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Entscheidung S 28 AS 2412/13


Metadaten

Gericht SG Frankfurt (Oder) 28. Kammer Entscheidungsdatum 30.07.2014
Aktenzeichen S 28 AS 2412/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 35 SGB 1, § 39 SGB 1, § 5 Abs 3 SGB 2, § 7 Abs 4 SGB 2, § 12a SGB 2, § 242 BGB, § 54 SGG

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2013 über die Aufforderung zur vorzeitigen Altersrentenantragstellung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer an die Klägerin gerichteten Aufforderung, einen Antrag auf Gewährung einer vorgezogenen Altersrente zu stellen.

Die am . November 19.. geborene Klägerin stand im Zeitraum seit dem 1. Januar 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Vom 30. März 2007 bis 29. September 2007 sowie vom 1. November 2008 bis 31. August 2011 war die Klägerin bei der A-GmbH als Helferin in der Altenbetreuung / Mitarbeiterin in einem Seniorentreff mit bis zu 30 Wochenstunden Arbeitsleistung sozialversicherungspflichtig mit einem Bruttogehalt von 900,00 Euro beziehungsweise 975,00 Euro monatlich beschäftigt, wodurch sie ihren Hilfebedarf nach dem SGB II deutlich senken konnte. Im Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 30. September 2011 erhielt die Klägerin (mangels Antragstellung beziehungsweise überschießendem Einkommens) keine Leistungen nach dem SGB II. Bis zum 30. November 2012 erzielte die Klägerin noch Einkommen aus Arbeitslosengeld I. Ab dem 1. November 2011 arbeitete die Klägerin im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung mit jeweils zeitlich befristeten und immer wieder verlängerten Arbeitsverträgen in einem Altenpflegeheim in M.

Mit Schreiben vom 30. April 2013 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie grundsätzlich verpflichtet sei, nach der Vollendung des 63. Lebensjahres eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen. Diese Leistungen seien gegenüber dem Anspruch nach dem SGB II vorrangig. Die Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, eine Rentenauskunft einzureichen aus der hervorgehe, wann sie frühestens in Altersrente gehen könne.

Die Klägerin kam dieser Aufforderung nach und reichte eine Kurzauskunft der Deutschen Rentenversicherung Berlin – Brandenburg zur Gerichtsakte aus der sich ergab, dass die Altersrente bei einem möglichem Rentenbeginn zum 1. Dezember 2013 696,51 Euro betragen würde. Hierbei seien bereits Rentenabschläge von 7,2 % wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente berücksichtigt. Die monatliche Rentenzahlung mindere sich um die Eigenbeteiligung des Rentners an den Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung. Unter Berücksichtigung des aktuellen Beitragssatzes würden diese 57,11 Euro und 14,28 Euro betragen. Die Klägerin richtete ferner ein auf den 7. Mai 2013 datiertes Schreiben an den Beklagten in dem sie mitteilte, dass sie von der Altersrente nicht werde leben können und daher nicht nachvollziehen könne, warum sie diesen Antrag stellen müsse. Ferner verwies die Klägerin darauf, dass sie bis August 2011 für einen Zeitraum von drei Jahren noch 30 Wochenstunden gearbeitet habe.

Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2013 forderte der Beklagte die Klägerin gestützt auf die Norm des § 12a SGB II auf, umgehend einen Rentenantrag zu stellen. Nach den ihm vorliegenden Unterlagen könne die Klägerin ab dem 1. Dezember 2013 eine geminderte Altersrente erhalten. Diese Leistung sei eine vorrangige Leistung gegenüber den Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin sei zur Beantragung solcher Leistungen verpflichtet. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass der Beklagte berechtigt sei, ersatzweise für sie einen Altersrentenantrag zu stellen. Die Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, eine Kopie des Altersrentenantrages bei dem Beklagten einzureichen. Dieser Schriftsatz vom 27. Mai 2013 enthielt am Ende des Schriftsatzes eine Rechtsbehelfsbelehrung. Ausführungen zu den Einwänden der Klägerin aus ihrem Schreiben vom 7. Mai 2013 enthielt das Aufforderungsschreiben des Beklagten vom 27. Mai 2013 nicht.

