbeschlusses nicht gehört worden. Somit wurde das rechtliche Gehör nicht gewahrt. Die Schuldnerin hat zudem den Verweisungsbeschluss nicht erhalten. Die Verweisung ist auch willkürlich. Im Insolvenzantragsverfahren ist eine Verweisung willkürlich, wenn das Amtsgericht die Verweisung vorgenommen hat, ohne zuvor entsprechend seiner Amtsermittlungspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO die für die Prüfung der Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO erforderlichen Umstände zu ermitteln, obgleich dafür Anlass bestand (a. a. O., § 3 Rdnr. 28 b). Das Amtsgericht Neuruppin hat keine Umstände ermittelt, die die Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg erkennen lassen, dagegen lag die eigene Zuständigkeit auf der Hand. Nach dem festgestellten Sachverhalt ist das Amtsgericht Neuruppin zwar berechtigt davon ausgegangen, dass die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des Antrages im Januar 2010 (vgl. a. a. O. Rdnr. 5) ihre wirtschaftliche Tätigkeit bereits eingestellt hatte. Dafür sprechen die Darlegungen des Sachverständigen, die auch auf tatsächlichen Ermittlungen, wie der Einholung von Auskünften der am eingetragenen Sitz der Schuldnerin ebenfalls tätigen Steuerberatung beruhen. Die Schuldnerin hatte danach keinen feststellbaren Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO im Bezirk des Amtsgerichts Neuruppin.

Wird eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr ausgeübt, weil sie bereits vollständig eingestellt war, richtet sich die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO, d. h. nach dem allgemeinen Gerichtsstand der Schuldnerin (a. a. O. Rdnr. 8). Für das Insolvenzverfahren einer GmbH, die ihre werbende Tätigkeit bereits vor Stellung des Insolvenzantrages eingestellt hatte, ist dann das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Schuldnerin ihren satzungsmäßig festgelegten Sitz hat (a. a. O. Rdnr. 7 b m. w. N.). Der Wohnsitz ihres Geschäftsführers ist dagegen nicht maßgeblich, auch wenn die GmbH ihren Betrieb eingestellt, die Geschäftsräume aufgegeben und der Geschäftsführer ggf. die Geschäftsbücher und Unterlagen an seinen Wohnsitz mitgenommen hat (a. a. O. Rdnr. 8). Die z. T. streitige Frage der Einordnung der Abwicklungstätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit kann hier dahinstehen bleiben.

Somit bleibt gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO das Amtsgericht Neuruppin ausschließlich zuständig, da der allgemeine Gerichtsstand einer GmbH der satzungsmäßig festgelegte und in das Handelsregister eingetragene Sitz der Gesellschaft ist (§ 4 InsO i. V. m. § 12, § 17 Abs. 1 ZPO, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 4 a GmbHG), eine Sitzverlegung nicht erfolgt ist und eine etwaige tatsächliche Verlagerung der Geschäftsleitung den satzungsmäßig festgelegten Sitz unberührt lässt (Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 4 a Rdnr. 2, 8).