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Höhe der Aussetzungszinsen ist verfassungsgemäß


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 15.01.2014
Aktenzeichen 3 K 3079/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 237 Abs 1 S 1 AO, § 238 Abs 1 S 1 AO, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG

Leitsatz

1. Der Zinssatz von 6 % p. a. für Aussetzungszinsen ist auch derzeit und auch bei längerer Aussetzungsdauer verfassungsgemäß.

2. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kommt es nicht auf den Zinsnachteil des Fiskus an, sondern auf den Vorteil des Steuerpflichtigen durch die Aussetzung.

3. Bei der Prüfung ist primär auf einen Steuerpflichtigen abzustellen, der mit Kredit arbeitet.

4. Übliche Privat und Geschäftskredite werden von Geschäftsbanken auch derzeit in der Regel nicht unter 6 % p. a. ausgereicht.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Aussetzungszinsen in Höhe von 108.202 €.

I.1.

Mit Bescheid vom 29.04.2008 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Einkommensteuer (ESt) 2006 auf rund 551 T€ fest, resultierend v. a. aus Einkünften gemäß § 17 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Kläger und seine Ehefrau legten am 26.05.2008 Einspruch ein und beantragten beim FA Aussetzung der Vollziehung (AdV), die mit Bescheid vom 29.05.2008 für die Dauer des Einspruchsverfahrens gewährt wurde. Mit Einspruchsentscheidung vom 01.11.2011 wurde die ESt 2006 verbösernd auf rund 555 T€ erhöht und der Einspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Am 05.12.2011 erhoben die Eheleute Klage (3 K 3295/11). Außerdem beantragten Sie beim Finanzgericht am 21.12.2011 AdV für die Dauer des Klageverfahrens (3 V 3312/11). Der Senat wies den Antrag auf AdV mit Beschluss vom 05.07.2012 zurück. Daraufhin nahmen die Eheleute am 17.09.2012 ihre Klage zurück, wodurch die Einkommensteuerfestsetzung bestandskräftig wurde.

2.

Mit Klage beim Landgericht C…, dem hiesigen Kläger und dortigen Beklagten zugestellt am 01.10.2012, wurde dieser vom Anteilskäufer der GmbH-Anteile, deren Verkauf den vorgenannten Gewinn gemäß § 17 EStG begründet haben, auf Rückzahlung des Kaufpreises und Schadenersatz in Höhe von 1,175 Mio. € in Anspruch genommen (FG-A Bl. 6-30). Das Landgericht verhandelte hierüber am 19.06.2013, verkündete jedoch noch kein Urteil. Für den 05.02.2014 ist ein weiterer Termin zur mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme anberaumt.

3.

Im Rahmen der o. g. ESt-Forderung kam es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, verschiedenen Anträgen und Rechtsbehelfsverfahren, u. a. wegen Erlass der Säumniszuschläge, und verschiedenen Gesprächen zwischen dem Klägervertreter und dem Finanzamt, u. a. zu einem Gespräch an Amtsstelle am 24.08.2012. Aus den vom FA übersandten Steuerakten, insbesondere dem Hefter „Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen“ (nachfolgend: Rb-Hefter) ergibt sich folgender Hergang (Unterstreichungen durch das Gericht):

a)

Am 17.07.2012 schrieb der Klägervertreter an das FA (Erlass- und Stundungsakte Bl. 78):

„Ich danke in diesem Zusammenhang für Ihre Aufstellung vom 03.07.2012.

Herrn A… wird es nunmehr gelingen, kurzfristig nahezu die gesamte Forderung auszugleichen.

Er muss sich diesbezüglich auf privatem Weg Gelder besorgen, die aber gesichert sein dürften.

Die Gelder, die ihm zur Verfügung gestellt werden können, werden zwischen 500.000,-- € und 520.000,-- € liegen.

Ich frage in diesem Zusammenhang an, ob der Sachverhalt auf einer solchen Zahlungsgrundlage sein Ende finden könnte, nämlich vor dem Hintergrund, dass eventuell auf einzelne Säumniszuschläge verzichtet werden kann. Der gesamte Sachverhalt könnte dann bei einer entsprechenden Zustimmung Ihrerseits bis zum 07.08.2012 (spätestens!) eine vollständige Erledigung bzw. Befriedigung finden.

Einer kurzfristigen Reaktion aus Ihrem Haus sehe ich mit Interesse entgegen.

Ich gebe zu bedenken, dass Herr A... derzeit die Beträge lediglich auf privater Basis geliehen bekommt.

Auf das Insolvenzrisiko des Herrn A… hatte ich ansonsten bereits mehrfach hingewiesen.

