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Entscheidung 17 TaBV 1366/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 17. Kammer Entscheidungsdatum 16.11.2011
Aktenzeichen 17 TaBV 1366/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 76 Abs 3 S 4 BetrVG

Leitsatz

Ein Spruch der Einigungsstelle kann formwirksam nicht durch E-mail zugeleitet werden (Beschluss an BAG, Beschluss vom 05.10.2010 - 1 ABR 31/09).

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.05.2011 - 31 BV 12235/10 - geändert:

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle zu Beginn und Ende der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Umziehzeiten vom 30.06.2010 unwirksam ist.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Werttransport- und Geldbearbeitungsgewerbe; der Beteiligte zu 2) ist der in ihrem Berliner Betrieb gebildete Betriebsrat.

In dem Betrieb finden u.a. die Betriebsvereinbarung „Flexible Arbeitszeit“ vom 23. Oktober 2006 (BV Arbeitszeit), die Regelungen über die Einteilung der Arbeitnehmer verschiedener Betriebsbereiche in Schichten, zur Zeiterfassung und zu Arbeitszeitkonten der Arbeitnehmer enthält, sowie die Gesamtbetriebsvereinbarung „Dienstkleidung“ vom 12. April 2010 (GBV) Anwendung. Wegen der Einzelheiten der Betriebsvereinbarungen wird auf Bl. 36 ff. und 55 ff. der Akten verwiesen.

Die Beteiligten einigten sich auf die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Beginn und Ende der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Umziehzeiten“. Die Einigungsstelle beschloss in ihrer Sitzung vom 30. Juni 2010 mit der Mehrheit ihrer Mitglieder folgende Regelung:

1. Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, die verpflichtet sind, Dienstkleidung zu tragen, beginnt, bevor sie sich im Betrieb umkleiden und endet, nachdem sie sich umgekleidet haben, sofern das Umkleiden im Betrieb erfolgt.

2. Das Bedienen der Zeiterfassungsgeräte hat für Arbeitnehmer, die verpflichtet sind, Dienstkleidung zu tragen, zu Beginn der Arbeit vor und zum Ende der Arbeit nach dem Umkleiden im Betrieb zu erfolgen, sofern das Umkleiden im Betrieb erfolgt.

Der Vorsitzende der Einigungsstelle leitete den Betriebsparteien den Spruch der Einigungsstelle am 25. Juli 2010 durch E-Mail und PDF-Datei zu.

Die Arbeitgeberin hat mit ihrem am 9. August 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Feststellung begehrt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 30. Juni 2010 unwirksam sei. Hinsichtlich des Regelungsbereichs „Dienstkleidung“ bestehe eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Die Einigungsstelle habe zudem geregelt, dass die Umziehzeiten zu vergüten seien; hierfür fehle ein zwingendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Auch habe die Einigungsstelle nicht berücksichtigt, dass das Tragen der Dienstkleidung vor allem im Interesse der Arbeitnehmer liege. Die Einigungsstelle habe bei der Regelung die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschritten. Der Betriebsrat hat die Regelung demgegenüber für rechtswirksam gehalten.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag durch einen am 18. Mai 2011 verkündeten Beschluss zurückgewiesen. Der Spruch der Einigungsstelle sei rechtswirksam. Dem Betriebsrat stehe für die Regelung der Umziehzeiten ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu, weil die Dienstkleidung im Interesse der Arbeitgeberin zu tragen sei; dass Umziehzeiten vergütet werden müssten, sehe die Regelung nicht vor. Die Einigungsstelle habe ihr Regelungsermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen zu II. der Beschlussgründe verwiesen.

Gegen diesen ihr am 6. Juni 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 1. Juli 2011 eingelegte Beschwerde der Arbeitgeberin, die sie innerhalb der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist begründet hat.

