Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 16.07.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 1 KR 118/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 115a SGB 5 |
Ein Krankenhaus darf eine vorstationäre Diagnosebehandlung nach § 115a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V erbringen, auch wenn diese in einer entsprechend ausgestatteten Fachpraxis ambulant möglich wäre und die Untersuchung ergibt, dass ein vollstationärer Krankenhausaufenthalt nicht erforderlich ist.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 119,13 € festgesetzt.
Die Beteiligten streiten um die Kosten einer vorstationären Krankenhausbehandlung.
Der Kläger betreibt das Krankenhaus W in B. Am 29. Februar 2008 verordnete die Vertragsärztin K der bei der Beklagten versicherten Frau E T - Versicherte - auf dem vorgesehenen Formular eine Krankenhausbehandlung. Unter „Diagnose/Befund“ enthält die Verordnung die Angaben „N39.42 G Urge-Inkontinenz; N39.32 G zur Abklärung/evt. OP“. Mit Schreiben vom 3. März 2008 erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber die Kostenübernahme für die Krankenhausbehandlung „einschließlich der vor- und nachstationären Behandlung". Das Krankenhaus führte bei der Versicherten am 14. März 2008 vorstationär eine Urodynamik durch. Die Rechnung in Höhe von 119,13 € wurde von der Beklagten bezahlt, der Kläger jedoch um einen Kurzbericht gebeten. Am 19. Mai 2008 beauftragte der Beklagte weiter den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) mit einer Prüfung. Dieser führte am 8. Juli 2009 im Rahmen einer Krankenhausbegehung ein Fallgespräch mit dem verantwortlichen Oberarzt durch und führte in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2008 aus, die prästationäre Aufnahme sei zur urodynamischen Untersuchung bei Inkontinenz erfolgt. Es handele sich um eine ambulant zu erbringende Leistung. Die prästationäre Durchführung sei medizinisch nicht begründet. Hierauf gestützt bat die Beklagte den Kläger um Übersendung einer korrigierten Rechnung. Dies lehnte der Kläger ab. Die Beklagte setzte daraufhin am 11. September 2009 von einer Rechnung des Klägers in einem anderen Behandlungsfall den Betrag von 119, 13 € ab.
Hiergegen hat sich die am 18. März 2010 beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage gerichtet, zu deren Begründung der Kläger im Wesentlichen ausgeführt hat, es habe eine Einweisung eines niedergelassenen Facharztes vorgelegen, um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären. Ergebe die Abklärung - wie hier -, dass eine stationäre Behandlung nicht notwendig sei, sei die Leistung des Krankenhauses als vorstationäre zu vergüten.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 23. Februar 2011 verurteilt, an den Kläger 119,13 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. September 2009 zu zahlen. Der Beklagte habe nicht mit einer späteren Forderung aufrechnen dürfen, weil dem Kläger für die vorstationäre Behandlung der Versicherten der Beklagten ein Anspruch auf die am 14. März 2008 erbrachte Leistung aus § 115a Abs. 3 S. 3 und 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 1 und Anlage 1 der „Gemeinsamen Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V“ vom 30. Dezember 1996 zugestanden habe. Das Krankenhaus sei zur vorstationären Behandlung befugt gewesen. Zum einen habe eine Verordnung von Krankenhausbehandlung vorgelegen, zum anderen sei der der Fall medizinisch geeignet gewesen im Sinne des § 115a Abs. 1 S. 1 SGB V. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „medizinisch geeignete Fälle“ werde durch die beiden gesetzlich genannten Varianten der vorstationären und nachstationären Krankenhausbehandlung konkretisiert. Zu beiden Fallkonstellationen liefere die Norm die entsprechende Legaldefinition. Vorliegend sei § 115a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V erfüllt. Zweck der vorstationären Behandlung der Versicherten sei es gewesen, „die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären“.
Gemäß § 1 Satz 1 der gemeinsamen Empfehlung werde als Vergütung für die vorstationäre Behandlung von Patienten vom Krankenhaus pro Fall eine fachabteilungsbezogene Pauschale nach der Anlage 1 berechnet. Falls - wie hier - im Anschluss an eine vorstationäre Behandlung eine vollstationäre nicht erforderlich sei, sei für die Berechnung die Pauschale der Fachabteilung maßgeblich, welche die vorstationäre Krankenhausbehandlung durchgeführt habe (§ 1 Satz 3). Die danach maßgebliche Vergütungspauschale der Fachabteilung Frauenheilkunde betrage 119,13 €.
