Gericht | VG Cottbus 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 26.03.2020 | |
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Aktenzeichen | 3 K 502/17.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0326.3K502.17.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger und dem Volk der Tadschiken zugehörig. Er reiste am 23. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. März 2016 einen Asylantrag. In seiner Anhörung vor dem Bundesamt trug er im Wesentlichen vor, er habe in Kunduz ein Handygeschäft besessen. Er habe von den Taliban Drohbriefe erhalten. Er solle an sie 40.000 US-Dollar zahlen und ihnen Handys überlassen. Er sei mit dem eigenen Tod oder mit dem eines Familienangehörigen bedroht worden. Nachdem sein Bruder getötet worden sei, habe er Afghanistan verlassen. In Kunduz lebten noch seine Eltern und fünf Schwestern.
Gemäß § 77 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes ab und verweist auf die Feststellungen in dem Bescheid vom 22. Februar 2017. Darin lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Asylanerkennung ab und erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutz nicht zu. Ferner wurde das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten hinsichtlich Afghanistans festgestellt und eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung erlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Kläger hat am 2. März 2017 Klage erhoben.
Nachdem er in der mündlichen Verhandlung seine Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen hat, beantragt er nunmehr,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Februar 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Afghanistans vorliegen.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16. März 2017 beantragt,
die Klage abzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Kläger informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift in der Gerichtsakte verwiesen.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (1 Hefter) verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 VwGO.
Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
Der Kläger hat im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG (1.), des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (2.) noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vor (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) (3.). Der Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2017 ist auch im Hinblick auf die Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) (4.).
Das Gericht nimmt auf die Feststellungen und Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG); ergänzend wird ausgeführt:
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall des Klägers nicht vor. Es fehlt an einer individuellen Verfolgung. Voraussetzung ist, dass die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung bzw. den Flüchtlingsschutz herleitet, ihm gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt worden sein muss.
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass bei verständiger Würdigung die geschilderte Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 – juris Rn. 8), sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel die Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen. Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 1994 – 9 C 434.93 – juris, und vom 19. März 1991 – 9 B 56/91 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesen Maßstäben kann dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Er konnte eine Überzeugungsgewissheit hinsichtlich einer Bedrohungslage zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Sinne einer Verfolgung nicht vermitteln.
Zwar glaubt das Gericht, dass der Bruder des Klägers nicht mehr am Leben ist. Der Kläger hat aber nicht überzeugend dargelegt, dass es sich bei den Personen, die ihn bedrohten, um Angehörige der Taliban gehandelt hat. So gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, „doch nicht gesagt zu haben, sicher zu sein, dass es Taliban waren“ und er nicht wisse, wer die Personen waren, „es hätten auch Erpresser gewesen sein“ können (S. 6 d. Anhörungsniederschrift). Demgegenüber äußerte er in der mündlichen Verhandlung, die Drohbriefe seien mit dem Stempel „Islamisches Emirat Afghanistan“ versehen gewesen, der zu „100 Prozent“ den Taliban zuzuordnen sei (S. 3 d. Sitzungsniederschrift). Auf Vorhalt auf die widersprüchlichen Angaben war der Kläger nicht in der Lage, die Ungereimtheiten aufzulösen. Stattdessen antwortete er, es sei in Afghanistan schwierig, „jeder der einen Turban trägt, bezeichnet sich als Taliban“ (S. 6 d. Sitzungsniederschrift). Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, den oder die Verfasser der Briefe je gesehen zu haben, sodass der Verweis auf deren Äußerlichkeiten nicht plausibel erscheint.
