Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 24.02.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 35.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 VwGO, Art 33 Abs 2 GG, § 33 Abs 1 BLV, § 49 Abs 3 BLV, § 50 Abs 3 S 1 BLV |
§ 33 Abs. 1 Satz 2 BLV zwingt nicht zur Berücksichtigung älterer dienstlicher Beurteilungen, wenn der Vergleich der aktuellen Beurteilungen ergibt, dass einzelne Stellenbewerber im Hinblick auf Eignung, Leistung und Befähigung besser einzuschätzen sind als ihre Konkurrenten.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerde mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Die Antragstellerin, Ministerialrätin im Dienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, wendet sich dagegen, dass sie nicht für eine Beförderung ausgewählt wurde. Ihren Antrag, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Beigeladenen unter Einweisung in die entsprechenden Planstellen der Besoldungsgruppe B 3 zu befördern, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2010 abgelehnt.
Die hiergegen von der Antragstellerin erhobene Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin hat auch unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren dargelegten und gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
1. Soweit die Antragstellerin rügt, dass die Antragsgegnerin generell und auch in ihrem Fall keine Regelbeurteilungen erstellt, sondern lediglich im Hinblick auf anstehende Beförderungen Anlassbeurteilungen fertigt, die der jeweiligen Auswahlentscheidung zu Grunde gelegt werden, hat sie eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Der Senat sieht auch angesichts des Vortrags im Beschwerdeverfahren keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage abzuweichen. Wie er etwa in dem von der Antragstellerin angeführten Beschluss vom 23. Juli 2009 (OVG 6 S 39.08) ausgeführt hat, sind Anlassbeurteilungen nicht generell weniger aussagekräftig als Regelbeurteilungen und insbesondere dann, wenn keine Regelbeurteilungen erstellt wurden, eine unverzichtbare Vergleichsgrundlage für die Bewertung der Leistungsfähigkeit und Eignung der konkurrierenden Stellenbewerber. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist auch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass Anlassbeurteilungen durch die nachfolgenden Beförderungsverfahren beeinflusst werden, weil die Beurteiler Kenntnis von der Anzahl der zu besetzenden Beförderungsstellen und der Konkurrenzsituation haben; warum deshalb die Beurteilungen regelmäßig nicht mehr „unbefangen“ anhand der Leistungen der Beurteilten vorgenommen werden, macht die Beschwerde nicht deutlich. Anhaltspunkte dafür, dass die für die hier in Rede stehende Beförderungsrunde erstellten Beurteilungen nicht den tatsächlichen Leistungsstand der Bewerber dokumentieren, sondern die Notenvergabe sich an den zur Verfügung stehenden Beförderungsstellen orientiert, liegen ebenfalls nicht vor. Die Antragsgegnerin hatte den Abteilungsleitern in ihrem Schreiben vom 18. Dezember 2008, in dem sie um die Erstellung von Anlassbeurteilungen gebeten hatte, mitgeteilt, dass fünf Beförderungsmöglichkeiten nach B3/B3at bestünden, wovon drei aus dem letzten Verfahren stammten; zum Zeitpunkt der Beurteilungskonferenz am 24. Februar 2009 standen ausweislich der hierfür erstellten Ablaufskizze drei „alte“ und drei „neue“ Beförderungsstellen nach B3/B3at zur Verfügung (vgl. S. 2 der Ablaufskizze). Die Beurteiler hatten aber, wie Punkt VI.2 der Ablaufskizze (Konkurrenz nach B3/B3at) zu entnehmen ist, folgende beabsichtigte Gesamtbewertungen gemeldet: einmal Stufe 1, achtmal Stufe 2 und fünfmal Stufe 3. In der Beurteilungskonferenz vom 24. Februar 2009 wurde Einvernehmen dahingehend erzielt, dass die Notenstufe 1 keinmal, die Stufe 2 in vier Fällen und im Übrigen die Notenstufe 3 vergeben werden sollte (vgl. Punkt 8 des Protokolls der Beurteilungskonferenz). Die Vergabe der besten und zweitbesten Gesamtnoten hat sich also zu keinem Zeitpunkt an der Anzahl der zu besetzenden Beförderungsstellen ausgerichtet.
