Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 12.11.2010 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 382/07 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 18 SGB 5 |
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. März 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Erstattung der Kosten einer Krankenhausbehandlung in der Schweiz.
Die Klägerinnen sind die Erbinnen des 1944 geborenen und 2003 verstorbenen B K, der bei der Beklagten versichert war (im Folgendem: Versicherter). Die behandelnden Krankenhausärzte aus der Charité beantragten am 21. Juni 2002 bei der Beklagten für den Versicherten die Kostenübernahme für einen individuellen Heilversuch. Der Versicherte leide an einem Pankreastumor mit ausgeprägter inoperabler Metastasierung im rechten Kieferwinkel. Eine Chemotherapie sei eingeleitet. Aus ärztlicher Sicht sei eine Therapie mit Radionuklid-markiertem Somatostatin-Analogon dringend indiziert, die gegenwärtig nur im Kantonsspital in Basel durchgeführt werde. In Deutschland werde eine gleichartige Therapie nicht angeboten. Entsprechend werde die Kostenübernahme für eine Therapie mit 90-Yttrium-Dotatoc in Basel beantragt.
Nach Befragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte telefonisch und mit an den Versicherten gerichteten Schreiben vom 19. Juli 2002 die Kostenübernahme ab. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, bei der ein nicht zugelassenes und nicht verkehrsfähiges Arzneimittel zum Einsatz komme. Das Verfahren werde in der Schweiz erprobt, sei aber auch dort nicht anerkannt. Die Kosten würden von den gesetzlichen Versicherungen nicht erstattet.
Der Versicherte legte Widerspruch ein, mit dem er (u.a.) geltend machte, dass die Behandlung in Basel nach Auskunft seiner behandelnden Ärzte bisher allen Patienten mit dem entsprechenden speziellen Tumortyp geholfen habe. Die Kosten für diese Behandlung seien bis vor einiger Zeit von allen gesetzlichen Krankenkassen übernommen worden.
Durch Bescheid vom 27. August 2002 lehnte die Beklagte erneut die Übernahme der Kosten für eine „Radiotherapie“ in Basel ab. Es handele sich nicht um eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung, so dass die Kosten für eine Auslandsbehandlung nicht übernommen werden könnten. Empfohlen werde die Vorstellung bei einem Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen sowie eine Chemotherapie oder eine Strahlentherapie. Eine Kostenübernahme wurde am 4. September 2002 auch gegenüber dem Kantonsspital Basel abgelehnt. Durch Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2003 wies die Beklagte dann den Widerspruch zurück.
Der Versicherte ließ sich vom 7. Oktober 2002 bis zum 9. Oktober 2002 und vom 2. Dezember 2002 bis zum 4. Dezember 2002 im Kantonsspital Basel in zwei Zyklen mit einer 90-Yttrium-Dotatoc-Therapie behandeln.
Am 4. Juni 2003 hat er beim Sozialgericht Neuruppin Klage auf Erstattung der Behandlungskosten erhoben. Die Klägerinnen haben medizinische Fachartikel über die in Anspruch genommene Therapieform sowie Belege über die entstandenen Kosten der Behandlung einschließlich Fahrkosten vorgelegt. Die Beklagte hat sich auf in Parallelfällen ergangene Entscheidungen des Sozialgerichts Darmstadt (Urt. v. 8. April 2005 und 24. Juni 2005– S 13 KR 383/02 und S 13 KR 392/03) berufen und ein vom Sozialgericht Darmstadt eingeholtes Fachgutachten vom 4. Juli 2004 über die Behandlung von Tumorerkrankungen mit 90-Yttrium-Dotatoc vorgelegt, erstattet von Dr. S-Z K und Prof. Dr. B.
Das Sozialgericht hat bei dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit nachgefragt, ob die fragliche Therapie in der Schweiz Kassenleistung sei. Es hat Berichte über die Behandlung des Versicherten beim Kantonsspital Basel und bei der Charité eingeholt.