Einer kurzfristigen Reaktion oder der Vereinbarung eines Besprechungstermins wird mit Interesse entgegengesehen.“

b)

Mit Bescheid vom 19.07.2012 lehnte das FA den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge zur ESt 2006 ab, weil weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgesichtspunkte vorlägen (Erlass- und Stundungsakte Bl. 84).

c)

Am 24.07.2012 legte der Kläger Einspruch ein (Rb-Hefter Bl. 7)

d)

Über das Gespräch vom 24.08.2012 fertigte das FA, Frau B…, eine Gesprächsnotiz, die wie folgt lautet (Rb-Hefter Bl. 31):

„Herr D… hat um 9.30 Uhr vorgesprochen.

Weitere Anwesende: Frau E… (SGL XIII), Frau B…

Besprechungsgegenstand: Erlass der Säumniszuschläge / Einspruch gegen die Ablehnung des Erlassantrages vom 19.07.2012

Inhalt des Gesprächs:

Herr D… trug sein Anliegen im Hinblick auf die Erwirkung eines Erlasses bezüglich der bestehenden Säumniszuschläge vor und betonte die Zahlungswilligkeit seines Mandanten. Eine Zahlung in Höhe von 621,95 € erfolgt in Kürze. Weiterhin teilte Herr D… mit, dass eine vollständige Rückstandsbegleichung Herrn A… aufgrund seiner derzeitigen finanziellen Situation nicht möglich (u.a. besitzt er kein Auto, seine Lebensgefährtin trägt die Miete, zu leistende Unterhaltszahlungen an Frau A…).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen hälftigen Erlass der Säumniszuschläge wurden Herrn D… mitgeteilt. Im Zusammenhang mit dem anhängigen Rechtsbehelfsverfahren und den diesbezüglich eingegangenen weiteren Schreiben zu dem beantragten Säumniserlass wurde er darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit der Antragsbegründung mittels geeigneter Unterlagen (z.B. Nachweise über die Liquiditätslage, Gläubigeraufstellung, Banknachweise) besteht. Erst nach Vorliegen der entsprechenden Nachweise ist eine Prüfung möglich, wobei keine alleinige Entscheidungsbefugnis besteht.

Herr D… beantragte eine Frist zur Einreichung der Unterlagen sowie eine Aussetzung der Kontopfändung und die Rücknahme des Vollstreckungsersuchens an das Finanzamt C….

Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den verbleibenden Rückständen ausschließlich um Nebenleistungen handelt, wurde dem Antrag auf Aussetzung der Kontopfändung (befristet bis zum 31.12.2012), der Rücknahme des Vollstreckungsersuchens vom 05.06.2012 stattgegeben.

Des Weiteren wurde Herrn D… eine Frist zur Einreichung der Unterlagen zum Einspruchsverfahren bis zum 28.09.2012 eingeräumt.“

e)

Am 24.08.2012 schrieb der Klägervertreter an das FA (Rb-Hefter Bl. 40):

„Sehr geehrte Frau E…,

sehr geehrte Frau B…,

zunächst danke ich für das sehr angenehme Gespräch am heutigen Tag, welches ich kurz wie folgt zusammenfassen möchte:

1. Zur Zeit bestehen Zahlungsrückstände des Herrn A… gem. Ihrer Rückstandsaufstellung vom 24.08.2012 in Höhe von 45.621,95 €.

2. Die unter Ziffer 1. genannte Summe kann sich nicht mehr erhöhen.

3. Wir werden kurzfristig namens und in Vollmacht des Herrn A… einen weiteren Betrag in Höhe von 621,95 € zur Zahlungsanweisung bringen, damit dann

ein Restbetrag von 45.000,00 € offen steht.

4. Sie lassen uns nach, den Einspruch und den Erlaßantrag bis zum 28.09.2012 zu begründen und die Vermögenssituation des Herrn A… vor und nach dem 05.12.2011 ausführlich zu schildern, um den unsererseits gestellten Erlaßantrag weiter mit Leben zu füllen.

5. Sie haben zugesagt, die Ihrerseits in Gang gesetzten Kontopfändungen vorerst einzustellen und bis zum 31.12.2012 auszusetzen, d. h. über das Konto/die Konten kann kurzfristig wieder verfügt werden.

6. Das Amtshilfeersuchen gegenüber dem Finanzamt C… (Gerichtsvollzieherverteilungsstelle) wird durch Sie unverzüglich zurückgenommen, d. h. Herr A… wird nicht von einem Gerichtsvollzieher besucht werden.

Demnach werden wir nunmehr unseren Erlaßantrag/unseren Einspruch weiter be-gründen und mit weiteren Unterlagen mit Leben füllen.

Ziel ist es unsererseits, einen Erlaß der Säumniszuschläge zu erlangen, wobei der Unterzeichner zur Kenntnis genommen hat, daß Erlässe in der erwünschten Höhe nicht durch Sie, sehr geehrte Frau E… und nicht durch Sie, sehr geehrte Frau B…, letztendlich entschieden werden, sondern durch die Vorsteherin des Finanzamts F….

