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Türkischer Staatsangehöriger; Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken; tatsächliche Aufgabe des Studiums; Täuschung bei Verlängerung des Aufenthaltsrechts; Mitwirkungspflicht des Ausländers hinsichtlich Darlegung und Glaubhaftmachung der Fortdauer des Studiums; Tätigkeit als Verkäufer in geringem Umfang; Assoziationsratsbeschluss; ordnungsgemäße Beschäftigung; Abschiebungsschutz


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 19.07.2011
Aktenzeichen OVG 11 S 42.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 6 EWGAssRBes 1/80, § 82 Abs 1 AufenthG, § 146 Abs 4 VwGO

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 wird verworfen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1977 geborene türkische Antragsteller begehrt mit der Beschwerde vorläufigen Abschiebungsschutz gemäß § 123 VwGO bis zur Entscheidung über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts aus Art. 6 ARB 1/80 im Klageverfahren VG 11 K 195.11. Der im Dezember 2002 zwecks Teilnahme an einem Sprachkurs und anschließender Studienaufnahme erstmals ins Bundesgebiet eingereiste Antragsteller erhielt zunächst zum Spracherwerb und ab Oktober 2004 jeweils für die Dauer von zwei Jahren Aufenthaltsbewilligungen bzw. -erlaubnisse für das Studium der Chemie (Diplom), zuletzt am 17. September 2008, jeweils mit einer Nebenbestimmung, wonach die Aufenthaltserlaubnis mit Beendigung des Studiums an der Universität/einer Hochschule in der Fachrichtung Chemie ungültig wird bzw. erlischt. Am 13. September 2010 erfolgte im Hinblick auf die lange Studiendauer eine nur dreimonatige Verlängerung mit dem Verlangen nach Vorlage einer Studienprognose.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 8. November 2010 beantragte der Antragsteller unter Hinweis auf eine - u.a. durch einen Anstellungsvertrag belegte - fortlaufende Tätigkeit ab Juni 2008 als Verkäufer in einem Kiosk mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden und einem in zwölf monatlichen Raten zu entrichtenden Jahresbruttogehalt von 5.040 EUR die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 ARB 1/80. Durch Bescheid vom 17. März 2011 lehnte der Antragsgegner diesen Antrag und einen weiteren Verlängerungsantrag vom 13. Dezember 2010 unter Androhung der Abschiebung im Wesentlichen mit der Begründung ab, ausweislich der vorgelegten Notenbescheinigungen der TU Berlin vom 2. Februar 2011 habe der Antragsteller seit April 2007 keine Studienleistungen mehr erbracht und selbst im Anhörungsverfahren zur beabsichtigten Ablehnung keine verwertbaren Nachweise hinsichtlich des Studienverlaufs der letzten vier Jahre eingereicht. Die dargelegte Beschäftigung erfülle wegen Geringfügigkeit und zudem wegen des durch Täuschung über ein weiteres Studium erlangten Aufenthaltsrechts jedenfalls bei der Verlängerung im September 2008 nicht die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach Art. 6 ARB 1/80.

Hiergegen hat der Antragsteller am 11. April 2011 Klage (nur) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 ARB 1/80 erhoben (VG 11 K 195.11) und Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat diesen Antrag durch Beschluss vom 8. Juni 2011 als unzulässig zurückgewiesen, da der Antragsteller sich nicht mehr gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken wende, so dass der Bescheid insoweit bestandskräftig geworden sei und keine Fiktionswirkung mehr eintreten könne. Ein eventuelles Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB 1/80 entstehe unabhängig von der Aufenthaltserlaubnis und habe nur deklaratorische Wirkung. Vorliegend käme deshalb vorläufiger Rechtsschutz nur gemäß § 123 VwGO auf Gewährung von Abschiebungsschutz in Betracht. Selbst wenn man anderer Auffassung wäre oder den anwaltlich gestellten Antrag entsprechend umdeuten würde, hätte jedoch auch ein solcher Antrag keinen Erfolg, weil ein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 ARB 1/80 nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zum einen liege kein hiernach geschütztes Arbeitsverhältnis vor, denn der vorgelegte Anstellungsvertrag benenne nicht einmal die Adressen der Vertragsparteien und bezeichne weder Arbeitsstätte noch die genaue Tätigkeit und die Arbeitstage, auch fehlten hierin Regelungen über den Anspruch auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Anwendung des Tarifvertrags, zudem werde der gesetzliche Mindesturlaub nicht eingehalten. Zum anderen fehle die Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung für die erforderliche Dauer von mindestens einem Jahr (Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80), weil der Antragsteller die am 17. September 2008 zu Studienzwecken erteilte Aufenthaltserlaubnis durch Täuschung bzw. fehlerhafte Angaben über die Fortdauer seines Studiums erwirkt habe. Unstreitig habe er nämlich zuletzt im April 2007 einen Leistungsnachweis er-bracht, in der Folge auch keine Prüfungen mehr absolviert und nicht einmal dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, etwa noch an Pflichtveranstaltungen des Studiums teilgenommen zu haben.