Da es sich bei der vorstationären Behandlung um eine Sonderform der ambulanten Versorgung der Versicherten handele, sei der Einwand der Beklagten, die Maßnahme hätte ambulant durchgeführt werden können, unerheblich. Die Nutzung krankenhausspezifischer Strukturen werde nicht vorausgesetzt. Die vorstationäre Behandlung stehe nicht in einem Subsidiaritätsverhältnis zu ambulanten Leistungen. Rechtlich subsidiär sei gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur die vollstationäre Behandlung. Der Gesetzgeber habe mit § 115a SGB V das Ziel angestrebt, eine vollstationäre Krankenhausbehandlung zu vermeiden bzw. zu verkürzen. Dieses Ziel werde auch bei Gleichrangigkeit von vorstationären gegenüber ambulanten Maßnahmen erreicht. Ein weiteres, darüber hinausgehendes Ziel, vorstationäre Behandlungen durch ambulante Maßnahme außerhalb des Krankenhauses zu reduzieren, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Beklagten sei auch nicht zu folgen, soweit diese der Auffassung sei, die vorstationäre Behandlung müsse stets im Vorfeld einer vollstationären stattfinden. So stelle sich zwar der Normalfall dar. Eine anschließende vollstationäre Krankenhausbehandlung sei aber nicht begrifflich Voraussetzung der vorstationären.
Der Zinsanspruch folge aus § 12 Abs. 5 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 1. November 1994 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 22. Dezember 1997 (Krankenhausbehandlungsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten. Das SG verkenne den Grundsatz „ambulant vor stationär“, der auch im Bereich der vorstationären Behandlung gelten müsse. Auch spreche § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom Wortlaut her für die Zuordnung der vorstationären Behandlung zur Krankenhausbehandlung. „Medizinisch geeignete Fälle“ im Sinne des § 115a Abs. 1 SGB V seien nur solche, welche im Zusammenhang mit einer vollstationären Behandlung durchgeführt würden. Dies werde auch aus der Formulierung des § 115a Abs. 2 Satz 1 SGB V deutlich, der den Zusammenhang zwischen der vorstationären und vollstationären Behandlung hervorhebe. Bereits bei Vorlage der Verordnung habe im konkreten Fall der behandelnde Krankenhausarzt erkennen können und müssen, dass die ambulanten Möglichkeiten der Diagnostik noch nicht ausgeschöpft gewesen seien. Dass die hier durchgeführte Diagnostik nicht der Klärung der Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung dienen sollte, sei offensichtlich und sei auch vom SG nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Die vorstationäre Behandlung sei eine stationäre Behandlung im weiteren Sinne, die aber von der vollstationären, der teilstationären und der ambulanten Krankenhausbehandlung zu trennen sei und dementsprechend auch über eine eigenständige Vergütungsregelung verfüge. Die Abklärung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung sei Aufgabe des niedergelassenen Vertragsarztes nach § 73 Abs. 4 SGB V. Sie sei bereits auf der Verordnung zu begründen (§ 73 Abs. 4 S. 2 SGB V). Eine Urodynamik hätte in jeder Facharztpraxis mit entsprechender Ausstattung erbracht werden können. Soweit sich das SG auf Leistungen wie Blutdruckmessungen sowie Röntgen- und Thoraxuntersuchungen bezogen habe, fielen diese unter § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2. Alt. SGB V. Hätte die Klage Erfolg, sei zu befürchten, dass eine neue Art der Vergütung erfunden worden sei, da eine - ohne weiteres mögliche - ambulante Behandlung extra vergütet werde, obgleich sie bereits in der Gesamtvergütung der Vertragsärzte enthalten sei. Auch könnten Krankenhäuser auf Vertragsärzte einwirken, damit diese in unzulässiger Weise Krankenhausverordnungen ausstellten. § 115a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt SGB V habe insgesamt, anders als die zweite Alternative, keine praktische Relevanz. Auch habe das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt, dass die vorstationäre Behandlung der vollstationären voranzugehen habe (Bezugnahme auf BSG, a. a. O., Rdnr. 10).
Die Beklagte hat sich ferner auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2011 (Aktenzeichen S 210 KR 454/10) berufen.
Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2011 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil.
Es konnte im Beschlusswege gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 23. April 2012 hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird, stattgegeben.
Die vorstationäre Behandlung ist eine Leistung eigener Art und stellt sich als Annex zur vollstationären Versorgung dar. Der Sache nach handelt es sich um eine Sonderform der ambulanten Versorgung, die aber nur bei vertragsärztlicher Verordnung von Krankenhausbehandlung erbracht werden darf und somit im weiteren Sinne eine stationäre Behandlung darstellt (BSG, Urt. v. 10.03.2010 - B 3 KR 15/08 R - Rdnr. 10 mwN).
Die Rechtsgrundlage der Vergütung einer solche Behandlung hat das SG zutreffend dargestellt.