Durch Urteil vom 28. März 2007 hat das Sozialgericht Neuruppin die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerinnen 10.582,24 Euro abzüglich 714,10 sFr. zu zahlen, nachdem die Beklagte unstreitig gestellt hatte, dass diese Kosten entstanden sind. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig seien. Der Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten ergebe sich aus dem Zustimmungsgesetz zum Zweiten Zusatzabkommen zum deutsch-schweizerischen Sozialversicherungsabkommen und der Zusatzvereinbarung zur Vereinbarung über die Durchführung des Abkommens. Der Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten ergebe sich aus dem Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - SGB V -. Zu beachten sei jeweils die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen. Trotz Auslandsaufenthaltes sei kein Ruhen des Anspruchs auf Krankenbehandlung eingetreten. Das ergebe sich aus § 18 SGB V und Art. 2 Abs. 1 b, Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 des genannten Zustimmungsgesetzes. Diese Regelungen würden nicht durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt, das gerade keinen Kostenerstattungsanspruch vorsehe. Das Zustimmungsgesetz sei für die Behandlung deutscher Staatsbürger in der Schweiz lex specialis gegenüber § 18 SGB V. Es sei insofern günstiger für die Versicherten als § 18 SGB V, als es den Anspruch auf Kostenübernahme nicht davon abhängig mache, dass eine Behandlung nur im Ausland möglich gewesen sei.
Unter Beachtung der Vorgaben des BVerfG seien sogar die strengen Voraussetzungen des § 18 SGB V erfüllt. Erst recht gelte dies für die weniger strengen Voraussetzungen nach dem Zustimmungsgesetz: Eine Zustimmung zur Behandlung in der Schweiz könne dann erteilt werden, wenn eine Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Weil mit der Behandlungsmöglichkeit im Ausland Versorgungslücken geschlossen werden sollten, käme es auf eine Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht an. Bei dem Versicherten habe eine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vorgelegen. Eine erfolgversprechende schulmedizinische Behandlungsalternative habe nicht bestanden. Das ergebe sich aus den Entlassungs- und Befundberichten der Charité. Die gegenteiligen Stellungnahmen des MDK seien nicht nachvollziehbar. Die vorgenommene Behandlung habe eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geboten. Das ergebe sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. B / Dr. S-Z K. Der tödliche Verlauf der Erkrankung widerlege die ex-ante anzustellende Prognose nicht. Der Anspruch auf Fahrkosten ergeben sich aus § 18 SGB V. Eine Begleitung des Versicherten sei notwendig gewesen. Die Behandlung sei nur im Ausland möglich gewesen. Sollte die Möglichkeit einer entsprechenden Therapie auch in Deutschland bestanden haben, ergäbe sich der Kostenerstattungsanspruch jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Beratungspflichtverletzung. Wegen § 137c SGB V und §§ 2, 21 des Arzneimittelgesetzes habe die Therapie nämlich ohne weiteres verlangt werden können, solange keine negative Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgelegen habe.
Gegen das ihr am 18. Mai 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Juni 2007 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten. Nach ihrer Auffassung ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus dem Europäischen Recht. Das deutsch-schweizerische Zusatzabkommen könne keine Anwendung finden, da zum 1. Juni 2002 das Sektoralabkommen mit der Schweiz in Kraft getreten sei und diese seitdem die Verordnung (EWG) gegen sich gelten lasse. Die streitigen Behandlungen seien nach diesem Datum erfolgt. Eine Zustimmung zur Behandlung oder eine Sachleistungsaushilfe nach Art. 22 VO (EWG) 1408/71 seien nicht möglich gewesen, weil die Therapie auch in der Schweiz nicht anerkannt sei und nicht zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung erbracht werde. Diese Rechtsauffassung werde durch das Sozialgericht Darmstadt (Hinweis auf Urt. v. 24. Juni 2005 – S 13 KR 392/03) und das Hessische Landessozialgericht (Hinweis auf Beschluss v. 23. Januar 2006 – L 8 KR 128/05) bestätigt.
