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Abführungspflicht bei Bauleistungen


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 16.05.2013
Aktenzeichen 7 K 7345/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 13b Abs 1 S 1 Nr 4 UStG

Leitsatz

Für die Abführungspflicht nach § 13b UStG 2007 für Bauleistungen kommt es nicht darauf an, ob und ggf. in welchem Umfang der Leistungsempfänger im Vorjahr Bauleistungen erbracht hat.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin im Streitjahr bereits der Einbehaltungs- und Abführungspflicht nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 unterlag.

Die Klägerin wurde am 23.08.2005 als sogenannte Vorratsgesellschaft gegründet. Am 21.10.2005 wurde ihr Gesellschaftszweck auf den Ankauf von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten und deren wirtschaftliche Verwertung durch Vermietung oder Verkauf erweitert. Gesellschafterin der Klägerin war im Streitjahr die damalige B… AG. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die für eine Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz -UStG- erforderliche wirtschaftliche Eingliederung zwischen der Klägerin und der B… AG im Streitjahr nicht vorlag.

In 2006 erzielte die Klägerin steuerfreie Umsätze aus der Vermietung mehrerer Grundstücke und der Veräußerung eines Grundstück in Höhe von insgesamt 522.577,- €.

Über den o.g. Geschäftszweck hinausgehend schloss die Klägerin am 29.06.2006 mit der C… GmbH einen Vertrag über Bauleistungen, nämlich über die schlüsselfertige Erstellung eines Supermarktes auf dem Grundstück D… Straße 141 in E… zum Preis von 1,3 Millionen € sowie über die Modernisierung des Altbaus auf dem Nachbargrundstück D… Straße 138/F… Straße 10 zum Preis von 600.000,- €. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf die Vertragstexte (Blatt 45 ff., 62 ff. der Gerichtsakte -GA-) Bezug.

Mit der Durchführung der Baumaßnahmen beauftragte die Klägerin ihrerseits als Generalunternehmerin jeweils die Firma G… GmbH (vgl. Bl. 77 ff. GA). Wegen Unstimmigkeiten in der Abwicklung der Bauvorhaben wurden die Generalunternehmerverträge jedoch im Laufe des Jahres 2007 gekündigt. Über das Vermögen der G… GmbH wurde am 29.02.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folge wurde die H… GmbH mit der Ausführung der Baumaßnahmen beauftragt.

Am 10.07.2006 stellte die G… GmbH der C… GmbH eine Rechnung über die Planungs- und Baugenehmigungskosten des Objekts D… Straße 138 bis 141 zu einem Netto-Preis von 129.310,35 € unter Ausweis von 16 % Umsatzsteuer (20.689,66 €, zusammen 150.000,01 €, Bl. 156 GA). Weitere Rechnungen - nunmehr an die Klägerin - betrafen den Sanierungsvertrag vom 29.06.2006, nämlich die Rechnung vom 15.11.2006 über 25.862,07 € zzgl. 4.137,93 € Umsatzsteuer, zusammen 30.000,- € wegen des Beginns der Fensterfertigung (Bl. 99 GA), vom 15.11.2006 über 43.103,45 € zzgl. 6.896,55 € Umsatzsteuer, zusammen 50.000,- € wegen Abrissarbeiten an der Fassade (Bl. 101 GA) und vom 19.01.2007 über 33.613,44 € zzgl. 6.368,55 € Umsatzsteuer, zusammen 39.999,99 € u. a. wegen des Abrisses der Fassadenplatten (Bl. 98 R GA).

Die Klägerin ihrerseits richtete am 17.01.2007 zwei Abschlagsrechnungen an die C… GmbH, mit denen sie die beiden ersten Raten entsprechend dem Zahlungsplan für das Bauvorhaben „D… Straße 138, 141, 141a/F… Straße 10“ (für bauvorbereitende Aufwendungen und Baubeginn sowie Fertigstellung Abriss und Entsorgung) in Höhe von jeweils 126.050,42 € netto anforderte.

