Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 30. Senat | Entscheidungsdatum | 03.06.2010 | |
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Aktenzeichen | L 30 R 1160/06 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 AAÜG |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Mitropa ist das zentrale Versorgungsunternehmen des Ministeriums für Verkehrswesen. Bewirtschaftet werden durch die Mitropa aufgrund ihrer Aufgabenstellung und unter Beachtung der durch Direktiven festgelegten Abgrenzung zu den anderen Handelsorganen
Schlaf- und Speisewagen und Wirtschaftsbetriebe,
Eisenbahn- Fährschiffe,
Bahnhofsgaststätten sowie Kioske, Läden und Imbissstuben,
Autobahnraststätten,
Flughafen- Restaurants und – Hotels
und Fahrgastschiffe in den Binnen- und Küstengewässern.
Die Beziehungen zu den Verkehrsträgern sind durch Verträge geregelt, die jedoch hinsichtlich ihres prinzipiellen Inhalts unterschiedlich sind. Die Mitropa gliedert sich auf in 52 planende und bilanzierende Einheiten. Beschäftigt sind bei der Mitropa insgesamt 13.600 Mitarbeiter. Die Leitung der Mitropa erfolgt nach dem sozialistischen Leitungsmethoden….“
den Bescheid vom 7. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2003 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, auch die Zeit vom 1. Februar 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.
die Klage abzuweisen.
das Urteil des Sozialgericht Berlin vom 19. Juni 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2003 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten des verstorbenen Versicherten vom 1. Februar 1974bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
die Berufung zurückzuweisen.
„Bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht einbezogen waren und auch nicht nachfolgend auf Grund originären Bundesrechts (Art 17 EV) einbezogen wurden, ist allerdings auf Grund einer vom Senat vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S 12 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S 20; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 4 S 26 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5 S 32; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S 39; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 S. 59 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 S 73). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt von der Ausgestaltung der zu Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme ab.
Im Blick auf die AVItech ergeben sich diese Regelungen aus der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17. August 1950 (GBl. S 844) und der dazu ergangenen 2. DB. Ein derartiger - fiktiver - bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage hängt gemäß § 1 der VO-AVItech i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. DB von folgenden drei Voraussetzungen ab (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S 14, Nr. 5 S 33, Nr. 6 S 40 f, Nr. 7 S 60, Nr. 8 S 74), nämlich von
(1) der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und
(2) der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar
(3) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
Dabei kommt es für die Anwendbarkeit des AAÜG (§ 1 Abs. 1 AAÜG) nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage mit Blick auf die am 1. August 1991 gegebene bundesrechtliche Rechtslage an.“
„Der Kläger hat den im streitgegenständlichen Zeitraum keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die in ihrer Art nach Form Zusatzversorgungssystem der AVItech erfasst war. Denn er war weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB aufgeführten gleichgestellten Betriebe beschäftigt, sondern in einem Parteibetrieb, der dementsprechend auch nicht als "VEB" firmierte (§ 31 Abs. 3 KombinatsVO). Dieser Betrieb - "I. Graphischer Großbetrieb L." - war vielmehr, wie der Kläger selbst vorträgt, der Vereinigung organisationseigener Betriebe (VOB) der Zentralen Druckerei, Einkaufs- und Revisionsgesellschaft der SED (Zentrag) unterstellt.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist es - wie bereits ausgeführt - hier unerheblich, wie die DDR und ihre Staatsorgane die Versorgungsordnungen ausgelegt haben, oder wie deren Verwaltungspraxis war. Somit ist es für die Beurteilung auch ohne Bedeutung, welche Stellung ein Parteibetrieb in dem "Gesamtgefüge des Staatsapparates DDR" hatte (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech (fiktiv) nur dann nach § 5 AAÜG festgestellt werden, wenn Tätigkeiten bzw. Beschäftigungen in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einem in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten gleichgestellten Betrieb ausgeübt worden sind (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5). Nicht ausreichend sind Tätigkeiten (oder Beschäftigungen) in irgendeinem volkseigenen Betrieb und demgemäß auch nicht solche in einem Parteibetrieb (hier der VOB Zentrag).