Maßgebend seien folglich die Bestimmungen des § 18 SGB V. Danach komme es darauf an, ob eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland bzw. außerhalb des Geltungsbereiches des Vertrags zur Gründung der EG und des Abkommens über den EWR möglich sei. Die streitige Behandlung entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, da sie nur in wenigen Zentren im europäischen Ausland angeboten und in Deutschland nur im Rahmen von Studien durchgeführt werde. Dies habe auch der Medizinische Dienst bestätigt. Auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG v. 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – ergebe sich nichts anderes. Denn die ausreichende medizinische Versorgung habe auch in ihrem – der Beklagten - Geschäftsgebiet sichergestellt werden können. So hätte eine evtl. Resektabilität der Metastase oder ein anderes chirurgisches Vorgehen geprüft werden können. Als Therapiealternative habe eine Chemotherapie zur Verfügung gestanden, die eingeleitet worden sei. Auch hätte noch abgeklärt werden können, ob eine Bestrahlungstherapie in Frage komme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. März 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweisen auf ihr bisheriges Vorbringen. Die Möglichkeit einer Resektabilität sei bereits geprüft und abgelehnt gewesen. Chemo- und Bestrahlungstherapie seien bereits erfolglos angewandt worden. Der MDK gehe demnach von falschen Voraussetzungen aus.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Versicherten betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte zur Erstattung der Behandlungskosten und Fahrkosten verurteilt.
Anspruchsgrundlage ist § 18 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung. Diese Vorschrift findet hier noch Anwendung, weil der Versicherte die Leistungen, für die vorliegend Kostenerstattung geltend gemacht wird, im Jahre 2002 in Anspruch genommen hat. Nach § 18 Abs. 1 SGB V a.F. kann die Krankenkasse die Kosten einer erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Der Anwendungsbereich der Vorschrift in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung war nicht auf das vertragslose Ausland beschränkt, aus ihr konnten sich demnach ergänzend zu den zwischenstaatlichen Vorschriften Ansprüche auf Kostenerstattung ergeben (Bundessozialgericht – BSG -, Urt. v. 9. Oktober 2001 – B 1 KR 26/99 R -).
Soweit der Anspruch nach § 18 Abs. 1 SGB V a.F. einen vorherigen Antrag erfordert (vgl. BSG v. 3. September 2003 – B 1 KR 34/01 R -) ist diese Voraussetzung gewahrt, da sich der Versicherte vor Aufnahme der Behandlung in der Schweiz an die Beklagte wegen einer Genehmigung und Kostenübernahme gewandt hatte.
Materiell setzt eine Kostenübernahme gemäß § 18 SGB V alter Fassung nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass (1) die im Ausland angebotene Behandlung dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und (2) im Inland keine diesem Standard entsprechende Behandlung der Erkrankung des Versicherten möglich ist (BSG, Urt. v. 16. Juni 1999 – B 1 KR 4/98 R -). Die Vorschrift findet demnach Anwendung in Fällen, in denen ein im Ausland entwickeltes Therapieverfahren oder ein neues medizinisch-technisches Gerät noch nicht verfügbar oder die Therapie wegen besonderer klimatischer Verhältnisse nur ortsgebunden im Ausland möglich ist. Die Regelung greift aber auch, wenn die Behandlung im Inland an sich möglich ist, aber wegen fehlender Kapazitäten oder aus anderen Gründen nicht rechtzeitig erfolgen kann.