In ihrer Umsatzsteuererklärung 2006 erklärte die Klägerin steuerfreie Umsatzerlöse in Höhe von 522.576,75 €. Vorsteuerbeträge und Umsatzsteuerschulden als Leistungs-empfängerin im Sinne des § 13b UStG erklärte die Klägerin nicht. Auch im Rahmen der ab Oktober 2007 abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2007 erklärte die Klägerin keine Umsatzsteuer im Sinne des § 13b UStG aus Eingangsleistungen.

Im Januar 2008 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für das Streitjahr durch. Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass die von der G… GmbH und der H…. GmbH an die Klägerin erbrachten Bauleistungen im Zusammenhang mit den Generalunternehmerverträgen der Abführungspflicht nach § 13b UStG unterlegen hätten. Denn die Klägerin erbringe seit 2006 nachhaltig Bauleistungen.

Dem folgte die Klägerin in ihrer am 04.02.2007 eingereichten Umsatzsteuererklärung 2007, die eine Zahllast von 64.669,82 € ausweist, nicht.

Ausgehend von den Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte am 17.03.2008 einen Umsatzsteuerbescheid 2007, mit dem er die Umsatzsteuer auf 277.880,92 € festsetzte, was zu einer Nachzahlung von 277.956,81 € führte. Dabei ging der Beklagte von steuerpflichtigen Eingangsleistungen gemäß § 13b UStG in Höhe von 1.122.163,- € aus, was eine Umsatzsteuer in Höhe von 213.211,10 € auslöste.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 31.03.2008 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25.04.2008 zurückwies.

Daraufhin hat die Klägerin am 02.05.2008 (mit einer nicht unterschriebenen Ausfertigung der Klageschrift) Klage erhoben und am 09.05.2008 eine unterschriebene Ausfertigung der Klageschrift nachgereicht.

Vom 14.02.2011 bis 07.08.2012 hat der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung durchgeführt, die u.a. auch die Umsatzsteuer 2007 umfasst hat. Der Prüfer hat insoweit keine abweichenden Feststellungen getroffen. Am 25.10.2012 hat der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Die Klägerin macht geltend, vor Ende des Jahres 2007 nicht im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2007 Bauleistungen erbracht zu haben. Denn erst in diesem Zeitpunkt sei der Neubau des Supermarkts fertig gestellt gewesen. Die Sanierungsmaßnahmen auf dem Nachbargrundstück hätten sich sogar bis ins Jahr 2008 hingezogen. Es komme allein darauf an, wann im umsatzsteuerlichen Sinne eine Bauleistung erbracht worden sei, nicht darauf, wann Teilhandlungen erbracht würden. Andernfalls könne sich ein Unternehmen wie die Klägerin nicht in der erforderlichen Weise auf die Einbehaltungs- und Abführungspflicht einstellen. Soweit der Beklagte auf die ab dem Jahr 2006 erteilten Abschlagsrechnungen der G… GmbH abstelle, setzte er sich in Widerspruch zu den für ihn geltenden Verwaltungsanweisungen. Ein Bautagebuch könne die Klägerin – obwohl dies in den mit der G… GmbH abgeschlossenen Verträgen vorgesehen sei – nicht vorlegen.

