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Kinder und Jugendhilfe sowie Jugendförderungsrecht


Metadaten

Gericht VG Cottbus 3. Kammer Entscheidungsdatum 04.03.2014
Aktenzeichen VG 3 K 183/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 42 Abs 1 S 1 SGB 8, § 91 Abs 1 SGB 8

Tenor

Die Heranziehungsbescheide des Beklagten vom 13. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2012 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines Kostenbeitrages für die Inobhutnahme seiner Kinder durch den Beklagten.

Der Kläger ist Vater der am 2. Oktober 1997 geborenen A. A. und des am 16. November 2000 geborenen M. A., mit denen und mit seiner Ehefrau und Mutter der Kinder er zusammenlebt. Am 8. August 2011 zeigte eine anonym bleiben wollende Nachbarin dem Jugendamt des Beklagten an, dass es am Abend zuvor in der Zeit von 23 Uhr bis 24 Uhr zu einem lautstarken Konflikt zwischen dem Kläger und dessen Sohn gekommen sei, der sich im Bad abgespielt hätte. Der Sohn habe weinend und schreiend darum gebeten, beim Duschen allein sein zu dürfen. Auch in der Vergangenheit habe es schon öfter Konflikte gegeben. Daraufhin nahmen zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes noch am selben Tag einen unangemeldeten Hausbesuch vor, bei dem sie den Kläger und die zwei Kinder zuhause antrafen. Ausweislich des hierüber gefertigten Aktenvermerks war der gesamte Haushalt ordentlich und zweckmäßig eingerichtet. In dem Gespräch, das die beiden Mitarbeiterinnen des Jugendamtes sodann zunächst mit M. allein führten, habe der Junge erzählt, dass er am Abend zuvor nach einer gemeinsamen Radtour, bei der er sehr schmutzig geworden sei, nicht habe duschen wollen, was sein Vater dann aber durchgesetzt habe. Weh sei ihm dabei nicht getan worden. Er sei oft bockig und versuche sich durchzusetzen, weshalb es seine Eltern schwer mit ihm hätten. Diese Angaben seien nachfolgend durch den Kläger bestätigt worden, der keinen Erziehungshilfebedarf gesehen habe.

Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks vom 9. August 2011 informierte der Beklagte die Nachbarin, die die Meldung erstattet hatte, über das Ergebnis des Hausbesuches. Diese habe den Vorfall nochmals detaillierter und um Angaben einer anderen Nachbarin ergänzt beschrieben und den Verdacht des sexuellen Missbrauchs geäußert. Am 16. August 2011 fand ein Gespräch mit der Ehefrau des Klägers statt, in dem diese ausweislich des hierüber gefertigten Aktenvermerks die Angaben ihres Sohnes und des Klägers zu dem Vorfall bestätigte. Auch sie habe keinen Erziehungshilfebedarf gesehen.

Mit Schreiben vom 25. August 2011 informierte das Polizeipräsidium Schutzbereich Spree-Neiße den Beklagten, dass die Staatsanwaltschaft C. am 18. August 2011 ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von A. und M. A. gegen den Kläger eingeleitet habe. Auch dem lag eine anonyme Anzeige zugrunde.

Daraufhin führten Mitarbeiterinnen des Jugendamtes des Beklagten am 29. August 2011 ein Gespräch mit der früheren Klassenlehrerin von A. und jetzigen Klassenlehrerin von M., die beide Kinder auch im Segelsportverein trainiert. Diese gab ausweislich des hierüber gefertigten Vermerks an, dass M. noch nie auffällig, nur immer sehr lebhaft und schusselig gewesen sei. Im Verlauf des letzten Schuljahres sei es zu einem bis heute anhaltenden leichten Leistungsabfall gekommen, er sei extrem schusselig und „durch den Wind“, vergesse Materialien. A. sei schon immer sehr wehleidig und kränkelnd gewesen, habe oft kleine Unfälle. Auch dies sei im letzten Jahr schlimmer geworden. Außerdem sei sie erschreckend dünn und esse sehr wenig. Beide Kinder seien Leistungsträger des Segelsportvereins gewesen, vor allem M., hätten sich jetzt aber so verschlechtert, dass sie kürzlich nicht mehr auf das Photo der Leistungsträger gekommen seien. Daraufhin wohl hätte sich auch die Mutter aus dem Verein zurückgezogen. In einem weiteren Gespräch mit der derzeitigen Klassenlehrerin von A. ebenfalls am 29. August 2011 erklärte diese nur, dass das Mädchen in vielerlei Hinsicht auffällig sei, und verlangte eine Schweigepflichtsentbindung.