Am 30. Mai 2013 reichte die Klägerin den von dem Beklagten für die Beantwortung auf das Schreiben vom 27. Mai 2013 übersandten Vordruck an den Beklagten zurück und teile diesem mit, dass sie die Rente noch nicht beantragt habe, da sie nicht seit dem 31. Dezember 2007 durchgehend im Bezug von Leistungen nach dem SGB II gestanden habe.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2013, Eingang beim Beklagten am gleichen Tag, legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese fristwahrend gegen den Bescheid vom 27. Mai 2013 beim Beklagten Widerspruch ein.

Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2013 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ihre Rente voraussichtlich 696,51 Euro betragen werde, während der laufende Leistungsbezug nach dem SGB II lediglich 649,39 Euro betrage. Die Klägerin wurde nochmals darauf hingewiesen, dass die Rentenleistungen gegenüber den Leistungen nach dem SGB II vorrangig in Anspruch zu nehmen seien. Der Klägerin wurde letztmalig die Gelegenheit gegeben, den Rentenantrag selbst zu stellen.

Am 10. Juli 2013 schrieb der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Beklagten für die Klägerin an. Hierbei bedankte er sich für die Einladung zu einem Vermittlungsgespräch. Auch er habe den Eindruck, dass die Klägerin nicht aus dem Erwerbsleben ausscheiden wolle. Der Prozessbevollmächtigte bat den Beklagten die Klägerin bei der Suche nach einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu unterstützen. Derzeit würden die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber laufen, ob nicht eine Aufstockung der Stundenzahl möglich sei. Möglicherweise könnten hierfür Leistungen für den Arbeitgeber gewährt werden, um eine Wiedereingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Zusätzliche Entgeltpunkte könnten der Klägerin auch dazu verhelfen, später nicht auf die Grundsicherung im Alter angewiesen zu sein.

Eine Reaktion des Beklagten auf das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 10. Juli 2013 erfolgte nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2013 lehnte der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen das Aufforderungsschreiben vom 27. Mai 2013 als unbegründet ab. Die Klägerin sei gemäß § 12a SGB II verpflichtet, einen Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Altersrente zu stellen. Die Klägerin sei nach Vollendung des 63. Lebensjahres am 9. November 2013 verpflichtet, die vorrangigen Leistungen der Altersrente in Anspruch zu nehmen. Sie habe am 31. Dezember 2008 noch nicht das 58. Lebensjahr vollendet und nehme auch nicht an einer Eingliederungsleistung teil. Auch auf eine Unbilligkeit bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente könne sich die Klägerin nicht berufen. Sie beziehe seit Dezember 2012 kein Arbeitslosengeld I mehr. Darüber hinaus trete die ungeminderte Altersrente erst im Dezember 2015 ein. Die Widerspruchsführerin gehe keiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Eine solche stehe angesichts der bereits langfristigen Beschäftigung auch nicht in Aussicht. Damit sei es nicht unbillig, die Widerspruchsführerin bereits vor Erreichen des Regelaltersrenteneintritts zur Antragstellung zu verpflichten. Dieses gelte umso mehr, als ihr Rentenanspruch ab dem 1. Dezember 2013 die Höhe der Leistungen nach dem SGB II übersteigen und der Verlust bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Regelaltersrente lediglich ca. 7 % betragen würde.

Weitere Aspekte, die trotz des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen ein abweichende Entscheidung im Rahmen der Ermessensausübung anzeigen, seien weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Mit Schreiben vom 26. August 2013 forderte der Beklagte die Klägerin unter Berufung auf die Zurückweisung ihres Widerspruches erneut auf, einen Rentenantrag zu stellen und den Nachweis hierfür einzureichen. Solange dieses nicht geschehe, sei eine Bearbeitung des Weiterbewilligungsantrages der Klägerin vom 15. August 2013 nicht möglich.

Am 30. August 2013 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung einer Altersrente beginnend ab dem 1. Dezember 2013.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 20. September 2013, Eingang bei Gericht am 23. September 2013 ging die Klägerin gegen die vorgenannten Entscheidungen durch Klageerhebung vor. Der Prozessbevollmächtigte begründete die Klage damit, dass unklar sei, ob der Beklagte die Leistungsgewährung einstellen würde, wenn die Klägerin nicht die vorzeitige Rentengewährung beantragt hätte. Die Klageerhebung sei geboten, um einen späteren Altersrentenbezug der Klägerin zu prüfen. Die Klägerin habe die Möglichkeit gesehen, wieder sozialversicherungspflichtig tätig werden zu können. Dieses sei dem Beklagten mit Schriftsatz vom 10. Juli 2013 auch mitgeteilt worden. Sie sei aber nicht vom Beklagten unterstützt worden. Der Beklagte habe trotz mehrfachen Nachfragens keine Schritte zur Arbeitsvermittlung unternommen. Weiterhin müsse die Klägerin tatsächliche Einkommenseinbußen hinnehmen, die sie bis an ihr Lebensende von zusätzlichen Sozialleistungen abhängig machen. Dieses stelle eine besondere mentale und monetäre Belastung dar.