Die Klägerin beantragt,

abweichend vom Umsatzsteuerbescheid 2007 vom 25.10.2012 die Umsatzsteuer auf 64.669,82 € festzusetzen,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für unbegründet. Die Klägerin habe die empfangenen Bauleistungen sogleich an ihre Vertragspartnerin, die C… GmbH, weitergeleitet. So habe die Klägerin im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages vom 29.06.2006 betreffend die Errichtung des Supermarkts von der C… GmbH einen Scheck über 150.000,- € erhalten und an die K weitergeleitet, was einer Bauleistung mit dem Nettowert von 129.310,35 € entspreche. Daher habe sie in 2006 mehr als 10 % ihrer Umsätze als Bauleistungen erbracht. Es komme nicht darauf an, wann im umsatzsteuerlichen Sinne eine Bauleistung erbracht sei. Überdies sei über die Anzahlung von 129.310,35 € hinaus auch ein Eingang weiterer Rechnungen in Höhe von rund 150.000,- € brutto im Hinblick auf bauvorbereitende Aufwendungen sowie im Hinblick auf die Fertigstellung von Fenstern sowie den Abriss und die Entsorgung auf dem Grundstück D… Straße 138/F… Straße 10 festzustellen, die als Bauleistungen der Klägerin gegenüber der C… GmbH anzusehen seien. Auch die Tatsache, dass die Klägerin am 17.01.2007 zwei Abschlagsrechnungen in Höhe von jeweils 126.050,42 € netto an die S gerichtet habe, spreche dafür, dass die Klägerin in 2006 faktisch die 10-%-Grenze überschritten habe. Darauf deuteten auch Rechnungen der G… GmbH hin, die Ende 2006 – offensichtlich zur Abkürzung des Rechnungswegs – an die C… GmbH direkt gerichtet worden seien.

Einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 23.03.2009 7 V 7278/08, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2009, 1166 stattgegeben.

Dem Gericht haben die Streitakte des Verfahrens 7 V 7278/08 sowie je eine Umsatzsteuer-, Betriebsprüfungs-, Umsatzsteuer-Voranmeldungs-, Sonder- und Bilanzakte vorgelegen, die vom Finanzamt Oranienburg für die Klägerin unter der Steuernummer … geführt werden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid i.S. des § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- nicht in ihren Rechten verletzt. Der Beklagte hat die streitbefangenen Eingangsleistungen der Klägerin im Ergebnis zu Recht der Einbehaltungs- und Abführungspflicht gemäß § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 unterworfen.

Die Klägerin war selbständige Unternehmerin, da die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 2007 erforderliche wirtschaftliche Eingliederung nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten mangels eines nennenswerten Leistungsaustauschs zwischen der Klägerin und der damaligen B… AG nicht vorlag.

Nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 entsteht die Steuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Schuldner der so beschriebenen Umsatzsteuer ist der Leistungsempfänger, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2007 erbringt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2007).

Diese Regelung geht zurück auf Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie zur Mehrwertsteuer – 77/388/EWG -6. EG-Richtlinie- und die auf dieser Grundlage ergangene Entscheidung des Rates vom 30.03.2004 2004/290/EG, Amtsblatt der EU 2004, L 94/59. Da die seit dem 01.01.2007 geltende Mehrwertsteuersystemrichtlinie – 2006/112/EG -MwStSystemRL- eine gleich lautende Regelung enthält, gilt die Entscheidung 2004/290/EG auch im Streitjahr. Nach Art. 2 Nr. 1 dieser Entscheidung kann die Bundesrepublik Deutschland bei der Erbringung von Bauleistungen an einen Steuerpflichtigen den Empfänger der Gegenstände oder Dienstleistungen als Mehrwertsteuerschuldner bestimmen.

Mit dieser Ermächtigung steht § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 grundsätzlich im Einklang. Der Begriff „Bauleistungen“ in Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 2004/290/EG umfasst auch Werklieferungen (Gerichtshof der Europäischen Union -EuGH-, Urteil vom 13.12.2012 C-395/11 – BLV, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2012, 2593, Rz 26 ff.). Der Gesetzgeber des UStG durfte die Anwendung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2007 auch auf Bauleistungen beschränken, die an Leistungsempfänger erbracht werden, die ihrerseits Bauleistungen erbringen (EuGH, Urteil vom 13.12.2012 C-395/11 – BLV, DStR 2012, 2593, Rz 42 ff.).

