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Bulgarien; Asylantrag; Unzulässigkeit; anerkannter Schutzberechtigter; subsidiärer Schutz; Anordnung der aufschiebenden Wirkung; Unwirksamkeit; sicherer Drittstaat; Anhörungsmangel; unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; ernsthaftes Risiko; extreme materielle Not; gesund und arbeitsfähig; keine besondere Verletzlichkeit


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 18.12.2019
Aktenzeichen OVG 3 B 8.17 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2019:1218.3B8.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 24 Abs 1 S 3 AsylVfG 1992, § 46 VwVfG, Art 14 Abs 1 EURL 32/2013, Art 4 GRC, § 37 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992, § 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG 1992, § 29 Abs 2 S 1 AsylVfG 1992, § 26a Abs 1 S 1 AsylVfG 1992, § 25 AsylVfG 1992, Art 52 Abs 1 EURL 32/2013, Art 34 EURL 32/2013

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung der Beklagten, seinen Asylantrag aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Bulgarien abzulehnen.

Der 1997 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Für ihn liegen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 hinsichtlich Bulgariens und Ungarns vor. Am 11. Juni 2014 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag. Am selben Tag erklärte er auf Befragen durch das Bundesamt, er wolle in keinen anderen Staat überstellt werden, in Bulgarien seien die Lebensumstände sehr schlecht.

Das Bundesamt ersuchte Bulgarien am 11. August 2014 um Wiederaufnahme des Klägers, weil Bulgarien aufgrund des dort gestellten Asylantrags für das Asylverfahren des Klägers zuständig sei. Die bulgarische Dublin-Einheit lehnte am 25. August 2014 dieses Gesuch ab, weil der Kläger in Bulgarien am 21. März 2014 subsidiären Schutz erhalten habe, so dass eine Überstellung auf der Grundlage der Dublin III-VO ausscheide.

Mit Bescheid vom 20. November 2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe (Ziffer 1), und ordnete seine Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 2). Der Asylantrag habe keinen Erfolg, weil sich der Kläger aufgrund seiner Einreise aus Bulgarien, einem sicheren Drittstaat, gemäß § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen könne. In Bulgarien habe er bereits internationalen Schutz erhalten.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, für ihn bestehe in Bulgarien die dringende Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Als unbegleiteter Minderjähriger und behandlungsbedürftiger Flüchtling, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode leide, könne er bei einer Rückkehr nach Bulgarien seine Existenz nicht sichern.

Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Januar 2015 (VG 23 L 863.14 A) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem angegriffenen Bescheid angeordnet. Die Beklagte hat die Abschiebungsanordnung aufgehoben und eine Abschiebungsandrohung erlassen.