Ich komme sodann fristwahrend bis spätestens 28.09.2012 auf den Sachverhalt zurück.“

f)

Am 27.11.2012 schrieb das FA an den Klägervertreter unter Bezugnahme auf dessen Schreiben vom 27.09.2012 und vom 23.10.2012, dass es weiterhin einen vollständigen oder teilweisen Erlass der Säumniszuschläge ablehne, und bat um Mitteilung, ob der Einspruch zurückgenommen werde (Rb-Hefter Bl. 79).

4.

Mit Bescheid vom 08.10.2012 setzte das FA Aussetzungszinsen (§ 237 Abgabenordnung - AO -) für die Zeit vom 03.06.2008 (Fälligkeit) bis zum 05.12.2011 (ein Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 01.11.2011) fest in Höhe von 108.202 € (im Einzelnen FG-A Bl. 14/15 = Hefter „AdV-Zinsen“ Bl. 106) gegen den Kläger und seine Ehefrau.

5. a)

In seinem Einspruch vom 23.10.2012 (Fax, eingegangen am 23.10.2012: Hefter „AdV-Zinsen“ Bl. 110; Original, eingegangen am 24.10.2012: Rb-Hefter Bl. 63) führte der Kläger aus:

„Dieser Einspruch erfolgt natürlich nur vorsorglich, da hier davon ausgegangen wird, dass es sich bei diesem Bescheid nur um einen Irrtum handeln kann.

Wir hatten eine Übereinkunft getroffen, dass lediglich noch zum Sachverhalt die Summe von EUR 45.000,00 gegebenenfalls offen ist und diesbezüglich hatte ich am 27.09.2012 meine Stellungnahme für einen vollständigen Erlass abgegeben.

Darüber, dass das Finanzamt F… weitergehende Zinsen geltend machen würde, wurde niemals gesprochen.“

b)

Der Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 04.03.2013 (FG-A Bl. 3-5 = Hefter „AdV-Zinsen“ Bl. 132) zurückgewiesen.

c)

Mit gesondertem Aufteilungsbescheid vom 04.03.2013 sprach das FA aus, dass die Aussetzungszinsen in Höhe von 108.202 € für das Vollstreckungsverfahren auf die gesamtschuldnerischen Eheleute dahingehend aufgeteilt werden, dass auf den Kläger 105.518,60 € und auf seine Ehefrau 2.683,40 € entfallen (Hefter „AdV-Zinsen“ Bl. 161 für Ehemann, inhaltlich identisch Bl. 165 für Ehefrau).

d)

Am 14.03.2013 fand ein weiteres Gespräch an Amtsstelle statt zu den Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung des Erlassantrages und gegen die Erhebung der Aussetzungszinsen. Der Gesprächsvermerk des FA führt u. a. aus (Rb-Hefter Bl. 94 = Hefter „AdV-Zinsen“ Bl. 154):

„Des weiteren teilte Herr D… mit, dass Herr A… sich damals auf seine Berater verlassen hat und keine Kenntnis hinsichtlich der Erhebung der Aussetzungszinsen besaß." … „…, dass er“ [D…] „aufgrund der späteren Mandatsübernahme ebenfalls keine Kenntnis von der Erhebung von Aussetzungszinsen hatte.“ …

II.1.

Der Kläger erhob wegen der Aussetzungszinsen am 15.03.2013 die vorliegende Klage und trägt vor:

a)

Es sei damit zu rechnen, dass der Kläger den Kaufpreis zurückzahlen müsse. Dann müsse auch die Festsetzung der ESt 2006 aufgehoben und die gezahlte Steuer erstattet werden. Dann dürften aber vom Ast. auch keine Aussetzungszinsen verlangt werden. Deswegen sei der Zinsbescheid aufzuheben.

b)

Die Entscheidung sei gegen beide Ehegatten ergangen, obwohl längst eine Aufteilung der Ex-Ehepartner stattgefunden habe.

c)

Die Ex-Ehepartner hätten am 08.10.2012 (Tag des angefochtenen Zinsbescheids) nicht mehr unter der darin angegebenen Anschrift gewohnt.

d)

Mit dem FA sei ein Deal besprochen worden. Danach wollte der Kläger versuchen, die ESt durch Darlehensaufnahme zu begleichen. Dabei sollte eine endgültige Lösung gefunden werden. Das FA hätte dabei die Verpflichtung gehabt, den Kläger über weitere Zahlungsverpflichtungen aufzuklären. Es sei dem FA dargelegt worden, dass der Kläger die Forderungen des FA nur durch Darlehensaufnahme begleichen könne (Beweis: Zeuginnen E… und G… des FA F…). Der Kläger fühle sich vom FA hintergangen.

e)

Die angefochtene Zinsfestsetzung sei wegen der überlangen Verfahrensdauer und dem nicht marktgerechten Zinssatz verfassungswidrig. Das niedrige Marktzinsniveau habe sich zwischenzeitlich stabilisiert (im Einzelnen: FG-A Bl. 66-68). Zwar habe das Finanzgericht Hamburg in einem Fall die Festsetzung von Aussetzungszinsen für den Zeitraum November 2004 bis März 2011 noch für verfassungsgemäß angesehen (FG Hamburg, Urteil vom 23.05.2013 2 K 50/12, EFG 2013, 1734, Juris). Jedoch habe es die Revision zugelassen (BFH IX R 31/13).