Mit Bescheid vom 4. Oktober 2013 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Berlin – Brandenburg der Klägerin eine Altersrente für Frauen. Der monatliche Rentenbetrag ab dem 1. Dezember 2013 betrug bis zur Rentenanpassung am 1. Juli 2014 624,22 Euro. Die Klägerin ist gegen diesen Bescheid in Widerspruch gegangen. Die Rentenversicherung Berlin – Brandenburg und die Klägerin haben bis zum Abschluss des Klageverfahrens zur Pflicht der Klägerin zu vorzeitigen Beantragung der Altersrente das Ruhen des hieraus resultierenden Widerspruchsverfahrens vereinbart.

Der Beklagte hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Oktober 2013 die ursprünglich bis zum 31. März 2014 laufende SGB II – Leistungsbewilligung für die Klägerin ab dem 1. Dezember 2013 aufgehoben. Einen weiteren SGB II – Leistungsantrag hatte die Klägerin bis zum 16. Juli 2014 nicht gestellt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 27. Mai 2013 über die Aufforderung zur vorzeitigen Altersrentenantragstellung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat am 16. Juli 2014 mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2014 hat die Klägerin dargelegt, dass sie auf Grund der fehlenden Leistungsgewährung für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 31. August 2011 bereits einen Schaden von über 5.000,00 Euro erlitten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (BG - Nummer ), die dem Gericht zur Entscheidung vorlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht durfte ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, weil die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt hatten (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs.1 SGG gegen den Bescheid vom 27. Mai 2013 mit dem die Klägerin zur Rentenantragstellung aufgefordert wurde in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 in zulässiger Weise erhoben worden.

Für die Klägerin besteht trotz der nach Klageerhebung erfolgten Rentenbewilligung und aktuell laufenden Zahlung der Altersrente für Frauen insbesondere nach wie vor ein Rechtschutzbedürfnis. Denn einerseits ist die Rentenbewilligung der Klägerin noch nicht bestandskräftig geworden, so dass die Klägerin ihren Rentenantrag noch zurücknehmen kann und die Altersrentenbewilligung somit noch nicht unumkehrbar ist (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.Juni 2013, Aktenzeichen B 41 AS 225/13, Randnummer 5). Der Klägerin fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, dass sie durch die mögliche Rücknahme des von ihr gestellten Rentenantrages den Verlust der Altersrente für Frauen und damit das Nichtvorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs.4 S.1 SGB II selbst herbeiführen könnte. Denn der Beklagten könnte bei Fortbestand der streitgegenständlichen Entscheidungen in diesem Fall gemäß § 5 Abs.3 S.1 SGB II selbst einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente für Frauen für die Klägerin mit Wirkung für die Zukunft stellen. Im Übrigen könnte der Beklagte zumindest in Bezug auf den Leistungszeitraum vom 1. Dezember 2013 bis 31. März 2014 im Rahmen eines gegebenenfalls noch zu erwartenden Überprüfungsverfahrens bezüglich des bestandskräftigen Aufhebungsbescheides vom 11. Oktober 2013, der nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, spätestens bei der Frage der Auszahlung der SGB II – Leistungen einwenden, dass die Klägerin durch die Rücknahme des Rentenantrages trotz (bei rechtskräftiger Ablehnung dieser Klage oder Klagerücknahme) bestandskräftiger Pflicht zur Antragstellung rechtsmissbräuchlich gehandelt und ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II selbst herbeigeführt hat (Rechtsgedanke des § 242 BGB “ dolo agit“, vgl. auch § 34 Abs.1 SGB II). Die Klägerin hat somit ein schützenswertes Interesse an der gerichtlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Bescheide und Aufhebung derselben.

II.