Die Arbeitgeberin hält den Spruch der Einigungsstelle unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für rechtsunwirksam. Der Spruch sei bereits formunwirksam, weil er nicht schriftlich, sondern mittels E-Mail zugeleitet worden sei. Die Einigungsstelle habe die Vergütung der Umziehzeiten geregelt, weil jede Arbeitszeiterfassung in das Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmer eingehe; hierfür fehle ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für die Festlegung von Umziehzeiten fehle im Hinblick auf die GBV und die BV Arbeitszeit. Die Einigungsstelle habe zudem den Beginn und das Ende der Umziehzeiten nicht festgelegt; es bleibe vielmehr dem Arbeitnehmer überlassen, wann und wie lange er sich – gegen Bezahlung – umziehe.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Änderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. Mai 2011 - 31 BV 12335/10 - festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle zu Beginn und Ende der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Umziehzeiten vom 30. Juni 2010 unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens für zutreffend. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sich die Arbeitgeberin auf eine möglicherweise nicht formgerechte Übermittlung des Spruchs der Einigungsstelle berufe; denn die Arbeitgeberin habe in den bisherigen Einigungsstellenverfahren ein gleichartiges Vorgehen des Vorsitzenden nicht gerügt. Die getroffene Regelung sei inhaltlich nicht zu beanstanden. Es bestehe ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Umziehzeiten, was weder durch die GBV noch durch die BV Arbeitszeit ausgeübt worden sei. Der Spruch der Einigungsstelle sehe auch nicht vor, dass die Umziehzeiten zu vergüten seien. Es bleibe vielmehr der Arbeitgeberin unbenommen, die Umziehzeiten – ggf. durch weitere Zeiterfassungsgeräte – festzustellen und aus der vergütungspflichtigen Arbeitszeit herauszurechnen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte und gemäß §§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.

Der Spruch der Einigungsstelle zu Beginn und Ende der Arbeitszeit im Zusammenhang mit Umziehzeiten vom 30. Juni 2010 ist wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG unwirksam. Dem Antrag der Arbeitgeberin war daher unter Änderung des angefochtenen Beschlusses zu entsprechen.

1. Beschlüsse der Einigungsstelle sind nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Es handelt sich um eine verbindliche Handlungsanleitung für den Vorsitzenden der Einigungsstelle, deren Nichtbefolgung zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs führt (BAG, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 1 ABR 31/09 – NZA 2011, 420 ff.). Die Einhaltung der Schriftform dient der Rechtsklarheit für die Betriebsparteien und die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Sie sollen aufgrund der Beurkundung und Dokumentation des Einigungsstellenspruchs erkennen können, dass das vom Vorsitzenden der Einigungsstelle unterzeichnete Regelwerk auch tatsächlich von der Einigungsstelle beschlossen wurde und die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat – mit der normativen Wirkung einer Betriebsvereinbarung – ersetzt. Die gesetzliche Schriftform kann nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) oder Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden; eine nachträgliche, rückwirkende Heilung der Verletzung der in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG bestimmten Formvorschriften ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht möglich (BAG, a.a.O.).

2. Der Spruch der Einigungsstelle vom 30. Juni 2010 wurde den Betriebsparteien nicht unter Wahrung der gesetzlichen Schriftform, sondern lediglich als PDF-Datei durch E-Mail zugeleitet; dies genügt den genannten Anforderungen nicht. Der Betriebsrat kann in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg geltend machen, die Arbeitgeberin dürfe sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Verletzung der zwingenden Formvorschriften berufen. Die Arbeitgeberin handelte nicht widersprüchlich oder in sonstiger Weise rechtsmissbräuchlich, als sie in dem Beschwerdeverfahren die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen geltend machte. Selbst wenn sie bislang – möglicherweise in Unkenntnis der Rechtslage – eine Übermittlung von Einigungsstellensprüchen mittels E-Mail und PDF-Datei nicht beanstandet hatte, hat sie doch in keiner Weise zu erkennen gegeben, sie werde auch zukünftig eine Verletzung der vorgeschriebenen Schriftform akzeptieren. Weder der Vorsitzende der Einigungsstelle noch der Betriebsrat durften deshalb darauf vertrauen, die fehlende Einhaltung der Formvorschriften werde von der Arbeitgeberin nicht gerügt werden.