Es ist ferner auch nicht glaubhaft, dass dem Kläger – unterstellt die Personen gehörten zur Taliban – in Afghanistan eine Zwangsrekrutierung drohte. So schilderte der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung, in den Briefen habe gestanden, dass er „diesen Leuten helfen“ und durch Zahlung von 20.000 US-Dollar die „Mohadschedin im Kampf gegen die Ungläubigen“ unterstützen sollte (vgl. S. 4 d. Sitzungsniederschrift). Gegenüber dem Bundesamt äußerte er lediglich, er solle 20.000 US-Dollar zahlen und 40 Handys überlassen, ohne über Rekrutierungsversuche zu berichten (S. 4 d. Anhörungsniederschrift). Es spricht nicht für die Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben, diesen wichtigen Punkt zu vergessen. Auch die gegenüber dem Bundesamt geäußerte Schilderung, es könne sich bei den Verfassern der Briefe auch um Erpresser handeln, bekräftigt die Annahme, dass die vorgetragenen Rekrutierungsanstrengungen durch die Taliban nicht der Wahrheit entsprechen.
Auch hinsichtlich der Frage, ob und wann er die Drohanrufe und -briefe erhalten habe, weist das klägerische Vorbringen Ungereimtheiten auf. So ergibt sich ein (zeitlicher) Widerspruch daraus, dass der Kläger die Drohbriefe laut seines Vortrags in der Anhörung vor dem Bundesamt am 29. Juni und am 8. Juli 2015 erhalten habe (vgl. S. 4 d. Anhörungsniederschrift), in der mündlichen Verhandlung aber mitteilte, zwischen den (ersten beiden) Briefen habe „etwa ein Monat“ gelegen (vgl. S. 3 d. Sitzungsniederschrift). Zudem gab er vor dem Bundesamt an, zufällig einen Drohanruf erhalten zu haben, als er gerade bei der Polizei gewesen sei. Er habe das Handy direkt der Polizei übergeben, die den Anrufer beschimpft habe. Am nächsten Tag sei dann sein Bruder vor dem Haus erschossen worden (S. 4 d. Anhörungsniederschrift). Als die Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung den Kläger hierzu befragte, entgegnete dieser zunächst, dass der Anruf nach dem Tod seines Bruders stattgefunden habe. Erst auf weitere Nachfrage konnte der Kläger den von seiner Prozessbevollmächtigten gemeinten Anruf auf der Polizeistation bestätigen. Hierzu führte er aus, er selbst habe mit den Anrufern gesprochen und ihnen geantwortet, nicht helfen zu wollen (vgl. S. 7 d. Sitzungsniederschrift).
Überraschend ist zudem, dass der Kläger nicht wisse, ob die Drohbriefe noch zu Hause bei seinen Eltern seien oder diese die Briefe zerrissen haben (vgl. S. 4 d. Sitzungsniederschrift). Mit Blick auf das laufende Asylverfahren wäre zu erwarten gewesen, dass sich der Kläger nach dem Verbleib der Briefe bei seinen Eltern zumindest erkundigt. Schließlich hätte er durch Vorlage der Briefe die Richtigkeit seiner Angaben bekräftigen können.
Darüber hinaus genügt eine Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, noch nicht für die Annahme eines Verfolgungsgrundes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Insbesondere begründet die Gefahr der Rekrutierung durch die Taliban keine Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur wegen einer politischen Überzeugung i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban jedem, der sich weigert, Gefolgschaft zu leisten, eine abweichende politische Überzeugung oder Religion zuschreiben. Die Ziele der Taliban sind insoweit nicht eindeutig politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Motiven auf. So ist die Wahrscheinlichkeit von Zwangsrekrutierungen schon gering, wenn ausreichend Kämpfer zur Verfügung stehen. Grundsätzlich bevorzugen die Taliban, ihre eigenen Anhänger für Kämpfe zu verwenden, und das Zurückgreifen auf außenstehende Kämpfer erfolgt eher als letztes Mittel bzw. im Notfall. Die Gründe, warum sich Afghanen den Taliban anschließen, sind vielfältig. Wesentliche Faktoren sind Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung. Auch die Tatsache, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban unverzichtbar ist, stützt die Annahme, dass es sich bei zwangsweisen Rekrutierungen in Afghanistan allenfalls um ein Randphänomen handelt. Schließlich ist auch für die Taliban vorhersehbar, dass zwangsweise rekrutierte Kämpfer nur eingeschränkt motiviert und zuverlässig und daher für die eigenen Zwecke wenig zielführend sind. Der Kläger vom Volk der Tadschiken hat vorliegend keinerlei Meinung, Grundhaltung und Überzeugung zu den Taliban vertreten, sondern allenfalls zum Ausdruck gebracht, dass er mit ihnen nicht zusammenarbeiten wolle. Die alleinige Nichtbeteiligung an einer Organisation, ohne dass hierfür die Beweggründe näher zutage getreten wären, genügt jedoch nicht für die Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen diese Organisation (vgl. hierzu VG Cottbus, Urteil vom 17. April 2019 – 1 K 688/18.A – S. 11 ff. d. Entscheidungsabdrucks; VG Würzburg, Urteil vom 13. Februar 2019 – W 1 K 18.31857 – juris Rn. 29-33 m.w.N.; VG Aachen, Urteil vom 31. Januar 2018 – 7 K 3084/17.A – juris Rn. 42-47).
