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Schengen-Visum für familiären Besuchsaufenthalt; begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft; wirtschaftliche Existenzgrundlage im Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 29.07.2014
Aktenzeichen OVG 11 N 19.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, Art 32 Abs 1b EGV 810/2009

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. August 2012 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Das Verwaltungsgericht hat es durch Urteil vom 15. August 2012 abgelehnt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft in Ankara vom 17. April 2012 zu verpflichten, dem Kläger ein Besuchsvisum zu erteilen. Der gegen dieses Urteil gerichtete Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Kläger hat den von ihm der Sache nach geltend gemachten Berufungszulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet dargelegt. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechts- oder Tatfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Rechtsmittelverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (ständige Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 29 April 2014 – OVG 11 N 74.14 –; zum Revisionsrecht: BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 –, NJW 1997, 3328). Das lässt sich der Begründung des Berufungszulassungsantrags nicht entnehmen.

Die vom Kläger mehrfach aufgeworfene Frage, ob der Visakodex - VK - einen gebundenen Anspruch auf Erteilung eines Schengen-Visums begründet, ist nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht begründete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft des Klägers angenommen und damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs verneint hat.

Die vom Kläger weiterhin aufgeworfene Frage, ob Zweifel an seiner Rückkehrbereitschaft von der Beklagten begründet dargelegt werden müssten oder ob er selbst solche Zweifel ausräumen müsse, begründen ebenfalls keinen obergerichtlichen Klärungsbedarf. Wie schon der Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 lit. b VK belegt, ist es für die zuständigen Behörden nicht erforderlich, insoweit „Gewissheit zu erlangen“, vielmehr genügen „begründete Zweifel“ an der bekundeten fristgerechten Verlassensabsicht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-84/12, Rs. Koushkaki, juris Rz. 68). Zu diesem Zweck bedarf es einer individuellen Prüfung des Antrags, die die allgemeinen Verhältnisse im Wohnsitzstaat des Antragstellers und seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine familiäre, soziale und wirtschaftliche Situation, etwaige frühere rechtmäßige oder rechtswidrige Aufenthalte in einem Mitgliedsstaat sowie seine Bindungen im Wohnsitzstaat und in den Mitgliedsstaaten berücksichtigt. Gemäß Art 21 Abs. 1 VK ist dabei insbesondere zu beurteilen, wie hoch das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung ist. Dabei obliegt es dem Antragsteller gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. d) VK, geeignete Angaben zu machen und deren Glaubhaftigkeit durch sachdienliche und vertrauenswürdige Unterlagen nachzuweisen, um Zweifel an seiner rechtzeitigen Rückkehrabsicht zu entkräften (vgl. EuGH, a.a.O., Rz. 69 ff.; Senatsurteil vom 20. Juni 2014 – 11 B 13.14 –, juris, Rz. 27).

Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es auch keiner Klärung, ob ein lediger Antragsteller überhaupt die Möglichkeit habe, ein Schengen-Visum zu erlangen. Denn von der Beantwortung dieser Frage hängt die Entscheidung des Falles nicht ab. Vielmehr ist nach der Rechsprechung des Senats (Urteil vom 20. Juni 2014, a.a.O., Rz. 28, m.w.N.) auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen und somit unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine umfassende Risikobewertung bzw. einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit einer nicht rechtzeitigen Ausreise oder rechtswidrigen Einwanderung, der Schwere der mit einer illegalen Immigration verbundenen Gefahren und des Schutzes von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCH vorzunehmen. Anhaltspunkte, d.h. äußere Umstände, die den Rückkehrwillen als innere Tatsache zu belegen geeignet sind, lassen sich dabei aus Art. 14 Abs. 1 lit. d) i.V.m. Abs. 3 und Anhang II lit. B VK entnehmen. Dazu gehören beispielsweise die Buchung eines Rückreisetickets, der Nachweis finanzieller Mittel, eines Arbeitsverhältnisses und von Immobilienbesitz sowie die sonstige Eingliederung in den Wohnsitzstaat einschließlich dortiger familiärer Bindungen. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen und hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung darauf abgestellt, dass dem Kläger nicht nur eine ausreichende familiäre Verwurzelung in seinem Heimatland fehle, sondern dass er auch nicht nachgewiesen habe, dort wirtschaftlich verwurzelt zu sein. So habe er keine Belege für ein regelmäßiges Einkommen oder Vermögen eingereicht.

Auch stünden seine Angaben, er verwalte die Häuser seines Vaters und bewirtschafte die Ländereien, im Widerspruch zu seinen Angaben bei Beantragung des Visums, er habe ein Bandscheibenleiden, könne nicht arbeiten und sei daher seit sechs Monaten arbeitslos.

Mit seinem Hinweis auf den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Februar 2012 – VG 4 K 35.11 V – zeigt der Kläger ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf. Abgesehen davon, dass der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen mittlerweile durch Urteil vom 19. Dezember 2013 (a.a.O.) beantwortet hat, ist auch das Verwaltungsgericht im hier angefochtenen Urteil nicht davon ausgegangen, dass es von der Rückkehrbereitschaft des Klägers überzeugt sein müsse, sondern dass es darauf ankomme, ob an seiner Rückkehrbereitschaft begründete Zweifel bestünden.

Soweit der Kläger im Übrigen die seinen Einzelfall betreffenden Subsumtionen der Beklagten und des Verwaltungsgerichts angreift, zeigt er keine entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatfragen von allgemeiner Bedeutung auf. Sollte seinem diesbezüglichen Vortrag die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu entnehmen sein, hätte er auch diesen Berufungszulassungsgrund nicht dargetan. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 f.) und nicht nur die Begründung der angefochtenen Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 Nr. 33). Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht vermissten Belege für ein regelmäßiges Einkommen oder Vermögen auch mit seinem Rechtsbehelf nicht nachgereicht. Die von ihm einzig vorgelegten (im Übrigen unübersetzten) Kopien, bei denen es sich um Grundbuchauszüge über in der Türkei belegene Grundstücke seiner Großmutter handeln soll, sind für sich allein nicht geeignet, seine eigene wirtschaftliche Verwurzelung in seinem Heimatland glaubhaft zu machen. Ebenso wenig hat der Kläger glaubhaft gemacht, dass er für die Bewirtschaftung und Verwaltung des Grundbesitzes seiner Familie in der Türkei unabkömmlich sei. Auf den ihm vom Verwaltungsgericht vorgehaltenen Widerspruch zu seinen Angaben im Visumantragsverfahren geht der Kläger nicht einmal ein. Die von ihm behaupteten familiären Bindungen an sein Heimatland (Schwester, Tante sowie ca. 40 Cousinen und Cousins) hat er weder glaubhaft gemacht noch auch nur näher substantiiert. Schließlich ist der Beklagten zuzustimmen, dass auch das Angebot einer Kaution durch den Vater des Klägers nicht geeignet ist, die bestehenden Rückkehrzweifel zu überwinden oder gar die Rückkehr des Klägers sicher zu stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).