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Entscheidung 13 UF 225/13


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 20.12.2013
Aktenzeichen 13 UF 225/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 116 Abs 3 FamFG, § 707 ZPO, § 120 Abs 2 FamFG, § 120 Abs 1 FamFG, § 719 ZPO

Leitsatz

Die Systematik der §§ 116 III 3, 120 II FamFG verbietet es, den unwiederbringlichen Verlust einer Unterhaltszahlung, die innerhalb des Zeitraums geleistet wird, für den sie geschuldet wird, als einen nicht zu ersetzenden Nachteil zu beurteilen. Für die Einstellung der Vollstre-ckung von Unterhaltsrückständen reicht die - unwidersprochene - Darlegung des endgültigen Verlustes an den nach Verbrauch zur Rückerstattung unfähigen Gläubiger aus, um einen nicht zu ersetzenden Nachteil geltend zu machen.

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 18. Oktober 2013 wird eingestellt,

soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, an die Antragstellerin zu Händen von deren Mutter monatlich im Voraus Unterhalt in Höhe von mehr als 120 Prozent des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe (§ 1612 a BGB) abzüglich der Hälfte des staatlichen Kindergeldes zu zahlen (Nr. 1 der Entscheidungsformel), und sich ein Vollstreckungsantrag auf Forderungen bezieht, die früher als am letzten Fälligkeitstermin vor der Antragstellung fällig geworden sind,

soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, rückständigen Unterhalt in Höhe von 704 Euro nebst Zinsen an die Antragstellerin zu zahlen (Nr. 2 der Entscheidungsformel).

Im Übrigen wird der Antrag des Antragsgegners, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 18. Oktober 2013 einzustellen, abgelehnt.

Gründe

I.

1. Der Antragsgegner verpflichtete sich mit einer Jugendamtsurkunde, an die Antragstellerin, seine minderjährige, einkommens- und vermögenslose Tochter, ab dem 1. Dezember 2012 Unterhalt in Höhe von 120 Prozent des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des anzurechnenden Kindergeldanteils zu zahlen.

2. Die Antragstellerin hat den Antragsgegner auf Erhöhung des Unterhalts in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner mit dem Beschluss vom 18. Oktober 2013 verpflichtet, in Abänderung der Jugendamtsurkunde ab dem 1. August 2013 Unterhalt in Höhe von 144 Prozent des Mindestunterhalts abzüglich des auf das Kind entfallenden Kindergeldes zu zahlen. Es hat den Antragsgegner außerdem verpflichtet, rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis 31. Juli 2013 in Höhe von 704 Euro nebst Zinsen zu zahlen, und es hat die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung angeordnet.

Der Antragsgegner hat Beschwerde erhoben und beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.

3. Er hat außerdem beantragt, die Vollstreckung aus dem angefochtenen Beschluss einstweilen einzustellen. Er zahle den Unterhaltsbetrag, der sich aus der Jugendamtsurkunde ergebe, regelmäßig, sei aber zu höheren Zahlungen nicht imstande. Die Antragstellerin habe wegen der Rückstände die Zwangsvollstreckung angekündigt. Die Vollstreckung würde dazu führen, dass die Antragstellerin, die vermutlich den Entreicherungseinwand erheben werde, den Unterhaltsbetrag auch dann behalten dürfte, wenn der angefochtene Beschluss abgeändert würde.

Die Antragstellerin hält den Einstellungsantrag für unzulässig. Ein Antrag könne beim Beschwerdegericht nicht gestellt werden. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil die sofortige Wirksamkeit inhaltsleer bliebe, wenn ihr der Verbrauch der Unterhaltszahlung durch den bedürftigen Unterhaltsgläubiger entgegengehalten werden könnte.

Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und die Anlagen verwiesen.

II.

Der Antrag, die Vollstreckung einzustellen, ist zulässig.

