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Südkorea; Ausweisung; Ermessen; Straftäter; Strafvollzug; Wiederholungsgefahr; fortlaufende Vollzugsplanfortschreibung; entscheidungserheblicher Zeitpunkt; Ergänzung behördlicher Ermessenserwägungen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 06.09.2012
Aktenzeichen OVG 2 N 80.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 53 AufenthG, § 56 AufenthG, § 114 S 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Juni 2010 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht wegen der sinngemäß geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Der Kläger zeigt keine gewichtigen Gesichtspunkte auf, die für den Erfolg einer Berufung sprechen. Die von ihm genannten Gründe, die hier allein zu prüfen sind, rechtfertigen nicht den Schluss, der Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2009, mit dem der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm die Abschiebung aus der Strafhaft in die Republik Korea (Südkorea) oder in einen anderen aufnahmebereiten oder –verpflichteten Staat angedroht wurde, sei rechtswidrig.

Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe bei der Überprüfung der Prognoseentscheidung des Beklagten den Maßstab und die Sorgfalt, die an eine solche Entscheidung zu stellen ist, verkannt und sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Ausweisung des Klägers zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich und auch unter Berücksichtigung der betroffenen Rechte des Klägers auf Achtung des Familien- und Privatlebens gemäß Art. 6 GG und Art. 2 Abs. 1 GG sowie gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK verhältnismäßig im engeren Sinne ist, die Umstände der begangenen Straftat, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, gewürdigt und darüber hinaus als weitere Kriterien die Dauer des Aufenthalts, die Dauer der verstrichenen Zeit seit der Begehung der Straftat und das Verhalten des Klägers seit diesem Zeitpunkt, seine familiäre Situation sowie die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufnahmeland und mit dem Zielland der Ausweisung in die Betrachtung einbezogen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7/11 -, juris). Aus welchen Gründen die Bewertung des Verwaltungsgerichts im einzelnen nicht zutreffen sollte, legt der Kläger nicht in einer den Anforderungen an eine Zulassungsbegründung genügenden Weise dar, sondern ersetzt lediglich die Bewertung des Verwaltungsgerichts durch seine eigene hiervon abweichende, ohne sich substantiiert mit den erstinstanzlichen Ausführungen zu den einzelnen Punkten auseinanderzusetzen. Dies gilt insbesondere für die Frage der Bindungen zum Zielland der Ausweisung.

