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(Betriebliches Eingliederungsmanagement vor betriebsbedingter Kündigung - Sozialauswahl)


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 04.01.2010
Aktenzeichen 10 Sa 2071/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 Abs 3 KSchG, § 84 Abs 2 SGB 9

Leitsatz

Auch vor einer betriebsbedingten Kündigung ist das betriebliche Eingliederungsmanagement durchzuführen, um etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten beurteilen zu können.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. August 2009 - 26 Ca 4764/09 - wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.423,42 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine ordentliche Kündigung der Beklagten zum 31. Oktober 2009, nachdem die Beklagte bereits unter dem 27. Juli 2007 das Arbeitsverhältnis erfolglos gekündigt hatte (Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 2. April 2008 - 15 Sa 112/08).

Der Kläger ist 58 Jahre alt (….. 1951) und seit dem 27. Juli 1987 bei der Beklagten als Filialleiter mit 2.141,14 EUR brutto monatlich beschäftigt. Nach einer Ausbildung zum EDV-Kaufmann, Tätigkeit in der EDV-Organisation, sowie einem Studium der Betriebswirtschaftslehre und einem Studium der Politikwissenschaften begann er nach verschiedenen Tätigkeiten im Jahre 1987 seine Tätigkeit für die Beklagte. Nachdem der Kläger von 1988 bis 1993 als so genannter springender Filialleiter eingesetzt war, übernahm er im Jahre 1993 eine feste Filiale in der Position eines Filialleiters mit Ausbilderfunktion. Nach kurzer Tätigkeit im Innendienst im Februar 2005 erkrankte der Kläger am 1. März 2005. Vom 3. Juli 2006 bis 29. Juni 2007 absolvierte der Kläger eine Qualifizierung zur Fachkraft für kaufmännische Sachbearbeitung mit sehr gutem Ergebnis. Nach dem obsiegenden Urteil bezüglich der vorangegangenen Kündigung wurde der Kläger als Verkäufer beschäftigt.

Während die Beklagte bis 2004 insgesamt 16 Filialen betrieb, übertrug sie in den Jahren 2004/2005 ihre Filialen auf selbständige Handelsvertreter. Lediglich die Filiale in der R.str. …. wurde weiter von der Beklagten betrieben. Zum 1. März 2009 wurde diese Filiale auf den selbständigen Handelsvertreter T. T. übertragen. Seither beschränkt sich der Geschäftsbetrieb der Beklagten ganz überwiegend auf die telefonische Bestellannahme und Auslieferung der bestellten Waren ab dem Lager der Beklagten in Potsdam. Ein Verkauf an Endkunden findet nicht mehr statt. Im Rahmen dieses Betriebsübergangs hat der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den übernehmenden Handelsvertreter widersprochen. Der Kläger ist seither arbeitsunfähig krank.

Mit Schreiben vom 2. März 2009 (Bl. 6 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31. Oktober 2009.

Der Kläger hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt und die Sozialauswahl für falsch. Seine Tätigkeit sei jedenfalls mit der des bisherigen Filialbetreuers D. vergleichbar. Aufgrund des Ausscheidens des Herrn D. sei auch ein freier Arbeitsplatz für den Kläger vorhanden gewesen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Beklagte zu Recht dem bisherigen Innendienstmitarbeiter B. M. die Tätigkeit des Herrn D. übertragen habe, sei dann dessen Stelle im Innendienst frei und mit dem Kläger zu besetzen gewesen. Der Kläger kenne auch das Sortiment und die Arbeitsabläufe bei der Beklagten perfekt. Insofern sei er auch mit den Innendienstmitarbeitern vergleichbar. Deren Tätigkeit unterscheide sich nicht grundlegend von der in der Filiale. Besondere Ausbildungsvoraussetzungen erfordere die Tätigkeit im Innendienst nicht. Selbst wenn es irgendwelcher Spezialkenntnisse bedürfe, sei die Kündigungsfrist ab März 2009 hinreichend lang gewesen, um den Kläger dazu einzuarbeiten. Der Kläger könne auch im Lager eingesetzt werden. Jedenfalls die Tätigkeiten des Kommissionierens und Kontrollierens könne er problemlos ausüben. Schließlich habe sich die Beklagte schon im Jahre 2004 entschieden, keine Filialen mehr in Eigenregie zu betreiben. Insofern sei die Beklagte verpflichtet gewesen, dem Kläger bereits ab 2004/2005 einen Arbeitsplatz im Innendienst, insbesondere denjenigen, der dann Herrn B. M. übertragen worden sei, zuzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die bisherige Tätigkeit des Klägers eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann erfordert habe, die verbleibende Tätigkeit jedoch eine Ausbildung zum Außen- und Großhandelskaufmann. Auch seien weder in der Auftragsannahme noch in der Verwaltung oder im Lager freie Arbeitsplätze vorhanden. Eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen, da der Kläger als Verkäufer in den Abholmärkten eingestellt worden sei und jedenfalls die vom Kläger für vergleichbar angesehenen Mitarbeiter seine Tätigkeit als Filialleiter nicht übernehmen könnten.