1. Dem steht der Verweis der Antragstellerin auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 26. Juni 2013 – XII ZB 19/13 – (NJW-RR 2013, 1093) nicht entgegen. Jene Entscheidung behandelt die Begründetheit eines Einstellungsantrages in der Rechtsbeschwerdeinstanz (§§ 120 I FamFG, 719 II ZPO) und verneint sie im entschiedenen Falle. Ein Antrag auf Einstellung der Vollstreckung in der Beschwerdeinstanz wird vom Bundesgerichtshof (a.a.O.) hingegen ausdrücklich für möglich gehalten – wenn auch nach § 120 II 2 FamFG, während allgemein die Auffassung vorherrscht, das Beschwerdegericht habe nach § 120 II 3 FamFG zu entscheiden (vgl. nur MüKo-FamFG-C. Fischer, 2. Aufl. 2013, § 120 Rdnr. 13 m. weit. Nachw.).

2. Der Senat sieht über das wohl fehlende Rechtsschutzbedürfnis an einer Einstellung der Vollstreckung aus der Verpflichtung zur Zahlung des Unterhaltsrückstandes hinweg (Nr. 2 der Entscheidungsformel). Dieser Ausspruch im angefochtenen Beschluss ist nicht vollstreckbar, weil die Angabe des Vollstreckungsgläubigers fehlt. Das Amtsgericht hat nicht angegeben, an wen der Antragsgegner zahlen soll. Da dieser Mangel eventuell nach den §§ 113 I FamFG, 319 ZPO durch die Benennung der Antragstellerin behoben werden könnte, befasst sich der Senat schon jetzt auch mit diesem Teil des angefochtenen Beschlusses, um nicht nach einer etwaigen Berichtigung erneut entscheiden zu müssen.

III.

Der Antrag ist nur teilweise begründet. Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen, soweit sie sich auf Unterhaltsrückstände richtet. Die Vollstreckung von Unterhaltsrückständen brächte dem Antragsgegner einen nicht zu ersetzenden Nachteil (§ 120 II 3, 2 FamFG). Einen Nachteil, der aus der Vollstreckung von Unterhaltsforderungen folgen könnte, die für den Zeitraum geschuldet werden, in dem vollstreckt wird, hat der Antragsgegner hingegen hinzunehmen.

1. Der Entscheidungsmaßstab und die Rechtsfolgen einer Einstellungsentscheidung nach angeordneter sofortiger Wirksamkeit (§ 116 III 3 FamFG) und damit Vollstreckbarkeit (§ 120 II 1 FamFG) einer angefochtenen Entscheidung, die zur Unterhaltszahlung verpflichtet, sind allein dem Satz 3 und – durch den dort geregelten Verweis – dem Satz 2 des § 120 I FamFG zu entnehmen. Diese Regelung enthält spezielle Anordnungen, die dem Generalverweis auf das Vollstreckungsrecht der Zivilprozessordnung (§ 120 I FamFG) vorgehen (Schulte-Bunert, FamFG, 3. Aufl. 2012, § 120 Rdnr. 5). Es findet sich im § 120 II 3 FamFG kein Anhaltspunkt für die Annahme, der Verweis solle für den Tatbestand, nicht aber für die Rechtsfolgen des Schuldnerschutzes gelten (so aber Keidel-Weber, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 120 Rdnr. 18).

a) Wird eine für sofort wirksam erklärte Endentscheidung angefochten, so kann die sofortige Wirksamkeit und die aus ihr folgende sofortige Vollstreckbarkeit beseitigt werden. Diesen Schuldnerschutz sehen die §§ 120 I FamFG, 719 I 1, 707 I ZPO generell vor. Die spezielle Regelung des § 120 II 3 FamFG richtet sich auf die möglichen Anordnungen zum Schutz des Schuldners: nicht die Anordnung einer Sicherheitsleistung oder die Einstellung gegen oder ohne Sicherheitsleistung sollen möglich sein, sondern allein die Einstellung oder Beschränkung – also ohne Sicherheitsleistung. Das Beschwerdegericht kann damit die schuldnerschützenden Anordnungen nachholen, die auch das erstinstanzliche Gericht nach § 120 II 2 FamFG schon hätte treffen können, wenn der Schuldner sie beantragt hätte.

