Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung VG 6 L 474/14.A


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 19.06.2014
Aktenzeichen VG 6 L 474/14.A ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG, Art 3 Abs 2 EUV 604/2013, Art 25 Abs 2 EUV 604/2013

Leitsatz

Nicht besonders schutzwürdige Asylantragsteller unterliegen in Italien grundsätzlich keinen systemischen Mängeln des Asyl-/Aufnahmeverfahrens

Tenor

Der Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Der gem. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG statthafte und innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG am 2. Juni 2014 – nach Zustellung des maßgeblichen Bescheides am 28. Mai 2014 – angebrachte Eilrechtsschutzantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Im Rahmen der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland bis zum Abschluss des Klageverfahrens und dem öffentlichen Interesse an einem Vollzug der auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Mai 2014 überwiegt unter Berücksichtigung aller derzeit erkennbaren Umstände letzteres. Denn der auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Bundesamtsbescheid dürfte sich als rechtmäßig erweisen und es liegen keine Gründe zu Tage, die gleichwohl eine Aussetzung der umstrittenen Abschiebungsanordnung gebieten könnten.

Italien ist nach Maßgabe des insoweit gem. Art. 49 Satz 2 der Verordnung (EU) 604/2013 („Dublin III-VO“) anwendbaren Zuständigkeitsregimes dieser Verordnung für die Prüfung des am 17. Januar 2014 in Deutschland angebrachten Asylantrages des Antragstellers zuständig.

Auf ein früheres Schutzgesuch des Antragstellers nach seiner angeblich am 6. Dezember 2013 erfolgten Einreise ins Bundesgebiet, etwa bei dortigen Stellen in Bayern, kommt es nicht an, da eine Asylantragstellung nur unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 AsylVfG gegeben ist, mithin grundsätzlich mit dem Erscheinen des Ausländers bei der (zuständigen) Außenstelle des Bundesamtes.

Angesichts der eigenen Angaben des Antragstellers im Verwaltungsverfahren, etwa drei Monate in Italien gewesen zu sein, bevor er mit einem Zug nach Deutschland weitergereist sei, erscheint die unionsrechtliche Zuständigkeit Italiens nicht zweifelbehaftet. Auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bundesamtsbescheides wird Bezug genommen.

Es trifft nach Aktenlage insbesondere zu, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antragsteller mit zwei Eurodac-Treffern („IT2BN009DM“ bzw. „IT2AG0395H“) als zuvor in Italien erkennungsdienstlich erfassten Ausländer identifiziert hat. Soweit es die italienische Behörde vergeblich um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht hat, ist die Zustimmungsfiktion des Art. 25 Abs. 2 (2. Alt.) Dublin III-VO nach Ausbleiben einer rechtzeitigen gegenteiligen Mitteilung der italienischen Behörde eingetreten. Daher erschließt sich nicht, weshalb Deutschland entgegen dem Postulat in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO zuständig sein sollte, wonach ein innerhalb der Europäischen Union angebrachter Asylantrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat, nämlich dem zuständigen, geprüft wird.

Es liegen keine Gründe für einen nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zulässigen Selbsteintritt Deutschlands in die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zu Tage. Der Antragsteller hat insbesondere keinen subjektiven, öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass Deutschland nach freiem Ermessen von der dort vorgesehen Möglichkeit eines Selbsteintritts in sein Asylverfahren Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 -, NVwZ 2014, 129). Eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – hier nach Italien – scheidet vielmehr lediglich dann aus, wenn diese Überstellung den Betreffenden der tatsächlichen Gefahr aussetzte, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh unterworfen zu sein (so bereits EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417). Dabei stehen einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Systems nicht schon (irgend)eine Verletzung von EU-Recht, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle „systemischer Mängel“ entgegen (vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, ZAR 2013, S. 331, unter Bezugnahme u.a. auf EGMR, Beschluss vom 2. April 2014 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336), sondern einzig außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe, wie es in Art. 16 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO bereits angelegt ist.

Mit Blick auf die Entscheidungen des EGMR (vom 2. April 2013, Nr. 27725/10; ZAR 2013, 336; und vom 18. Juni 2013, Nr. 53825/11; ZAR 2013, 338), des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vom 25. September 2013, OVG 3 S 68.13; und vom 17. Juni 2013, OVG 7 S 33.13; juris), des Oberverwaltungsgerichts Sachsen- Anhalt (vom 14. November 2013 - 4 L 44/13 -, juris), des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen (vom 30. Januar 2014 - 4 LA 167/13 -, AuAS 2014, 44) sowie der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz (vom 21. Februar 2014 - 10 A 10656/13.A -, juris) und Nordrhein-Westfalen (vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris), auf die sämtlich Bezug genommen wird und die sich mit der Situation in Italien in Auswertung nahezu aller ins Verfahren eingeführten Erkenntnisunterlagen befassen, können die immer wieder pauschal behaupteten systemischen Mängel des italienischen Asylverfahrens in dieser Allgemeinheit nicht angenommen werden.