2.

Der Kläger beantragt,

den Aussetzungszinsbescheid vom 08.10.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.03.2013 aufzuheben.

Das beklagte FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Soweit als Datum der Einspruchsentscheidung bisweilen der 04.02.2013 genannt wurde, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen.

3.

Das FA hält den Aussetzungszinsbescheid für rechtmäßig und führt ergänzend aus:

a)

Auf eine mögliche spätere Aufhebung der ESt-Festsetzung komme es für die Aussetzungszinsen aus Rechtsgründen nicht an.

b)

Der Einspruch gegen den ESt-Bescheid 2006 sei von beiden Eheleuten geführt und der Antrag auf AdV sei von ihnen gemeinsam gestellt worden, daher seien die Aussetzungszinsen auch gegen beide festzusetzen gewesen.

c)

Das am 24.08.2012 an Amtsstelle geführte Gespräch habe sich ausschließlich auf einen Erlass von Säumniszuschlägen bezogen. Die Aussetzungszinsen seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal entstanden gewesen. Die vom Kläger als Zeugin benannte Mitarbeiterin G… habe an diesem Gespräch auch nicht teilgenommen.

III.

Folgende Akten lagen vor:

FG-Akte 3 V 3312/11;

ESt-Akte Bd. 1 (2006), Akte „Aufteilung 2006“ Bd. 1, Vollstreckungsakte, Erlass- und Stundungsakte, Hefter „AdV“, Hefter „AdV-Zinsen“, Hefter ohne Bezeichnung, vom FA übersandt als Hefter „Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen“, Hefter „Auszug Erhebungsakte“.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid über die Aussetzungszinsen ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -), denn er entspricht den Vorschriften der Abgabenordnung über die Verzinsung (insbesondere §§ 237, 238 AO).

I.

Die Rückgängigmachung des Kaufvertrages hätte keine Auswirkung auf die festgesetzten Aussetzungszinsen.

1.

Wird eine Anteilsveräußerung aufgrund eines Zivilrechtsstreits rückgängig gemacht oder der Kaufpreis nachträglich gemindert, handelt es sich um ein „rückwirkendes Ereignis“ gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (so ausdrücklich Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 19.08.2009 I R 3/09, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2009, 2662, Juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen).

Das rückwirkende Ereignis dürfte dabei einerseits nicht schon die Klageerhebung sein, andererseits auch nicht erst die Rückzahlung des Kaufpreises, sondern der (außergerichtliche oder gerichtliche) Vergleich oder der Eintritt der Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils, aus dem sich die Rückgängigmachung oder Kaufpreisherabsetzung ergibt. Nach Vergleichsabschluss oder nach rechtskräftigem Urteil (nicht vorher) wäre daher dann der ESt-Bescheid 2006 zu ändern gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, was ggf. zu einer Herabsetzung der festgesetzten ESt 2006 führen wird.

2.

Auf die Aussetzungszinsen ist dies jedoch ohne Auswirkung. Dies folgt bereits unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut des § 237 Abs. 5 AO. Danach kommt es für die Aussetzungszinsen allein auf das Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens an. Davon unabhängige, spätere Änderungen der Festsetzung (wie hier die ggf. später noch zu erfolgende ESt-Minderung bei Rückgängigmachung des Anteilskaufes oder Minderung des Kaufpreises infolge Vergleichs oder rechtskräftigem Urteil) haben auf die Höhe der Aussetzungszinsen keinen Einfluss. Die Akzessorietät von Steuerschuld und Zinsschuld wird nämlich durch § 237 Abs. 5 EStG eingeschränkt (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 237 AO Rn. 39). Die Aussetzungszinsen bleiben daher bestehen, auch wenn die festzusetzende ESt später herabgesetzt wird.

II.

Bei Gesamtschuldnern hat derjenige die Aussetzungszinsen zu zahlen, der die AdV beantragt bzw. das Rechtsmittel erfolglos geführt hat (BFH, Urteil vom 06.11.1974 II R 18/72, BB 1975, 121, Juris Rn. 8; BFH, Urteil vom 28.11.1991 IV R 96/90, BFH/NV 1992, 506, Juris Rn. 11). Die Einspruchsschrift der Steuerberaterin Hansen, mit der zugleich AdV beantragt wurde, vom 26.05.2008 (ESt-A Bd. 1 Bl. 158) führt jedoch im Betreff auf „… und … A…“. Der Bescheid über die Gewährung von AdV vom 29.05.2008 (ESt-A Bd. 1 Bl. 173) benennt im Betreff ebenfalls „Herrn und Frau … und … A…“.