1.

Der Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 2013 ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren subjektiv – öffentlichen Rechten verletzt.

Die vorgenannten Entscheidungen sind rechtswidrig, weil der Beklagte das ihm in § 5 Abs.3 S.1 SGB II eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat (Ermessensausfall, vgl. § 54 Abs.2 S.2 SGG, Überschreitung der Ermessensgrenzen).

Gemäß der Norm des § 5 Abs.3 S.1 SGB II steht es im Ermessen des Trägers von Leistungen nach dem SGB II einen Antrag auf Erbringung vorrangiger Sozialleistungen zu stellen, wenn der Leistungsempfänger dieses entgegen seiner Verpflichtung aus § 12a SGB II trotz einer entsprechenden Aufforderung des Leistungsträgers nicht getan hat. Gemäß der ganz herrschenden Auffassung steht allerdings nicht nur das Stellen des Antrages bei dem vorrangigen Leistungsträger sondern bereits die Aufforderung an den Leistungsempfänger einen solchen Antrag zunächst selbst zu stellen, im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der SGB II – Leistungen(vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2013, Aktenzeichen L 28 AS 2330/13 B ER, Randnummer 6 m.w.N..; Landessozialgericht Nordrhein – Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2012, Aktenzeichen L 7 AS 916/12 B ER, Randnummer 6 m.w.N. beide Entscheidungen zu recherchieren unter www.juris.de). Auf die Ausübung dieses Ermessens hat der Leistungsberechtigte gemäß § 39 Abs.1 S.2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) einen subjektiv – öffentlichen Anspruch. Streitig ist allerdings der Umfang des von dem Beklagten als Träger der SGB II – Leistungen auszuübenden Ermessens.

Mit der vorzitierten Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin – Brandenburg ist die Kammer zumindest in den Fällen, in denen eine vorzeitige Altersberentung mit Inkaufnahme nicht unerheblicher Rentenabschläge (hier 7,2 %) auf Dauer und mit dem Verlust der Möglichkeit der Erlangung von Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt im Sinne des § 16 SGB II verbunden ist, der Auffassung, dass diese Aspekte im Rahmen einer individuellen Ermessensausübung zu gewichten und gegen das sich aus dem Gesetz, insbesondere aus § 12a SGB II und § 2 Abs.2 S.1 SGB II und § 3 Abs.3 SGB II ergebende Interesse der Allgemeinheit an der Wahrung der Subsidiarität der steuerfinanzierten SGB II – Leistungen gegenüber der vollen oder teilweisen Deckung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln des Hilfeempfängers, insbesondere aus der (zumindest vorwiegend) beitragsfinanzierten gesetzlichen Altersrente abzuwiegen ist. Hierbei hat eine eigenständige über die Tatbestände der auf Grundlage des § 13 Abs.2 SGB II erlassenen Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente vom 14. April 2008 (Unbilligkeitsverordnung) hinausgehende Ermessenserwägung stattzufinden (in diesem Sinne auch SG Dresden, Beschluss vom 21. Februar 2014, Aktenzeichen S 28 AS 567/14 ER, Randnummer 22f. m.w.N., zu recherchieren unter www.juris.de; Knickrehm / Hahn in Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage 2012, Randnummer 35).