b) Dem entspricht die Übernahme auch des Entscheidungsmaßstabs: Gemäß § 120 II 3 FamFG soll nur die Voraussetzung des § 120 II 2 FamFG gelten, also ein glaubhaft gemachter nicht zu ersetzender Nachteil. Andere Kriterien, deren Berücksichtigung die §§ 719 I, 707 I 1 ZPO zuließen und – folgerichtig – das Unvermögen, Sicherheit zu leisten (§§ 719 I, 707 I 2 ZPO), sollen keine Rolle spielen.

2. Die Systematik der §§ 116 III 3, 120 II FamFG verbietet es, den unwiederbringlichen Verlust einer Unterhaltszahlung, die innerhalb des Zeitraums geleistet wird, für den sie geschuldet wird, als einen nicht zu ersetzenden Nachteil zu beurteilen.

Generell ist der Verlust einer – wie sich nach Abänderung der angefochtenen Entscheidung herausstellen kann – nicht geschuldeten Geldsumme ein Nachteil, und dieser Nachteil ist, wenn der Empfänger wegen Zahlungsunfähigkeit auf Dauer nicht zur Rückerstattung in der Lage ist, auch unersetzlich (BGH, NJW-RR 2007, 1138). Die Annahme dieser Konstellation im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner bedarf im allgemeinen einer besonderen Feststellung, weil sie nicht als Regel angenommen werden kann. Es spricht generell keine Vermutung dafür, dass der Gläubiger einer Forderung wegen Mittellosigkeit auf den Verbrauch des Geschuldeten angewiesen ist und in Zukunft über nichts verfügen wird, aus dem er die Rückerstattung leisten könnte. Deshalb kommt allgemein die Variantenbreite der im § 707 I ZPO vorgesehenen Rechtsfolgen in Betracht: der Schuldner kann Sicherheit leisten, so dass der Gläubiger während des Verlaufs des Rechtsmittelverfahrens nicht an die Leistung herankommt. Der Schuldner kann darauf verwiesen werden, an den Gläubiger zu zahlen, gegen den er dann eine Rückgewähr des nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Nichtgeschuldeten geltend zu machen hat.

Das Verhältnis des Unerhaltsgläubigers zum Unterhaltsschuldner weist demgegenüber Besonderheiten auf: Der Unterhaltsanspruch besteht gerade wegen der Bedürftigkeit des Gläubigers, der außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 I BGB). Die Unterhaltszahlung wird dem Gläubiger zum Bestreiten seines Lebensbedarfs zugestanden, nicht zur Bildung von Reserven. Gerade weil der Unterhaltsgläubiger typischerweise auf den sofortigen Verbrauch der geschuldeten Unterhaltszahlung angewiesen ist, soll der von ihm erstrittene Titel trotz der Anfechtung durch den Schuldner sofort vollstreckt werden können (§§ 116 III 3, 120 II 1 FamFG). Diese Regelung weist dem Unterhaltsschuldner – anders als dem Schuldner sonstiger Forderungen – das Risiko zu, die ihn verpflichtende Entscheidung könne sich als unrichtig erweisen. Der dann eintretende endgültige Verlust der nicht geschuldeten Leistung ist der typische Inhalt dieses Risikos (OLG Hamm, FamRZ 2012, 730; a.A. ohne Erörterung: OLG Frankfurt a. M., FamRZ 2010, 1370, und mit dem Ausgleich durch erhöhte Substantiierungslast des Schuldners: OLG Bremen, FamRZ 2011, 322). Schuldnerschutz kommt deshalb nur in Betracht, wenn der nicht zu ersetzende Nachteil der sofortigen Vollstreckung in anderen Umständen als diesem endgültigen Verlust zu finden ist (Musielak/Borth-Borth/Grandel, FamFG, 4. Aufl. 2013, § 120 Rdnr. 5; Keidel-Weber, § 120 Rdnr. 17) – etwa in der Sperrung des einzigen Geschäftskontos des Schuldners (Schulte-Bunert, § 120 Rdnr. 4), der so daran gehindert würde, weitere Einnahmen zu erwirtschaften, aus denen er Unterhalt leisten könnte.