Der Antragsteller hat seinen Antrag inhaltlich nicht einmal ansatzweise begründet; insbesondere hat er keine Umstände glaubhaft gemacht, die darauf schließen lassen könnten, dass er im Falle einer Rücküberstellung in seiner konkreten Situation systemischen Mängeln des italienischen Asyl- und/oder Aufnahmeverfahrens im beschriebenen Sinn ausgesetzt sein könnte.

Anders als er mit dem bloßen Hinweis gegenüber dem Bundesamt behauptet, dass er in Italien arbeits- und obdachlos gewesen sei, wird sein Asylantrag im Falle einer Rücküberstellung in Italien in einem funktionierenden Asylverfahren bearbeitet und wird er wahrscheinlich angemessen versorgt. Soweit er es in Italien unterlassen haben sollte, ein Asylgesuch anzubringen, so dass er sich als illegal eingereister Ausländer ohne staatliche oder sonstige Fürsorge irgendwo aufhielt, muss er sich diese Lage als selbstverschuldet zurechnen lassen. Es ist ihm nämlich zumutbar, in Italien ein Schutzgesuch anzubringen und seine Rechte dort zu verfolgen.

Ein Asylsuchender kann sowohl bei den Polizeihauptquartieren (Questuras) als auch bei der Grenzpolizei in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz stellen (vgl. aida-Report vom November 2013, S. 9). Dieser Antrag wird registriert und dem Asylsuchenden eine Unterkunft, bisweilen auch nur eine Notunterkunft zugewiesen. Freilich ist bekannt geworden, dass die Zuweisung einer Unterkunft einige Zeit – bis zu mehrere Monate – dauern kann, insbesondere in den italienischen Ballungsräumen (vgl. UNHCR, Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013, S. 6; gleichlautend von Dezember 2013; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2013, S. 2). Entgegen älteren Auskünften haben die zuständigen italienischen Behörden aber zwischenzeitlich erhebliche Anstrengungen unternommen, das Registrierungsverfahren für Asylanträge durch ein neues Onlinesystem und interne Anweisungen zu beschleunigen, die Bearbeitung von Einzelfällen im gesamten Verfahren zu verbessern und die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung zu überwachen und Verzögerungen entgegenzuwirken (UNHCR, a. a. O., S. 6). In dieser Übergangszeit sorgen an den Flughäfen Hilfsorganisationen für eine erste Betreuung der Asylsuchenden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 5), und der Staat sorgt in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber (CARA) für eine vorläufige Unterbringung. Anschließend erfolgt eine Unterbringung in den SPRAR- Einrichtungen und FER-Projekten. Selbige Einrichtungen stehen auch dann zur Verfügung, wenn Dublin-Rückkehrer bei noch nicht beendetem Asylverfahren wieder aufgenommen werden (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 3, und Auskunft vom 21. August 2013 an das OVG Magdeburg, S. 2).

Allerdings kann dieser Verfahrensgang angesichts der anhaltend hohen, derzeit offenbar sogar steigenden Zahl von Asylsuchenden insbesondere aus Afrika nicht immer gewährleistet werden. Es ist ferner bekannt geworden, dass in Mailand für die Registrierung eines Asylantrags in systemfremder Weise zusätzlich eine Wohnungsbestätigung des Asylsuchenden verlangt wird (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 5). Je nach Status des Asylsuchenden und nach konkretem Aufnahmeort ergibt sich ein recht unterschiedliches Bild, das oftmals von Überbelegungen und personellen Engpässen in den Aufnahmeeinrichtungen, bei der Verfahrensbearbeitung und in der Gesundheitsversorgung geprägt ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, S. 20 ff., amnesty international, Jahresbericht 2013 Italien).