Ob die Ehegatten sich getrennt haben, möglicherweise zwischenzeitlich geschieden sind oder Aufteilung der Gesamtschuld für das Vollstreckungsverfahren hinsichtlich der ESt oder hinsichtlich der Aussetzungszinsen selbst beantragt haben, ist für das Steuerschuldverhältnis hinsichtlich der Aussetzungszinsen rechtlich unerheblich.

III.

Etwaige Mängel der Bekanntgabe des Zinsbescheides wären durch eine ordnungsgemäße Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt worden (Brockmeyer/Ratschow in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 122 Rn. 8 unter Nachweis der ständigen Rechtsprechung des BFH). Die Einspruchsentscheidung vom 04.03.2013 ist dem Klägervertreter für beide Eheleute bekanntgegeben worden (FG-A Bl. 3-5). Der Klägervertreter hatte sich gegenüber dem FA mit Schreiben vom 02.12.2011 (Hefter Rb AdV Bl. 4) als Vertreter beider Eheleute bestellt und seine Vollmacht anwaltlich versichert.

IV.

Das Gespräch an Amtsstelle vom 24.08.2012 verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.

1.

Eine verbindliche Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO etwa dahingehend, keine Aussetzungszinsen festzusetzen, liegt nicht vor, weil verbindliche Auskünfte noch nicht verwirklichte (also zukünftige) Sachverhalte umfassen. Der Lebenssachverhalt, der die Aussetzung begründete, war jedoch bereits am 05.12.2011 beendet (Absendung der Einspruchsentscheidung zur ESt 2006 am 01.11.2011; die Aussetzung war befristet bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung), auch wenn der endgültige Misserfolg des Einspruchs erst mit Klagerücknahme am 17.09.2012 feststand.

Außerdem ist ein Erklärungswille des FA, eine verbindliche Auskunft abzugeben nicht feststellbar.

2.

Ein Erlass (§ 227 AO) der bereits entstandenen Aussetzungszinsen würde beim FA einen entsprechenden Erlasswillen und dessen Äußerung (Bekanntgabe des Verwaltungsaktes, §§ 122, 124 AO) voraussetzen. Hierfür besteht aber keinerlei Anhaltspunkt. Der Kläger trägt selbst vor, in dem Gespräch seien seitens des FA etwaige weitere Verpflichtungen gerade nicht erwähnt worden.

3.

Die Festsetzung der Aussetzungszinsen verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (entsprechend § 242 BGB).

Zwar gilt der Grundsatz von Treu und Glauben auch für die öffentliche Verwaltung und im Besteuerungsverfahren. Verwirkung wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben setzt aber sowohl voraus, dass der Verpflichtete aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, als auch, dass der Verpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet (irreversibel disponiert) hat (zur Notwendigkeit einer Disposition vgl. Sächsisches FG, Urteil vom 26.09.2012 2 K 779/12, EFG 2013, 813, Juris Rn. 22, 23). Bei der Verwirkung handelt es sich um ein außergewöhnliches Gegenrecht, das nur in Ausnahmefällen Platz greift und nicht zu einer Aufweichung der Schuldnerverpflichtung führen darf (Gersch in Klein, AO, 11. Aufl. 2012, § 4 Rn. 21 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH). Der Grundsatz von Treu und Glauben verdrängt gesetztes Recht - hier die Aussetzungszinspflicht - nur in besonders liegenden Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmten Verhalten der Verwaltung - hier die Nichterhebung von Aussetzungszinsen - nach allgemeinem Rechtsgefühl in so hohem Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen.

a)

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob der Kläger das Verhalten des FA unter Berücksichtigung aller Umstände bei vernünftiger Würdigung dahingehend verstehen durfte, dass das FA keine Aussetzungszinsen festsetzen werde. Dies kann jedoch offen bleiben.

b)

Denn jedenfalls fehlt es an jedwedem Vortrag, welche irreversible Disposition der Kläger im Vertrauen auf die abschließende Regelung des Sachverhalts (zwischen dem Gespräch am 24.08.2012 und dem Zugang des Aussetzungsbescheids am 09.10.2012) getätigt haben will. Der Kläger hätte sowohl die Einkommensteuer als auch die Säumniszuschläge begleichen müssen, weil er dazu verpflichtet war, schon um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und letztlich die Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung oder einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuwenden. Welche - zudem irreversible - Disposition er anders getroffen hätte, wenn er im fraglichen Zeitraum gewusst hätte, dass weitere Forderungen hinzukommen können, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die rein psychische Frustration, ohne dass die ihr vorhergehende Erwartungshaltung zu einer finanzwirksamen und irreversiblen Disposition geführt hätte, kann nicht zu einer abweichenden Steuerfestsetzung führen.

