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Entscheidung 10 WF 80/16


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 24.01.2017
Aktenzeichen 10 WF 80/16 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2017:0124.10WF080.16.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 3 TSG

Leitsatz

Beantragen für ihr Kind, einer Änderung des Vornamens nach § 1 TSG und des Personenstandes nach § 8 TSG zuzustimmen, ist gesetzlich eine erforderliche Genehmigung durch das Familiengericht lediglich in § 3 Abs. 1 TSG für einen Antrag von geschäftsunfähigen Personen nach § 1 TSG vorgesehen. Eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 2 TSG auf beschränkt geschäftsfähige Personen kommt nicht in Betracht.

Tenor

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 10. Juni 2016, erlassen am 13. Juni 2016, wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass ihr Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung des bei dem Amtsgericht Potsdam zum Aktenzeichen 57 UR III 41/15 anhängigen Antrages auf Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit für das betroffene Kind zurückgewiesen wird.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die beteiligten Eltern haben unter dem 19.8.2015 bei dem Amtsgericht Potsdam für ihr Kind einen Antrag auf Änderung des Vornamens nach § 1 TSG und der Geschlechtszugehörigkeit nach § 8 TSG gestellt (Bl. 24 f d. A.). Das Amtsgericht Potsdam – Abteilung für Betreuungssachen - 57 UR III 41/15 - hat die Auffassung vertreten, dass eine familiengerichtliche Genehmigung des Antrages der Eltern erforderlich sei (Bl. 32 d. A.).

Durch Beschluss vom 10.6.2016 hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bernau die familiengerichtliche Genehmigung versagt. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Gründe wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen (Bl. 90 f d. A.).

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde. Zur Begründung trägt sie vor:

Das Amtsgericht habe die familiengerichtliche Genehmigung zu Unrecht versagt. Eine Anhörung des Jugendamtes sei erfolgt. Das Jugendamt habe aber eine Stellungnahme in diesem Verfahren abgelehnt, da sie, die Mutter, sich nicht zu einer Anhörung im elterlichen Haushalt, sondern nur im Jugendamt bereit erklärt habe. Die mangelnde Inaugenscheinnahme des elterlichen Haushaltes sei im Genehmigungsverfahren nach §§ 1, 8 TSG kein zwingender Versagungsgrund. Der Zweck der Inaugenscheinnahme des elterlichen Haushaltes sei unklar. Die Sachprüfung obliege nicht dem Familiengericht. Eine Genehmigung könne nur verweigert werden, wenn zwingende Gründe gegen eine Genehmigung sprächen. Das Familiengericht sei zu einer Entscheidung auch ohne Zuarbeit des Jugendamtes verpflichtet. Die Verweigerung der Anhörung des Kindes durch das Jugendamt könne nicht zu einer Zurückweisung des Antrages führen. Das Jugendamt könne nicht durch die Bestimmung der Anhörungsvoraussetzungen das gerichtliche Verfahren selbst in die Hand nehmen. Das Familiengericht habe - sofern es dies für erforderlich halte - die tatsächlichen Lebensverhältnisse selbst aufzuklären.

Das Kind lebe seit sechs Jahren als Mädchen, sowohl in der Kita als auch in der Grundschule. Es zeige gute schulische Leistungen. Es lägen Gutachten aus den letzten fünf bis sechs Jahren vor; ein Gutachten befürworte die Gabe pubertätsblockender Hormone. Das Kind befinde sich in durchgehender therapeutischer Behandlung. Es habe über Jahre den Willen zu einer Geschlechts- und Namensänderung geäußert und dies auch gegenüber der Rechtspflegerin bekräftigt. Die Fachentscheidung obliege dem Betreuungsgericht in Potsdam. Im Rahmen der dort zu treffenden Entscheidung würden Gutachten eingeholt, die auch die tatsächlichen Lebensverhältnisse berücksichtigten. Im Rahmen der familiengerichtlichen Genehmigung sei lediglich zu prüfen, ob zwingende Gründe der Genehmigung entgegenständen, nicht jedoch, ob der Antrag nach §§ 1, 8 TSG begründet sei.

Sofern das Beschwerdegericht zu der Ansicht gelange, dass für ein Verfahren nach §§ 1, 8 TSG wegen des eindeutigen Wortlauts von § 3 TSG keine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich sei, werde ebenfalls um eine entsprechende Entscheidung ersucht. Diese Rechtsfrage werde von den nach TSG als auch von den für die vermeintlich erforderliche familiengerichtliche Genehmigung zuständigen Amtsgerichten in TSG-Verfahren betreffend Minderjährige unterschiedlich gehandhabt. Eine oberlandesgerichtliche Entscheidung existiere hierzu bislang, soweit ersichtlich, nicht.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 58 ff FamFG zulässig, da das Zwischenverfahren, in dem es um die familiengerichtliche Genehmigung eines Antrags auf Namensänderung und Feststellung einer anderen Geschlechtszugehörigkeit geht, durch eine Endentscheidung des Rechtspflegers abgeschlossen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.9.2010 – 8 UF 107/10, BeckRS 2010, 28907).