In Bezug auf die erste Voraussetzung (allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse) ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nicht darauf ankommt, ob die Behandlungsmethode gemäß § 135 SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss anerkannt worden ist und ob es sich bei der verwendeten Substanz um ein zugelassenes Arzneimittel handelt. Für eine arzneimittelrechtliche Zulassung ist von vornherein kein Raum, weil es sich nicht um ein sog. Fertigarzneimittel handelt. Und der Genehmigungsvorbehalt in § 135 SGB V betrifft nur die vertragsärztliche (ambulante) Versorgung, hier geht es dagegen um eine Behandlung im Krankenhaus (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17. Januar 2007 – L 11 KR 6/06 -). Angesichts der verwendeten radioaktiven Materialien kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass die Durchführung der Therapie die besonderen sächlichen und personellen Mittel eines Krankenhauses erforderte. Für die stationäre Behandlung gilt aber § 137c SGB V, wonach eine Behandlungsmethode nur dann nicht erbracht werden darf, wenn sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss geprüft und negativ bewertet worden ist. Im Übrigen handelt es sich bei den hier streitigen Leistungen um eine (stationäre) Behandlung außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches des SGB V, so dass es auch aus diesem Grund nicht auf die Anerkennung der Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ankommen kann. Dies gilt jedenfalls solange, als die in Frage stehende Behandlungsmethode ausschließlich im Ausland angeboten wird (BSG, Urt. v. 16. Juni 1999 – B 1 KR 4/98 R, Urt. v. 3. September 2003 – B 1 KR 34/01 R -). Da eine negative Bewertung der Therapie durch den gemeinsamen Bundesausschuss jedenfalls bisher nicht erfolgt ist, wäre eine entsprechende Behandlung von der Beklagten sogar zu übernehmen gewesen, wenn sie in einem inländischen (zugelassenen) Krankenhaus erfolgt wäre.
Die 90-Yttrium-Dotatoc Therapie entspricht auch dem Stand der medizinischen Erkenntnisse (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 17. Januar 2007 – L 11 KR 6/06 -). Nach der Rechtsprechung des BSG entspricht eine Behandlungsmethode dann dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse, wenn sie von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) befürwortet wird. Über die Zweckmäßigkeit einer Therapie muss Konsens bestehen, dabei dürfen einzelne, nicht ins Gewicht fallende Stimmen vernachlässigt werden. Im Regelfall setzt das voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg der Therapie muss belegbar sein, er muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen (BSG, Urt. v. 16. Juni 1999 – B 1 KR 4/98 R -).
Die Frage, ob die Methode der 90-Yttrium-Dotatoc Therapie dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, ist als allgemeine Tatsache festzustellen. Der Senat kann sich bei der Beantwortung auf die ihm vorliegenden, von den Beteiligten in das Verfahren eingeführten Gutachten und Fachartikel sowie die von dem Sozialgericht selbst eingeholten medizinische Auskünfte stützen. Schon das von der Beklagten vorgelegte Gutachten vom 4. Juli 2004 belegt aber, dass die Sicherheit und Wirksamkeit der fraglichen Therapie in mehreren Phase I/II Studien mit guten Ergebnissen geprüft worden ist. Es handele sich – so das Gutachten - um eine experimentelle Therapiemöglichkeit, die in geeigneten Fällen in Erwägung zu ziehen sei. Dem entspricht die Einschätzung aus den behandelnden Kliniken in Berlin und Basel. Demnach erscheint dem Senat die 90-Yttrium-Dotatoc Therapie als eine schon im Jahre 2002 wissenschaftlich diskutierte Behandlungsmöglichkeit, bei der Sicherheit und therapeutische Effizienz aber noch im Einzelnen zu prüfen waren. Die vorliegenden Unterlagen belegen eindeutig, dass der Einsatz der 90-Yttrium-Dotatoc Therapie wissenschaftlich begleitet und überwacht wurde. Es handelt sich bei dieser Therapie danach keineswegs um einen Sonderweg, der außerhalb der Bahnen der regulären medizinischen Wissenschaft beschritten wird und der sich einer neutralen Ergebniskontrolle entziehen will. Im Übrigen erscheint dem Senat schon im Jahre 2002 Konsens gewesen zu sein, dass die Therapie jedenfalls als Heilversuch in geeigneten Fällen ernsthaft in Betracht kam. Der Feststellung, dass diese Therapie allgemeine Anerkennung gefunden hat, steht indessen entgegen, dass ihre Wirksamkeit jedenfalls in dem streitigen Zeitraum noch nicht abschließend geprüft worden war.
