Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 34. Senat | Entscheidungsdatum | 14.12.2011 | |
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Aktenzeichen | L 34 AS 1892/11 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 102 SGG, § 125 SGG |
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Oktober 2011 wirkungslos ist.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Oktober 2011, mit dem dieses den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig Leistungen in Höhe von 532,54 € zu gewähren, abgelehnt hat, weil sie der Auffassung ist, dass der Beschluss wegen vorheriger Erledigung der Hauptsache nicht hätte ergehen dürfen.
Die 1951 geborene Antragstellerin bezieht seit Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie lebt in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, der jedoch nicht Antragsteller ist. Ihr waren zuletzt Leistungen bis zum 31. August 2011 bewilligt worden. Mit Datum vom 11. August 2011 nahm die Antragstellerin, vom Antragsgegner aufgefordert, Stellung zu Einkünften aus einem Beschäftigungsverhältnis und gab an, nur im März 2011 beschäftigt gewesen zu sein. Gleichzeitig reichte sie die Anlage EK (Einkommenserklärung zur Feststellung der Einkommensverhältnisse jeder in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person) ein, die ebenfalls vom 11. August 2011 datiert. Ein Formantrag auf Weiterbewilligung von Leistungen findet sich in den Akten des Antragsgegners unter dem Datum 4. Oktober 2011, vorher findet sich ein solcher Antrag nicht. Am 23. September 2011 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Cottbus den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, über den Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II eine Entscheidung zu erlassen. Dabei wurde vorgetragen, die Antragstellerin habe am 11. August 2011 per Fax einen Antrag auf Bewilligung ab dem 1. September 2011 eingereicht. Mit Beschluss vom 26. September 2011 (Az. S 25 AS 3916/11 ER) hat das Sozialgericht Cottbus den Antrag mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass das Antragsbegehren dem Inhalt nach einer Untätigkeitsklage im Sinne von § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspreche, da der Antrag nur auf den Erlass einer Verwaltungsentscheidung gerichtet sei. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 (Az. L 10 AS 1786/11 B ER) als unzulässig verworfen. Der in der ersten Instanz gestellte Antrag sei mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Jedenfalls bei gebundenen Sozialleistungsansprüchen müsse das Rechtsschutzziel im gerichtlichen Eilverfahren auf Leistung gerichtet sein.
Am 5. Oktober 2011 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Cottbus einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Antrag gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig Leistungen in Höhe von 532,54 € zu zahlen.
Zwischenzeitlich hatte der Antragsgegner nach einer Vorsprache der Antragstellerin bei ihm am 4. Oktober 2011 mit Bescheid vom gleichen Tage Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2012 bewilligt und sich auf einen Antrag vom 1. Oktober 2011 bezogen, der sich in den Verwaltungsakten des Antragsgegners allerdings nicht findet. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2011 beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Ebenfalls mit Datum vom 7. Oktober 2011 fragte der zuständige Richter der ersten Instanz bei dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin an, ob das einstweilige Anordnungsverfahren für erledigt erklärt werde.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2011 hat das Sozialgericht Cottbus den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt. Es hat ausgeführt, dass die Antragstellerin zunächst einen Antrag auf Bewilligung von vorläufigen Leistungen hätte stellen müssen. Mit Erlass des Bescheides vom 4. Oktober 2011 sei das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entfallen.
Am 14. Oktober 2011 ging – nach Aktenlage - der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 8. Oktober 2011 bei dem Sozialgericht Cottbus ein, mit dem dieser Hauptsacheerledigung erklärte „nachdem die Antragsgegnerin dem Begehren der Antragstellerin nunmehr entsprochen [habe]".
Mit ihrer am 14. Oktober 2011 bei dem Sozialgericht Cottbus eingegangenen Beschwerde hat die Antragstellerin vorgetragen, nachdem bereits mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2011 Hauptsacheerledigung erklärt worden sei, nachdem der Antragsgegner dem Begehren entsprochen habe, komme eine Entscheidung des Gerichts über die Hauptsache nicht mehr in Betracht.