2. Soweit die Antragstellerin rügt, dass in der Beurteilungskonferenz das Geschlecht der Beurteilten bekannt gegeben worden sei, was zu einer leichteren Identifizierbarkeit der Beurteilten führe, hat sie eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Es spricht nichts dafür, dass die Beurteilung der Antragstellerin in der Beurteilungskonferenz überhaupt diskutiert wurde. Unter Punkt VI.2 der Ablaufskizze ist ausgeführt, dass beabsichtigte Beurteilungen der Stufen 1 und 2 nur von den Abteilungsleitern der Abteilungen 1, 3, 4, 5 und 6 sowie dem Beurteiler für die Beschäftigten des Arbeitsstabs Zivildienst angemeldet worden waren; der für die Beurteilung der Antragstellerin zuständige Abteilungsleiter der Abteilung 2 hatte keine derartige Beurteilung angekündigt, demnach also nicht beabsichtigt, der Antragstellerin eine bessere, in der Beurteilungskonferenz zu rechtfertigende Gesamtnote zu erteilen. Ausweislich Punkt 8. des Protokolls der Beurteilungskonferenz sind dort zunächst die Bewertungsmaßstäbe erörtert worden, woraufhin die Beurteilenden zum Teil ihre beabsichtigten Gesamtbewertungen nach unten korrigierten. Da in sieben Fällen nach wie vor eine Gesamtbewertung der Stufe 2 beabsichtigt war, wurden lediglich diese Fälle im Einzelnen besprochen. Auch eine Begünstigung der Beigeladenen aufgrund einer möglichen Identifizierbarkeit ist nicht ersichtlich. Selbst wenn deren Beurteilungen möglicherweise Gegenstand der Beurteilungskonferenz waren, hat sich dies nicht zu ihren Gunsten ausgewirkt, da sie im Ergebnis der Beurteilungskonferenz alle eine Gesamtbewertung der Stufe 3 erhalten haben. Dass in der Beurteilungskonferenz Einfluss auf die Bewertung der 29 Einzelkriterien genommen worden wäre, ist nicht ersichtlich.
3. Die Auswahlentscheidung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin frühere dienstliche Beurteilungen der Bewerber nicht berücksichtigt hat.
a) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin zwingt § 33 Abs. 1 Satz 2 BLV nicht zur Berücksichtigung älterer Beurteilungen, wenn der Vergleich der aktuellen Beurteilungen ergibt, dass einzelne Bewerber im Hinblick auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung besser einzuschätzen sind als ihre Konkurrenten. Schon dem Wortlaut der Vorschrift kann eine zwingende Berücksichtigung früherer dienstlicher Beurteilungen nicht entnommen werden. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 BLV sind Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in der Regel auf der Grundlage aktueller dienstlicher Beurteilungen zu treffen. Frühere Beurteilungen sind nach Satz 2 dieser Vorschrift lediglich „zusätzlich“ zu berücksichtigen und vor Hilfskriterien heranzuziehen. Diese Vorschrift ist dahingehend zu verstehen, dass zunächst die aktuellen Beurteilungen heranzuziehen sind. Nur sofern diese keine abschließende Entscheidung ermöglichen, sind ältere Beurteilungen heranzuziehen und erst dann, wenn auch diese keinen Vorrang einzelner Bewerber ergeben, sind Hilfskriterien zu berücksichtigen. Diese Auslegung der Vorschrift wird dadurch bestätigt, dass in der Begründung zum Entwurf der Bundeslaufbahnverordnung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Berücksichtigung von älteren Beurteilungen verwiesen wird. Hiernach waren frühere Beurteilungen nicht zwingend heranzuziehen, ihre zusätzliche Berücksichtigung bei der Auswahl war aber insbesondere dann geboten, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen war (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398). Im Übrigen könne sie zwar zulässigerweise zur Abrundung des Leistungsbildes der Bewerber herangezogen werden; entscheidend bleibt aber der aktuelle, durch die letzte Beurteilung dokumentierte Leistungsstand (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 WB 27.09 -, Juris). Allein diese Auslegung der Vorschrift entspricht auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Maßgebend bei der Beurteilung der Eignung, Leistung und Befähigung ist der aktuelle Leistungsstand, über den allein die letzten dienstlichen Beurteilungen Auskunft geben.