Am gleichen Tage unterzeichnen der Kläger und seine Ehefrau Erklärungen über die Entbindung der Schulen der Kinder und des Krankenhauses Forst von der Schweigepflicht. Die Mitarbeiterinnen des Beklagten gaben ihnen zudem auf, die Kinder am folgenden Tag bis 18 Uhr im Krankenhaus Forst ärztlich untersuchen zu lassen und eine Verpflichtung für die Zeit des Ermittlungsverfahrens zu unterzeichnen, wobei der Beklagte ihnen insoweit vorschlug, dass der Kläger bis zum Abschluss der Ermittlungen vorsorglich nicht mehr zuhause wohnen sollte. Nachdem der Kläger und seine Ehefrau am Nachmittag des 30. August 2011 telephonisch nicht erreichbar waren und bis 18 Uhr auch nicht mit ihren Kindern im Krankenhaus Forst erschienen, nahm der Beklagte nochmals einen Hausbesuch vor, bei dem er den Kläger antraf. Dieser erklärte ausweislich des hierüber gefertigten Vermerks, dass die Familie nach anwaltlicher Beratung nicht mit dem Jugendamt zusammenarbeiten müsse und dass er auch nicht ausziehen werde. Daraufhin teilte ihm der Beklagte mündlich mit, dass die Kinder nunmehr in Obhut genommen würden. Dies erfolgte sodann an der Musikschule, wo sich die Ehefrau des Klägers mit den Kindern befand. Die Ehefrau erklärte, mit der Maßnahme nicht einverstanden zu sein.

Mit Bescheiden vom 30. August 2011 setzte der Beklagte die Eheleute A. schriftlich über die Inobhutnahme in Kenntnis. Mit Schreiben vom 31. August 2011, zugestellt am 1. September 2011, wies er zudem darauf hin, dass hierzu ein Kostenbeitrag von den Eltern erhoben werde, und bat um Auskunft zu den Einkommensverhältnissen.

Ebenfalls am 31. August 2011 wurden die Kinder im Krankenhaus Forst ärztlich untersucht. Hieraus ergaben sich keinerlei Anzeichen für Gewalt oder sexuellen Missbrauch.

Mit Schreiben vom selben Tage beantragte der Beklagte beim Familiengericht C. eine gerichtliche Entscheidung. Zur Begründung verwies er auf den Verdacht des sexuellen Missbrauchs durch den Kläger und auf die fehlende Mitwirkung der Eltern an der Abwendung der Kindeswohlgefahr.

Am 2. September 2011 erhoben die Eheleute A. Widerspruch gegen die Inobhutnahme.

Mit Schreiben vom 3. und 15. September 2011 übersandten die jeweiligen Schulen Einschätzungen zum Arbeits- und Sozialverhalten beider Kinder, aus denen sich jeweils ergab, dass diese keinerlei Auffälligkeiten gezeigt hätten. Nach Anhörung der Kinder am 19. September 2011 verfügte das Familiengericht C. in der mündlichen Verhandlung am 20. September 2011 ihre Rückführung in den elterlichen Haushalt, woraufhin der Beklagte die Inobhutnahme mit Bescheid vom selben Tage beendete. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger stellte die Staatsanwaltschaft C. gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung ein. Daraufhin nahm der Beklagte mit Schreiben vom 26. Januar 2012 seinen Antrag beim Familiengericht C. auf Entzug von Teilen der elterlichen Sorge zurück. Mit Bescheid vom 28. März 2012 stellte er zudem das Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Inobhutnahme ein.

