Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 27.02.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 6 K 2704/12.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 AufenthG, Art 10 EGRL 83/2004 |
Dem Kläger wird für das Verfahren erster Instanz unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... aus Berlin Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO zu gewähren, da nach Maßgabe weiterer Aufklärung der entscheidungserheblichen Umstände in seiner Person ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG gegeben sein kann. Die vorgetragene Zuwendung zum christlichen Glauben vermag nach folgenden Maßgaben die Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG bestimmt, dass für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83 EG ergänzend anzuwenden sind. Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie gelten als Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Art. 10 der Richtlinie definiert die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe. Im vorliegenden Zusammenhang könnte Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie einschlägig sein. Hiernach umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei sind unter religiösen Riten die in einer Religionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale zu verstehen, die der religiösen Lebensführung dienen, insbesondere Gottesdienste, kulturelle Handlungen und religiöse Feste (vgl. VGH Mannheim., Urteil vom 20. November 2007 - 10 A S 70/06, InfAuslR 2008, 97; OVG Saarbrücken, Urteil vom 26. Juni 2007 - 1 A 222/07 -, InfAuslR 2008, 183; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 5 A 1999/07.A -, juris, und - 5 A 982/07.A -, EzAR-NF 62 Nr. 19).
Da derartige Betätigungen in der Kirchengemeinde nach dem Selbstverständnis christlicher Religionsgemeinschaften zu den unverzichtbaren Bestandteilen des religiösen Lebens gehören, erweist sich die Verhinderung einer derartigen Ausübung des Glaubens durch den Staat bzw. deren Sanktionierung durch gegen die persönliche Freiheit gerichtete staatliche Zwangsmaßnahmen auch als schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit, die dieses Recht in seinem Kernbereich berührt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. März 2009 - 10 C 51.07 -, zit. nach juris, Rz. 14). Die Garantien des Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie gelten für Konvertiten, die ihren Glauben aus religiöser Überzeugung gewechselt haben, in gleichem Umfang wie für Gläubige, die ihre durch Geburt erworbene Religion beibehalten. Aufgrund des weitgehenden Schutzbereichs des Art. 10 Abs. 1 b der Richtlinie ist es den Mitgliedern der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, Urteil vom 5. September 2012, - C-71/11 und C-99/11 -; VG Würzburg, Urteil vom 21. November 2012 - W 6 K 12.30117 - beides zit. nach juris).
Aus der Notwendigkeit der gerichtlichen Überzeugungsbildung über eine geltend gemachte religiöse Verfolgungsgefährdung ist allerdings insbesondere im Falle einer Konversion eine Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe für einen vorgenommenen Glaubenswechsel erforderlich. Nur wenn verlässlich festgestellt werden kann, dass die Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nichtstaatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existentiell und in seiner sittlichen Person treffen würde und ihm deshalb eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Nur bei einem in diesem Sinne ernsthaften Glaubenswechsel kann das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass der schutzsuchende Ausländer bei einer Rückkehr in sein islamisches Heimatland von seiner neuen Glaubensüberzeugung nicht ablassen könnte.
Eine solche Prüfung der Beweggründe wäre nur dann entbehrlich, wenn der in Deutschland formal vollzogene Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben allein für sich im islamischen Heimatland des schutzsuchenden Ausländers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit selbst dann zu erheblichen Verfolgungsmaßnahmen führen würde, wenn er dort seine christliche Glaubenszugehörigkeit verheimlichen, verleugnen oder aufgeben würde. Das trifft aber bislang auf den Iran nicht zu.
Der Übertritt eines Iraners zum christlichen Glauben wird von iranischen Stellen als undenkbar angesehen und als im Zusammenhang mit der Aufenthaltsproblematik stehend beurteilt. Die Konversion eines Moslems zum Christentum stellt als Apostasie nach den Maßstäben der islamischen Religion einen absoluten Tabubruch dar, der der Todesstrafe nach Scharia-Recht im Iran unterliegt und jedenfalls in Fällen offener Missionierung zu offener staatlicher Verfolgung geführt hat (BAMF, Informationszentraum, Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern August 2011 unter 7.; ACCORD vom 18. November 2011). Es wird ist daher eher davon auszugehen, dass der Konvertit in solchen Fällen, d.h. ohne erkennbaren religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung, im Iran nicht ernst genommen wird und daher mutmaßlich keine Repressalien ausgesetzt ist (vgl. Deutsches Orient-Institut (DOI), Gutachten vom 6. Dezember 2004 und vom 27. Februar 2003). Es bedarf deshalb vorliegend einer Überprüfung, ob die Konversion des Klägers aufgrund einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, so dass zu erwarten ist, dass er sich verpflichtet fühlte, auch im Iran seinen Glauben nach den Geboten seiner Kirche zu leben und zu bekennen, und somit Verfolgungsmaßnahmen seitens des iranische Staates befürchten müsste bzw. dass der Kläger durch den Zwang zum Verzicht auf bestimmte religiöse Betätigungen selbst in seiner religiös-personalen Identität betroffen wäre.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).