Mit Urteil vom 20. November 2015 hat das Verwaltungsgericht die Abschiebungsandrohung aufgehoben, weil es dafür an einer ausreichenden Rechtsgrundlage fehle. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG könne sich der Kläger nicht auf das Asylgrundrecht berufen, weil er aus dem sicheren Drittstaat Bulgarien eingereist sei. Eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK für Personen mit internationalem Schutzstatus könne in Bulgarien nicht festgestellt werden.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Zuständigkeit der Beklagten für seinen Asylantrag folge aus der Dublin III-VO. Zudem dürften Asylanträge, die vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden seien, nicht mit der Erwägung abgelehnt werden, dem Schutzsuchenden sei in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden. Ferner sei offen, ob er diesen Schutzstatus in Bulgarien noch innehabe. Darüber hinaus lägen in Bulgarien systemische Mängel des Asylverfahrens vor und anerkannten Schutzberechtigten drohe eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung. Er sei aufgrund seiner Behandlungsbedürftigkeit und gerade erst eingetretenen Volljährigkeit besonders schutzbedürftig. Integrationsprogramme würden in Bulgarien nicht umgesetzt. Zudem bekämen anerkannte Schutzberechtigte keine Sozialhilfe. Als weiteres Problem stelle sich der Umstand dar, dass die melderechtliche Registrierung einen Wohnsitz voraussetze, dieser aber nicht ohne melderechtliche Erfassung zu erlangen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2015 zu ändern und den Tenor zu 1. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. November 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit der Begründung, anerkannte Schutzberechtigte hätten in Bulgarien ausreichenden Zugang zum Arbeitsmarkt. Dies erfordere keine Meldeanschrift.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes Bezug genommen. Beide haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Tenor in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 20. November 2014, wonach dem Kläger im Bundesgebiet kein Asylrecht zusteht, im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 15). Der angegriffene Bescheid hat sich auch nicht erledigt. Er ist nicht nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2439), dadurch unwirksam geworden, dass das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Januar 2015 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F. wurden die Entscheidung des Bundesamtes über die Unbeachtlichkeit des Asylantrags und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprach. Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil zu diesem Zeitpunkt feststehen muss, ob der Erfolg des Eilantrags zur (teilweisen) Unwirksamkeit des angegriffenen Bescheides führt. Danach lagen die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F. nicht vor. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers nicht als unbeachtlich im Sinne von § 29 Abs. 1 AsylG a.F. angesehen, sondern auf der Grundlage von § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG a.F. festgestellt, dass dem Kläger kein Asylrecht zusteht. Da Mitgliedstaaten der Europäischen Union von dieser Regelung nicht erfasst sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 C 17.16 – juris Rn. 12 f.; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 16 ff.), ist die Entscheidung der Beklagten in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umzudeuten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 C 17.16 – juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 – 1 C 10.17 – juris Rn. 15). Die Umdeutung des angegriffenen Bescheides führt jedoch nicht zu dessen Unwirksamkeit, weil § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erst nach Erlass des im Eilverfahren ergangenen stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Beschlusses in Kraft getreten ist (siehe auch BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – juris Rn. 28).

Die Klage ist unbegründet, weil Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 20. November 2014 nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgeblichen Sach- und Rechtslage rechtmäßig ist und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den in eine Unzulässigkeitsentscheidung umgedeuteten behördlichen Ausspruch in Ziffer 1 des Bescheides ist § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt, ihm also die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutz zuerkannt hat.

Es steht nicht im Widerspruch zu Unionsrecht, den Asylantrag des Klägers an der aktuellen Fassung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu messen. Die Vorschrift hat ihre Grundlage in Art. 33 Abs. 2 a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 (Verfahrensrichtlinie). Danach kann ein Mitgliedstaat einen Asylantrag auch dann als unzulässig ablehnen, wenn dem Antragsteller von einem anderen Mitgliedstaat (lediglich) subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist. Gemäß Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie sind vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellte, aber noch nicht bestandskräftig beschiedene Asylanträge ebenfalls erfasst. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Asylantrag und das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 49 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) noch vollständig in den Geltungsbereich der Verordnung 343/2003/EG des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II-VO) fallen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 74). Dies ist hier nicht gegeben, weil der Kläger seinen Asylantrag im Bundesgebiet erst am 11. Juni 2014 gestellt und das Bundesamt ein Gesuch zur Wiederaufnahme des Klägers am 11. August 2014 an Bulgarien gerichtet hat.

Der angegriffene Bescheid ist nicht wegen einer unzureichenden Anhörung des Klägers durch das Bundesamt als formell rechtswidrig aufzuheben. Das Erfordernis, einen Asylbewerber vor einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 AsylG anzuhören, folgt aus den allgemeinen Regelungen in §§ 24 Abs. 1 Satz 3, 25 AsylG sowie nunmehr aus § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG. Die unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschriften findet sich in Art. 14 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 und Art. 34 der Verfahrensrichtlinie bzw. vor deren Inkrafttreten in Art. 12 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – juris Rn. 40 f.). Art. 34 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 der Verfahrensrichtlinie gebietet, dass ein Asylbewerber Gelegenheit erhält, sich zu der Anwendung der Gründe nach Art. 33 der Verfahrensrichtlinie in seinem besonderen Fall zu äußern, bevor die Asylbehörde über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz entscheidet. Die Anhörung dient – wie alle asylrechtlichen Verfahrensgarantien - der effektiven Durchsetzung des materiellen Rechts, indem sie jedem Antragsteller die Gelegenheit verschafft, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren und effektiv mit ihnen zu kommunizieren, um ihnen den ihn betreffenden Sachverhalt darlegen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2018 – 1 C 18.17 – juris Rn. 38).