Demnach besteht nach Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan durch die Taliban als politischer Gegner angesehen, zwangsrekrutiert oder gar bestraft oder getötet wird.
Aus Sicht des Gerichts kann auch nicht angenommen werden, dass Personen, die von den Taliban rekrutiert werden sollen, einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Nr. 4 AslyG angehören, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Es ist bereits nicht ersichtlich, worin der unveränderbare Hintergrund einer derartigen von Zwangsrekrutierung betroffenen Personengruppe liegen sollte. Denn grundsätzlich kommen alle afghanischen Jugendlichen und jungen Männer im kampffähigen Alter für eine Rekrutierung in Frage. Der Kreis möglicher Rekruten wird demgemäß mangels einer deutlich abgrenzbaren Identität auch gar nicht von der Gesellschaft als solcher wahrgenommen (ausführlich hierzu: VG Cottbus, Urteil vom 5. September 2019 – 1 K 688/18.A – S. 13 f. d. Entscheidungsabdrucks).
Unabhängig davon scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb aus, weil dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.
Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Heimatlandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 S. 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Die Beurteilung erfordert eine Einzelfallprüfung. Dabei sind die individuellen Besonderheiten wie Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte des Klägers in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen zu berücksichtigen. Entscheidend dafür, ob eine inländische Fluchtalternative als zumutbar angesehen werden kann, ist insbesondere auch die Frage, ob an dem verfolgungssicheren Ort das wirtschaftliche Existenzminimum des Asylsuchenden gewährleistet ist. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn der Asylsuchende durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Nicht mehr zumutbar ist die Fluchtalternative, wenn der Asylsuchende an dem verfolgungssicheren Ort bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt, oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2007 –1 C 24.06 – juris Rn. 11; Beschlüsse vom 17. Juni 2006 – 1 B 100.05 – juris Rn. 11, und vom 21. Mai 2003 – 1 B 298.02 – juris Rn. 3).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist anzunehmen, dass dem Kläger in Afghanistan inländische Fluchtalternativen in den Großstädten Herat und Masar-e Sharif zur Verfügung stehen. Dort könnte er sich niederlassen, ohne der Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein. Dort ist nicht zuletzt aufgrund der Anonymität der Großstadt nicht mit Verfolgung zu rechnen. Zwar ist bekannt, dass die Taliban über ein Netzwerk von Informanten verfügen, um Personen auch in Städten aufzuspüren. Jedoch ist es deutlich schwieriger Menschen in größeren Städten zu verfolgen und aufzuspüren, weshalb die dafür vorhandenen Ressourcen grundsätzlich für Menschen verwendet werden, an denen die Taliban ein gesteigertes Interesse haben. Aus diesem Grund beschränkt sich die Liste der Personen, in die die Taliban ihre knappen Ressourcen investieren, um sie in den großen Städten zu verfolgen, landesweit auf nicht mehr als hundert Personen. Bei Personen mit geringerem Profil ist davon auszugehen, dass die Taliban sie oder ihre Familienmitglieder nach ihrer Übersiedlung in die Städte wahrscheinlich nicht ins Visier nehmen werden, es sei denn, es bestehen persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Streitigkeiten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Taliban das Interesse und die Ressourcen hätten, um auch nicht in besonderem Maße hervorgetretene Gegner an anderen Orten innerhalb Afghanistans aufzuspüren, gibt es nicht (vgl. EASO, Afghanistan, Individuals Targeted by Armed Actors in the Conflict, Dezember 2017, S. 63 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. März 2019 – 13 A 2600/18.A – juris Rn. 14).