Es widerspräche aber der Rechtsprechung der BVerfG, eine Heilmethode nur deswegen nicht zu den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringenden Leistungen zu zählen, weil ihre Wirksamkeit noch nicht statistisch sicher und unangreifbar festgestellt worden ist. In seinem Beschluss v. 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 - hat das BVerfG ausgeführt, dass in Fällen einer lebensbedrohenden oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung, für die keine schulmedizinische Behandlungsmethode zur Verfügung steht, auch andere Behandlungsmethoden von den gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen sind, wenn es für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt. An dieser Rechtsprechung muss sich auch die Auslegung des § 18 SGB V orientieren, der ja gerade dazu dient, den Versicherten den Zugang auch zu solchen Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen, die sich nur im Ausland bieten. Mit dieser auf einen möglichst umfassenden Schutz der Versicherten zielende Absicht wäre unvereinbar, wenn an die Anerkennung einer bestimmten Heilmethode in der medizinischen Wissenschaft als Voraussetzung der Leistungspflicht strengere Anforderungen gestellt würden, weil die Methode nur im Ausland angeboten wird. Wie weitgehend die Wirksamkeit einer Therapieoption schon nachgewiesen sein muss, damit sie schon zum Kreis der wissenschaftlich anerkannten Methoden gezählt werden kann, hängt davon ab, wie schwer die Erkrankung ist, der sie entgegen treten will. Demnach ist die 90-Yttrium-Dotatoc Therapie, die schon nach ihrem Selbstverständnis nur bei schweren, lebensgefährdenden Erkrankungen und wenn keine anderen Behandlungsmittel zur Verfügung stehen zum Einsatz kommt, in diesen Fällen ihres Indikationsbereiches zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 18 SGB V a.F. zu zählen. Das betrifft auch den Versicherten, bei dem – nach Einschätzung der behandelnden Ärzte der Charité und des Basler Kantonsspitals – eine entsprechende Behandlung indiziert war.
Zweite Voraussetzung für einen Anspruch nach § 18 Abs. 1 SGB V ist, dass im Inland keine dem (ausländischen) Standard entsprechende Behandlung möglich ist. Dafür reicht nicht aus, dass die konkret in Aussicht genommene Behandlung so nur im Ausland erbracht wird. Darüber hinaus darf es auch keine andere Behandlungsmethode im Inland geben, welche dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt (BSG, Urt. v. 16. Juni 1999 – B 1 KR 4/98 R). Unstreitig zwischen den Beteiligten ist, dass jedenfalls im Jahre 2002 die 90-Yttrium-Dotatoc Therapie nur im Ausland durchgeführt wurde. Soweit die Klägerinnen vorgetragen haben, dass die Therapie „mittlerweile“ auch in Deutschland angeboten werde, bezieht sich das auf das Jahr 2005. Auch dem Senat liegen zu dieser Frage keine anderen Anhaltspunkte vor. Zwar hat das LSG Nordrhein-Westfalen in einem Parallelverfahren ausgeführt (Urt .v. 17. Januar 2007 – L 11 KR 6/06 -), dass es auch im Inland vergleichbare Behandlungsangebote gebe, dies betrifft jedoch gleichfalls einen späteren Zeitraum.