Der Vorsitzende der zuständigen Kammer hat dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 mitgeteilt, dass eine Erledigungserklärung vor der Beschlussfassung nicht vorgelegen habe. Eine Abhilfe durch das erstinstanzliche Gericht im Beschwerdeverfahren sei prozessrechtlich nicht vorgesehen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss vom 13. Oktober 2011 aufzuheben.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach Eingang der Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat der Senat den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin darauf hingewiesen, dass erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde bestünden. Die Erklärung der Hauptsacheerledigung dürfte nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) als Rücknahme zu werten sein. Eine Beschwerde allein gegen die Kostenentscheidung dürfte nicht zulässig sein. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2011 „klargestellt“, dass sich die Beschwerde nicht lediglich gegen die Kostenentscheidung richte. Sie richte sich gegen die Entscheidung insgesamt. Angesichts der Hauptsacheerledigungserklärung vom 8. Oktober 2011 hätte in der Hauptsache durch das Gericht gar keine Entscheidung ergehen dürfen. Der Beschluss sei sowohl hinsichtlich der Hauptsache als auch hinsichtlich der Kosten aufzuheben und nach Hauptsacheerledigung eine isolierte Kostenentscheidung zu treffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Oktober 2011 war festzustellen, dass dieser wirkungslos geworden ist, und zwar durch Rücknahme des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die Erledigungserklärung zurückgenommen und nicht, wovon er offensichtlich ausgeht, ein abgegebenes Anerkenntnis angenommen. Wann ein Anerkenntnis vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln; das Wort Anerkenntnis muss nicht verwendet werden (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 101 Rn. 21; Roller in Lüdtke [Hrsg.], Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage, § 101 Rn. 28). Mit dem Anerkenntnis gesteht der Gegner zu, dass der Klageanspruch besteht. Es handelt sich um eine Prozesshandlung, deshalb muss sie den Anforderungen an Prozesshandlungen genügen und insbesondere gegenüber dem Gericht erklärt werden (vgl. Leitherer, a.a.O., vor § 60 Rn. 11; Roller, a.a.O., § 101 Rn. 29). Eine entsprechende Erklärung des Antragsgegners findet sich nicht. Er hat den Bescheid vom 4. Oktober 2011 erlassen, dem Gericht gegenüber jedoch keine Erklärung des Inhalts abgegeben, dass er den Anordnungsanspruch anerkenne; vielmehr hat er, nach Erlass des Bescheides vom 4. Oktober 2011, beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Die Erledigungserklärung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist daher als Rücknahme zu werten, es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass die einseitige Erledigungserklärung auch eine Rücknahme sein kann (vgl. Urteil vom 20. Dezember 1995, Az. 6 RKa 18/95 und Beschluss vom 29. Dezember 2005, Az. B 7a AL 192/05 B, beide dokumentiert in juris).
