Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 17.11.2010 | |
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Aktenzeichen | L 5 AS 2214/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 78 Abs 1 S 1 SGG, § 23 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 2, § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2 |
Der Nachholung eines förmlichen Widerspruchsverfahrens bedarf es dann nicht, wenn die prozessführende Behörde mit der Widerspruchsbehörde identisch ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren verteidigt wird und Fragen des Ermessens oder der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns keine Rolle spielen, so dass das Prozessvorbringen seinem Inhalt nach einer Widerspruchsentscheidung entspricht oder daraus jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen ist, dass auch bei Nachholung des Widerspruchsverfahrens eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden ist.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt vom Beklagten höhere Leistungen für die Erstausstattung seiner Wohnung und für die Erstausstattung mit Bekleidung.
Der im Jahre 19... geborene Kläger, der seit dem 1. November 2005 vom Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) bezog, mietete mit Wirkung ab dem 1. Januar 2007 eine eigene Wohnung an, nachdem er zuvor jahrelang obdachlos gewesen war. Mit zwei Schreiben vom 18. Januar 2007 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für eine Erstausstattung seiner Wohnung und für eine Erstausstattung mit Bekleidung, wobei er den aus seiner Sicht benötigten Hausrat im Einzelnen auflistete. Am selben Tag erhielt er für die Erstausstattung der Wohnung einen Barscheck in Höhe von 500,- EUR. Am 1. Februar 2007 bekam er zusätzlich eine Barauszahlung in Höhe von 943,69 EUR, die sich in Höhe von 634,- EUR auf die Erstausstattung der Wohnung, in Höhe von 255,- EUR auf die Erstausstattung mit Bekleidung sowie in Höhe von 54,69 EUR auf eine Brennstoffhilfe bezog. Mit zwei Bescheiden vom 26. Februar 2007 wurden die ausgezahlten Leistungen für Erstausstattungen noch einmal formell bewilligt. Den hiergegen am 26. März 2007 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass einige von ihm geforderte Gegenstände – insbesondere Elektrogeräte wie ein Rundfunk- und Fernsehgerät, ein Digitalreceiver und ein internetfähiger Personalcomputer – vom Beklagten nicht berücksichtigt worden seien und dass nicht erläutert worden sei, welche Kleidungsstücke von der gewährten Pauschale in Höhe von 255,- EUR umfasst würden. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2007 zurück, wobei er sich ausdrücklich nur auf die Versagung höherer Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung bezog. Zur Begründung gab er an, der anzuerkennende Bedarf des Klägers werde durch den bewilligten Betrag gedeckt. Die geforderten Elektrogeräte könnten nicht berücksichtigt werden, da sie aus den Regelleistungen zu bezahlen seien.
Hiergegen hat der Kläger am 13. September 2007 Klage erhoben. Hierbei machte er unter anderem geltend, dass der Widerspruchsbescheid keine Begründung für den Umfang der Erstausstattung mit Bekleidung enthalte. Zu einem Erörterungstermin am 16. Mai 2008 ist der Kläger nicht erschienen. Der Beklagte hat ausweislich der Sitzungsniederschrift ausgeführt, die Leistungsbewilligung sei nach Maßgabe des geltend gemachten Bedarfes erfolgt. Für die darüber hinaus geforderte Bedarfsdeckung bestehe der Beklagte auf einer aktuellen Bedarfsprüfung. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass dem Kläger zumindest die im ursprünglichen Antrag begehrte Matratze zu bewilligen sein dürfte und dass auch der Umfang der Erstausstattung mit Bekleidung zum Streitgegenstand gehören dürfte. Im weiteren Verlaufe des sozialgerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte zur Bedarfsermittlung mehrere unangemeldete Hausbesuche bei dem Kläger vorgenommen, bei denen dieser jeweils nicht angetroffen worden ist. Bei einem weiteren Hausbesuch am 10. Juni 2008 ist der Kläger zwar zugegen gewesen, lehnte jedoch die Inaugenscheinnahme der Wohnung trotz Belehrung über mögliche nachteilige Folgen ab. Der Beklagte hat daraufhin dem Gericht mit Schriftsatz vom 23. Juni 2008 mitgeteilt, dass er an seiner Ablehnung höherer Leistungen festhalte, weil der Bedarf wegen des Verhaltens des Klägers nicht ermittelbar sei. Das Sozialgericht hat den Kläger dann mit Schreiben vom 11. Juli 2008 darauf hingewiesen, dass nicht von einem Bedarf hinsichtlich höherer Leistungen für Erstausstattungen ausgegangen werden könne, da der Kläger, der die objektive Beweislast trage, die Ermittlung seines Bedarfes verweigert habe. Gleichzeitig hat das Sozialgericht die Beteiligten zu der von ihm beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Nach Ablauf der Stellungnahmefrist hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Oktober 2008 abgewiesen.
Der Kläger hat gegen die ihm am 17. Oktober 2008 zugestellte Entscheidung am 17. November 2007 Berufung eingelegt, und zwar mit der sinngemäßen Begründung, dass der aktuelle Bedarf unerheblich sei. Vielmehr könne er den geltend gemachten Bedarf „aus der Position verletzter Rechte“ durchsetzen, weil er wegen fehlender Hilfe der Behörden jahrelang obdachlos gewesen sei. Der Senat hat beim Kläger dreimal schriftlich nachgefragt, ob dieser bereit sei, dem Prüfdienst das Betreten seiner Wohnung zu gestatten, ohne dass der Kläger hierauf geantwortet hat.