Bereits mit Bescheiden vom 13. Oktober 2011 erhob der Beklagte von dem Kläger einen Kostenbeitrag in Höhe von 332,50 Euro zu der Inobhutnahme A. und in Höhe von 199,50 Euro zu der Inobhutnahme M.

Hiergegen erhob der Kläger am 9. November 2011 Widerspruch, zu dessen Begründung er darauf verwies, dass die Inobhutnahmen rechtswidrig gewesen seien. Diesen hätten lediglich anonyme pauschale und unbestimmte Beschuldigungen, nicht aber Tatsachen zugrunde gelegen. Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch der Kinder hätte es zu keiner Zeit gegeben. Für eine rechtswidrige Jugendhilfemaßnahme könnten jedoch Kostenbeiträge nicht erhoben werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2012, zugestellt am 1. Februar 2012, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Kinder seien wegen einer dringenden Gefahr für ihr Wohl in Obhut genommen worden. Auf die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme komme es für die Kostenbeitragspflicht nicht an.

Am 16. Februar 2012 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Er ist der Auffassung, die Kostenbeitragspflicht setze eine rechtmäßige Inobhutnahme voraus, also eine Maßnahme, die die gesetzlichen Voraussetzungen des § 42 des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII erfülle. Daran fehle es hier jedoch. Der Beklagte habe keine Feststellungen getroffen, die die Maßnahme rechtfertigen würden, und zu keiner Zeit dargelegt, welche angeblich schwerwiegenden Anhaltspunkte konkret vorgelegen hätten. Entsprechend hätten weder die – ebenfalls rechtswidrige – ärztliche Untersuchung der Kinder noch die als Verfahrensbeistand beigeordnete Psychologin Anzeichen für eine Misshandlung der Kinder feststellen können. Es hätten lediglich pauschale Beschuldigungen einer Nachbarin vorgelegen. Zwischen der anonymen Anzeige und der Inobhutnahme habe zudem genug Zeit zur Verfügung gestanden, rechtzeitig eine familiengerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide des Beklagten vom 13. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass es im Rahmen der Kostenbeitragserhebung nicht auf die Rechtmäßigkeit der Jugendhilfemaßnahme ankomme. Maßgeblich sei vielmehr allein, dass Jugendhilfe tatsächlich geleistet worden sei. Ohnehin sei die Inobhutnahme rechtmäßig erfolgt. Am 30. August 2011 hätten schwerwiegende Anhaltspunkte vorgelegen, die die Maßnahme erforderlich gemacht hätten. Die Weigerung der Eltern, die Kinder ärztlich untersuchen zu lassen, sei vor dem Hintergrund der sehr schwerwiegenden Aussagen der Nachbarin als Indiz dafür gewertet worden, dass ein Missbrauch oder eine Misshandlung stattgefunden habe und auch in Zukunft zu befürchten sei. Dass der Verdacht sich nachfolgend nicht bestätigt habe, sei dagegen ohne Bedeutung, maßgeblich sei die Einschätzung im Zeitpunkt der Inobhutnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (2 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer kann über die Klage gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich der Kläger und der Beklagte hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Ermächtigungsgrundlage der Heranziehung ist § 91 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 42 Abs. 1 SGB VIII. Hiernach werden zu Maßnahmen der Inobhutnahme Kostenbeiträge erhoben; der Kläger als Vater ist gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII grundsätzlich kostenbeitragspflichtig.

Die Heranziehung des Klägers ist rechtswidrig, da die den Heranziehungsbescheiden zu Grunde liegende Inobhutnahme nicht in Übereinstimmung mit den Vorschriften des SGB VIII erfolgte. Die Rechtmäßigkeit der Jugendhilfemaßnahme ist aber Voraussetzung für die Heranziehung der Eltern zu deren Kosten (vgl. ebenso Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Juni 2008 – 12 A 144/06 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 37 m. w. N.; Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 24. Februar 2011 – 4 K 1040/10.NW -, zitiert nach juris, dort Rdn. 25).

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, u. a. wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert (Nr. 2) und die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen (lit. a) oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann (lit. b). Diese Voraussetzungen – hier einer Inobhutnahme der Kinder A. und M. gegen den Willen ihrer Eltern – haben nicht vorgelegen. Sie war nicht erforderlich, um bestehenden oder wahrscheinlichen Gefahren für das Kindeswohl zu begegnen.