V.

Der Zinssatz von 6 % p. a. ist nicht unverhältnismäßig und somit auch nicht verfassungswidrig, auch nicht unter Berücksichtigung der Dauer der Aussetzung.

Eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfordert zunächst eine Bestimmung der Größen, die zueinander in Relation zu bringen sind.

1.

Der Senat ist zunächst der Auffassung, dass es insoweit nicht auf den Zinsnachteil des Fiskus ankommt, den dieser dadurch erleidet, dass er aufgrund der Aussetzung zwischenzeitlich in entsprechendem Umfang höhere Darlehen aufnehmen muss, sondern ausschließlich auf den Vorteil, den der Steuerpflichtige durch die Aussetzung erhält.

a)

Zwar hat der BFH in älteren Entscheidungen ausgeführt, durch die Verzinsung sollten die durch die AdV entstehenden Zinsvorteile des Steuerpflichtigen und der Zinsverlust des Steuergläubigers ausgeglichen werden. Die AdV wirke sich hinsichtlich des Zinsvorteils des Steuerpflichtigen und des Zinsnachteils des Steuergläubigers in gleicher Weise aus. Die gesetzliche Regelung bezwecke einen Zinsausgleich (BFH, Urteil vom 24.07.1979 VII R 67/76, DStR 1979, 660, Juris Rn. 10; bestätigt durch BFH, Urteil vom 21.02.1991 V R 105/84, HFR 1992, 104, Juris Rn 34f.: „Kompensation“).

b)

Hingegen hat sich der BFH in neueren Entscheidungen darauf beschränkt, dass Aussetzungszinsen den Vorteil ausgleichen sollen, den der Steuerpflichtige deswegen gehabt hat, weil er von der Zahlung geschuldeter Steuern vorerst freigestellt war. Zinsen würden festgesetzt, weil der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt habe oder zumindest erlangen bzw. anderweitige Zinsbelastungen vermeiden konnte. Auch die unter Umständen nur potentiellen Vorteile rechtfertigten die Zinserhebung. Der Zinssatz bewerte typisierend den aus der Verfügung über Bargeld herrührenden Liquiditätsvorteil (BFH, Urteil vom 20.09.1995 X R 86/94, DB 1996, 311, Juris Rn. 12 f.). In Höhe der Zinsen habe der Steuerpflichtige einen Zinsvorteil erlangt, der ihm nach dem materiellen Recht nicht zustehe (BFH, Urteil vom 09.12.1998 XI R 24/98, DStR 1999, 499, Juris Rn. 27).

c)

Durch die AdV rückt der Steuergläubiger in eine einem Darlehensgeber ähnliche Rolle. So hat der BFH ausgeführt: [Aussetzungszinsen] „… sind - wie Zinsen aufgrund zivilrechtlicher Ansprüche - laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags“ (BFH, Urteil vom 25.03.1992 I R 159/90, HFR 1992, 593, Juris Rn. 12). In ähnlicher Weise hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) - allerdings zu Nachforderungszinsen - dahingehend geäußert, der Zinsbescheid solle „verschuldensunabhängig die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Liquiditätsvorteile abschöpfen, die dessen steuerliche Leistungsfähigkeit erhöht haben und die von anderen Steuerpflichtigen gerade nicht erzielt worden sind“ (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.09.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, Juris Rn. 34).

2.

Der Senat ist weiter der Auffassung, dass bei Bestimmung der abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile primär der Steuerpflichtige in den Blick zu nehmen ist, der mit Kredit arbeitet (arbeiten muss), und wenn, dann nur nachrangig derjenige Steuerpflichtige, der seine Guthaben verwaltet und anlegt.

a)

In der Praxis werden Anträge auf AdV nach Einschätzung des Senats sehr viel häufiger von Privatpersonen oder Unternehmen gestellt, die mit Kredit arbeiten und eine Erhöhung ihrer Kreditlinie bei ihrer Bank nicht mehr erreichen können, als von Steuerpflichtigen, die das Geld, das sie zunächst nicht zu zahlen bräuchten, anlegen würden. Dies ergibt sich daraus, dass die Anträge auf AdV typischerweise nicht nur mit der Alternative „ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit“ des auszusetzenden Bescheids begründet werden, sondern häufig auch mit der Alternative „unbillige Härte“ aufgrund der Vermögenssituation. Außerdem ist den Erhebungsakten zu entnehmen bzw. ergibt sich aus parallelen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, dass zugleich eine Stundung oder Einstellung der Zwangsvollstreckung begehrt wird wegen aktueller Zahlungsunfähigkeit. Vor diesem Hintergrund ist der Fall des mit Kredit arbeitenden Steuerpflichtigen der typische Fall einer AdV.

