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GdB - Höhe


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 28.11.2013
Aktenzeichen L 13 SB 172/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9, VersMedV

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2013 geändert. Der Beklagte wird seinem Teilanerkenntnis entsprechend unter Änderung des Bescheides vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juli 2013 verpflichtet, ab dem 1. November 2012 zugunsten des Klägers einen Grad der Behinderung von 80 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung).

Der 1934 geborene Kläger ist seit dem 01. August 1997 Altersrentner.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. September 2009 stellte der Beklagte zugunsten des Klägers einen GdB von 30 fest.

Am 04. Oktober 2010 beantragte der Kläger nach einer im Februar 2010 durchgeführten Bandscheibenoperation und einer im September 2010 durchgeführten Entfernung der Prostata aufgrund eines Prostatakarzinoms im Stadium pT2c die Neufeststellung des GdB sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht bzw. seit 01. Januar 2013 Ermäßigung der Rundfunkbeitragspflicht).

Mit Bescheid vom 16. Februar 2011 stellte der Beklagte der gutachtlichen Einschätzung des Arztes für Urologie Dr. S vom 06. Februar 2011 folgend einen GdB von 60 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest:

Erkrankung der Prostata im Stadium der Heilungsbewährung
(Einzel- GdB 50)

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule,
Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20),

Bluthochdruck (Einzel-GdB 10),

Harnsäurestoffwechselstörung (Einzel-GdB 10).

Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10).

Den hiergegen am 22. Februar 2011 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, dass er insbesondere auch an einer Inkontinenz und Impotenz leide, wies die Beklagte nach weiteren medizinischen Ermittlungen mit Widerspruchsbescheid vom 03. Januar 2012 zurück.

Der Kläger hat am 16. Januar 2012 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und ursprünglich beantragt, einen höheren GdB festzustellen.

Der Beklagte hat nach Beiziehung von Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte mit Schriftsatz vom 19. September 2012 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass ein GdB von 70 ab September 2010 anerkannt werde.

Mit Schriftsatz vom 28. September 2012 hat der Kläger ausgeführt, dass Merkzeichen nicht anerkannt worden seien. Es sei dem Kläger auch daran gelegen, „da parken zu können, wo dies nur Behinderten erlaubt“ sei.

Das Sozialgericht hat sodann den Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. S mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 08. Januar 2013 gelangte der Sachverständige nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 13. November 2012 zu der Einschätzung, dass der GdB mit insgesamt 90 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sei:

Funktionsstörung bei Verschleiß der Wirbelsäule, operiertes
Bandscheibenleiden (Einzel-GdB 40),

Bluthochdruck (Einzel-GdB 20),

bösartige Gewebsneubildung der Vorsteherdrüse im Stadium der
Heilungsbewährung, Inkontinenz, Impotenz (Einzel-GdB 70),

Kniegelenksverschleiß, Arthroskopie rechts Knick-, Spreiz-,
Senkfußbildung, Hallux valgus-Bildung (Einzel-GdB 30),

Gicht (Einzel-GdB 10).

Die übrigen bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bedingten keinen GdB. Aufgrund der bestehenden deutlichen Inkontinenz sei der GdB aus urologischer Sicht mit 70 und unter Berücksichtigung der Veränderungen der Wirbelsäulenfunktionsstörungen insgesamt mit 90 ab dem Zeitpunkt der Begutachtung zu bewerten.

Mit Schriftsatz vom 03. April 2013 hat der Beklagte mitgeteilt, dass das Merkzeichen „G“ ab November 2012 zuerkannt werde. Mit Schriftsatz vom 11. April 2013 hat der Kläger ausgeführt, dass auch Anspruch auf das Merkzeichen „aG“ bestehe, er an den Merkzeichen „RF“ indes nicht interessiert sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2013 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten entsprechend des abgegebenen Teilanerkenntnisses verpflichtet, einen Grad der Behinderung von 70 ab September 2010 festzustellen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ein über das nicht angenommene Teilanerkenntnis hinausgehender GdB sei nicht festzustellen. Entgegen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. S sei die Prostataerkrankung im Stadium der Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten. Die bei dem Kläger bestehende erektile Dysfunktion sowie die Inkontinenzerscheinungen seien als Operationsfolgen von dem im Stadium der Heilungsbewährung vorgesehenen Einzel-GdB mitumfasst. Mit Blick auf das mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertende Wirbelsäulenleiden und das mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewertende Kniegelenksleiden sei das bei dem Kläger bestehende urologische Hauptleiden um jeweils 2 weitere Zehnergrade zu erhöhen, so dass sich ab Antragstellung im Ergebnis der von dem Beklagten festgestellte GdB von 70 ergäbe. Soweit der Kläger zudem die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ geltend mache, sei die Klage unzulässig.

Gegen den ihm am 19. Juli 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 31. Juli 2013 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Bereits zuvor hat der Beklagte am 30. Juli 2013 einen Ausführungsbescheid erlassen, mit dem ab dem 01. September 2010 ein GdB von 70 festgestellt wird.