Hiervon ausgehend ist die Gefahr einer landesweiten Verfolgung des Klägers durch die Taliban nicht beachtlich wahrscheinlich. Seine Angaben als wahr unterstellt, hat sich der Kläger durch seine Ausreise den Taliban entzogen, die von ihm Geld verlangten oder ihn zu einer Zusammenarbeit verpflichten wollten. Ein besonderes Interesse der Taliban an seiner Person ist nicht ersichtlich. Hierzu führte der Kläger aus, die Taliban seien an ihm interessiert gewesen, weil er einen Handyladen besessen habe und es ihm „relativ gut“ ging. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Taliban jetzt, fast fünf Jahre nach der Ausreise des Klägers aus Afghanistan, an diesem noch ein gezieltes, landesweit bestehendes Interesse zeigen würden, zumal das Geld, dass seine Familie zum Zeitpunkt seiner Ausreise besaß, inzwischen „weg sei“ (vgl. S. 6 d. Sitzungsniederschrift). Gegen eine landesweite Verfolgung spricht auch, dass es in Afghanistan kein funktionierendes Meldewesen gibt (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan der Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Stand: 19. Dezember 2016). Es erschließt sich nicht, wie es für einen Dritten – nach langjähriger Abwesenheit des Betroffenen – möglich sein soll, einen Neuankömmling aufzuspüren, wenn er nicht in irgendeiner Art und Weise auf Daten von anderer Seite zugreifen kann.
Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger die Städte Herat und Masar-e Sharif – trotz zweifellos vorhandener Gefahren – von Kabul als Zielort einer Rückreise oder auch (möglichen) Abschiebung (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 5. Februar 2018 auf die Kleine Anfrage „Durchführung von Sammelabschiebungen nach Afghanistan“, BT-Drs. 19/632, S. 5 ff.) bereits auf dem Landweg sicher und legal erreichen kann. Es bestehen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den größeren Städten Gefahren von wesentlicher Intensität drohen würden. Die Fahrten vom Flughafen in die Stadt sind tagsüber generell als sicher zu betrachten (EASO, Afghanistan: Guidance Note and Common Analysis, Juni 2018, S. 102).
Vom Kläger kann unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Herat oder Masar-e Sharif niederlässt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die allgemeine Versorgungslage dort wie im Rest Afghanistans schwierig ist: Afghanistan, das etwa 27 Millionen Einwohner hat, von denen 47,3 Prozent unter 15 Jahre und 60 Prozent unter 25 Jahre alt sind, ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Human Development Index belegte es im Jahr 2018 Platz 168 von 189 (UN Development Programme, Human Development Indices and Indicators, 2018 Statistical Update). Auch die Analphabetenquote ist noch immer sehr hoch. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung ist in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und lag 2017 bei 11,2 % (vgl. zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Juli 2019, S. 28). Es wird angenommen, dass ca. 40 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben bzw. diese Zahl sich derzeit sogar auf knapp 55 % erhöht habe (vgl. ACCORD, Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Masar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, Dezember 2018, S. 147, 160 jeweils m.w.N.). Sofern der Lebensunterhalt gewährleistet ist, stehen in Herat-Stadt und Masar-e Sharif zwar Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, der Zugang zu angemessenen Unterkünften soll jedoch eine Herausforderung sein. Auch sind Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden. Diese sind aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet und teilweise auch abhängig vom Vorhandensein finanzieller Mittel (zum Ganzen EASO, Afghanistan: Guidance Note and Common Analysis, Juni 2018, S. 104 f.). Rückkehrern, die sich in Herat und Masar-e Sharif niederlassen, soll es zwar – trotz Schwierigkeiten bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Unterkunft, Zugang zu Wasser, Hygiene und Bildung – besser gehen als solchen in anderen Großstädten Afghanistans; allerdings sind auch dort schätzungsweise 30 % der Bevölkerung von Lebensmittelunsicherheit betroffen (ACCORD, Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Masar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018, Dezember 2018, S. 37). Weil der afghanische Staat schwach und soziale Unterstützungsleistungen von ihm in der Regel nicht zu erwarten sind, spielen für sämtliche Lebensbereiche (Unterkunft, Arbeit usw.) Netzwerke eine große Rolle (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Januar 2018, S. 10, 27 ff.), ohne die eine „Wiedereingliederung“ in die afghanische Gesellschaft jedenfalls erheblich erschwert ist. Andererseits können Rückkehrer von Unterstützungsmaßnahmen profitieren, die der übrigen Bevölkerung nicht zugänglich sind. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. So können afghanische ausreisewillige Personen Leistungen aus verschiedenen Programmen erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Im Bedarfsfall sind auch die Kosten einer medizinischen (Anschluss-)Versorgung in Höhe von bis zu 2.000,00 EUR umfasst. Weiter gibt es verschiedene Beratungs- und Sachleistungsangebote, z.B. Unterstützung bei der Suche nach Wohnung, Arbeit oder bei der Existenzgründung, in medizinischen oder sozialen Angelegenheiten, bei Beschaffung von Papieren, Rechtsberatung usw. durch das European Return and Reintegration Network (ERRIN) und den UNHCR. Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützung, so eine Arbeitsvermittlung, rechtlichen Beistand sowie bei Fragen von Grund und Boden und Obdach. Weiter bieten nichtstaatliche Organisationen Unterstützung für freiwillige und abgeschobene Rückkehrer an, so IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation), u.a. kostenlose psychosoziale Unterstützungsangebote sowie die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Juli 2019, S. 29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, S. 333 ff.).
Trotz der bestehenden Schwierigkeiten ist das Gericht nach Würdigung der Umstände des Einzelfalls der Überzeugung, dass es dem jungen, ledigen und gesunden Kläger bei einer Rückkehr insbesondere in den Städten Herat und Masar-e Sharif gelingen wird, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Zum einen geht das Gericht davon aus, dass auch für solche Rückkehrer jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger – eine der Landessprachen (hier: Dari) sprechen, die Chance besteht, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen. Der Kläger verfügt über zwölf Jahre Schulbildung, damit über ein – für afghanische Verhältnisse – hohes Bildungsniveau und führte erfolgreich ein eigenes Handygeschäft. Auch die Tatsache, dass er in Deutschland eine Anstellung als Koch gefunden hat, zeugt von einem besonderen Geschick. Ferner könnte die in Afghanistan lebende Familie ihre sozialen Kontakte nutzen, um dem Kläger Arbeitsmöglichkeiten zu verschaffen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geräte (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 6. März 2017 – 13a ZB 17.30099 – juris Rn. 12).
Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf verweist, dass der Kläger nicht als alleinstehender Mann zu behandeln sei, weil der Unterhalt seiner in Kunduz lebenden Eltern und fünf Schwestern durch die aus Deutschland geleisteten Transferleistungen des Klägers sichergestellt wird, verfängt dieser Einwand nicht. Zwar sind die familiären Bindungen des Betroffenen einzublenden, aber nur insoweit es die Kernfamilie, also Eltern und minderjährige Kinder, betrifft (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 16. Oktober 2017 – Au 5 K 17.31225 – juris Rn. 44; Bayerischer VGH, Urteil vom 11. Februar 2019 – 13a ZB 17.31160 – juris Rn. 8 f.; zur gegenseitigen Verpflichtung für den gemeinsamen Lebensunterhalt von Mitgliedern der Kernfamilie siehe auch BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 – juris). Der Kläger ist jedoch ledig und kinderlos. Wäre der Auffassung der Prozessbevollmächtigten des Klägers zu folgen, würde dies letztlich dazu führen, dass eine inländische Fluchtalternative für eine Vielzahl alleinstehender Afghanen allein deshalb zu verneinen wäre, weil sie Geld zur Versorgung der im Heimatland lebenden (Groß-)Familie transferieren.