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie ist allerdings mit der tenorierten Maßgabe zurückzuweisen, weil der Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung nicht mangels der Genehmigungsvoraussetzungen zu versagen ist, sondern eine familiengerichtliche Genehmigung mangels gesetzlicher Grundlage nicht erforderlich ist.

Eine erforderliche Genehmigung durch das Familiengericht sieht das Transsexuellengesetz lediglich in § 3 Abs. 1 TSG für einen Antrag von geschäftsunfähigen Personen nach § 1 TSG vor. Das antragstellende, zehn Jahre alte Kind ist jedoch nicht geschäftsunfähig, sondern beschränkt geschäftsfähig, wie sich aus der Legaldefinition in §§ 104 Nr. 1, 106 BGB ergibt. § 9 FamFG findet gemäß § 4 Abs. 1 TSG keine Anwendung, da § 3 TSG lex specialis in Bezug auf die Verfahrensfähigkeit ist. Im Gegensatz zu § 9 FamFG enthält § 3 TSG keine Einschränkung der Verfahrensfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger; im Umkehrschluss sind sie deshalb als verfahrensfähig anzusehen (Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 3 TSG Rn. 2; Augstein, TSG, 1.Aufl., § 3 Rn. 1; Sieß, Die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit, 1996, S. 127). Soweit eine Gegenansicht den Begriff „geschäftsunfähig“ in § 3 Abs. 1 TSG als „nicht voll geschäftsfähig“ auslegt (Klein/Coester, Das gesamte Familienrecht, 105. Lieferung, Oktober 2016, § 3 TSG Rn. 3), kann dies angesichts der Legaldefinition in §§ 104 Nr. 1, 106 BGB nicht mehr als zulässige extensive Auslegung angesehen werden.

§ 3 Abs. 1 TSG ist auch nicht analog auf beschränkt Geschäftsfähige anzuwenden. Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält. Die Lücke muss sich also aus dem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegenden Regelungsplan ergeben. Darüber hinaus muss der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar sein, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie beim Erlass der herangezogenen Norm, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, NJW 2015, 1178, Rn. 9; Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., Einleitung Rn. 48).

Eine planwidrige Regelungslücke liegt hier jedoch nicht vor, wie sich aus der Gesetzeshistorie ersehen lässt. § 3 Abs. 1 TSG hatte ursprünglich folgende Fassung: „In Verfahren nach diesem Gesetz ist eine in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Person zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig. Für eine geschäftsunfähige Person wird das Verfahren durch den gesetzlichen Vertreter geführt. Der gesetzliche Vertreter bedarf für einen Antrag nach § 1 der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts“ (Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen - Transsexuellengesetz vom 10.9.1980, BGBl. I 1980, 1654). Mit dem Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige - Betreuungsgesetz vom 12.9.1990 (BGBl. I 1990, 2002) ist § 3 Abs. 1 S. 1 TSG a. F. aufgehoben worden. § 1 Abs. 1 Nr. 3 TSG sah allerdings zu dem Zeitpunkt noch ein Mindestalter von 25 Jahren vor, so dass sich die Aufhebung des § 3 Abs. 1 S. 1 TSG a. F. nicht auf Minderjährige auswirkte. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26.1.1993 (BVerfG, NJW 1993, 1517) die in § 1 Abs. 1 Nr. 3 TSG a. F. vorgesehene Mindestaltersgrenze für nichtig erklärt. Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber sich nicht veranlasst gesehen, in § 3 TSG die Regelung eines familiengerichtlichen Genehmigungserfordernisses für beschränkt Geschäftsfähige vorzusehen, obwohl das Transsexuellengesetz zuletzt mit Gesetz vom 17.7.2009 (BGBl I 2009, 1978) geändert wurde, nachdem im Gesetzgebungsverfahren mehrere Gesetzesentwürfe diskutiert worden waren (vgl. BT-Drs. 16/1341). Aus der Tatsache, dass auch ein Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern in der Fassung vom 7.4.2009 vorlag, der ein familiengerichtliches Genehmigungserfordernis für den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen vorsah (www.lsvd.de, dort unter Recht/Reformvorhaben/Reformvorhaben der 16. Wahlperiode (2005 – 2009)/ Transsexuellenrechtsreformgesetz; siehe hierzu die ablehnende Stellungnahme von Augstein in www.atme-ev.de unter Archiviert / Transsexuellenrechtsreformgesetz), lässt sich ersehen, dass der Gesetzgeber eine solche Regelung bewusst nicht getroffen hat (der federführende Innenausschuss des Bundestages hat bereits 2007 eine Reihe von Stellungnahmen – auch des BMI – angefordert und im Rahmen einer Anhörung diskutieren lassen, vgl. Grünberger, Die Reform des Transsexuellengesetzes: Großer Wurf oder kleine Schritte?, www.uni-koeln.de/jur-fak/bhgg/personen/gruenberger/tsg.pdf).