b) Die Antragsgegnerin konnte auch ermessensfehlerfrei davon ausgehen, dass die Antragstellerin nicht im Wesentlichen gleich gut beurteilt ist wie die Beigeladenen. Zwar sind alle mit der Gesamtbewertung der Stufe 3 „übertrifft die Anforderungen erheblich, teilweise auch in hervorragender Weise“ beurteilt worden. Die Antragstellerin hat in ihrer Anlassbeurteilung vom 24. März 2009 aber lediglich zehnmal die zweitbeste, 16mal die drittbeste und zweimal die viertbeste Bewertungsstufe erhalten; die Angaben in der Tabelle auf S. 3 des Auswahlvermerks vom 18. September 2009 sind zu Gunsten der Antragstellerin fehlerhaft, soweit ihr dort elfmal die zweitbeste und nur einmal die viertbeste Notenstufe zugeschrieben wurde. In den als besonders wichtig bewerteten Bereichen Arbeitsergebnisse, soziale Kompetenz und Führungsverhalten hat sie bei insgesamt sieben Merkmalen die zweitbeste und bei sieben Merkmalen die drittbeste Bewertung erhalten. Die Beigeladene zu 1. hat demgegenüber in ihrer Beurteilung vom 10./13. März 2009 einmal die höchste Bewertung, 13mal die zweitbeste und 15mal die drittbeste Bewertung erhalten; in den als besonders wichtig eingestuften Bereichen hat sie, anders als in der bereits erwähnten Tabelle dargestellt, eine Höchstbewertung, sechs Bewertungen der zweiten und sieben der dritten Stufe erhalten. Der Beigeladene zu 2. hat in seiner Beurteilung vom 3. März 2009 insgesamt in 14 Einzelmerkmalen die zweitbeste und in 15 Merkmalen die drittbeste Bewertung erreicht; in den als besonders wichtig angesehenen Bereichen hat er zehnmal eine Bewertung der Stufe 2 und viermal eine Bewertung der Stufe 3 erhalten. Der Beigeladene zu 3. hat in seiner Beurteilung vom 6. März 2009 eine Höchstbewertung, 14mal die zweitbeste und 14mal die drittbeste Bewertung erhalten; in den als besonders gewichtig angesehenen Bereichen hat er eine Bestbewertung, acht Bewertungen der zweiten und fünf der dritten Stufe erhalten. Somit sind sämtliche Beigeladenen sowohl insgesamt als auch im Hinblick auf die als besonders wichtig angesehenen Merkmale besser beurteilt als die Antragstellerin.
4. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin ist ferner nicht deswegen verletzt, weil in ihrer aktuellen Anlassbeurteilung das Merkmal „Erfahrungswissen/Erfahrungskompetenz“ erneut nicht beurteilt wurde. Es kann dahinstehen, ob die Beurteilung insoweit eine Lücke aufweist (vgl. zu dieser Frage die Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 23. Juli 2009 – OVG 6 S 39.08), denn es ist nicht ersichtlich, dass eine Beurteilung dieses Merkmals sich auf die Auswahlentscheidung ausgewirkt hätte. Wie den obigen Darlegungen zu den Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu entnehmen ist, wäre die Antragstellerin selbst dann, wenn das - nicht als besonders gewichtig angesehene - Merkmal „Erfahrungswissen/Erfahrungskompetenz“ in ihrem Fall mit der besten Bewertungsstufe zu beurteilen wäre, als weniger leistungsstark einzuschätzen als die Beigeladenen.
5. Einer Berücksichtigung der Anlassbeurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen steht nicht entgegen, dass sie entgegen der Vorschrift des § 49 Abs. 3 BLV keinen Verwendungsvorschlag enthalten. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass sie sich nur auf Regel- oder Erprobungsbeurteilungen erstrecken kann (so Schnellenbach in: Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand November 2010, Bd. 2 Rdnr. 416), denn selbst wenn die Beurteilungen insoweit als lückenhaft anzusehen wären, ist nicht ersichtlich, dass sich dies auf das Ergebnis des Auswahlverfahrens ausgewirkt hat. Die wesentliche Erkenntnisquelle stellt die gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 BLV mit einem Gesamturteil versehene Beurteilung der Befähigung und Leistung der Beamten dar; sie ermöglicht einen objektiven Vergleich zwischen verschiedenen Bewerbern (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - 2 C 21.93 -, BVerwGE 97, 128, 130 m.w.N.). Ein sich an die Beurteilung anschließender Verwendungsvorschlag des Beurteilers könnte allenfalls bei im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern den Ausschlag zu Gunsten eines der Konkurrenten geben. Die Antragstellerin ist aber, wie oben ausgeführt, weniger gut beurteilt als die Beigeladenen.
6. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist ihr ihre Beurteilung auch ordnungsgemäß eröffnet worden, obwohl sie mit ihr nicht in einem Gespräch erörtert wurde. Gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 BLV ist die dienstliche Beurteilung der Beamtin oder dem Beamten in ihrem vollen Wortlaut zu eröffnen und mit ihr oder ihm zu besprechen; die Besprechung ist mithin von der Eröffnung zu unterscheiden. Mit der Eröffnung wird die Beurteilung der Beamtin oder dem Beamten gegenüber wirksam. Dem steht nicht entgegen, dass die Beurteilung gegebenenfalls nach einer Erörterung noch geändert werden kann (vgl. Schnellenbach a.a.O. Bd. 2 Rdnr. 322).
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen keinen eigenen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostrenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), waren ihre außergerichtlichen Kosten nicht für erstattungsfähig zu erklären. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).