2. Auch der Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG. Der Kläger hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 AsylG droht.
Dem Kläger droht insbesondere keine Bestrafung oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG. Soweit eine solche aus der vorgetragenen Bedrohung seitens der Taliban drohen sollte, scheitert dies bereits aus den oben dargestellten Gründen. Der Kläger wäre auch insoweit auf die Möglichkeit des internen Schutzes zu verweisen (§ 4 Abs. 3 S. 1 i.V.m § 3e Abs. 1 AsylG). Dazu nimmt das Gericht in vollem Umfang Bezug auf seine obigen Ausführungen.
Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG droht. Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände – wie hier – kann eine Individualisierung der Gefahr nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 19).
Bei der Prüfung einer solchen Bedrohung ist Bezugspunkt der tatsächliche Zielort des Ausländers bei seiner Rückkehr. Das ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 31 Januar 2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 13), wobei aber auch hier nach § 4 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 3e AslyG (interner Schutz) zur Anwendung gelangt. Dies ist vorliegend die Provinz Kunduz.
Die allgemeine Gefahr in Kunduz erreicht kein Ausmaß, das so groß wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein wegen ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist. Die Sicherheitslage in der stark von Taliban geprägten Provinz Kunduz hat sich in den letzten Jahren leicht verbessert. In Kunduz registrierte die UNAMA im Jahr 2018 337 verletzte und getötete Zivilpersonen, was eine Abnahme von 11 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet (EASO, Afghanistan – Security Situation, Country of Origin Information Report, Juni 2019, S. 196). Die Einwohnerzahl der Provinz Kunduz wird für den Zeitraum 2018/2019 auf 1.091.116 geschätzt (ebd., S. 193). Hiervon ausgehend errechnet sich bei 337 zivilen Opfern für das Jahr 2018 ein Gefahrengrad von 1:3.238. Das Niveau willkürlicher Gewalt rechtfertigt nicht die Annahme, dass ein Rückkehrer dem tatsächlichen Risiko eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist. Auch unter Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer würde die vom Bundesverwaltungsgericht als bei weitem nicht ausreichend erachtete Schwelle von 1:800 (0,125 %) noch nicht erreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22-23; zu alledem auch VGH Hessen, Urteil vom 23. August 2019 – 7 A 2750/15.A – juris Rn. 78).
Auch hinsichtlich der inländischen Fluchtalternativen Herat-Stadt und Masar e-Sharif liegen die Werte weit jenseits des Verhältnisses von 1:800. Sofern man für Herat-Stadt von einer Einwohnerzahl von 506.896 Einwohnern und für Masar-e Sharif von 427.647 Einwohnern ausgeht (vgl. ACCORD, Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Masar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018 vom 7. Dezember 2018, S. 5-7) und diesen die Zahlen der zivilen Opfer für das Jahr 2018 gegenüberstellt, die in der Provinz Herat bei 259 Opfern (95 Tote und 164 Verletzte) und in der Provinz Balkh bei 227 Opfern (85 Tote und 142 Verletzte) lag (UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2018, February 2019, S. 68), und sofern dabei sämtliche Opfer aus der gesamten jeweiligen Provinz ausschließlich der jeweils betrachteten Stadt zugerechnet werden, was nicht der Realität entspricht, so ergäbe sich für eine Zivilperson in der Stadt Herat ein Risiko, Opfer eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu werden, von 1:1957 und in Masar-e Sharif ein Risiko von 1:1883 (vgl. VG Trier, Urteil vom 12. Dezember 2018 – 9 K 11867/17.TR – juris Rn. 29 für Herat; VG Greifswald, Urteil vom 7. Januar 2019 – 3 A 1194-17 As HGW – juris Rn. 22 für die Provinz Balkh einschließlich Masar-e Sharif; VG Würzburg, Urteil vom 13. Februar 2019 – W 1 K 18.31857 – juris Rn. 55 für Masar-e Sharif und Herat).