Die Gegenauffassung, die damit argumentiert, dass der Verlust der Möglichkeit Hilfe bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes zu erlangen (§ 16 SGB II) und der Verlust eines Teils der Rentenanwartschaften eine regelmäßige Folge der gesetzlichen Pflicht aus § 2 Abs.2 S.1 SGB II, § 3 Abs.3 SGB II und § 12a SGB II zur Wahrnehmung der Selbsthilfemöglichkeiten darstellt und dass deswegen über die Tatbestände der Unbilligkeitsverordnung keine Ermessensüberlegungen anzustellen seien (in diesem Sinne SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 17. Mai 2014, Aktenzeichen S 17 AS 4284/13, Randnummer 22f.), überzeugen die Kammer nicht. Denn die auf Grundlage des § 13 Abs.2 SGB II erlassene Unbilligkeitsverordnung hat zur Überzeugung der Kammer nur den Zweck in §§ 2ff der Unbilligkeitsverordnung einen insoweit wohl als abgeschlossen anzusehenden Katalog für Fälle aufzustellen, in denen die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente immer unbillig ist (Verlust eines ALG I – Anspruches, bevorstehende abschlagfreie Altersrente, Erwerbstätigkeit, konkret bevorstehende Erwerbstätigkeit) und deshalb der Leistungsempfänger – als Ausnahme von der Regel dass dieses nicht unbillig ist (vgl. § 13 Abs.2 SGB II) - nicht aufgefordert werden darf, einen Rentenantrag zu stellen. Aus der Existenz des § 12a SGB S.2 Nr.1 (Pflicht zur vorzeitigen Rentenantragstellung erst ab Vollendung des 63. Lebensjahres) und der vorgenannten abstrakt – generellen Regelungen zu den Katalogfällen der Unbilligkeit der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente folgt im Umkehrschluss aber nicht, dass es in allen anderem Fällen dem - noch erwerbsfähigen - SGB II - Leistungsempfänger in allen anderen Fällen zumutbar ist, einen vorzeitigen Rentenantrag zu stellen, wenn einer der Katalogfälle nicht gegeben ist (in diesem Sinne wohl auch Knickrehm / Hahn, a.a.O., zu § 5 SGB II, Randnummer 35). Zwar mag den vorgenannten Regelungen eine gesetzliche Wertung zu entnehmen sein, dass die vorzeitige Beantragung einer Regelaltersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres in den Fällen, in denen die Unbilligkeitsverordnung nicht einschlägig ist, grundsätzlich zumutbar ist, wenn nicht im Sinne eines atypischen Falles besondere Umstände im Einzelfall gegen ein Pflicht zur Rentenbeantragung sprechen (in diesem Sinn Meyerhoff, jurisPK - SGB II, 3. Auflage 2012, Randnummer 101). Jedoch ist andererseits zu bedenken, dass Rentenanwartschaften dem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz (GG) unterliegen (vgl. BVerfG 53, 257). Ein dauerhafter Verlust von 7,2 % dieser Rentenanwartschaften ist ein erheblicher Einschnitt für den Leistungsempfänger, der unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfalles durchaus unverhältnismäßig sein kann. Darüber hinaus verliert der eigentlich erwerbsfähige Altersrentenempfänger die Möglichkeit weitere Rentenanwartschaften zu erwirtschaften. Dieses muss der SGB II – Leistungsträger in seinen Ermessenserwägungen zumindest berücksichtigen und dieses gemäß § 35 Abs.1 S.3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch auch offenlegen (vgl. Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O., Randnummer 6). Dieses gilt insbesondere dann, wenn durch den vorzeitigen Rentenbezug keine Beseitigung sondern nur eine Verminderung der Hilfsbedürftigkeit des SGB II – Leistungsempfängers geschaffen wird, der SGB II – Leistungsempfänger also aller Voraussicht nach nicht von seiner Altersrente leben kann, sondern ergänzende rein steuerfinanzierte Sozialleistungen wie Wohngeld oder Leistungen zur Grundsicherung im Alter nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wird in Anspruch nehmen müssen. In einem solchen Fall kann das Interesse der Allgemeinheit (des Steuerzahlers) an der Verrentung des Leistungsempfängers gegebenenfalls deutlich geringer zu werten sein, als wenn der Leistungsempfänger sich allein aus der beitragsfinanzierten Rente unterhalten könnte.

Dass die Klägerin mit der Rente ihren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts allein nicht würde decken könne, wäre für den Beklagten schon zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Rentenantragstellung an Hand des Vortrages der Klägerin und der von ihr beigefügten Rentenauskunft erkennbar gewesen. Dieses wurde jedoch während des gesamten Verwaltungsverfahrens nicht gewürdigt, da der Beklagte trotz der insoweit eindeutigen Rentenauskunft nicht erkannt hat, dass vom Bruttorentenbetrag die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner und der gesetzlichen Pflegeversicherung abzuziehen sind und die Rente dann (deutlich) nicht mehr bedarfsdeckend ist.

