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Einstweilige Anordnung in Kindschaftssachen – Notwendigkeit eines Verfahrensbeistandes bei Beendigung des Wechselmodells; Entscheidungsmaßstab


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 30.01.2019
Aktenzeichen 13 UF 1/19 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

1. § 158 FamFG gilt grundsätzlich auch im Eilverfahren (vgl. Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, FamFG § 158 Rn. 4, beck-online). Dementsprechend hat das Gericht dem min-derjährigen Kind - und zwar grundsätzlich auch in einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 51 Abs. 2 Satz 1 FamFG) - wegen § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG einen Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn ein zuvor geregeltes Wechselmodell durch gerichtliche Entscheidung beendet und das Kind in die Obhut nur noch eines Elternteils gegeben werden soll (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. September 2018 – 6 UF 100/18 –, juris).

2. Wird von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in den in § 158 Abs. 2 FamFG aufgeführten Regelfällen abgesehen, ist dies nach Abs. 3 Satz 3 dieser Bestimmung in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen. Wird das Absehen von der Bestellung nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (vgl. Zorn in: Bork/Jakobi/Schwab, FamFG, 2. Aufl., § 158, Rn. 16 m.w.N.).

3. Das dringende Bedürfnis zum sofortigen, einstweiligen Einschreiten (§ 49 Abs. 1 FamFG) besteht, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des jeweiligen Antragstellers entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch vorläufige Maßnahmen eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln sind, wenn sich dessen Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2018 – 13 UF 101/18 –, juris). Dabei kann in Betracht kommen, im Rahmen der einstweiligen Anordnung derjenigen Handhabung den Vorzug zu geben, die in größtmöglichem Umfang die bisher maßgeblichen Faktoren für die Obhut und Erziehung des Kindes beibehalten (vgl. Senat, Beschluss vom 03. August 2018 – 13 UF 111/18 –, Rn. 13, juris).

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nauen vom 26.11.2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 1.500 €

II. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

-

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die einstweilige Übertragung des Schulwahlrechts für seine Tochter auf deren Mutter, die Antragstellerin, dessen Übertragung er auf sich erstrebt. Zugleich erbittet er die Aussetzung der Vollziehung des diesbezüglichen amtsgerichtlichen Beschlusses vom 26.11.2018.

Die in Scheidung lebenden Antragsbeteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern der am 30.09.2013 geborenen Yvaine, haben sich im November 2016 getrennt, und betreuen ihre Tochter im Wechselmodell.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist (49 ff), hat das Amtsgericht die Entscheidungsbefugnis über die Schulwahl im Wege der einstweiligen Anordnung der Antragstellerin übertragen. Bei der Anmeldung des Kindes in der von der Mutter favorisierten Grundschule in Falkensee seien die Kindesbelange besser gewahrt, als bei einer Anmeldung in einer Berliner Grundschule.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt der Antragsgegner die Übertragung des Schulwahlrechts auf sich uneingeschränkt weiter. Er beanstandet die unterlassene Anhörung des Kindes und die Bezugnahme auf eine bereits länger zurückliegende Anhörung als verfahrensfehlerhaft und favorisiert nunmehr eine neu gewählte Grundschule in Berlin, durch deren Auswahl dem Kindeswohl deutlich besser zu entsprechen sei. Zuletzt erbittet er in Ansehung einer fehlenden Bestellung eines Verfahrensbeistandes die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.

Dass Jugendamt favorisiert die Beibehaltung des Wechselmodells und spricht sich für eine Schulwahl aus, die die Kontakte des Kindes mit seinen Schulfreunden zulässt und die damit verbundenen Schulwege für beide Eltern bewältigbar hält.

Die Beschwerdegegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und tritt dem Zurückverweisungsantrag entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat, dem die Akten des Amtsgerichts Nauen 24 F 71/17, 24 F 289/17 und 24 F 98/18 vorlagen, auf den Schriftsatzwechsel im Beschwerdeverfahren sowie auf seinen Hinweis vom 08.01.2019 (98 f.). Er entscheidet, wie dort angekündigt, ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war. Eine erneute Anhörung der Beteiligten ist zudem entbehrlich, wenn der angefochtene Beschluss in jedem Fall aufzuheben ist (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger/Roßmann, FamFG, 5. Aufl., § 68 Rn. 41 m.w.N.).

II.

Die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg insoweit, als sie zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über das Schulwahlrecht und gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht führt.

Das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Pflicht zur Bestellung eines geeigneten Verfahrensbeistandes für das Kind verstoßen. § 158 FamFG gilt grundsätzlich auch im Eilverfahren (vgl. Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, FamFG § 158 Rn. 4, beck-online). Dementsprechend hat das Gericht dem minderjährigen Kind - und zwar grundsätzlich auch in einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 51 Abs. 2 Satz 1 FamFG) - wegen § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG einen Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn ein zuvor geregeltes Wechselmodell durch gerichtliche Entscheidung beendet und das Kind in die Obhut nur noch eines Elternteils gegeben werden soll (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 10. September 2018 – 6 UF 100/18 –, juris). Hiervon ist auszugehen, denn bei Übertragung des Schulwahlrechts auf die Antragstellerin wäre die Aufrechterhaltung des Wechselmodels nachhaltig gefährdet, da ein Schulbesuch des Kindes vom Wohnort des Antragsgegners aus mit vier Stunden Fahrtzeit täglich praktisch nicht mehr umsetzbar wäre, wie der Antragsgegner im Übrigen bereits im Termin am 26. 11. 2018 ausdrücklich ausgeführt hat (45). Die sich daraus ergebende Konsequenz eines fortan alleinigen Lebensmittelpunktes bei nur einem Elternteil drängt sich unabweisbar auf und war bereits im Bericht des Jugendamtes vom 19.11.2018 unmissverständlich angesprochen, ebenso wie eine dann im Raum stehende sachverständige Begutachtung (29).