Der Kläger, der zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 26. Februar 2007, einer davon in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2007, zu verpflichten, ihm höhere Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung und für die Erstausstattung mit Bekleidung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie auf die Leistungsakten des Beklagten, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.
Der Senat konnte gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trotz des Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, da der Kläger auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden ist.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht insgesamt als unbegründet abgewiesen. Auch soweit sich das Begehren des Klägers darauf gerichtet hat, dass ihm höhere Leistungen für die Erstausstattung mit Bekleidung gewährt werden, ist die Klage zulässig gewesen. Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid vom 26. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2007, mit dem der Beklagte ausdrücklich nur über Leistungen für die Erstausstattung der Wohnung entschieden hat. Damit fehlte zwar hinsichtlich der begehrten Leistungen für die Erstausstattung mit Bekleidung das von § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Widerspruchsverfahren. Es ist jedoch anerkannt, dass es der Nachholung eines förmlichen Widerspruchsverfahrens nicht bedarf, wenn die prozessführende Behörde mit der Widerspruchsbehörde identisch ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren verteidigt wird und Fragen des Ermessens oder der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns keine Rolle spielen, so dass das Prozessvorbringen seinem Inhalt nach einer Widerspruchsentscheidung entspricht oder daraus jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen ist, dass auch bei Nachholung des Widerspruchsverfahrens eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden ist. In diesen Fällen könnte das Widerspruchsverfahren seinen Zweck, die Verwaltung in die Lage zu versetzen, ihr Handeln im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen und die Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme zu schützen, nicht mehr erreichen. Seine Durchführung wäre ein reiner Formalismus. Das Ziel der Verfahrensbeschleunigung hat in solchen Fällen den Vorrang vor der Einhaltung der Förmlichkeiten (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. August 1998, B 9 SB 13/97 R; Urteil vom 15. August 1996, 9 RVs 10/94; Urteil vom 12. Dezember 1985, 7 RAr 23/84; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1967, VII C 69.65).
So liegt der Fall auch hier. Der Kläger hat mit seiner Klage die fehlende Begründung für den Umfang der Erstausstattung mit Bekleidung gerügt. Der Beklagte, bei dem Identität zwischen prozessführender Behörde und Widerspruchsbehörde besteht, ist vom Sozialgericht darauf hingewiesen worden, dass auch der Umfang der Erstausstattung mit Bekleidung zum Streitgegenstand gehöre. Der Beklagte hat dem nicht widersprochen, sondern nach weiteren Ermittlungsversuchen mitgeteilt, dass er an seiner Ablehnung der Bewilligung höherer Leistungen festhalte, weil der Bedarf wegen des Verhaltens des Klägers nicht ermittelbar sei. Das Abwarten einer demnach mit Sicherheit zu erwartenden ablehnenden Widerspruchsentscheidung hinsichtlich der Erstausstattung mit Bekleidung ist somit entbehrlich geworden, zumal es sich bei der Behördenentscheidung über die Frage, ob höhere Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB II bewilligt werden, nicht um eine Ermessensentscheidung handelt.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen für Erstausstattungen, wobei als Anspruchsgrundlage nur die §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Satz 2 SGB II in Betracht kommen.Nach der zuletzt genannten Vorschrift sind Leistungen für Erstausstattungen der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten sowie für Erstausstattungen mit Bekleidung nicht von der Regelleistung umfasst, sondern werden gesondert erbracht.
Wie alle Leistungen des SGB II sind auch die Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II bedarfsbezogen zu verstehen. Entscheidend ist demnach, ob erstmals ein Ausstattungsbedarf besteht, der nicht bereits durch vorhandene Gegenstände gedeckt ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. August 2009, B 14 AS 45/08 R; Urteil vom 19. September 2008, B 14 AS 64/07 R).
Der somit vorauszusetzende Bedarf ist im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen trägt der Kläger. Zwar hat der Kläger den aus seiner Sicht offenen Bedarf aufgelistet. Ob allerdings tatsächlich ein Bedarf besteht, lässt sich in Ermangelung anderer Anhaltspunkte nur im Wege eines Hausbesuches ermitteln. Der Senat hat bei dem Kläger mehrfach nachgefragt, ob er dem Prüfdienst den Zutritt zu seiner Wohnung gewähren würde. Da der Kläger nicht geantwortet hat, durfte der Senat davon ausgehen, dass er bei seiner ablehnenden Haltung bleibt. Der Kläger brauchte vom Senat auch nicht über die Folgen einer fehlenden Mitwirkung belehrt zu werden. Eine solche Hinweispflicht entfällt nämlich dann, wenn der Hinweis – wie vorliegend – nach den Umständen des Einzelfalles sinnlos wäre (Bundessozialgericht, Beschluss vom 31. Januar 1979, 11 BA 129/78, SozR 1500 § 160 Nr. 34). Bereits das Sozialgericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass seine fehlende Mitwirkung zu seinen Lasten gehe. Der Kläger ist dem mit seiner Berufungsschrift grundsätzlich entgegengetreten, mit der er zum Ausdruck gebracht hat, dass es auf die Ermittlung des Bedarfes nicht ankomme. Vor diesem Hintergrund hat der Senat annehmen dürfen, dass der Kläger sich der Folgen seines Verhaltens bewusst ist und dass auch ein schriftlicher Hinweis ihn nicht zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung veranlassen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.