Eine Gefahr im jugendhilferechtlichen Sinn liegt vor, wenn im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung im Rahmen der prognostischen ex-ante-Betrachtung bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens der Eintritt des Schadens hinreichend wahrscheinlich ist. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt einerseits nicht Gewissheit, dass der Schaden eintreten wird. Andererseits genügt die bloße Möglichkeit eines Schadenseintrittes grundsätzlich nicht zur Annahme einer Gefahr. Hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit ist abhängig vom Schutzgut zu differenzieren: Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. Wo es um den Schutz besonders hochwertiger Schutzgüter geht, wozu das Kindeswohl zählt, kann deshalb auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadens die begründete Befürchtung seines Eintritts auslösen. Die Inobhutnahme ist zudem immer nur als vorläufige Maßnahme zulässig, § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, und muss beendet werden, wenn die angesprochene Gefahr nicht mehr besteht (vgl. zum Ganzen: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. Mai 2010 – 1 D 38/10 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 4; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. April 2013 – 6 M 123.12 -, Seite 3 f. des Entscheidungsabdruckes; Verwaltungsgericht Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 24. Februar 2011 – 4 K 1040/10.NW -, a. a. O., dort Rdn. 26).

Unter Beachtung dieser Grundsätze lag hier eine Gefahr im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht vor. Die Auffassung des Beklagten, nach den ihm im Zeitpunkt der Inobhutnahme vorliegenden Informationen habe er davon ausgehen müssen, dass die Kinder des Klägers von diesem misshandelt bzw. sexuell missbraucht worden waren und damit eine Kindeswohlgefährdung bestand, vermag nicht zu überzeugen. Die gewichtigen Anhaltspunkte, auf die der Beklagte wiederholt verwiesen hat, ohne sie freilich inhaltlich zu konkretisieren, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Dabei hält der Beklagte im vorliegenden Verfahren ersichtlich selbst nicht mehr an der noch gegenüber dem Familiengericht C. behaupteten Darstellung fest, bei ihm seien seit dem 8. August 2011 mehrfach anonyme Meldungen über eine potentielle Kindeswohlgefahr im Sinne einer Misshandlung bzw. eines Missbrauches eingegangen. Tatsächlich handelte es sich lediglich um eine Nachbarin, die den Beklagten über eine von ihr am Vorabend akustisch wahrgenommene lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Sohn informierte. Wie der Beklagte selbst darlegt, war dabei weder von Misshandlung noch von Missbrauch die Rede; die Nachbarin konnte aus eigener Wahrnehmung vielmehr nur über einen verbal ausgetragenen Streit berichten. Als diese Nachbarin am nächsten Tag – ausweislich der vorliegenden Unterlagen sowohl persönlich als auch nach dem Hausbesuch noch einmal telephonisch – ihre Angaben ergänzte, tat sie dies schon nicht mehr aus eigener Wahrnehmung, sondern gab lediglich – gleichsam als Zeugin vom Hörensagen – Wahrnehmungen einer anderen Nachbarin wider, auf deren eigene Befragung der Beklagte ebenso verzichtete wie auf eine Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit. Insbesondere aber ergab der von dem Beklagten vorgenommene Hausbesuch am gleichen Tage ersichtlich keinerlei Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, so dass der Beklagte selbst zunächst auch keine Veranlassung etwa für Maßnahmen der Gefahrenabwehr sah, vielmehr ausweislich des Vermerks vom 9. August 2011 lediglich von – aus seiner Sicht – ungeeigneten Erziehungsmethoden ausging. Die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes hatten einen geordneten Haushalt vorgefunden und in dem Gespräch mit dem Sohn des Klägers konkrete Informationen über den – im hier interessierenden Zusammenhang harmlosen – Hindergrund der Auseinandersetzung erhalten. Dabei musste besonders schwer wiegen, dass der Hausbesuch unangemeldet erfolgte und M. also spontan und – wie der entsprechende Vermerk offenbart – völlig unbefangen über den Vorfall berichtete. Vor dem Hindergrund dieser eigenen Feststellungen war der nachfolgend seitens der über den Hausbesuch und den dabei erworbenen Eindruck informierten Nachbarin geäußerte Verdacht eines sexuellen Missbrauchs ebenso zutreffend als bloße, durch keinerlei belastbare Tatsachen gestützte Mutmaßung zu werten, wie die in diesem Zusammenhang schon angekündigte Anzeige bei der Polizei. Dass nachfolgend aufgrund anonymer Anzeige ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingeleitet wurde, stellte also ersichtlich keine weitere Zuspitzung der Situation bzw. eine Erhärtung von Verdachtsmomenten dar. Ebenso wenig ließen sich dem Gespräch mit der Mutter der Kinder ersichtlich Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung entnehmen.