Die Bestellungen würden per Telefon, Telefax oder E-Mail auch aus dem europäischen Ausland entgegen genommen. Die Mitarbeiter der Auftragsannahme würden über die Touren abrechnen, Reklamationen bearbeiten und telefonische Kundenbefragungen durchführen. Bei den Auslandsaufträgen seien steuer- und zollrechtliche Belange zu beachten. Dabei sei nochmals zwischen binneneuropäischen Aufträgen und Aufträgen mit anderen europäischen Staaten zu unterscheiden. Auch müssten sie das EDV-System Di-Durst beherrschen.

Als Filialbetreuer könne der Kläger nicht eingesetzt werden. Sein diesbezüglicher Vortrag sei unsubstantiiert. Der Filialbetreuer müsse Inventuren leiten, Bargeldbestände kontrollieren, Miet- und Pachtverträge überwachen, neue Mietverträge unterschriftsreif vorbereiten, mit den Handelsvertretern Verträge und Konditionen verhandeln, die Handelsvertreter anleiten, verkaufsfördernde Maßnahmen mit Einkauf, Industrie und Filialen koordinieren, die Kassensysteme IT-mäßig betreuen und bei Eigentumsdelikten mit Strafverfolgungsbehörden und Versicherungen zusammenarbeiten.

Im Lager finde keine Verkaufstätigkeit mehr statt. Es erfolge lediglich die Herausgabe der Waren. Dazu würden Lagerarbeiter, Kommissionierer, Staplerfahrer und Kontrolleure eingesetzt. Als Staplerfahrer könne der Kläger mangels Ausbildung nicht eingesetzt werden, soweit das Heben und Bewegen von Lasten erforderlich sei, könne der Kläger das aufgrund seiner am 26. Januar 2005 attestierten gesundheitlichen Beeinträchtigung (Bl. 56 d.A.) nicht. Im Übrigen sei die Tätigkeit eines Filialleiters mit der eines Lagerarbeiters nicht vergleichbar.

Der Arbeitsplatz des Herrn D. sei im September 2005 zu besetzen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger auf unabsehbare Zeit erkrankt gewesen. Der Kläger habe sich nach seiner Erkrankung erst nach insgesamt etwa 1 ½ Jahren Mitte 2007 wieder gemeldet.

Die Stelle des Herrn M. im Innendienst sei aufgrund Umsatzrückgangs nicht wieder besetzt worden.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12. August 2009 die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte nicht hinreichend dargelegt habe, dass der Kläger die Tätigkeiten im Innendienst oder die des Filialbetreuers gegebenenfalls auch unter Einräumung einer Einarbeitungszeit nicht ausüben könne. Schließlich habe die Beklagte auch nicht dargelegt, dass es in der Zentrale keinen Bedarf für die Beschäftigung des Klägers gebe, weil die dort anfallende Arbeitsmenge nicht näher dargelegt worden sei.

Gegen dieses dem Beklagtenvertreter am 3. September 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. September 2009 Berufung eingelegt und diese am 27. Oktober 2009 begründet.

Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Zentrale nicht einsetzbar sei. Auch habe das Arbeitsgericht die Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast verkannt. Zunächst müsse der Kläger darlegen, aufgrund welcher Befähigung der Kläger welchen Arbeitsplatz ausfüllen könne. Erst danach sei es Sache der Beklagten, diesen Vortrag substantiiert zu bestreiten. Der Kläger habe weder näheres zu den bei der Filialbetreuung erforderlichen Rechtskenntnissen und auch nicht zu seinen Kenntnissen zur IT-mäßigen Betreuung der Kassensystem der Abholmärkte und der Abstimmung mit der IT-Abteilung vorgetragen.

Im Februar 2005 sei die Tätigkeit des Klägers im Innendienst nach kurzer Zeit abgebrochen worden, weil der Kläger nicht lange habe sitzen können und weil er das Arbeitstempo nicht geschafft habe. Der Kläger habe sich gegenüber Kollegen damals dahin geäußert, dass ihm die Arbeit einerseits stark zu schaffen mache, diese andererseits aber auch zu banal und anspruchslos sei.

Der Arbeitsplatz des Klägers sei auch nicht mit dem des Filialbetreuers vergleichbar. Zusätzlich zu den bereits erstinstanzlich vorgetragenen Tätigkeiten habe der Filialbetreuer auch Maßnahmen zur Umsatzsteigerung durchzuführen, die Filialentwicklung nach Umsatz und Rohertrag auszuwerten und mit den Handelsvertretern über deren Vergütung abzurechnen. Eine Einarbeitung des Klägers in die fehlenden Kenntnisse sei mit einem zumutbaren Zeitaufwand nicht möglich. Auch könne der Arbeitnehmer M. nicht als Filialleiter eingesetzt werden. Während die Tätigkeit des Filialleiters von großer Selbständigkeit geprägt sei, sei die Tätigkeit des Filialbetreuers stark weisungsabhängig.

Auch die Tätigkeit in der Auftragsannahme sei von einem ganz anderen Gepräge. Aber auch hier stehe der Vergleichbarkeit schon die fehlende Einsetzbarkeit der Innendienstmitarbeiter als Filialleiter entgegen.

Die Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger nach wie vor entsprechend dem Attest vom 26. Januar 2005 beeinträchtigt sei. Anderes habe der Kläger nicht vorgetragen. Ein Eingliederungsmanagement sei mit Blick auf den Gesundheitszustand des Klägers aussichtslos. Eine Beschäftigung im Lager dürfe wohl aufgrund des Gesundheitszustandes ausscheiden. Gleiches gelte für den Telefonverkauf mit dort 7,8 Stellen aufgrund der dort nahezu ausschließlich sitzenden Tätigkeit. Ein zweiter Filialbetreuer sei nicht erforderlich.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. August 2009, Geschäftszeichen 26 Ca 4764/09, die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger erwidert, dass die Beklagte bislang nicht dargelegt habe, welche Beschäftigungspositionen im Betrieb nach Ausspruch der Kündigung noch vorhanden gewesen seien. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten habe die Beklagte nicht dargelegt. Dafür besitze auch der Arbeitgeber die Darlegungslast. Wenn der Arbeitnehmer einen Arbeitsbereich als möglichen Einsatzort angebe, sei es wiederum vom Arbeitgeber darzulegen, dass die Beschäftigung des Arbeitnehmers dort nicht möglich sei. Der Kläger habe im Schriftsatz vom 15. Juli 2009 darauf hingewiesen, dass er meine, eine Tätigkeit als Filialbetreuer ausüben zu können. Entsprechendes habe er für die Tätigkeit in der Auftragsannahme, im Vertrieb sowie als Kontrolleur und Kommissionierer im Lager angegeben. Der Kläger könne diese Tätigkeiten auch mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen ausüben. Eine überwiegend sitzende Tätigkeit sei völlig unproblematisch.

Die Stelle des Herrn D. sei im Jahre 2009 frei geworden und neu besetzt worden.