Darüber hinaus spricht für eine Pflicht zur Ermessensausübung über die Gründe der Unbilligkeitsverordnung hinaus, dass das SGB II kein rein passives Leistungssystem ist. Durch den Eintritt in die vorgezogene Altersrente geht die Möglichkeit einer Beantragung und gegebenenfalls sogar ein gegebener Anspruch auf aktive Leistungen der Arbeitsförderung gemäß § 16 SGB II gegebenenfalls in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Normen des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch gemäß § 7 Abs.4 S.1 SGB II für eine grundsätzlich erwerbsfähige Person verloren. Dieses muss im Rahmen der Ermessensausübung beachtet werden, insbesondere dann, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Hilfeempfänger in den Arbeitsmarkt integriert werden will und hierfür zumindest nicht unrealistische Chancen bestehen. Hierbei könnten insbesondere die sonstigen Eingliederungsbemühungen des Hilfebedürftigen und eine Prognose der Vermittelbarkeit in das Ermessen des Beklagten (auch zu Gunsten des Hilfebedürftigen) eingestellt werden.

Vorliegend hat die Klägerin während des SGB II – Bezuges über mehrere Jahre hinweg bis August 2011 versicherungspflichtig gearbeitet. Die Klägerin war auch zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Rentenantragstellung noch versicherungspflichtig tätig. Schließlich hat die Klägerin den Beklagten während des laufenden Verwaltungsverfahrens mit Schriftsatz vom 10. Juli 2013 darauf hingewiesen, dass Verhandlung mit dem Arbeitgeber über eine Aufstockung der Stundenzahl liefen und die Antragsteller darum bat zu prüfen, ob von Seiten des Beklagten ergänzend Leistungen zur Integration in der Arbeitsmarkt erbracht werden können. Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte einerseits abwägen müssen, Leistungen nach § 16 SGB II zu prüfen und gegebenenfalls bewilligen und andererseits konkrete Ermessenserwägungen anstellen müssen, ob realistische Aussichten bestanden, ob die Klägerin in den Arbeitsmarkt integriert werden kann oder nicht. Dieses ist aber jeweils nicht geschehen.

Vor diesem Hintergrund kann die Kammer es dahinstehen lassen, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die tragenden Ermessenserwägungen bereits in der Aufforderung zur Antragstellung anzustellen oder ob die Ermessenserwägungen im Widerspruchsverfahren noch nachholbar sind (vgl. Landessozialgericht Nordrhein – Westfalen, a.a.O. Randnummer 6 m.w.N. für die Ansicht, dass die Ermessensausübung bereits im Ausgangsbescheid zu erfolgen hat, da die für die Nachholbarkeit der Ermessensausübung im Widerspruchsverfahren plädierende Gegensicht zu einer Benachteiligung desjenigen führen würde, der den Rentenantrag aufforderungsgemäß stellt, da in diesem Falle die Ermessensentscheidung zur Vollziehung des Antrages nicht mehr stattfänden; in diesem Sinne wohl auch Landessozialgericht Berlin – Brandenburg, a.a.O., Randnummer 6), da der Beklagte im Ausgangsbescheid kein Ermessen ausgeübt hat und auch im Widerspruchbescheid keine wirkliche Abwägung der vorgenannten Ermessenskriterien stattfand, sondern nur die Tatbestände der §§ 2 bis 5 der Unbilligkeitsverordnung subsummiert wurden. Die abschließende Feststellung des Beklagten, dass weitere Aspekte, die trotz des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen eine abweichende Entscheidung im Rahmen der Ermessensausübung anzeigen würden weder vorgetragen noch ersichtlich sind, zeigt zwar, dass vom Bearbeiter des Widerspruchsverfahrens erkannt wurde, dass Ermessens auszuüben ist, stellt aber für sich gesehen keine Ermessensausübung im Sinne des § 39 Abs.1 SGB I (Abwägen des Für und Wider) dar. Selbst wenn man hierin eine ansatzweise Ermessensausübung sehen würde, wäre auf Grund dessen, dass vom Beklagten verkannt wurde, dass die Nettorente nicht auskömmlich ist und dieses daher nicht in die Ermessensausübung eingestellt wurde, sowie dass keine Berücksichtigung fand, dass die Klägerin Leistungen nach § 16 SGB II konkret begehrte und in den Arbeitsmarkt integriert werden wollte, eine Verletzung der gesetzlichen Grenzen im Sinne einer Ermessensunterschreitung gegeben, da diese für die Ermessensausübung wesentlichen Tatsachen in den Erwägungen des Beklagten keine Rolle spielten.

Gründe für eine Ermessensreduzierung auf Null dahingehend, dass der Beklagte verpflichtet war die Klägerin zur Rentenantragstellung aufzufordern sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens.