Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 25.02.2011 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 229/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 28p SGB 4, § 28d SGB 4, § 28e SGB 4 |
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen, diese tragen die Beigeladenen jeweils selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von 12.454,73 Euro.
Der Kläger führte seit dem 1. Juni 2000 ein Einzelunternehmen, dessen Gegenstand die Handelsvertretung für Mode und Reisen war. Dieses Unternehmen gab er zum 31. Dezember 2006 auf.
Die 1952 geborene Beigeladene zu 1) ist die Ehefrau des Klägers, sie war vom 23. Dezember 2001 bis zum 31. August 2005 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages als Handelsvertreterin bei dem Kläger gegen ein monatliches Entgelt von 4.000 DM, später 2.173,- und 2.000,- Euro, beschäftigt. Vorher war sie von 1991 bis Juli 1993 als Handelsvertreterin selbständig, dann vom 1. August 1993 bis zum 30. Juni 2000 als Reisende bei der Firma E K GmbH angestellt und seitdem arbeitslos gewesen. Seit dem 1. Juli 1992 unterhielt sie eine private Krankenversicherung, wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze in ihrer Beschäftigung bei der Firma K GmbH war sie insoweit nicht versicherungspflichtig. Von der unter 3) beigeladenen Krankenkasse, bei der sie zuletzt pflichtversichert war, war ihr mit Schreiben vom 16. August 2000 bestätigt worden, dass sie während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB III ab dem 1. Juli 2000 von der Krankenversicherungspflicht als Leistungsbezieher befreit sei. Am 27. Dezember 2001 wurde sie mit einem Antrag auf Mitgliedschaft wegen ihrer am 23. Dezember 2001 aufgenommenen Beschäftigung bei der unter 2) beigeladenen Krankenkasse vorstellig, wo sie die Auskunft erhielt, dass eine Befreiung vorliege.
Am 14. April und 2. Mai 2005 führte die beklagte Rentenversicherung eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2004 durch. Durch Bescheid vom 30. Juni 2005 forderte die Beklagte 12.629,41 Euro an Beiträgen nach. Die Beigeladene zu 1) sei ab dem 1. Dezember 2001 auch versicherungs- und beitragspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung gewesen. Die von der Beigeladenen zu 2) bescheinigte Beitragsfreiheit sei mit dem Ende des Bezugs von Leistungen nach dem SGB III erledigt gewesen.
Der Kläger legte Widerspruch ein, mit dem er darauf verwies, die Beigeladene zu 2) habe entschieden, dass die Beigeladene zu 1) weiter privat krankenversichert bleiben dürfe.
Durch Bescheid vom 24. August 2005 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 30. Juni 2005 und forderte noch 12.454,73 Euro Beiträge nunmehr für die Beigeladene zu 3) nach. An diese Krankenkasse, deren Beitragssätze niedriger als die der Beigeladenen zu 2) seien, müssten die Beiträge gezahlt werden. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er führte aus, dass ihm und der Beigeladenen zu 1) anlässlich eines Beratungsgesprächs mit einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 2) am 27. Dezember 2001, das auf Anraten der Steuerberaterin geführt worden sei, eröffnet worden sei, dass eine Befreiung vorliege, also keine Beiträge zu gesetzlichen Krankenversicherung abzuführen seien, sondern die bestehende private Krankenversicherung fortgeführt werden könne. Auch sei die Beigeladene zu 1) nach § 20 SVG als DDR-Selbständige vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung befreit. Daneben wurde ein Statusfeststellungsverfahren bei der Beigeladenen zu 2) eingeleitet, mit dem die Frage einer abhängigen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) bei dem Kläger überprüft werden sollte.
Durch Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beigeladene zu 1) sei seit Aufnahme der Beschäftigung am 23. Dezember 2001 versicherungspflichtig gewesen, ihr Einkommen habe die Jahresarbeitsentgeltsgrenze nicht überschritten. Da die Beigeladene zu 1) seit dem 9. September 2005 bis zum 11. September 2009 Arbeitslosengeld bezogen habe, was ein vorheriges Beschäftigungsverhältnis voraussetze, sei die nochmalige Prüfung des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses nicht vonnöten.