Unabhängig davon, dass auch bei Eilbedürftigkeit von der Bestellung eines Verfahrensbeistands bei Vorliegen eines Regelbeispiels nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen abgesehen werden soll, besteht nach § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG für das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands eine Begründungspflicht (vgl. MüKoFamFG/Schumann, 3. Aufl. 2018, FamFG § 158 Rn. 14). Wird von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in den in § 158 Abs. 2 FamFG aufgeführten Regelfällen abgesehen, ist dies nach Abs. 3 Satz 3 dieser Bestimmung in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen. Wird das Absehen von der Bestellung nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (vgl. Zorn in: Bork/Jakobi/Schwab, FamFG, 2. Aufl., § 158, Rn. 16 m.w.N.).

Hier hat es das Amtsgericht - neben der fehlenden Bestellung eines Verfahrensbeistands (§ 158 Abs. 2 FamFG) - entgegen § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG unterlassen, die fehlende Bestellung zu begründen.

Dies und die unterlassene Bestellung eines Verfahrensbeistands führt, wie vom Beschwerdeführer beantragt, und um ihm keine Tatsacheninstanz zu entziehen, zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht, damit dieses die notwendigen, einer Beweiserhebung i.S. § 69 Abs. 1 S 3 FamFG hier gleichstehenden (vgl. MüKoFamFG/Ansgar Fischer FamFG 2. Aufl. § 69 Rn. 45; Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl., § 69 FamFG, Rn. 10 m.w.N.), Ermittlungen (§ 26 FamFG) durch dessen Bestellung und Anhörung sowie erforderlichenfalls durch eine Kindesanhörung nachholt.

Die Sache ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin keineswegs entscheidungsreif. Das dringende Bedürfnis zum sofortigen, einstweiligen Einschreiten (§ 49 Abs. 1 FamFG) besteht, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des jeweiligen Antragstellers entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch vorläufige Maßnahmen eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln sind, wenn sich dessen Antrag in der Hauptsache als erfolglos erweisen sollte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2018 – 13 UF 101/18 –, juris). Dabei kann in Betracht kommen, im Rahmen der einstweiligen Anordnung derjenigen Handhabung den Vorzug zu geben, die in größtmöglichem Umfang die bisher maßgeblichen Faktoren für die Obhut und Erziehung des Kindes beibehalten (vgl. Senat, Beschluss vom 03. August 2018 – 13 UF 111/18 –, Rn. 13, juris). Die Situation des Kindes ist derzeit geprägt durch ein bereits dauerhaft gelebtes Wechselmodel, mit erheblichen Anhaltspunkten für eine gleichstarke Bindung des Kindes zu beiden Eltern. Bei Übertragung des Schulwahlrechts auf die Antragstellerin wäre die Aufrechterhaltung des Wechselmodels nachhaltig gefährdet, da ein Schulbesuch des Kindes vom Wohnort des Antragsgegners aus mit vier Stunden Fahrtzeit täglich praktisch nicht umsetzbar wäre, wie bereits ausgeführt. Dies könnte die Gefahr vermeidbarer Rupturen in dem Beziehungsgefüge des Kindes bergen, das wiederherzustellen wäre, wenn in der Hauptsache eine wechselmodellverträgliche Schulwahl dem Antragsgegner zuzuordnen wäre.

Die Anmeldefrist ist nach dem Bericht des Jugendamtes vom 15.11.2019 noch offen (vgl. 126). Dass die Eltern auf eine Anhörung des Kindes verzichtet hätten, ergibt sich weder aus dem Terminsvermerk vom 26.11.2018, noch aus dem angefochtenen Beschluss. Die Anhörung des damals 3-jährigen Kindes am 29.06.2017 hatte weder Willen noch Interesse des Kindes an seiner Einschulung zum Gegenstand (vgl. 67, 68 in 24 F 71/17).

Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG. Die übrige Kostenentscheidung über das Beschwerdeverfahren ist dem Amtsgericht vorzubehalten (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG, 5. Aufl., § 69, Rn. 29 m.w.N.).

Die Wertfestsetzung folgt aus den §§ 55 Abs. 2, 40, 41 Satz 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

III.

Verfahrenskostenhilfe konnte dem Beschwerdeführer mangels feststellbarer Bedürftigkeit (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 S. 1, 119 ZPO) nicht gewährt werden.

Die Angaben in seiner Erklärung vom 10.01.2019 sind in einem wesentlichen Punkt unvollständig und im Übrigen unplausibel.

Der Beschwerdeführer hat unter dem Punkt C zum Thema Unterhaltsanspruch gegenüber anderen Personen keinerlei Angaben gemacht (16 VK), obwohl nach dem Akteninhalt (vgl. 45) vermögende Eltern, die sogar für ihr Enkelkind leistungsbereit wären, in Betracht kommen.

Die Angaben des Beschwerdeführers in der genannten Erklärung sind unplausibel, weil seinen dort mitgeteilten Einnahmen von 1000 € monatlich Ausgaben von insgesamt 1055,04 € gegenüberstehen und der Beschwerdeführer auf diese Weise schon seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könnte, und erst recht nicht die Unterhaltskosten für seine Tochter im Wechselmodell.

Ein Hinweis auf Unvollständigkeiten in wesentlichen Punkten der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist, worauf der Senat vorsorglich hinweist, entbehrlich, wenn der Antragsteller anwaltlich vertreten wird (vgl. Musielak/Fischer, ZPO, 14. Aufl., § 117, Rn. 19; Götsche, in Horndasch/Viefhues, FamFG, 2. Aufl. § 76, Rn. 121, jew. m.w.N.), wie hier.