Mit der weiteren Rüge, das Verwaltungsgericht sei von einem unzutreffenden Sachverhalt bei der Bewertung der Prognoseentscheidung des Beklagten ausgegangen, weil es die Vollzugsplanfortschreibung der JVA Tegel vom 11. August 2010 nicht berücksichtigt habe, zeigt der Kläger ebenfalls keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung auf. Das Ergebnis der Vollzugsplankonferenz vom 11. August 2010 konnte vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden, da sie nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils stattgefunden hat. Unabhängig hiervon kann der Kläger aus der in der Vollzugsplanfortschreibung vom 11. August 2010 enthaltenen „Einschätzung der prognostischen Faktoren im Hinblick auf zukünftiges Legalverhalten“ nichts zu seinen Gunsten herleiten. Zwar ist nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung von Ausweisungsentscheidungen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20 ff.). Bis zu diesem Zeitpunkt sind entscheidungserhebliche neue Tatsachen auch bei Ermessensausweisungen umfassend zu berücksichtigen. Damit korrespondierend trifft die Ausländerbehörden in allen Ausweisungsverfahren die Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung, bei Ermessensausweisungen zur Anpassung ihrer Ermessenserwägungen. Dabei ist die durch § 114 Satz 2 VwGO eröffnete prozessuale Möglichkeit der nachträglichen Ergänzung von Ermessenserwägungen zu beachten (vgl. BVerwG, a.a.O.). Dieser Pflicht ist der Beklagte mit den in der Antragserwiderung vom 21. Oktober 2010 enthaltenen Ausführungen nachgekommen, indem er - erneut - in die Abwägung alle wesentlichen Tatsachen, einschließlich der neu hinzugetretenen Umstände des vorliegenden Falles eingestellt und im Verhältnis zu dem sonstigen Verhalten des Klägers gewürdigt hat. Dabei wird insbesondere bezüglich der aktuellen Vollzugsplanfortschreibung ausgeführt, diese sei zwar durchgängig positiver als die vorangegangenen, jedoch gehe auch der Bericht der JVA davon aus, dass es eine Entwicklung in die richtige Richtung sei, die jedoch nicht abgeschlossen sei. So werde beispielsweise bei der Auseinandersetzung mit der Straftat angemerkt, dass der Kläger zwar Gefühle der Empathie habe, die er jedoch im entscheidenden Zeitpunkt nicht in sein Handeln einfließen lasse. Hinsichtlich der schon zuvor festgestellten geringen Frustrationstoleranz sowie der Verschränkung von emotionaler Isolation, der Sehnsucht nach sozialer Anerkennung und der bisherigen kriminellen Entwicklung werde ausgeführt, dass es dem Kläger durch die haftbegleitende pädagogische und therapeutische Behandlung gelungen sei, diese Verhaltensmuster zum Teil zu durchbrechen. Ob diese begonnene Entwicklung ausreichend sei, den Kläger von der Begehung weiterer Straftaten nach seiner Haftentlassung abzuhalten bzw. ob es ihm gelinge, diese Entwicklung weiter auszubauen, könne derzeit noch nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden. Auch die Tatsache, dass der Vollzugsplanung trotz der positiven Entwicklung des Klägers weiterhin eine vollständige Verbüßung der Freiheitsstrafe zu Grunde gelegt werde und dass bei ihm die Notwendigkeit einer besonders gründlichen Prüfung der Gewährung von selbstständigen Vollzugslockerungen gesehen werde, zeige, dass selbst bei Anlegung des auch von dem Resozialisierungsgedanken getragenen Maßstabes der Strafvollzugsbehörden eine Rückfallgefahr weiterhin angenommen werde, wenn diese auch als vertretbar gering eingeschätzt werde. Vor diesem Hintergrund könnten angesichts der Schwere des Schadens bei einer erneuten einschlägigen Straffälligkeit des Klägers aus der Verbesserung des klägerischen Verhaltens in der Haft innerhalb des letzten Jahres keine hinreichend sicheren Rückschlüsse auf sein Verhalten in Freiheit gezogen werden, um eine positive Gefahrenprognose im aufenthaltsrechtlichen Sinn zu begründen. Darüber hinaus hat der Beklagte bezüglich der seit der letzten Straftat verstrichenen Zeit darauf hingewiesen, dass der Kläger diese vollständig in Haft verbracht habe und die Strafvollzugsbehörden davon ausgegangen seien, dass die JVA für ihn einen gewissen Schutzraum darstelle sowie bis vor einem Jahr noch eine erhebliche Rückfallgefahr angenommen hätten. Dass sich der Kläger seitdem eine deutlich bessere Sozial- und Legalprognose der JVA erarbeitet habe, sei positiv zu bewerten, reiche aber für die Annahme einer echten Zäsur, die die Begehung weiterer Straftaten hinreichend unwahrscheinlich machen würde nicht aus. Hierbei sei wesentlich zu berücksichtigen, dass die positive Entwicklung des Klägers in Haft im letzten Jahr nur in eingeschränktem Maße Rückschlüsse auf sein späteres Verhalten in Freiheit zulasse, da er zurzeit unter dem erheblichen Druck des strafvollzugsrechtlichen Verfahrens stehe und auch der Druck des hiesigen Ausweisungsverfahren seine Bemühungen um ein straffreies Verhalten begünstigen dürfte. Diesen Einschätzungen ist der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht entgegengetreten. Ebenso wenig hat er dargetan, dass der Beklagte den an eine Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren zu stellenden Anforderungen (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14/10 -, NVwZ 2012, 112 ff.) nicht genügt hat.

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die von ihm eingereichten späteren Fortschreibungen des Vollzugsplanes nicht in die Beurteilung der Wiederholungsgefahr einzubeziehen, da sie den Zeitraum nach Ablauf der Frist zur Begründung des Zulassungsantrages betreffen. Insoweit entspricht das Ende der Begründungsfrist im Zulassungsverfahren dem Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Nicht durchzudringen vermag der Kläger schließlich mit der Ansicht, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebliche Sachlage habe das Verwaltungsgericht nicht zutreffend gewürdigt und ihm mangels Vorladung zum Verhandlungstermin nicht die Gelegenheit gegeben, sich persönlich diesbezüglich zu äußern. Dass die angegriffene Entscheidung auf einer unzureichend ermittelten oder verfahrensfehlerhaft festgestellten tatsächlichen Grundlage beruht und deshalb ernstlichen Richtigkeitszweifeln begegnet, ist damit nicht dargetan. Der der Sache nach erhobene Vorwurf des Klägers, das Verwaltungsgericht sei in einer den Anforderungen des § 86 Abs. 1 VwGO nicht genügenden Weise mit für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage erheblichen Tatsachen umgegangen, bleibt ohne Erfolg. Insoweit fehlt es bereits an einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden substantiierten Darlegung, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung einer Aufklärungsrüge: u.a. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, NJW 1997, 3328). Im Übrigen hat der - bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretene - Kläger von der ihm prozessrechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeit, eine Beweiserhebung zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Fall hätte es ihm oblegen, einen Antrag auf gerichtliche Anordnung seines persönlichen Erscheinens (§ 95 VwGO) bzw. einen - unbedingten - Beweisantrag auf Vernehmung als Partei (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 447 ff. ZPO) sowie erforderlichenfalls einen Antrag auf Vertagung zu stellen. Dass der Kläger sich in dieser Weise bemüht hätte, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ist dem Zulassungsantrag jedoch nicht zu entnehmen. Ebenso wenig ergibt das Zulassungsvorbringen, weshalb es sich dem Verwaltungsgericht selbst ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, sein persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung anzuordnen und ihn persönlich anzuhören (vgl. Beschluss des Senats vom 20. August 2010 - 2 N 47.09 -).

Aus den vorstehenden Gründen kommt eine Zulassung der Berufung wegen eines der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör), auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), gleichfalls nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).