Der Arbeitsplatz des Filialbetreuers liege auf der gleichen Ebene wie der des Filialleiters. Das pauschale Bestreiten der notwendigen Fähigkeiten des Klägers sei nicht ausreichend. Umfassende juristische und IT-Kenntnisse seien nicht erforderlich. Die Beklagte verfüge über IT-Mitarbeiter und juristische Mitarbeiter, zumindest als regelmäßig beratende bzw. unterstützende externe Mitarbeiter. Es genüge jedenfalls eine kurze Einarbeitungszeit, damit der Kläger die Arbeiten eines Filialbetreuers erledigen könne. Aufgrund des unterlassenen Eingliederungsmanagements sei davon auszugehen, dass es freie Arbeitsplätze gebe, mindestens den in der Filialbetreuung.

Da im Rahmen der Sozialauswahl der Kläger mit Herrn M. zu vergleichen sei, sei aber auch schon die Sozialauswahl fehlerhaft. Gleiches gelte hinsichtlich der Mitarbeiter des Innendienstes.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 27. Oktober 2009, den Schriftsatz der Beklagten vom 23. November 2009 sowie auf die Berufungsbeantwortung des Klägers vom 18. Dezember 2009 und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.

1.

Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1, 2 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb der Beklagten entgegenstehen.

1.1

Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben können. Eine Kündigung ist insbesondere dann aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßgabe entschließt, bei deren Umsetzung im Betrieb das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten ist dann nachzuprüfen, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und ob durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. etwa BAG, Urteil vom 21. September 2006 – 2 AZR 607/05).

Als eine die Arbeitsgerichte grundsätzlich bindende unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung darstellen kann, ist die Übertragung von bisher im Betrieb durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen anerkannt. Auch wenn in dem Zusammenhang das Arbeitsverhältnis davon betroffener Arbeitnehmer grundsätzlich nach § 613 a BGB im Rahmen eines Betriebsübergangs auf denjenigen übergehen kann, der die Aufgaben übernommen hat, verbleibt es jedenfalls beim Überhang an Arbeitsplätzen im Betrieb, wenn der betroffene Arbeitnehmer - wie hier - dem Betriebsübergang widerspricht und so im Ursprungsbetrieb verbleibt.

Eine Kündigung, die auf Grund einer zum Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes führenden organisatorischen Maßnahme ausgesprochen worden ist, ist aber nur dann durch ein dringendes betriebliches Erfordernis „bedingt“, wenn der Arbeitgeber keine Möglichkeiten hat, den Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen. Dies folgt aus dem „ultima-ratio-Grundsatz“, den das Gesetz in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG konkretisiert hat. Die Weiterbeschäftigung muss allerdings sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber objektiv möglich sein. Dies setzt zunächst voraus, dass ein freier vergleichbarer (gleichwertiger) Arbeitsplatz oder ein freier Arbeitsplatz zu geänderten (schlechteren) Arbeitsbedingungen vorhanden ist. Als „frei“ sind grundsätzlich solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Dem steht es gleich, wenn der Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird.

1.2

Unstreitig ist Herr D. im zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Damit war der Arbeitsplatz eines Filialbetreuers zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, jedenfalls aber innerhalb der Kündigungsfrist des Klägers frei. Diesen hätte die Beklagte dem Kläger anbieten müssen. Denn aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich nicht, dass der Kläger die Aufgaben eines Filialbetreuers nicht wahrnehmen kann. Dieses gilt jedenfalls im Rahmen einer zumutbaren Anlernzeit des Klägers innerhalb der Kündigungsfrist. Die Kündigungsfrist des Klägers hätte intensiv zur Einarbeitung in die Aufgaben eines Filialbetreuers genutzt werden können, da die bisherige Beschäftigung des Klägers bereits zum 1. März 2009 entfiel, die Kündigung aber erst zum 31. Oktober 2009 ausgesprochen war.

Dabei hat die Beklagte ihren Überlegungen ein fehlerhaftes Verständnis der Darlegungs- und Beweislast zugrunde gelegt. Die Beklagte trägt wie jeder Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, ohne dass eine andere Beschäftigungsmöglichkeit besteht (vgl. bereits BAG, Urteil vom 7. Dezember 1978 - 2 AZR 155/77, zuletzt etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. September 2009 - 6 Sa 196/09). Insofern hätte die Beklagte darlegen und im Bestreitensfall beweisen müssen, welche konkreten Anforderungen an die Tätigkeit eines Filialbetreuers zu stellen sind und weshalb der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt bzw. auch nicht nach angemessener Einarbeitungszeit erfüllen kann.

Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass der Filialbetreuer Inventuren leiten, Bargeldbestände kontrollieren, Miet- und Pachtverträge überwachen, neue Mietverträge unterschriftsreif vorbereiten, mit den Handelsvertretern Verträge und Konditionen verhandeln und die Kassensysteme IT-mäßig betreuen müsse, die Handelsvertreter anzuleiten, verkaufsfördernde Maßnahmen mit Einkauf, Industrie und Filialen zu koordinieren, und bei Eigentumsdelikten mit Strafverfolgungsbehörden und Versicherungen zusammenzuarbeiten, Maßnahmen zur Umsatzsteigerung durchzuführen, die Filialentwicklung nach Umsatz und Rohertrag auszuwerten und mit den Handelsvertretern deren Vergütung abzurechnen habe, ergab sich für das Berufungsgericht wie schon für das Arbeitsgericht nicht, dass der Kläger dazu nicht in der Lage wäre. Zwar muss es nicht auf einen gegebenenfalls gescheiterten Arbeitsversuch ankommen, sondern kann auch theoretisch abstrakt beurteilt werden, aber es muss dennoch anhand von Tatsachen dargelegt werden, was die überschriftsmäßig beschriebenen Tätigkeiten konkret beinhalten, also über welche konkreten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten ein Filialbetreuer dafür verfügen muss. Weiter hätte die Beklagte darlegen müssen, weshalb der Kläger als langjährig in verschiedenen Bereichen beschäftigter Mitarbeiter, der auch über mehrere Jahre Betriebsrat war, diese Tätigkeit nicht übernehmen kann.

Demgegenüber kommt es auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Arbeitnehmers M. als Filialleiter nicht an. Denn die Tätigkeit eines Filialleiters gibt es seit dem 1.3.2009 bei der Beklagten nicht mehr.

2.

Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass es sich bei der Tätigkeit des Filialbetreuers um eine Tätigkeit handeln sollte, für die der Kläger nicht die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt und diese auch nicht innerhalb der Kündigungsfrist erwerben konnte, ist die Kündigung vom 2. März 2009 sozial nicht gerechtfertigt. Denn auch im Rahmen der Sozialauswahl hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der Kläger unter vergleichbaren Arbeitnehmern derjenige mit der geringsten Schutzbedürftigkeit wäre.

In die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG sind alle Arbeitnehmer des Betriebes einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind solche Arbeitnehmer, die austauschbar sind. Die Vergleichbarkeit der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richtet sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und somit nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann (BAG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - 2 AZR 748/05). Es ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, die Funktion der anderen Arbeitnehmer wahrnehmen kann. Das ist nicht nur bei Identität des Arbeitsplatzes, sondern auch dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Fähigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Der Vergleich vollzieht sich insoweit auf derselben Ebene der Betriebshierarchie (horizontale Vergleichbarkeit; BAG, Urteil vom 7. Februar 1985 - 2 AZR 91/84; Urteil vom 2. März 2006 - 2 AZR 23/05; Urteil vom 5. Juni 2008 - 2 AZR 907/06).

Der Kläger hat vorgetragen, dass er sowohl in der Verwaltung der Beklagten als auch im Lager der Beklagten mit bestimmten Tätigkeiten beschäftigt werden könnte. Damit hat der Kläger zunächst seiner Darlegungslast genügt. Es wäre nun Sache der Beklagten gewesen auszuführen, weshalb der Kläger mit den von ihm benannten Mitarbeitern bzw. den von ihnen ausgeübten Funktionen nicht vergleichbar wäre. Dabei kommt es tätigkeitsbezogen wiederum nicht darauf an, dass andere Arbeitnehmer die - wegfallende - Tätigkeit des Klägers übernehmen könnten, sondern allein, dass der Kläger deren Tätigkeit ausüben könnte. Dass es sich um Tätigkeiten unterschiedlicher Wertigkeit etwa aufgrund unterschiedlicher Eingruppierung handelt, hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen.

3.