b)

Im Übrigen ist zu bedenken, dass es dem Steuerschuldner freisteht, AdV zu beantragen. Arbeitet er nicht mit Kredit, sondern mit Guthaben, kann er zunächst zahlen und bekommt im Erfolgsfalle aufgrund der Vollverzinsung von Erstattungen (§ 233a AO) in aller Regel den Erstattungsbetrag dann mit 6 % Zinsen p. a. verzinst. Aufgrund der Bonität des deutschen Fiskus und des damit verbundenen extrem geringen „Anlagerisikos“ stellt sich diese Verzinsung jedenfalls derzeit als deutlich marktüberdurchschnittlich dar. Der nicht auf Kredit angewiesene Steuerpflichtige kann sich daher der Nachteile, die ihm im Falle der Gewährung einer AdV durch den Zinssatz drohen, durch seine eigene Entscheidung erwehren. Der mit Kredit arbeitende Steuerpflichtige hat diese Wahlmöglichkeit aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht. Der BFH hat auch bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass nur der Steuerschuldner, nicht aber der Steuergläubiger diese Wahlmöglichkeit hat (BFH, Urteil vom 21.02.1991 V R 105/84, HFR 1992, 104, Juris Rn. 35; demgegenüber offenlassend jedoch BFH, Urteil vom 09.05.2012 I R 91/10, BFH/NV 2012, 2004, Juris Rn. 29). Die Wahlmöglichkeit des Steuerpflichtigen spricht ebenfalls dafür, primär den mit Kredit arbeitenden Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

3.

Der Senat ist in tatsächlicher Hinsicht davon überzeugt, dass - auch derzeit noch und erst recht im Streitzeitraum - übliche Geschäfts- wie Privatkredite von Geschäftsbanken ohne besondere Sicherheiten, die die AdV-Antragsteller aber typischerweise nicht stellen könnten (vgl. oben) - nur zu Zinssätzen von mindestens 6 % p. a. ausgereicht werden.

a)

Zwar könnte ein erster Blick in die aktuelle Zinsstatistik der Deutsche Bundesbank (vom 07.01.2014) zu einer anderen Einschätzung verleiten. Dieser ist zu entnehmen, jeweils per November 2013 und Effektivzinssatz:

Bestandsgeschäft:

                

Konsumentenkredite und sonstige Kredite an private Haushalte

bis 1 Jahr

7,55 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

5,03 %

        

über 5 Jahre

5,05 %

        

Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

bis 1 Jahr

3,07 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

2,85 %

        

über 5 Jahre

3,26 %

        

Neugeschäft

                

Kredite an wirtschaftlich selbständige Privatpersonen mit anfänglicher Zinsbindung

bis 1 Jahr

2,11 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

3,78 %

        

über 5 Jahre

2,92 %

        

Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung einschließlich besicherte Kredite

insgesamt

6,22 %

        

bis 1 Jahr

5,78 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

5,01 %

        

über 5 Jahre

7,73 %

        

darunter besicherte Kredite

insgesamt

4,40 %

        

bis 1 Jahr

3,64 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

4,71 %

        

über 5 Jahre

4,12 %

        

revolvierende und Überziehungskredite an private Haushalte

9,30 %

echte Kreditkartenkredite an private Haushalte

14,64 %

Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. € mit anfänglicher Zinsbindung einschließlich besicherte Kredite

bis 1 Jahr

2,99 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

3,69 %

        

über 5 Jahre

2,85 %

        

darunter besicherte Kredite

bis 1 Jahr

2,88 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

2,97 %

        

über 5 Jahre

2,77 %

        

Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften über 1 Mio. € mit anfänglicher Zinsbindung einschließlich besicherte Kredite

bis 1 Jahr

1,70 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

2,43 %

        

über 5 Jahre

2,70 %

        

darunter besicherte Kredite

bis 1 Jahr

2,11 %

        

über 1 Jahr bis 5 Jahre

2,75 %

        

über 5 Jahre

2,65 %

        

In diese Richtung dürfte auch der Hinweis des Finanzgerichts Hamburg zu verstehen sein, die Refinanzierungszinsen für mittelgroße und große Industrieunternehmen hätten im Mai 2013 durchschnittlich zwischen 1,25 % und 1,9 % betragen und private Konsumentenkredite seien - abhängig von Bonität, Laufzeit, Höhe des Darlehens u. a. - zum Zeitpunkt seiner Entscheidung (Mai 2013) zu Zinssätzen unter 4 % zu erlangen (FG Hamburg, Urteil vom 23.05.2013 2 K 50/12, EFG 2013, 1734, Juris Rn. 26).

b)

Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass solch niedrige Zinssätze von unter 3 % p. a. keineswegs repräsentativ sind. Sie sind typisch für industrielle Großprojekte, bei denen etwa eine zu errichtende Anlage zugleich als Sicherheit dient.