Dass die streitigen Leistungen Bauleistungen i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 darstellen, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Der Beklagte geht im Ergebnis zu Recht davon aus, dass auch die Klägerin im Streitjahr i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG ein Unternehmer war, der solche Bauleistungen erbringt. Denn gegenüber ihrer Auftraggeberin C… GmbH erbrachte die Klägerin im umsatzsteuerlichen Sinne die auf den Grundstücken der C… GmbH durchgeführten Bauleistungen, auch wenn sie sich dafür der Dienste eines bzw. mehrerer Subunternehmer (und deren Subunternehmer) bediente (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b Rz. 373, 379). Dabei ist unbeachtlich, dass im umsatzsteuerlichen Sinn die Bauleistung erst mit der Vollendung des Werks, d.h. mit der Übergabe und Abnahme, i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG ausgeführt ist (Bundesministerium der Finanzen -BMF-, Schreiben vom 12.10.2009, Bundessteuerblatt -BStBl- I 2009, 1292 - Merkblatt zur Umsatzbesteuerung in der Bauwirtschaft). Denn die Gesetzesfassung des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG und der Wortlaut der dieser zugrunde liegenden Entscheidung 2004/290/EG in der Gegenwartsform („erbringt“ bzw. „bei der Erbringung“) lässt es zu, auch solche Unternehmer unter § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG zu fassen, die in der Vergangenheit noch keine Bauleistungen erbracht haben, deren unternehmerisches Wirken jedoch in der Gegenwart bereits über Vorbereitungshandlungen zur Erbringung von Bauleistungen hinaus gegangen und in den zeitlich gestreckten Vorgang der Leistungserbringung eingetreten ist (in diesem Sinne wohl auch Finanzgericht -FG- Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2011 9 K 5187/08, EFG 2012, 282, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 21/11; Gerber, Neue Wirtschaftsbriefe -NWB- 2013, 1009 [1013]). Diese Auslegung entspricht auch dem aus Ziff. 2 der Erwägungsgründe der Entscheidung 2004/290/EG erkennbaren Zweck des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007, Umsatzsteuerverkürzungen insbesondere in Subunternehmerketten zu vermeiden (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b Rz 378, 381). Denn solche Verkürzungen können bereits im Zuge der Erbringung der ersten Bauleistung auftreten. Im Übrigen könnten interessierte Kreise die Anwendung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG 2007 andernfalls dadurch verhindern, dass sie für jedes Bauprojekt eine eigene Gesellschaft gründen, die jeweils vor Ablauf eines Kalenderjahrs oder nach Abschluss der Baumaßnahme ihre Tätigkeit einstellt.

Auch die Interessen der beteiligten Unternehmer sprechen für ein Abstellen auf die aktuell ausgeführten Leistungen. Für die beteiligten Unternehmer muss vorhersehbar sein, ob die Regelung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG eingreift (EuGH, Urteil vom 13.12.2012 C-395/11 – BLV, DStR 2012, 2593, Rz 46 ff.). Denn der Leistende muss für die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten wissen, ob sein Auftraggeber i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2007 Bauleistungen erbringt. Wenn er zu Unrecht die Abführung der Umsatzsteuer dem Leistungsempfänger überlässt, droht ihm die nachträgliche Inanspruchnahme durch sein Betriebsfinanzamt. Wenn er zu Unrecht Umsatzsteuer in Rechnung stellt, droht ihm u.U. zivilrechtlich die Rückforderung durch den Leistungsempfänger und gleichzeitig die Inanspruchnahme nach § 14c Abs. 2 UStG 2007. Der Leistungsempfänger muss wissen, ob er zur Einbehaltung und Abführung verpflichtet ist, weil ihm bei einem Verstoß - wie im Streitfall - die Nachforderung durch sein Betriebsfinanzamt droht. Wenn er zu Unrecht die Steuer einbehält, droht ihm ggf. die zivilrechtliche Inanspruchnahme in Höhe des Umsatzsteuerbetrags durch den Leistenden (vgl. FG Münster, Urteil vom 01.09.2010 5 K 3000/08 U, EFG 2011, 278, Revision anhängig unter dem Az. V R 37/10; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2011 9 K 5187/08, EFG 2012, 282, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 21/11; Mößlang in Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rz 39). Der Leistende kann eher die aktuelle unternehmerische Tätigkeit eines Auftraggebers einschätzen als dessen Tätigkeit in der Vergangenheit. Der Auftraggeber kann sicherlich seine vergangene Tätigkeit besser einschätzen als seine aktuelle, wenn für ihn unklar ist, ob sich Aufträge für Bauleistungen ergeben oder ob solche Aufträge tatsächlich ausgeführt werden. In Zweifelsfällen kann er jedoch die Umsatzsteuer einbehalten und abführen und einen etwaigen Erstattungsanspruch – für den Fall, dass sich herausstellt, dass er doch keine Bauleistungen erbracht hat – an den Leistenden abtreten. Die Anwendung des § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG 2007 begegnet bei dieser Auslegung keinen größeren Schwierigkeiten, als sie üblicherweise mit der Anwendung von Rechtsnormen verbunden sind, und ist daher im Sinne der o.g. EuGH-Rechtsprechung ausreichend vorhersehbar.