Dass es sich um eine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt haben muss, folgt bereits aus § 1 Abs. 2 der 2. DB; die dort genannten Betriebe und "Einrichtungen" werden gerade (nur) den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt. Dass diese Produktionsbetriebe solche der Industrie oder des Bauwesens sein mussten, entspricht nicht nur ihrer Bedeutung im Rahmen der Planwirtschaft (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6), sondern auch der historischen Entwicklung (vgl. hierzu entsprechend BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5): Nach § 1 der 1. Durchführungsbestimmung vom 26. September 1950 (GBl S 1043), die durch die 2. DB (a. a. O.) aufgehoben worden ist, war notwendige Voraussetzung für die Einbeziehung in das Versorgungssystem der AVItech gerade die Beschäftigung in einem "Produktionsbetrieb". Auch sah § 5 der Verordnung vom 17. August 1950 (a. a. O.) für den Erlass dieser Durchführungsbestimmung das Einvernehmen des Ministeriums für Industrie vor. Die Differenzierung zwischen den volkseigenen Produktionsbetrieben und den anderen volkseigenen Betrieben wurde zwar nicht immer in dieser sprachlichen Klarheit aufrechterhalten, sondern gelegentlich zur sprachlichen Vereinfachung ausgesetzt, wie sich auch aus § 1 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967 (GBl. II S 121) ergibt; dort war der Hinweis enthalten, dass im fortlaufenden Text, der sich nur auf volkseigene Produktionsbetriebe bezieht, der Ausdruck "volkseigener Produktionsbetrieb" durch die Bezeichnung "Betrieb" ersetzt wird. Jedoch galt nach § 49 Abs. 1 der Verordnung (a. a. O.) diese - unmittelbar - "für die volkseigenen Produktionsbetriebe der Industrie und des Bauwesens". Die Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und Vereinigungen volkseigener Betriebe vom 28. März 1973 (GBl. I S 129), die an die Stelle der Verordnung vom 9. Februar 1967 (a. a. O.) getreten ist, setzte diese Unterscheidung fort und differenzierte demgemäß grundsätzlich zwischen (u. a.) den volkseigenen Betrieben in der Industrie, im Bauwesen und im Verkehrswesen, für die sie unmittelbar galt, und (u. a.) den volkseigenen Betrieben im Handel, auf dem Gebiet der Dienstleistungen, in der Landwirtschaft und in den anderen Betrieben der Volkswirtschaft. Insbesondere die KombinatsVO von 1979 stellte den volkseigenen Kombinaten und Kombinatsbetrieben in der Industrie und in dem Bauwesen die volkseigenen Kombinate und Kombinatsbetriebe in den anderen Bereichen der Volkswirtschaft gegenüber (§ 41 a. a. O.). § 1 Abs. 2 der 2. DB enthielt somit lediglich eine Klarstellung, dass der volkseigene Betrieb ein "volkseigener Produktionsbetrieb" (der Industrie oder des Bauwesens) ist.
Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Der EV hat nur die Übernahme damals bestehender Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften von Einbezogenen in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten (EV Nr. 9, § 22 Rentenangleichungsgesetz der DDR vom 28. Juni 1990 - GBl I S 495, vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 m. w. N.). Die Vorschriften sind in sich verfassungsgemäß. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkürverstoß anknüpfen. Art 3 GG gebietet nicht, von jenen historischen Fakten, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigungen der damals Einbezogenen hat der Deutsche Bundestag als ein Teilergebnis der Verhandlungen im EV angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 f = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Der Bundesgesetzgeber hat in § 1 Abs. 1 AAÜG in begrenztem Umfang DDR-Willkür ausgeschaltet (vgl. zur Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 8). Zu einer Totalrevision des mit Beginn des 31. Dezember 1991 in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets überführten, aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er nicht verpflichtet, weil er diesen gesamten Rechtsbereich ab 1. Januar 1992 einem rechtsstaatlichen Grundsätzen im Wesentlichen genügenden Gesetz, dem SGB VI, unterstellt hat (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2).“