Dagegen richtet sich die am 7. Juni 2006 bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) eingegangene Klage. Vor dem Sozialgericht hat der Kläger geltend gemacht, dass die angefochtenen Bescheide in Anwendung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aufzuheben seien. Auch habe es sich nicht um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt, da die Beigeladene zu 1) einen Kredit für ein Firmenfahrzeug gewährt habe und das Gewerbe in einem Einfamilienhaus betrieben worden sei, das in ihrem Eigentum gestanden habe. Die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) haben gegenüber dem Sozialgericht bestätigt, dass von einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 2) im Dezember 2001 die (falsche) Auskunft erteilt worden sei, dass keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung eintrete.
Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 28. Februar 2008 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagten die Nachforderung der Beiträge verwehrt sei. Zwar habe die Beigeladene zu 1) der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unterlegen. Die Beitragsforderung sei jedoch verwirkt, da die Beklagte sich die im Dezember 2001 erteilte Auskunft der DAK, dass wegen einer Befreiung keine Versicherungs- und Beitragspflicht bestehe, zurechnen lassen müsse.
Gegen das ihr am 2. Mai 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. Juni 2008 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Sie meint, dass sie erstmals über die Versicherungs- und Beitragspflicht entschieden habe, ohne an eine Entscheidung der Einzugsstelle gebunden zu sein. Die Auskunft der DAK Fürstenwalde sei offenkundig fehlerhaft gewesen. Auch sei die Krankenkasse unzuständig gewesen und habe zudem nicht im Wege eines Verwaltungsaktes entschieden. Der Kläger könne keinen Vertrauensschutz aus einer mündlichen Auskunft beanspruchen, er habe zumindest eine schriftliche Bestätigung verlangen können.
Die Erteilung der fehlerhaften Auskunft erscheine zwar glaubhaft, jedoch habe sie keine Bindungswirkung. Lediglich im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches könne sie Bedeutung haben. Dieser sei jedoch auf die Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes gerichtet, was hier die Abführung der Beiträge bedeuten würde.
Das Sozialgericht habe versäumt, die Voraussetzungen der Verwirkung im Einzelnen zu prüfen, nämlich ob der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten drauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde und sich infolgedessen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts nunmehr ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Da nach der Rechtsprechung des BSG noch nicht einmal eine Betriebsprüfung Vertrauensschutz für die Zukunft entfalte, könne die bloße Auskunft einer unzuständigen Einzugsstelle ebenso wenig eine entsprechende Wirkung haben. Innerhalb der laufenden Verjährungsfristen müsse sich ein Arbeitgeber ohnehin darauf einstellen, dass selbst von der Einzugsstelle erlassene Verwaltungsakte wieder außer Kraft gesetzt werden könnten. Ein Amtshaftungsanspruch sei vorliegend nicht zu prüfen. Das Institut einer „verbindlichen Auskunft“ sei dem Sozialverwaltungsrecht unbekannt. Der Arbeitsvertrag, die Anmeldung zur Renten- und Arbeitslosenversicherung ließen keine Zweifel daran, dass die Beigeladene zu 1) in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die nachgeforderten Beiträge seien auch noch nicht verjährt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Bestehen einer Befreiung von der Krankenversicherung sei ihm am 27. Dezember 2001 nicht nur mündlich versichert worden, eine entsprechende Auskunft sei auch schriftlich erteilt worden. Danach habe keine Veranlassung bestanden, noch einen Verwaltungsakt herbeizuführen. Die Fehlerhaftigkeit der Auskunft sei weder für ihn noch für die Beigeladene zu 1) offenkundig gewesen, die sich erstmals mit sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen zu befassen gehabt hätten. Aufgrund der erteilten Auskunft sei die private Krankenversicherung fortgeführt worden. Zudem sei der Antrag auf Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2) bei dieser verblieben, so dass nicht erkennbar geworden sei, dass eine weitere Tätigkeit oder Antragstellung noch erforderlich sein könnte. Der von der Beklagten bemühte Vergleich mit einer Betriebsprüfung sei unzutreffend, der Verweis auf den Zivilrechtsweg unangemessen und nicht durchführbar, zumal der Kläger seit Dezember 2006 sein Gewerbe abgemeldet habe. Gerade für Fallgestaltungen der vorliegenden Art sei der sozialrechtliche Herstellungsanspruch entwickelt worden. Außerdem habe zwischen den Eheleuten ohnehin kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden, da die Beigeladene zu 1) nicht weisungsgebunden gewesen sei, sondern über ihre Arbeitszeit und Arbeitsgestaltung völlig frei habe bestimmen können.