3. Die Beschwerdekammer hält im Hinblick auf die nunmehr erforderliche Fortsetzung des Einigungsstellenverfahrens in der Sache folgende Hinweise für geboten:

a) Die Frage der Umziehzeiten berührt das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs.1 Nr. 2 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, wobei sich der hier maßgebliche Arbeitszeitbegriff nicht mit dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit und dem des Arbeitszeitgesetzes oder der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 4. November 2003 (ABl. EG Nr. L 299 S. 9) deckt (BAG, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 ABR 54/08 – AP Nr. 125 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Durch das genannte Mitbestimmungsrecht soll vielmehr das Interesse der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit berücksichtigt werden; es betrifft die Lage der Grenze zwischen vertraglich geschuldeter Arbeitszeit und Freizeit. Umkleidezeiten gehören danach zur Arbeitszeit, wenn das Umkleiden dem Interesse des Arbeitgebers dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt. Das Arbeitsgericht hat dabei zu Recht angenommen, dass das Tragen (und damit auch das An- und Ablegen) der durch die GBV vorgeschriebenen Dienstkleidung fremdnützig ist und deshalb zur Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gehört; auf die Ausführung zu II. 2. c) der Gründe des angefochtenen Beschlusses kann dabei verwiesen werden.

b) Eine Regelung der Umziehzeiten ist bislang nicht erfolgt. Die GBV sieht lediglich vor, dass eine Dienstkleidung zu tragen und wie diese beschaffen ist; sie verhält sich nicht zu Zeiten, die zum An- und Ablegen der Dienstkleidung erforderlich ist. Die BV Arbeitszeit legt ebenfalls nicht fest, ob und ggf. in welchem Umfang Umziehzeiten als Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu behandeln sind. Die Einigungsstelle kann diese Frage daher einer Regelung zuführen.

c) Der Spruch der Einigungsstelle vom 30. Juni 2010 hält einer inhaltlichen Überprüfung nur teilweise stand. So bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die in Nr. 1 des Spruchs getroffene Regelung. Durch sie wird lediglich festgelegt, dass Umziehzeiten zur Arbeitszeit gehören. Die Arbeitgeberin ist danach gehalten, die Umziehzeiten bei Anwendung arbeitszeitschutzrechtlicher Bestimmungen entsprechend zu berücksichtigen. Demgegenüber hat die Einigungsstelle mit der in Nr. 2 des Spruchs getroffenen Regelung ihre Kompetenz überschritten. Die Festlegung, dass bei einem An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb die Zeiterfassungsgeräte vor bzw. nach dem Umkleiden zu bedienen sind, führt zu einer Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Umziehzeiten zu vergüten; dies ist von dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nicht umfasst und kann deshalb auch nicht durch Spruch der Einigungsstelle verbindlich festgelegt werden. Nach § 9 BV Arbeitszeit werden die in die Zeiterfassung eingegebenen Zeiten automatisch den Gut- und Minusstunden der einzelnen Arbeitnehmer zugeordnet. Diese werden nach § 10 BV Arbeitszeit in Arbeitszeitkonten der Arbeitnehmer erfasst und führen damit im Falle eines Guthabens zu einer bezahlten Freistellung bzw. zu einer Vergütung der Zeiten; weist das Arbeitszeitkonto – bereits bezahlte – Minusstunden aus, verringern sich diese durch die eingegebenen Umziehzeiten, was ebenfalls zu deren Vergütung führt. Hiergegen kann nicht mit Erfolg eingewendet werden, die Arbeitgeberin könne durch die Einführung zusätzlicher Geräte für die Erfassung der Umziehzeiten bzw. durch nachträgliches Herausrechnen der Umziehzeiten eine derartige Vergütung verhindern. Maßgebend für die rechtliche Bewertung des Spruchs der Einigungsstelle ist nicht, ob die Arbeitgeberin durch weitere – möglicherweise mitbestimmungspflichtige – Maßnahmen in die Lage versetzt werden kann, bei der Vergütung der Arbeitnehmer Umziehzeiten nicht zu berücksichtigen. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob die Anwendung der Regelung für sich genommen eine derartige Vergütung zur Folge hätte. Dies ist der Fall, weil die Arbeitnehmer nach Nr. 2 des Spruchs der Einigungsstelle keine gesonderten, sondern die bereits im Betrieb eingeführten Zeiterfassungsgeräte zu benutzen haben und die Einigungsstelle auch nicht geregelt hat, auf welche sonstige Weise eine Vergütung der Umziehzeiten ausgeschlossen werden kann.

4. Die Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.

5. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lagen nicht vor.