Der Kläger ist der Auffassung, dass der Grad der Behinderung bei ihm höher zu bewerten und auch das Merkzeichen „aG“ zuzuerkennen sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte ein weiteres Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er das Vorliegen eines GdB von 80 mit Wirkung von November 2012 anerkannt und zugesagt hat, den Kläger entsprechend zu bescheiden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2013 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2012 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juli 2013 zu verpflichten, für den Kläger einen Grad der Behinderung von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „aG“ ab dem 04. Oktober 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2013 zurückzuweisen, soweit nicht der Rechtsstreit durch das Teilanerkenntnis erledigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten gewesen ist. Denn der Kläger wurde ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Auf die zulässige Berufung des Klägers ist der Beklagte entsprechend seinem Teilanerkenntnis vom 28. November 2013 unter Änderung des Gerichtsbescheides vom 15. Juli 2013 und des Bescheides vom 16. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juli 2013 durch Urteil zu verpflichten, bei dem Kläger ab dem 1. November 2012 einen GdB von 80 festzustellen. Die darüber hinausgehende Berufung des Klägers ist indes unbegründet und daher zurückzuweisen.

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass für die Zeit ab dem 1. November 2012 ein GdB von 80 festgestellt wird.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) - zuletzt geändert durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 11. Oktober 2012 - festgelegten „versorgungsmedizinischen Grundsätze“ heranzuziehen (§69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX).

Einzel-GdB sind dabei entsprechend diesen Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 22) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 22, 23;).

Dies zu Grunde gelegt ist das bei dem Kläger führende Leiden der Prostatakrebserkrankung im Stadium der Heilungsbewährung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. Sch, dem Sozialgericht und dem Beklagten mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten (vgl. Teil B Nr. 13.4 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 85). Die beim Kläger bestehende Harninkontinenz ist in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. Sch gemäß Teil B Nr. 12.2.4. der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 82, als eine selbstständige Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Es handelt sich insoweit entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht um eine typische Begleiterscheinung der Krebserkrankung, die vom GdB für die Heilungsbewährung mitumfasst ist. Hierauf stellt auch das vom Sozialgericht zitierte Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Januar 2011 - Az: L 6 (7) SB 135/06 - nicht ab, in dem lediglich ausführt wird, dass ein mögliches gesteigertes sexuelles Verlangen bei einer Impotenz infolge einer Prostatakarzinom-Operation als Begleiterscheinung keinen zusätzlichen Einzel-GdB rechtfertigen würde. Dieses ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

In orthopädischer Hinsicht ist Übereinstimmung mit dem Beklagten und dem Sachverständigen Dr. Schr das Kniegelenksleiden nach Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 116 f., mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Hingegen rechtfertigt das Wirbelsäulenleiden lediglich die Vergabe eines Einzel-GdB von 20. Soweit der Sachverständige Dr. Sch hierfür einen Einzel-GdB von 40 annimmt, kann ihm nicht gefolgt werden. Der Sachverständige selbst hat im Rahmen der Begutachtung nennenswerte Bewegungseinschränkungen nur in einem Wirbelsäulenabschnitt, der Lendenwirbelsäule, festgestellt und diese als maximal mittelgradig bewertet. Nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV, S.106 f., kann daher für Wirbelsäulenleiden lediglich ein Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden.

Der Gesamt-GdB ist ausgehend von dem führenden Leiden der Krebserkrankung im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50) und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit den orthopädischen Leiden (Kniegelenksleiden: Einzel-GdB 30; Wirbelsäulenleiden: Einzel-GdB 20) ab der Antragstellung am 4. Oktober 2010 zutreffend mit einem Gesamt-GdB von 70 bewertet worden. Soweit hinsichtlich des urologischen Leidens infolge der Harninkontinenz (Einzel-GdB 20) eine Verschlechterung eingetreten ist, rechtfertigt sich eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 80 ab dem Monat der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Schim November 2012. Dem hat der Beklagte mit dem in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Teilanerkenntnis zutreffend Rechnung getragen.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung eines höheren GdB ab der Antragstellung über das abgegebene Teilanerkenntnis hinaus begehrt. Zwar liegen weitere Funktionsbeeinträchtigungen vor. Diese sind jedoch lediglich leichten Grades und führen daher zu keinem Zeitpunkt seit der Antragstellung im Oktober 2010 zu einer wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung über die getroffenen Feststellungen hinaus. Angesichts des Umstandes, dass das Wirbelsäulenleiden aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten war, konnte daher dem Sachverständigen Dr. Sch konsequenterweise nicht gefolgt werden, soweit er den Gesamt-GdB mit 90 ab dem Zeitpunkt der Begutachtung bewertet hat.

Die Berufung ist darüber hinaus unbegründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „aG“ vorliegen. Insoweit ist die der Berufung zu Grunde liegende Klage unzulässig, da es an einer Verwaltungsentscheidung über den vom Kläger gestellten Antrag auf Zuerkennung dieses Merkzeichens fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs.2 SGG nicht gegeben sind.