Schließlich ist in Bezug auf minderjährige Antragsteller auch nicht von einem Redaktionsversehen auszugehen. Mit dem Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I 2008, 2586), in Kraft seit dem 1.9.2009, ist § 3 Abs. 1 S. 2 TSG dahingehend geändert worden, dass das Wort „Vormundschaftsgericht“ durch das Wort „Familiengericht“ ersetzt wurde. In dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 7.9.2007 (BTDrs. 16/6308) heißt es hierzu: „Es handelt sich um Folgeänderungen aufgrund der Auflösung des Vormundschaftsgerichts und der Neuverteilung der Zuständigkeiten auf das Familien- und das Betreuungsgericht sowie aufgrund der geänderten Gesetzesbezeichnung.“. Ob hier ein Redaktionsversehen in Bezug auf erwachsene Geschäftsunfähige vorliegt, weil das Betreuungsgericht in § 3 Abs. 1 S. 2 TSG nicht genannt wird, ist hier nicht zu beurteilen. Jedenfalls enthält § 3 Abs. 1 S. 2 TSG für minderjährige Geschäftsunfähige die Regelung, dass der gesetzliche Vertreter für einen Antrag nach § 1 TSG der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. Es handelt sich dabei nicht um eine Regelung, die im Hinblick auf das Alter der potentiellen Antragsteller leer liefe. Die Antragstellerin trägt im vorliegenden Verfahren vor, dass das betroffene Kind bereits seit 2010, also seitdem es vier Jahre alt ist, als Mädchen lebe.

Die Verfahrensfähigkeit beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger in Verfahren nach dem TSG führt auch nicht dazu, dass die gesetzlichen Vertreter in Bezug auf den Antrag keinerlei Entscheidungsbefugnisse hätten. Die Verfahrensfähigkeit selbst begründet kein Antragsrecht, sondern setzt es voraus (Keidel/Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 9 Rn. 3). Sie betrifft allein die Handlung im gerichtlichen Verfahren (Keidel/Zimmermann, a. a. O., Rn. 4). Soweit der beschränkt geschäftsfähige Minderjährige eine Willenserklärung nach § 1 TSG gerichtet auf eine Vornamensänderung abgibt, findet materiell-rechtlich § 107 BGB Anwendung, wonach der Minderjährige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters bedarf. Namensgestaltende Erklärungen sind rechtsgeschäftliche Willenserklärungen (vgl. Hepting/Dutta, Familie und Personenstand, 2. Aufl., Teil III Rn. 572). Entsprechendes gilt für Anträge auf Namensänderung. Geht eine Namensänderung mit dem Verlust eines Namens einher, hat sie einen rechtlichen Nachteil zur Folge (Hepting/Dutta, a. a. O. Teil III Rn. 604). Entsprechendes gilt für die Feststellung einer anderen Geschlechtszugehörigkeit. Die Verfahrensfähigkeit des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen nach § 3 TSG führt also dazu, dass die Verfahrenseinleitung allein von dem Willen des Kindes abhängt; seine gesetzlichen Vertreter können dies nicht ohne den Willen des Kindes tun. Hinsichtlich der materiellrechtlichen Wirkungen bedürfen beschränkt geschäftsfähige Minderjährige jedoch der Einwilligung ihrer sorgeberechtigten Eltern.

Somit kommt eine analoge Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 2 TSG auf beschränkt Geschäftsfähige nicht in Betracht. Auf die von dem Amtsgericht angeführten Gründe kommt es daher nicht an, ebenso wenig auf die in den Schriftsätzen angesprochene Rechtsprechung zur Namensänderung nach dem NÄG (vgl. hierzu zuletzt BGH, FamRZ 2017, 119).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamGKG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf § 42 Abs. 1 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Rechtspraxis werden unterschiedliche Auffassungen zu der Frage der Erforderlichkeit einer familiengerichtlichen Genehmigung vertreten. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt bislang nicht vor.