Da eine Vereinbarung gemäß § 115a Abs. 3 S. 1 SGB V zwischen den dort genannten Trägern bis heute nicht geschlossen worden ist und die Vertragsparteien auch nicht die Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) angerufen haben, was gemäß § 115a Abs. 3 S. 5 SGB V möglich gewesen wäre, bestimmen sich die Vergütungsansprüche der Krankenhausträger für vor- und nachstationäre Behandlungen nach "Empfehlungen" gemäß § 115a Abs. 3 S. 3 SGB V. Diese "Empfehlungen" sind zusammengefasst in der "Gemeinsamen Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V", die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen im Benehmen mit der KBV am 30.12.1996 mit Wirkung ab 1.1.1997 vereinbart worden ist und als "Bundesempfehlung" (Präambel Abs. 2) bundesweit gilt. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist sie für die Zeit bis zum Abschluss der jeweiligen Vereinbarung auf Landesebene nach § 115a Abs. 3 Satz 1 SGB V verbindlich. Sie gilt damit als Vergütungsregelung (so weitgehend wörtlich BSG, a. a. O., Rdnr. 12).
In Anwendung dieser Empfehlung steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch zu, wie das SG zutreffend dargelegt hat.
Bereits in seinem Urteil vom 6. Januar 2012 (L 1 KR 120/11) hat der hiesige Senat ausgeführt, dass die Auffassung des Beklagten im Widerspruch zum Wortlaut des § 115a Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. SGB V steht. Dies ist dieser offenbar auch bewusst, indem sie ausführt, diese Normalternative habe keine praktische Relevanz, da es sich aus allgemeinen systematischen Erwägungen ergäbe, dass eine vorstationäre Behandlung nur stattfinden dürfe, wenn sie zu einer vollstationären Behandlung führe. Weshalb der Gesetzgeber aber eine Regelung schafft, die zu keiner praktischen Relevanz führt, legt sie nicht dar.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf das wiederholt von ihr zitierte Urteil des BSG (vom 10.03.2010) berufen. Sie verkennt, dass eine Untersuchung, die prüft, ob eine vollstationäre Krankenhausbehandlung erforderlich, von dem Begriff im „Vorfeld einer vollstationären Krankenhausbehandlung“ erfasst wird. Eine andere Auslegung stünde im Gegensatz zum Wortlaut des Gesetzes. Dementsprechend hat auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Urteil vom 24. Januar 2011 - L 4 KR 62/05 -, juris-Rdnr. 22) ausgeführt, für den Vergütungsanspruch einer nachstationären Behandlung sei es unerheblich, dass die Behandlung auch ambulant möglich gewesen wäre. Dies gilt auch für die vorstationäre Behandlung, zumal dem Wesen einer Prüfung entspricht, dass deren Ergebnis offen ist, wie hier auch bereits das SG ausgeführt hat.
Auch das interessengeleitete Argument der Beklagten, es dürfe nicht sein, dass an sich von den Vertragsärzten im Rahmen der Gesamtvergütung zu erbringende Diagnoseleistungen extra als Krankenhausleistungen zu Lasten der Krankenkassen vergütet würden, ist nicht schlagkräftig, so dass dahingestellt sein kann, ob und wie eine solche Argumentation bei der Anwendung bei einer dem Wortlaut nach eindeutigen Vorschrift des § 115a Abs. 1 SGB V in die Normauslegung einfließen könnte. Es ist nämlich davon auszugehen, dass jedenfalls auf lange Sicht hin in den Vereinbarungen zur Gesamtvergütung berücksichtigt ist, dass vorstationäre Diagnoseleistungen nach § 115a Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V gesondert vergütet werden, auch wenn es sich um ambulante handelt. Deshalb ist auf Dauer nicht ersichtlich, dass auf die Krankenkassen höhere Kosten zu kommen. Die Vorschrift kommt dem Interesse der Versicherten entgegen, vor oder nach einem Krankenhausaufenthalt nicht noch weitere Stellen aufsuchen zu müssen, wie dies die Beklagte ihren Versicherten zumuten will.
Zuletzt kann sich die Beklagte auch nicht zu ihren Gunsten auf das Urteil des SG Berlin vom 31.08.2011 (S 210 KR 454/10) berufen. Auch dort wird vertreten, dass § 115 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht nur auf solche vorstationäre Behandlungsmaßnahmen beschränkt sei, denen tatsächlich eine vollstationäre Krankenhausbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung folge (juris Rdnr. 25). Vielmehr dürfe nach dem Wortlaut der ersten Alternative der Nr. 1 eine Behandlung erfolgen, um gerade die Erforderlichkeit zu klären. Die vom SG entschiedene Klage hatte (nur) keinen Erfolg, weil nach Auffassung der Kammer im dortigen Fall die Behandlung nicht erfolgte, um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären, sondern um zu klären, ob eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V vorliegt.
Im hiesigen Rechtsstreit stand die Diagnose einer Inkontinenz fest. Die Urodynamik diente der Feststellung möglicher Ursachen im Hinblick auf die angedachte mögliche Therapie in Form einer –dann unmittelbar anstehenden- Operation.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Frage zu, da sich die Antwort bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt.
Der Streitwertbeschluss, der nicht anfechtbar ist, beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.