II.

Die nur noch auf Gewährung vorläufigen Abschiebungsschutzes nach § 123 VwGO bis zur Entscheidung über die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art 6 ARB 1/80 gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist bereits unzulässig. Denn ein solches Begehren war nicht Gegenstand des erstinstanzlich gestellten Antrags. Dort war vielmehr nur der vom Verwaltungsgericht zu Recht als unzulässig zurückgewiesene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auf Erteilung einer (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 ARB 1/80 gestellt worden, der aufgrund der schon erstinstanzlichen anwaltlichen Vertretung des Antragstellers grundsätzlich auch einer Umdeutung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. September 2010 – 8 B 34/10 – bei juris). Ein darüber hinausgehender Antrag ist in erster Instanz nicht gestellt und daher vom Verwaltungsgericht nicht beschieden worden. Daran vermögen auch die hilfsweisen materiell-rechtlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts nichts zu ändern. Das Beschwerdeverfahren dient, wie sich aus dem in den Sätzen 3 und 4 des § 146 Abs. 4 VwGO normierten Darlegungsgebot ergibt, ausschließlich der rechtlichen Überprüfung der in Verfahren nach §§ 80, 80 a und 123 VwGO ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung und lässt für einen, wie hier, allein im Wege der Antragsänderung bzw. -erweiterung zu verfolgenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Raum (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Juni 2011 - OVG 3 S 58.11 - [n.V.]; Beschluss vom 11. September 2009 - OVG 5 S 23.09 -, juris Rn. 5; OVG Münster, Beschluss vom 25. Juli 2002 - 18 B 1136/02 -, NVwZ-RR 2003, 72, juris Rn. 7 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 22. August 2003 - 4 Bs 278/03 -, NVwZ-RR 2004, 621, juris Rn. 5 ff.).

Es wäre daher ein neuer Antrag nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht zu stellen. Dabei handelt es sich entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht um bloßen Formalismus, denn der Ausgang eines solchen Verfahrens ist durchaus nicht vorgezeichnet. Die von Art. 6 ARB 1/80 vorausgesetzte ordnungsgemäße Beschäftigung von mindestens einem Jahr würde nämlich nur dann fehlen, wenn der Antragsteller bereits im Zeitpunkt der Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken im September 2008 sein Studium tatsächlich nicht mehr fortsetzen wollte und den Antragsgegner seinerzeit darüber getäuscht hätte, wofür letztlich der Antragsgegner die materielle Beweislast trägt. Allerdings steht dies derzeit keineswegs mit der gebotenen hinreichenden Sicherheit fest. Dass ausweislich der - vom Antragsteller selbst im Anhörungsverfahren mit Schriftsatz vom 24. Februar 2011 vorgelegten - Notenbescheinigungen der TU Berlin vom 2. Februar 2011 seine letzten „Studien- und Prüfungsleistungen“ vom April 2007 datieren, belegt lediglich, dass er seither keine universitären Leistungsnachweise mehr erbracht hat, nicht aber, dass er seither gar nicht mehr studiert hat. Hieraus ist nämlich schon nicht ersichtlich, dass er das universitäre Veranstaltungsangebot seines Studienfaches überhaupt nicht mehr wahrgenommen hat, zumal es auch nicht ausschließt, dass der Antragsteller, der - allerdings unsubstantiiert und unbelegt - geltend macht, schon seinerzeit einen Wechsel zum Bachelor-Studiengang erwogen und „familiäre Schwierigkeiten“ gehabt zu haben, in seinen Bemühungen um Leistungsnachweise lediglich erfolglos war. Im Übrigen ergibt sich aus der vom Antragsteller gleichzeitig mit den Notenbescheinigungen vorgelegten Studienprognose der TU Berlin vom 8. Februar 2011, dass ihm im Hinblick auch auf das erfolgreiche Absolvieren einer Reihe von Hauptstudiums-Lehrveranstaltungen die Bewältigung des Reststudiums seines Studienganges bis zum Ende des Jahres 2012 möglich sei. Insoweit wird der Antragsteller aufgrund seiner nach § 82 Abs. 1 AufenthG bestehenden Mitwirkungspflicht allerdings gehalten sein, ergänzend substantiell vorzutragen und entsprechende Nachweise zu erbringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).