Einer Nachforderung der Beiträge stünden sowohl Verwirkung als auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch entgegen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung setzte nicht zwingend einen Verwaltungsakt voraus, auch ein tatsächliches Verhalten komme als Umstandsmoment in Betracht, vorliegend die Falschauskunft und die Nichterhebung von Beiträgen in Kenntnis des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses. Die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruches seien mit der fehlerhaften Auskunft erfüllt. Die begehrte Rechtsfolge, die Befreiung von der Versicherungspflicht, sei auch in ihrer wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen, etwa für den Fall eines Absinkens des Einkommens unterhalb der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der von der Beklagten festgesetzten Forderung steht der Einwand der Verwirkung entgegen.
Rechtsgrundlage des Prüfbescheides und der Beitragsnachforderung ist § 28 p Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches, Viertes Buch - SGB IV -. Nach dieser Vorschrift prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag entstehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Nach § 28 p Abs. 1 Satz 5 SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28 h Abs. 2 SGB IV sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Abs. 5 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch (SGB X) nicht.
Als Träger der Rentenversicherung war die Beklagte danach zur Prüfung des Klägers und zum Erlass des Nachforderungsbescheides zuständig; die Träger der Rentenversicherung haben sich nach § 28 p Abs. 2 Satz 2 SGB IV darüber abzustimmen, welcher Arbeitgeber jeweils von ihnen zu prüfen ist. Unzutreffend in der Sache sind indessen die Feststellungen der Beklagten zur Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Beschäftigung der Beigeladenen zu 1).
Zwar sind Beiträge für einen kraft Gesetz versicherten Beschäftigten zur Kranken- und Pflegeversicherung als Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu zahlen (§ 28 d SGB IV); zahlungspflichtig ist nach § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV der Arbeitgeber. Die Beigeladene zu 1) war auch dem Grunde nach versicherungspflichtig in der Kranken- und Pflegeversicherung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches, Fünftes Buch (SGB V) und § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 erster Halbsatz des Sozialgesetzbuches, Elftes Buch (SGB XI). Diese Vorschriften knüpfen jeweils an den Tatbestand einer Beschäftigung gegen Entgelt an.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild, das sich zwar nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, zu denen aber auch die rechtlich relevanten Umstände zählen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 -).
Auszugehen für die Beurteilung einer Beschäftigung ist zunächst vom Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung geht zwar einer nur formellen Vereinbarung vor. Aus der Nichtausübung eines Rechts sind aber solange keine Schlüsse zu ziehen, wie die Rechtsposition nicht wirksam abgedungen ist. Bei den tatsächlichen Verhältnissen ist daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht zu berücksichtigen (BSG-Urteile vom 8. August 1990, 11 RAr 77/89, SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 Seite 14 und vom 8. Dezember 1994, 11 RAr 49/94, SozR 3-4100 § 168 Nr. 18 Seite 45, vgl. insgesamt BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 0/04 R - Juris).
Diese Grundsätze gelten auch bei einer Tätigkeit in dem Betrieb eines Familienangehörigen. Auch hier ist die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, einer Mitunternehmerschaft oder einer nur familienhaften Mitarbeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 34/02 R -). Indessen ist nach der zu Familiengesellschaften mbH ergangenen Rechtssprechung des BSG bei Mitarbeit eines Familienangehörigen trotz fehlender Beteiligung am Gesellschaftskapital eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, wenn die familiäre Verbundenheit der beteiligten Familienmitglieder zwischen ihnen ein Gefühl erhöhter Verantwortung schafft, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Höhe der Bezüge von der Ertragslage des Unternehmens abhängig gemacht wird, oder wenn es aufgrund der familienhaften Rücksichtnahme an der Ausübung eines Direktionsrechts völlig mangelt. Hiervon ist insbesondere anzunehmen, wenn jemand - obwohl nicht maßgeblich am Unternehmenskapital beteiligt - aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte des Unternehmens nach eigenem Gutdünken führt (vgl. BSG Urteil vom 8. Dezember 1987 - 7 Rar 25/86 -; Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R - ).
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers - von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV auszugehen. Alleiniger Inhaber des Betriebes war der Kläger. Dafür, dass die Beigeladene zu 1), die mit ihm den Güterstand der Gütertrennung vereinbart hatte, Mitinhaberin gewesen sein könnte, ist nichts ersichtlich. Auch für den Abschluss eines Gesellschaftsvertrags zwischen den Eheleuten gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Zudem belegt das gelebte Rechtsverhältnis, dass die Beteiligten während des gesamten Zeitraums der Tätigkeit davon ausgingen, dass die Beigeladene zu 1) in dem Betrieb abhängig beschäftigt war. Entsprechend wurde sie zur Sozialversicherung angemeldet und Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung gezahlt. Hinweise darauf, dass die Ehegatten sich dabei in einem Rechtsirrtum befanden, gibt es nicht. Dass der Kläger seine vorherige Bewertung des Beschäftigungsverhältnisses nun im Nachhinein in Frage stellen lässt, weil er so der Beitragsnachforderung entgehen will, entwertet die Aussagekraft des vorherigen über lange Jahre gelebten Rechtsverhältnisses nicht.
Das sich aus der Betriebsinhaberschaft des Klägers ergebende Weisungsrecht wird nicht dadurch hinfällig, dass es nie praktiziert worden sein mag, worauf zumindest die von der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Beigeladenen zu 2) getätigten Angaben hindeuten. Entscheidend ist nämlich nicht die tatsächliche regelmäßige Ausübung des Weisungsrechtes, sondern dessen rechtlicher Bestand. Das aus der Betriebsinhaberschaft stammende Weisungsrecht ist nie formell aufgehoben worden, entsprechend hätte es in einem Konfliktfall ausgeübt werden können. Dass ein solcher Konfliktfall möglicherweise nie eintrat, ist für die rechtliche Bewertung unerheblich.
Für eine abhängige Beschäftigung spricht weiter, dass die Beigeladene zu 1) monatliche Entgeltzahlungen erhalten hat, die von dem jeweiligen Betriebsergebnis unabhängig waren. Das Entgelt ging auch erheblich über bloße Unterhaltsleistungen hinaus, so dass nicht von einer versicherungsfreien familienhaften Mithilfe ausgegangen werden kann. Zwar hat die Beigeladene zu 1) dem Kläger ein Darlehen für betriebliche Zwecke gewährt und ihm Räume zur Betrieb seines Unternehmens vermietet, was beides für einen Arbeitnehmer untypisch ist. Diese Art der Beteiligung am Schicksal des Betriebs ist aber allein ihrer Stellung als Ehegatte geschuldet, sie begründet keine Mitunternehmerschaft. Der Senat vermag ebenso wenig festzustellen, dass allein die Beigeladene zu 1) „Herz und Seele“ der Firma war. Zwar mag sie besondere Branchenkenntnisse gehabt habend. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass der Kläger ohne sie nicht zur Führung des Betriebes in der Lage gewesen wäre, zumal der Betrieb schon mehr als ein Jahr bestanden hatte, ehe die Beigeladene zu 1) eingestellt wurde.
Die Beigeladene zu 1) war auch nicht aus besonderen Gründen versicherungsfrei in der Kranken- und Pflegeversicherung. Die ihr von der Beigeladenen zu 3) bestätigte Versicherungsfreiheit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 a SGB V fand ihr Ende mit dem Ausscheiden aus dem Bezug von Leistungen nach dem SGB III, worauf schon die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Die Beigeladene zu 1) war auch nicht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungsfrei. Diese betrug im Jahre 2001 monatlich 6.525,- DM für das Beitrittsgebiet, die von der Klägerin mit ihrem Monatsgehalt von 4.000,-- DM nicht erreicht wurden. Daran hat sich nichts geändert, nachdem die Beitragsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet im Jahre 2002 auf 3.375,- Euro festgesetzt wurde. Auch den seitdem für die folgenden Jahre maßgebenden (noch zu steigernden) Grundbetrag von 45.900,- Euro bzw. 41.400,- Euro jährlich (§ 6 Abs. 6 und 7 SGB V) hat die Beigeladene zu 1) nie erreicht. § 6 Abs. 3 a SGB V greift ebenfalls nicht ein, weil die Beigeladene zu 1) bei Aufnahme der Beschäftigung am 23. Dezember 2001 noch nicht 55 Jahre alt war. Auf § 20 SVG kann es schon deswegen nicht ankommen, weil diese Vorschrift nur die Rentenversicherung betrifft. Demnach waren für die Kranken- und Pflegeversicherung der Beigeladenen zu 1) Beiträge zu zahlen, die sich nach dem Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung bestimmten (§§ 226 Abs. 1 Satz 1 SGB V, 57 Abs. 1 SGB XI).
Die Beitragsnachforderung scheitert nicht an dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Zutreffend weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass dieser nur auf die Herstellung rechtmäßiger Zustände gerichtet ist. Zugunsten der Beigeladenen zu 1) bestand aber nicht die Möglichkeit, sich ab dem 23. Dezember 2001 von der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung zu befreien. Denn § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB V beschränkt diese Möglichkeit auf Fälle, in denen Versicherungspflicht eintritt wegen einer Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze oder der Aufnahme einer Beschäftigung mit nicht mehr als der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Hier hatte sich aber nicht die Jahresarbeitsentgeltgrenze erhöht, sondern das Gehalt der Beigeladenen zu 1) ist gegenüber ihrer letzten Beschäftigung niedriger geworden. Die Beigeladene zu 1) ist auch nicht im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung wieder erwerbstätig geworden. Ihr Arbeitsvertrag belegt, dass eine Beschäftigung im Umfang von 40 Stunden in der Woche vereinbart wurde. Demgemäß sah das Gesetz eine Befreiung der Beigeladenen zu 1) von der Krankenversicherungspflicht der Art nach nicht vor, es wurde nicht lediglich versäumt, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Der Beitragsforderung steht indessen der Einwand der Verwirkung entgegen. Als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist das Rechtsinstitut der Verwirkung auch im Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt (BSG, zuletzt Urteil v. 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R – Rdnr. 30 mit. weit. Nachw.). Sie setzt voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechtes über einen längeren Zeitraum unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzukommen, die das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr ausübt und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat. Dabei sind strenge Anforderungen an das Verwirkungsverhalten zu stellen, weil dem Interesse des Beitragsschuldners, seine Haftung zu begrenzen, bereits durch die vierjährige Verjährungsfrist Rechnung getragen wird. Dementsprechend reicht regelmäßig ein bloßes Unterlassen nicht für ein Verwirkungsverhalten aus, es muss ein konkretes Verhalten des Gläubigers vorliegen, welches bei dem Schuldner die berechtigte Erfahrung erweckt hat, dass eine Forderung nicht besteht oder nicht geltend gemacht wird (BSG, a.a.O, Rdnr. 31- 33).
Diese engen Voraussetzungen sind hier gegeben. Unstreitig und von der Beigeladenen zu 2) ausdrücklich bestätigt ist, dass dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) am 27. Dezember 2001 von einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 2) die Auskunft erteilt worden ist, dass trotz Aufnahme der Beschäftigung am 23. Dezember 2001 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung eingetreten sei, vielmehr die private Krankenversicherung fortgesetzt werden könne. Das mussten der Kläger und die Beigeladene zu 1) als Bestätigung verstehen, dass keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gefordert werden. Darauf haben sich die Beteiligten auch eingestellt, denn die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist insoweit unterblieben und die Beigeladene zu 1) hat stattdessen ihre private Krankenversicherung weiter geführt.
Das Vertrauen auf die Auskunft der Beigeladenen zu 2) war auch berechtigt. Der Senat hat zunächst keine Anhaltspunkte, aus denen abgeleitet werden könnte, dass der Kläger und die Beigeladene zu 1) besseres Wissen über den Eintritt der Versicherungspflicht hatten. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten war die Beigeladene zu 2) auch (jedenfalls zunächst) zuständig für die Durchführung der Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) ab dem 23. Dezember 2001 gewesen. Das ergibt sich aus §§ 173, 175 SGB V. Nach diesen Vorschriften sind Versicherungspflichtige Mitglied der von ihnen gewählten Krankenkasse; das Wahlrecht wird durch Erklärung gegenüber der Krankenkasse ausgeübt. Der in den Akten befindliche Aufnahmeantrag belegt, dass die Beigeladene zu 1) am 27. Dezember 2001 die Beigeladene zu 2) als zuständige Krankenkasse gewählt hat. An eine vorherige Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 3) war die Beigeladene zu 1) nicht gebunden, da sie zuletzt von der Versicherungspflicht befreit worden war und ihre Versicherungspflicht mit Aufnahme der Beschäftigung am 23. Dezember 2001 neu begründet wurde. Damit war die Beigeladene zu 1) gemäß § 28h SGB IV als Einzugstelle zuständig für die Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, geworden. Dass es für eine Verwirkung von Beitragsansprüchen auf das Verhalten der zuständigen Einzugsstelle (und nicht auf das eines prüfenden Rentenversicherungsträgers) ankommt, steht im Übrigen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 30. November 1978 – 12 RK 6/76 -).
Die von der Beklagten gegen die Annahme einer Verwirkung angeführten Erwägungen überzeugen den Senat nicht. Soweit die Beklagte geltend macht, dass nach der Rechtsprechung des BSG selbst eine Betriebsprüfung kein schutzwürdiges Vertrauen begründen könne, übersieht sie, dass das BSG diesen Grundsatz auf Fälle beschränkt hat, in denen keine ausdrücklichen Feststellungen zu bestimmten Sachverhalten erfolgt sind (BSG, Urt. v. 30. November 1978 – 12 RK 6/76 – Rdnr. 15/16; Urt. v. 14. Juli 2004 – B 12 KR 1/04 R – Rdnr. 44; Urt. v. 28. April 1987 – 12 RK 47/85 – Rdnr. 18/19). Hier geht es aber nicht um ein einfaches Schweigen, sondern um die ausdrückliche, wenn auch falsche Auskunft der Beigeladenen zu 2), dass keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung eintrete. Der Senat vermag sich auch nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen, dass als Verwirkungsverhalten nur eine schriftliche Auskunft oder Bestätigung in Betracht kommt. Dies steht mit der Rechtsprechung des BSG nicht in Übereinstimmung, die zwar für ein Verwirkungsverhalten besondere über ein bloßes Unterlassen hinausgehende Handlungen fordert, nicht aber die Schriftform (BSG, Urt. v. 1. Juli 2010 – B 13 R 67/09 R - Rdnr. 33; Urt. v. 29. Januar 1997 – 5 RJ 52/94 – Rdnr. 18). Verfehlt erscheint dem Senat schließlich die Rechtsauffassung der Beklagten insoweit zu sein, als ausgeführt wurde, dass selbst im Wege eines Verwaltungsaktes getroffene Feststellungen der Einzugsstelle im Rahmen einer Betriebsprüfung innerhalb der Verjährungsfrist ohne weiteres zu Lasten der Beitragsschuldner korrigiert werden könnten. Lediglich nach Aufhebung von entsprechenden Verwaltungsakten im Rahmen der den Betroffenen Vertrauensschutz gewährenden §§ 44ff SGB X könnte der prüfende Rentenversicherungsträger in diesen Fällen nämlich eine von den Einzugsstellen abweichende Entscheidung treffen (vgl. nur Seewald in KassKomm § 28pm SGB IV Rdnr. 10.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a des Sozialgerichtsgesetzes - SGG – i.V.m. § 154 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Insbesondere weicht der Senat nicht von Rechtssätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht erkennbar, da über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Verwirkung nach den Umständen des konkreten Einzelfalles zu entscheiden ist.