Gleichwohl rechtfertigen diese überwiegend nur punktuellen Befunde nicht die Feststellung, dass in Italien gravierende, systemische Mängel bei der Aufnahme von Asylbewerbern bestehen, die in der Breite alle Asylsuchenden einer erniedrigenden Behandlung aussetzten. So ist festzustellen, dass die Anzahl der SPRAR-Plätze für das Jahr 2014 deutlich auf 16.000 erhöht werden soll (vgl. SFH, a. a. O., S. 5) und bereits im August 2013 bei 8.000 bis 10.000 lag (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. August 2013, S. 3). Hinzu kommen Unterbringungsplätze bei der CARA von über 8.000 Plätzen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. August 2013, a. a. O., S. 3) sowie nachgeordnet auf Gemeindeebene und über diverse Nichtregierungsorganisationen weitere, oftmals recht schlichte Unterkünfte oder auch nur Schlafplätze (hierzu im Einzelnen UNHCR, Juli 2013 S. 10 ff.). Soweit es allerdings um den Schutz von unbegleiteten oder von ihren Eltern bzw. Sorgeberechtigten getrennten Kindern (vgl. UNHCR, a. a. O., S. 19) oder psychisch erkrankte Menschen geht, kann eine Rücküberstellung in Einzelfällen unzumutbar sein. Dass das italienische Asylanerkennungsverfahren nicht den unionsrechtlichen Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011, ABl. L 337/9 „Qualifikationsrichtlinie n.F.“) entsprechen würde und insbesondere keinen Schutz vor einem Refoulement gewähren würde, hat der Antragsteller selbst nicht behauptet und ist auch nicht erkennbar (vgl. UNHCR, a. a. O., S. 20 f.).

Nach alledem kommt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nur ausnahmsweise für besonders schutzbedürftige Personen (vgl. Art. 21 Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013, ABl. L 180/96 „Aufnahmerichtlinie n.F.“; derzeit: Art. 17 Abs. 1 Richtlinie 2003/9/EG vom 27. Januar 2003, ABl. L 31/18 „Aufnahmerichtlinie a.F.“) ein Verbot der Rücküberstellung nach Italien in Betracht. Dass der Antragsteller diese Voraussetzungen erfüllt, macht er nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass hiermit keineswegs „die Mängelfreiheit des (italienischen) Asylsystems“ unterstellt wird; der Antragsteller hat aber nicht glaubhaft gemacht, dass ihn spezifische regelhafte Verstöße Italiens gegen die einschlägigen asyl- und/oder aufnahmerechtlichen Verpflichtungen in seiner konkreten Situation in erniedrigender bzw. unmenschlicher Weise betreffen können (vgl. zu diesem Maßstab: EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12 -, NVwZ 2014, 208; ferner: BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris). Insbesondere ist es trotz aller amtsbekannten Defizite des italienischen Asylverfahrens nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Antragsteller im Falle einer „Dublin-Rückführung“ sogleich Zugang zur dortigen Asylbehörde erhalten kann (vgl. z.B. UNHCR von Dezember 2013 unter 6.). Im Übrigen schulden die Mitgliedstaaten keine gleichen, insbesondere keine auf dem vergleichsweise hoch erscheinenden deutschen Niveau liegenden Asyl- und Aufnahmebedingungen, sondern die Einhaltung der unionsrechtlichen Verpflichtungen, ohne dass es regelhaft zu erniedrigenden und/oder unmenschlichen Verhältnissen in der konkreten Situation der betroffenen Person kommt (so bereits EuGH vom 21. Dezember 2011 a.a.O.).

Es steht dem Antragsteller im Dublin-System nicht frei, den zuständigen Mitgliedstaat nach eigenem Gutdünken auszuwählen, sondern es ist grundsätzlich der erste erreichte und von systemischen Mängeln freie Mitgliedstaat für die Prüfung des Schutzgesuchs zuständig. Der Antragsteller hat weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren ein konkretes Vorkommnis oder einen bestimmten Umstand angeführt, weshalb es ihm nicht mehr zumutbar gewesen sei, in Italien zu verbleiben, und der auf regelhafte Defizite des italienischen Asyl- und/oder Aufnahmeverfahrens weisen würde, die ihn persönlich treffen können. Er lässt nicht erkennen, dass und inwieweit er sich zur Durchsetzung seiner vermeintlichen Rechte vergeblich Gehör bei den zuständigen italienischen Stellen verschafft, sich ggf. auch um gerichtliche Hilfe und evt. um anwaltliche Unterstützung bemüht hat, was ihm in Deutschland aber offensichtlich mühelos möglich ist.

Außergewöhnliche humanitäre Gründe (vgl. Art. 16 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO) für einen Selbsteintritt Deutschlands in die Prüfung seines Asylantrages hat der Antragsteller ebenfalls nicht vorgebracht, geschweige denn glaubhaft gemacht, und sind bei ihm auch sonst in Bezug auf Italien nicht erkennbar.

Zuletzt hat der Antragsteller kein Abschiebungshindernis i.S.v. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht, das der Rückführung entgegenstehen könnte. Die Kostenfolgen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).