Das Gericht folgt daher nicht der für das Streitjahr geltenden Auffassung der Finanzverwaltung, die im Wesentlichen nur auf die in der Vergangenheit ausgeführten Umsätze abstellt. So sollte nach dem im Streitjahr geltenden Abschn. 182a Abs. 10 Satz 4 Umsatzsteuer-Richtlinien -UStR- 2005 (ebenso Abschn. 182a Abs. 10 Satz 3 UStR 2008) ein Unternehmer, der im Zeitpunkt der an ihn ausgeführten Bauleistungen keine nachhaltigen Umsätze i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG 2007 erbracht hatte, kein Steuerschuldner i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2007 sein. Erst recht ungeeignet, eine für beide Beteiligte einschätzbare Rechtslage über die Einbehaltungs- und Abführungspflicht herbeizuführen, ist die in Abschn. 182a Abs. 10 Satz 3 UStR 2005 (heute: Abschn. 13b.3 Abs. 2 Umsatzsteuer-Anwendungserlass -UStAE-) enthaltene 10-%-Grenze, weil diese für den Leistenden nicht erkennbar und überprüfbar ist (Bundesfinanzhof -BFH-, Vorlagebeschluss vom 30.06.2011 V R 37/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 233, 477, BStBl II 2011, 842, Rz 58; FG Münster, Urteil vom 01.09.2010 5 K 3000/08 U, EFG 2011, 278, Revision anhängig unter dem Az. V R 37/10; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2011 9 K 5187/08, EFG 2012, 282, Revision anhängig unter dem Aktenzeichen XI R 21/11; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b Rz 385; Gerber, NWB 2013, 1009 [1013]).

Inzwischen hat die Finanzverwaltung allerdings ihre Auffassung revidiert und geht seit dem BMF-Schreiben vom 16.10.2009 (BStBl I 2009, 1295, Abs. 4; ebenso Abschn. 13b.3 Abs. 2 Satz 4 UStAE) davon aus, dass ein Unternehmer, der zunächst keine Bauleistungen ausgeführt hat und beabsichtigt, derartige Leistungen zu erbringen, schon vor der erstmaligen Erbringung von Bauleistungen als bauleistender Unternehmer anzusehen ist, wenn er nach außen erkennbar mit ersten Handlungen zur nachhaltigen Erbringung von Bauleistungen begonnen hat. Nach seinem Abs. 9 ist dieses BMF-Schreiben jedoch erst auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2009 ausgeführt werden.