Aktuelle für das Jahr 2019 oder 2020 verfügbare Informationen und Meldungen lassen insgesamt auf einen weiteren Rückgang der Gefahr in Afghanistan schließen; belastbare Hinweise auf eine gegenteilige Entwicklung liegen dem Gericht im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls nicht vor.
Neben der rein quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, ist grundsätzlich auch eine wertende Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung erforderlich. Kommen die angestellten Berechnungen aber zu dem Ergebnis, dass das ermittelte Risiko weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, kann sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auswirken. Zudem ist die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Februar 2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 24; VG Kassel, Urteil vom 8. August 2019 – 7 K 1442/17.KS.A – juris Rn. 64).
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots. Es sind weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG noch die des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt.
a) In Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt insoweit nur eine allgemeine Gefahr aufgrund der schlechten Versorgungslage in Afghanistan in Betracht. Auch insoweit wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
Für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die aufgrund des Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, wobei zunächst zu prüfen ist, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 – Rn. 26).
Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen, die der Kläger in Afghanistan in seiner Herkunftsprovinz Kunduz zu erwarten hat, sind nicht derart schlecht, dass davon ausgegangen werden müsste, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Schutz nach Art. 3 EMRK nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen erstreckt. Insofern können schlechte humanitäre Bedingungen, die – wie hier – nicht auf einen verantwortlichen Akteur, sondern in erster Linie auf Armut oder fehlende staatliche Mittel, zurückzuführen sind, eine erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK nur in extremen Ausnahmefällen begründen. Ein solcher Ausnahmefall kann allenfalls dann vorliegen, wenn zu solchen schlechten humanitären Bedingungen ganz außerordentliche individuelle Gründe hinzutreten und humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10).
Ein solcher Ausnahmefall besteht vorliegend nicht. Auch diesbezüglich kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Das Schicksal des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan lässt sich nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit dahingehend prognostizieren, dass er eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher nicht erfüllt.
Mit der obergerichtlichen Rechtsprechung geht das Gericht davon aus, dass für arbeitsfähige, alleinstehende männliche Staatsangehörige ohne gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen regelmäßig auch ohne Vermögen und ohne familiäre Unterstützung die Lage nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne Hinzutreten besonderer Umstände eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Dies ist regelmäßig auch dann nicht anzunehmen, wenn der Betroffene weder über ein soziales Netzwerk in Afghanistan noch über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder nennenswertes Vermögen verfügt (vgl. jüngst OVG Sachsen, Beschluss vom 6. August 2019 – 1 A 658/19.A – juris Rn. 7 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 392 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 25. Februar 2019 – 13a ZB 18.32203 – juris Rn. 5; VGH Hessen, Urteil vom 23. August 2019 – 7 A 2750/15.A – juris Rn. 148; OVG Niedersachsen, Urteil vom 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris Rn. 55).
b) Es liegt ebenfalls kein Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 7 AufenthG vor.
Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15). Für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige ist im Allgemeinen nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, die zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG führen würde (vgl. VGH Hessen, Urteil vom 23. August 2019 – 7 A 2750/15.A – juris Rn. 171 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 441 ff.).
Die gegenwärtige Lage im Hinblick auf den Corona-Virus zwingt nicht zu einer anderen Einschätzung. Im Gegensatz zu der Entwicklung im Nachbarland Iran, sind in Afghanistan nur relativ wenige Fälle berichtet (Tolo-News meldet 367 Fälle, https://tolonews.com/health/coronavirus-cases-afghanistan-367, abgerufen am 6. April 2020); auch gehört der Kläger nicht zur Gruppe der Personen mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko.
4. Das von der Beklagten verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG sowie die Abschiebungsandrohung einschließlich der Ausreisefrist begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Einwände hiergegen hat der Kläger nicht erhoben.
5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.