Auch die Gespräche mit den Lehrern der Kinder ergaben ersichtlich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung, so dass dahingestellt bleiben kann, wie die entsprechenden Gesprächsvermerke des Beklagten inhaltlich zustande gekommen sind, insbesondere warum sie in der Tendenz ihrer Aussage derart deutlich von den nachfolgenden schriftlichen Stellungnahmen der Schulen abweichen. Weder der beschriebene leichte Leistungsabfall noch die Schusseligkeit M. oder die Wehleidigkeit A. rechtfertigen in dieser Form und ohne das Hinzutreten weiterer Tatsachen einen Schluss auf einen möglichen sexuellen Missbrauch.

In Anbetracht dieser Situation, in der der Beklagte tatsächlich über keinerlei belastbare Anhaltspunkte verfügte, die die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung nahe gelegt hätten, ihm vielmehr lediglich ein Erziehungsstreit bekannt geworden war sowie eine Nachbarin eine durch nichts belegte Mutmaßung geäußert hatte, konnte der Beklagte die Weigerung des Klägers und seiner Ehefrau, die Kinder ärztlich untersuchen zu lassen und mit dem Jugendamt weiter zusammen zu arbeiten, rechtmäßig nicht als Indiz dafür werten, dass ein Missbrauch bzw. eine Misshandlung stattgefunden hat und auch in Zukunft stattfinden wird. Zwar waren der Kläger und seine Ehefrau sicher unglücklich anwaltlich beraten, es auf eine Konfrontation mit dem Beklagten ankommen zu lassen, statt durch die ärztliche Untersuchung den aufgekommenen Verdacht ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Dem Eindruck, dass sie dadurch versuchten, körperliche Spuren zu verbergen, widerspricht jedoch schon, dass sie die Kinder keineswegs dem Zugriff des Jugendamtes zu entziehen versuchten, sondern lediglich ihren gewöhnlichen Alltag fortführten und der Kläger den Aufenthaltsort der Kinder auch mitteilte. Dass die Situation ein weiteres Zuwarten nicht erlaubt hätte – die Inobhutnahme ist ein Instrument der kurz- bis mittelfristigen Krisenintervention -, ist angesichts des Umstandes, dass der Beklagte über keinerlei konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch verfügte, nicht erkennbar. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Inobhutnahme zu diesem Zeitpunkt nicht der Gefahrenabwehr, sondern der Gefahrenabschätzung dienen sollte, nämlich um die ärztliche Untersuchung der Kinder auch ohne Zustimmung der Eltern durchführen zu können, und lediglich eine Reaktion auf die verweigerte Mitwirkung und nicht etwa auf eine konkret festgestellte Gefahrensituation war. So verweist der Beklagte in seinem Schreiben an das Familiengericht vom 5. September 2011 ausdrücklich auf die „fehlende Bereitschaft der Eltern, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos für die Kinder mitzuwirken.“ Entsprechend führen die Inobhutnahmebescheide zur Begründung der Maßnahme nicht das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung unter Benennung konkret dafür sprechender Tatsachen auf, sondern die fehlende Mitwirkung und die Nichterfüllung von Auflagen, ohne dass offensichtlich hinterfragt wurde, aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Beklagte den Eheleuten eigentlich Auflagen – und welche? – erteilen und sie zur Mitwirkung verpflichten hätte können.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.