Selbst wenn die Sozialauswahl nicht zu Gunsten des Klägers zu beurteilen wäre, könnte die Beklagte in diesem Rechtsstreit nicht obsiegen. Denn wie bereits vom Gericht unter dem 28. Oktober 2009 mitgeteilt, hat die Beklagte das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht hinreichend durchgeführt. Die Pflicht nach § 84 Abs. 2 SGB IX existiert nicht nur im Vorfeld von personenbedingten Kündigungen, sondern - nach Erreichen des dortigen Schwellenwertes - immer dann, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Arbeitnehmers die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb beeinflussen (können).

3.1

Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist immer ein kooperativer Prozess mit dem Ziel, Wege zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes zu finden. Dies erfordert je nach Lage des Falles Diskussionen, betriebliche und gesundheitliche Untersuchungen und eventuell konkrete Planungen. Dazu hätte, wie sich deutlich an den unterschiedlichen Auffassungen über die Einsatzfähigkeit des Klägers zeigt, wohl der Betriebsarzt beteiligt werden müssen. Ob auch die Servicestelle gemäß § 23 SGB IX hätte hinzugezogen werden müssen, um zu klären, ob unter Inanspruchnahme von Hilfen der Sozialleistungsträger noch nicht vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden können (so Gagel, jurisPR-ArbR 24/2009 Anm. 5), kann letztlich dahinstehen, erscheint aber nicht abwegig.

Da das betriebliche Eingliederungsmanagement auch dazu dient, zur Re-Integration arbeitsunfähiger Arbeitnehmer etwaige Möglichkeiten der Umorganisation zu prüfen um einer Kündigung entgegenzuwirken - einschließlich eines Freimachens von Arbeitsplätzen durch Umsetzungen (vgl. BAG, Urteil vom 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06) -, reicht es nicht aus, wenn lediglich eine Anpassung vergleichbarer Arbeitsplätze geprüft wird. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vielmehr auch mitteilen, welche - auch besetzten - Arbeitsplätze aus seiner Sicht für eine Versetzungsmaßnahme in Betracht kommen. Sodann ist im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu klären, ob bei einer etwaigen Versetzung ebenfalls mit erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen ist oder eine positive Zukunftsprognose abgegeben werden kann, und ob eine solche Maßnahme möglich und dem Arbeitgeber zumutbar ist (LAG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2009 - 9 Sa 699/08). Diese Prüfung hat die Beklagte nicht durchgeführt.

3.2

Dem Arbeitgeber, der ein betriebliches Eingliederungsmanagement unterlassen hat, ist zwar nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06) die Darlegung gestattet, dass ein solches Verfahren z.B. aus gesundheitlichen Gründen nicht zu einer Beschäftigungsmöglichkeit geführt hätte. Es bedarf dann aber eines umfassenden konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.

Weshalb der Kläger - auch unter Beachtung möglicher Umorganisationen - nicht mehr auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb beschäftigt werden kann, ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht. Die Einschätzung der Beklagten, dass ein Eingliederungsmanagement hier aussichtslos sei, kann allenfalls am Ende eines Eingliederungsprozesses gegebenenfalls nach Einschaltung externer Fachkräfte zum Tragen kommen, nicht jedoch am Anfang ohne nähere Erörterungen über den Einzelfall. Dass die Tätigkeit im Lager nicht abschließend geprüft ist, räumt die Beklagte selbst ein, indem sie lediglich auf die Haltung des Klägers im Vorprozess verweist. Dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Beschäftigung im Lager - gegebenenfalls auch nach leidensgerechter Anpassung der dortigen Arbeitsplätze - ausschließt, hat die Beklagte nicht vorgetragen oder gar anhand von Tatsachen belegt. Dass die Tätigkeit im Telefonverkauf zwingend eine nahezu ausschließlich sitzende sei, erschloss sich für das Gericht ebenfalls nicht. Denn mit höhenverstellbaren Tischen, schnurlosen Telefonen u.ä. könnte der Arbeitsplatz im Telefonverkauf relativ problemlos verändert werden. Dass der dortige Arbeitsanfall eine Weiterbeschäftigung des Klägers ausschließt, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers jedenfalls nicht anhand konkreter Tatsachen.

4.

Nach alledem hat die Kündigung vom 2. März 2009 keinen Bestand und die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.