Soweit die Beklagte auf die Möglichkeit einer Resektion sowie einer Chemo- und Strahlentherapie verweist, kann das nicht überzeugen. Ob eine gleichwertige andere Behandlungsmöglichkeit besteht, bestimmt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Lediglich theoretische Behandlungsmöglichkeiten sind nicht ausreichend, wenn der Versicherte in seiner konkreten Situation als austherapiert angesehen werden muss. Die behandelnden Ärzte der Charité haben in ihrem Befundbericht ausgeführt, dass im Falle des Klägers eine Resektion ausgeschlossen war sowie eine Chemotherapie und eine Strahlentherapie schon eingeleitet waren, aber keine weiteren Behandlungserfolge erhoffen ließen. Dem ist die Beklagte nicht bezogen auf die individuellen Verhältnisse des Klägers entgegen getreten, sie hat insbesondere nicht näher erläutert, welche konkreten Therapieoptionen sie sieht, die ähnlich aussichtsreich gewesen wären wie die vom Versicherten angegangene 90-Yttrium-Dotatoc Therapie. Demnach geht der Senat davon aus, dass keine andere gleich erfolgversprechende Behandlung im Inland möglich war (anders möglicherweise in dem vom Hessischen LSG entschiedenen Fall, vgl. Beschluss v. 23. Januar 2006 – L 8 KR 128/05 -).
§ 18 Abs. 1 SGB V räumt der Beklagten Ermessen ein. Es ist aber nicht ersichtlich, welche Gesichtspunkte hier gegen die Kostenübernahme sprechen könnten. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich die durchgeführte Therapie letztlich als erfolgreich erwiesen hat oder nicht, da § 18 SGB V a.F. dem Versicherten Heilungschancen eröffnen will. Maßgeblich für die Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind stets die Erfolgsaussichten im Wege einer ex-ante-Prognose. Demnach haben die Klägerinnen Anspruch auf die ihnen vom Sozialgericht zugesprochene Leistung. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten der Begleitperson ergibt sich aus § 18 Abs. 2 SGB V.
Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob sich der Anspruch auf Kostenerstattung auch aus VO (EWG) 1408/71 ergeben würde. Zuzugeben ist der Beklagten, dass als zwischenstaatliche Vorschriften nicht das deutsch-schweizerische Sozialversicherungsabkommen, sondern die VO (EWG) 1408/71 auf den Sachverhalt anwendbar ist. Das ergibt sich aus dem zum 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über Freizügigkeit. Nach Anhang II des Abkommens werden die Systeme der sozialen Sicherheit gegenseitig entsprechend den Rechtsakten der Gemeinschaft koordiniert. Nach Art. 22 Abs. 1 Buchstabe c) der VO (EWG) 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf Sachleistungen entsprechend den für den Träger des Aufenthaltsortes geltenden Vorschriften. Dieser Sachleistungsanspruch wandelt sich nach der Rechtsprechung des BSG auch schon für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der jetzt ab dem 1. Januar 2004 in § 13 Abs. 4 – 6 SGB V enthaltenen gesetzlichen Regelungen bei Nichterfüllung in einen Kostenerstattungsanspruch um (BSG, Urt. v. 13.7.2004 – B 1 KR 11/04 R -, Urt. v. 4.4.2006 – B 1 KR 5/05 R -). Er setzt aber jedenfalls voraus, dass die in dem anderen Staat erbrachte Leistung dort zu den von den dortigen Trägern zu erbringenden Leistungen gehört. In Bezug auf die 90-Yttrium-Dotatoc Therapie ist indessen gerade streitig geblieben, ob sie von der Schweizer Sozialversicherung für deren eigene Versicherte übernommen werden würde. In diesem Sinne hat sich zwar auf Anfrage des Sozialgerichts das Schweizer Bundesamt für Gesundheit geäußert, die Beklagte beharrt hingegen auf ihren Zweifeln. Auf diese Frage kommt es aber letztlich hier nicht an, da sich der Klaganspruch bereits aus § 18 SGB V a.F. ergibt.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, da § 18 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung nicht fort gilt.