Der Antragsgegner hat keine Nachteile geltend gemacht, die über den endgültigen Verlust der Unterhaltszahlung an die Antragstellerin hinausgingen, die zur Rückerstattung nicht in der Lage sein werde; diese Erwartung hat die Antragstellerin wiederum unwidersprochen gelassen. Der Antragsgegner muss deshalb hinnehmen, dass die Antragstellerin die Unterhaltsforderungen erforderlichenfalls durch Vollstreckung beitreibt, die sie zur Zeit der Vollstreckung zum Bestreiten ihres Lebensbedarfs benötigt. Das ist die Zahlung, die vor dem Anbringen eines Vollstreckungsantrages zuletzt fällig geworden ist, und es sind die künftig fällig werdenden Zahlungen, auf die der Antrag schon gerichtet werden kann, auch wenn die Vollstreckung erst nach Ablauf des Fälligkeitstages beginnen darf (§§ 120 I FamFG, 751 I ZPO).

3. So, wie eine Vermutung für die Angewiesenheit des Gläubigers auf laufenden Unterhalt streitet, steht sie der Angewiesenheit auf die Erfüllung von Unterhaltsrückständen gerade entgegen (Schulte-Bunert, § 120 Rdnr. 2). Den Lebensunterhalt während vergangener Zeitabschnitte, für die der Schuldner Unterhalt zwar schuldete, aber nicht geleistet hat, hat der Gläugiger offensichtlich aus irgendwelchen anderen Quellen bestritten. Selbst wenn er sich unzumutbar in der Lebenshaltung beschränkt haben sollte, kann ihm die Nachzahlung des Unterhalts darüber nicht mehr hinweghelfen. Nur ausnahmsweise wird der Gläubiger auf die Nachzahlung sofort angewiesen sein, etwa wenn er zum Bestreiten des Lebensunterhalts aufgenommene Schulden sofort zurückzuzahlen hat (vgl. Musielak/Borth-Borth/Grandel, § 116 Rdnr. 5; MüKo-FamFG-C. Fischer, § 116 Rdnr. 11). Für die Einstellung der Vollstreckung von Unterhaltsrückständen reicht die – unwidersprochene – Darlegung des endgültigen Verlustes an den nach Verbrauch zur Rückerstattung unfähigen Gläubiger deshalb aus, um einen nicht zu ersetzenden Nachteil geltend zu machen. Dem entspricht die verbreitete Auffassung, für Unterhaltsrückstände solle die sofortige Wirksamkeit nicht angeordnet werden (MüKo-FamFG-C. Fischer, § 116 Rdnr. 11; Zöller-Lorenz, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 116 FamFG Rdnr. 10; Keidel-Weber, § 116 Rdnr. 10).

Die Antragstellerin hat hinzunehmen, dass sie die titulierten Rückstände erst vollstrecken kann, wenn die darauf gerichtete Entscheidung unanfechtbar geworden sein sollte. Dem Einwand des Antragsgegners, zuvor auf Rückstände Geleistetes werde er nicht zurückerhalten können, wenn die Entscheidung abgeändert werden sollte, hat sie nichts entgegengesetzt.

IV.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Die §§ 719 I 1, 707 II 2 ZPO sind kraft der generellen Verweisung des § 120 I FamFG auf das Zwangsvollstreckungsrecht der Zivilprozessordnung anwendbar. Insoweit wird weder durch § 120 II 3 FamFG noch durch eine andere Norm etwas Abweichendes angeordnet (Musielak/Borth-Borth/Grandel, § 120 Rdnr. 5; Keidel-Weber, § 120 Rdnr. 18 b, 20; unentschieden: Schulte-Bunert, § 120 Rdnr. 5 a.E. einerseits und Rdnr. 10 andererseits).