Der typische AdV-Antragsteller ist hingegen eine natürliche oder juristische Person, die bei ihrer Bank keine Erhöhung der Kreditlinie mehr erreichen kann und in der Regel - weder der Bank für eine Erhöhung der Kreditlinie noch alternativ dem FA für eine Gewährung von AdV - Sicherheiten stellen kann. Die Praxis zeigt, dass eine Gewährung von AdV gegen Sicherheit in voller Höhe fast nie zu gerichtlichem Streit führt. Der Streit entzündet sich im Gegenteil häufig deswegen, weil das FA zwar zu Gewährung von AdV gegen Sicherheitsleistung in voller Höhe bereit ist, dies dem antragstellenden Steuerpflichtigen aber praktisch nichts nützen würde, weil er entsprechende Sicherheiten nicht stellen kann, denn könnte er sie stellen, bekäme er Bankkredit und bräuchte keine AdV, so dass - dann oft gerichtlich - AdV ohne Sicherheitsleistung begehrt wird. Mit den Bedingungen von industrieüblichen, gesicherten Großkrediten kann daher die Situation bei der Gewährung von AdV regelmäßig nicht verglichen, der Zinssatz für die Aussetzungszinsen mit dem dort üblichen Zinssatz nicht in Bezug gesetzt werden.

c)

Der - durch seine ehrenamtlichen Richter sachkundige (§ 25 Satz 2 FGO) - Senat entnimmt vielmehr der Erfahrung, dass derzeit von Banken übliche, nicht besicherte, regelhafte Geschäfts- wie Privatkredite zu Zinsen in der Spannbreite von 6 % bis 9 % p. a. ausgereicht werden.

4.a)

Der Zinssatz für Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % p. a. ist daher auch derzeit noch und erst recht im Streitzeitraum als „laufzeitabhängiges Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldbetrags“ (vgl. BFH oben V.1.c) angemessen und somit keineswegs unverhältnismäßig und daher auch nicht verfassungswidrig.

b)

Die vom Finanzgericht Hamburg aufgeworfene Frage, wie lange sich ein niedriges Zinsniveau schon stabilisiert haben muss, damit die dem Gesetzgeber zuzubilligende Beobachtungszeit abgelaufen und er von Verfassungs wegen zu einer Anpassung gezwungen ist (FG Hamburg, Urteil vom 23.05.2013 2 K 50/12, EFG 2013, 1734, Juris Rn. 30-32), stellt sich damit nach Auffassung des Senats bisher gar nicht.

5.

Aufgrund der Angemessenheit des Zinssatzes kommt es auch auf die Dauer der Aussetzung und eine möglicherweise durch die Finanzverwaltung zu vertretende Verfahrensverzögerung nicht an.

Denn die Aussetzungszinsen sind gerade das laufzeitabhängige Entgelt für die Überlassung des Geldbetrages (BFH oben V.1.c). Daraus ergibt sich, dass der (angemessene) Zins auch dann gezahlt werden muss, wenn die Aussetzung lange gedauert hat. Die Laufzeitabhängigkeit rechtfertigt die Zinserhebung auch dann, wenn ohne Zutun des Steuerpflichtigen die angemessene Verfahrensdauer (hier: des Einspruchsverfahrens) überschritten wird (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH, Urteil vom 21.02.1991 V R 105/84, NVwZ-RR 1993, 5, HFR 1992, 104, Juris Rn. 34 a. E.; BFH, Urteil vom 20.09.1995 X R 86/94, DB 1996, 311, Juris Rn. 13; BFH, Beschluss vom 19.02.1996 I B 86/95, BFH/NV 1996, 725, Juris Rn. 4). Der Gesichtspunkt der Verfahrensdauer hat daher neben dem Gesichtspunkt der Zinshöhe für die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit keine eigenständige Bedeutung. Entweder die Zinshöhe ist verfassungswidrig, dann wäre sie es auch schon für kurze Zinslaufzeiten, oder die Zinshöhe ist, vgl. oben, verfassungsgemäß, dann ist sie es auch für lange Zinslaufzeiten.

VI.1.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe aufgrund der Vielzahl der von ihr betroffenen Fälle grundsätzliche Bedeutung hat. Diese Frage wird derzeit im Schrifttum diskutiert und in eingehenden Klagen immer wieder zum Gegenstand des Klagevorbringens gemacht. Es erscheint insbesondere klärungsbedürftig, was der Bezugspunkt einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist (nur der Vorteil des Steuerpflichtigen oder auch der Nachteil des Steuergläubigers, nur der mit Kredit arbeitende Steuerpflichtige oder auch der Guthaben verwaltende).

2.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 135 Abs. 1 FGO.