Zu einem Erfolg der Klage würde es nicht führen, wenn die für den Veranlagungszeitraum 2007 geltenden Verwaltungsanweisungen (insbesondere Abschn. 182a Abs. 10 Sätze 4 und 5 UStR 2005) dahingehend zu verstehen wären, dass die streitbefangenen Leistungen nicht der Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG zu unterwerfen wären. Denn diese Verwaltungsanweisungen binden das Gericht nicht. Das gleiche gilt grundsätzlich auch für Abs. 9 des BMF-Schreibens vom 16.10.2009 (BStBl I 2009, 1295), das die Finanzbehörden anweist, die darin niedergelegten, von früheren Verwaltungsanweisungen abweichenden Grundsätze, erst für Umsätze anzuwenden, die nach dem 31.12.2009 ausgeführt wurden. Die Finanzbehörden dürfen danach für früher ausgeführte Leistungen nicht darauf abstellen, dass ein Unternehmer nach außen erkennbar mit ersten Handlungen zur nachhaltigen Erbringung von Bauleistungen begonnen hat. Es kann dahin stehen, ob dadurch dem Beklagten untersagt wurde, auf rein faktisch vorgenommene Bautätigkeiten abzustellen, die sich noch nicht in Lieferungen oder sonstigen Leistungen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG konkretisiert hatten. Denn diese Anweisung bindet die Finanzgerichte ebenfalls nicht. Sie stellt nur eine Anweisung an die Finanzbehörden dar, auf Antrag der Steuerpflichtigen entsprechende Billigkeitsmaßnahmen in Gestalt abweichender Steuerfestsetzungen aus Billigkeitsgründen (§ 163 Abgabenordnung -AO-) zu treffen. Insoweit handelt es sich um gesonderte Verwaltungsverfahren, die zwar äußerlich mit der Steuerfestsetzung verbunden sein können, jedoch eine eigenständige verfahrensrechtliche Behandlung erfahren (BFH, Urteil vom 28.02.2013 III R 94/10, DStR 2013, 1014 unter II.4.a; Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl. 2012, § 163 Rz 2 m.w.N.). Darauf ist die Klägerin auch mit Verfügung vom 09.08.2011 hingewiesen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits einen Billigkeitsantrag gestellt hat, bestehen nicht. Vielmehr hat sie lediglich angekündigt, einen solchen bei einem für sie ungünstigen Verfahrensausgang stellen zu wollen. Anlass für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO besteht daher nicht.

Schließlich ergibt sich zugunsten der Klägerin für das hiesige Verfahren auch nichts daraus, dass der EuGH (Urteil vom 13.12.2012 C-395/11 – BLV, DStR 2012, 2593, Rn 49) den nationalen Gerichten aufgegeben hat, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die nachteiligen Folgen einer den Grundsatz der Rechtssicherheit verletzenden Anwendung der in Rede stehenden Vorschriften auszugleichen. Das dafür erforderliche Instrumentarium besteht in den Vorschriften der §§ 163, 227 AO, über die ggf. berücksichtigt werden kann, dass durch die nach Auffassung des Gerichts unzutreffenden Auslegungsbemühungen der Finanzverwaltung bei der Klägerin möglicherweise der Eindruck entstehen konnte, sie sei nicht zur Einbehaltung und Abführung der streitigen Steuer verpflichtet. Es besteht keine Verpflichtung, solche Erwägungen bereits auf der Ebene der Steuerfestsetzung zur Geltung zu verhelfen. Insoweit ist zu verweisen auf die ebenfalls unionsrechtlich motivierte Rechtsprechung zu § 14 Abs. 3 UStG a.F. (BFH, Urteil vom 22.02.2001, V R 5/99, BFHE 194, 506, BStBl. II 2004, 143) oder zum Vertrauensschutz beim Vorsteuerabzug (BFH, Urteile vom 08.10.2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473; vom 30.04.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744; vom 08.07.2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256; vom 12.08.2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; kritisch insoweit Stapperfend, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2013, 321).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.