Es kann dahinstehen, ob der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor oder nach Wirksamwerden des Beschlusses vom 13. Oktober 2011 zurückgenommen worden ist. Der Senat geht davon aus, dass der Beschluss zum Zeitpunkt der Rücknahme bereits gemäß § 133 Satz 1 und 2 SGG „existent" geworden war. Der Beschluss vom 13. Oktober 2011 war dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin laut Aktenlage per Telefax am 13. Oktober 2011 zugegangen. Dass er zugegangen ist, und zwar vor der förmlichen Zustellung per Post gegen Empfangsbekenntnis am 17. Oktober 2011, ergibt sich auch daraus, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bereits am 14. Oktober 2011 Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt hat. Üblicherweise werden Beschlüsse vorab per Telefax in ordnungsgemäßer Ausfertigung gemäß § 142 Abs. 3 SGG übermittelt. Sofern dies auch vorliegend der Fall gewesen ist, wäre die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt und der Beschluss vom 13. Oktober 2011 am gleichen Tage wirksam geworden. Sollten Mängel der Ausfertigung vorgelegen haben, kommt auch eine Heilung gemäß § 63 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 189 Zivilprozessordnung (ZPO) in Betracht (vgl. zu einem solchen Fall Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Januar 2008, Az. L 15 B 4/08 SO ER, juris Rn. 4 und 5). Die Erledigungserklärung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist nach Aktenlage erst am 14. Oktober 2011 bei dem Sozialgericht Cottbus eingegangen. Der zunächst wirksam gewordene Beschluss vom 13. Oktober 2011 ist damit unwirksam geworden. Sämtliche bis zur Klagerücknahme [hier der Rücknahme des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung] ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen werden wirkungslos, bei Rücknahme in einer Rechtsmittelinstanz sind die vorinstanzlichen Urteile mit allen Nebenentscheidungen (z.B. Kostenentscheidung) wirkungslos (vgl. Hauck in Hennig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, Stand April 2010, § 102 Rn. 28; Leitherer, a.a.O., § 102 Rn. 9 m.w.N.; Roller, a.a.O., § 102 Rn. 9).
Aber selbst wenn die ordnungsgemäße Zustellung erst am 17. Oktober 2011 erfolgt wäre, würde dies am Ergebnis nichts ändern, da dann der Beschluss nichtig – und damit ebenfalls wirkungslos wäre. Ein so genanntes „Nichturteil" ist nichtig und damit wirkungslos; ein solches liegt z.B. vor, wenn ein Urteil in der Hauptsache ergeht, obwohl das Verfahren erledigt ist, z.B. durch Klagerücknahme oder Prozessvergleich. Für andere gerichtliche Entscheidungen als Urteile gelten diese Grundsätze entsprechend (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 125 Rn. 5b und 5c).
Die Beschwerde ist damit grundsätzlich unzulässig, da der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus wirkungslos ist und damit eine erstinstanzliche Entscheidung, die mit der Beschwerde angefochten werden könnte (§ 172 Abs. 1 SGG), nicht vorliegt.
Es war jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit festzustellen, dass der Beschluss vom 13. Oktober 2011 wirkungslos ist, um den von ihm ausgehenden Schein eines wirksamen Beschlusses, der gegebenenfalls in Rechtskraft erwachsen würde, zu beseitigen (so auch für den Fall des Vorliegens eines „Scheinurteils" Bundesverwaltungsgericht – BVerwG -, Urteil vom 3. Dezember 1992, Az. 5 C 9/89 juris Rn. 3 = NJW 1993, 1811 und für den Fall des Vorliegens eines „Nichturteils“ Bundesgerichtshof – BGH – Beschluss vom 3. November 1994, Az. LwZB 5/94). Ein Rechtsmittel zur Beseitigung des Scheins einer Entscheidung ist als zulässig anzusehen, z. B. wenn die Geschäftsstelle ein Urteil (hier den Beschluss) ausgefertigt und zugestellt hat, wie es hier der Fall ist. Das Sozialgericht und auch der Antragsgegner haben auch deutlich gemacht, dass sie von einer Wirksamkeit des Beschlusses ausgehen. Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin sieht der Senat darin, dass sie anderenfalls wohl an der ergangenen Kostenentscheidung festgehalten werden würde, obwohl eine Kostenentscheidung noch zu ergehen hat. Anders als die zuletzt zitierten Gerichte hat der Senat jedoch von einer Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts abgesehen, weil die Feststellung der Unwirksamkeit dem Rechtsschutzziel der Antragstellerin entspricht und ein unwirksamer Beschluss nach Auffassung des Senats nicht der Aufhebung bedarf.
Da, wie oben bereits erläutert, der Beschluss einschließlich der Kostenentscheidung wirkungslos geworden ist, wird das Sozialgericht eine Kostenentscheidung zu treffen haben. Ein entsprechender Antrag des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin liegt in dem Schriftsatz vom 8. Oktober 2011 vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog. Sie berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren erfolgreich war.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).