Hier ist eine etwaige unzureichende Anhörung durch das Bundesamt, die sich auf frühere Asylanträge in anderen Mitgliedstaaten und eine anderweitige Schutzgewähr hätte beziehen müssen, jedenfalls im gerichtlichen Verfahren nachgeholt worden (zu der Verpflichtung der Gerichte, die Anhörung nachzuholen EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018 – C-585/16 – juris Rn. 127). Der Kläger konnte aufgrund der stattgebenden Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren VG 23 L 863.14 A im Bundesgebiet bleiben und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die kurdische Sprache an der mündlichen Verhandlung im Klageverfahren teilnehmen. Sein Verfahrensbevollmächtigter hatte zuvor eine im Eilverfahren abgegebene eidesstattliche Versicherung des Klägers, in der er u.a. die Verhältnisse in Bulgarien vor und nach der Zuerkennung subsidiären Schutzes beschrieb, auch zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht. Das Verwaltungsgericht ist seiner prozessualen Verpflichtung, den Sachverhalt zu ermitteln, in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Im Übrigen ist auch schon das Bundesamt von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Soweit die Verfahrensrichtlinie u.a. in Art. 15 Abs. 2, Art. 15 Abs. 3 oder Art. 25 Abs. 3 a) besondere Anforderungen an eine Anhörung stellt, die im gerichtlichen Verfahren nicht ohne weiteres erfüllt werden können, sind diese hier weder beachtlich noch geltend gemacht.

Unter diesen Umständen ist die Nachholung einer etwaigen unzureichenden behördlichen Anhörung sichergestellt (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 2019 – 1 C 26/16 – juris Rn. 10 ff.). Danach kann offen bleiben, ob hier § 46 VwVfG anwendbar oder im Hinblick auf Unionsrecht ausgeschlossen ist, bzw. ob die schriftliche Stellungnahme des Klägers ausgereicht hätte (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 1 C 26.16 – juris Rn. 38 und 45; BVerwG, Beschluss vom 17. April 2019 – 1 C 26/16 – juris Rn. 2).

Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. November 2014 ist auch materiell rechtmäßig, soweit er im Berufungsverfahren angegriffen ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind erfüllt, weil dem Kläger in Bulgarien subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger diesen Schutzstatus nicht mehr innehat. Der in Bulgarien gewährte internationale Schutz ist unbefristet (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 70; UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 6). Auch spricht nichts dafür, dass die bulgarische Asylbehörde den dem Kläger gewährten internationalen Schutz aufgehoben hat.

Die über den Wortlaut von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hinaus bestehenden weiteren unionsrechtlichen Anforderungen an eine Unzulässigkeitsentscheidung sind erfüllt. Nach Art. 33 Abs. 2 a) der Verfahrensrichtlinie darf ein Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden, wenn dem Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat bereits internationaler Schutz gewährt worden ist, aber das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in diesem Mitgliedstaat auf größere Funktionsstörungen stößt, die so schwerwiegend sind, dass der Schutzsuchende tatsächlich der ernsthaften Gefahr ausgesetzt ist, dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) zu erfahren (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 34 f.; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 101). Das beachtliche Risiko einer Verletzung von Art. 4 GRC steht einer Unzulässigkeitsentscheidung selbst dann entgegen, wenn für den Ausländer ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wird (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 40).

Aufgrund des fundamental bedeutsamen Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens, der eine Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet, gilt die Vermutung, dass die Behandlung eines Asylsuchenden in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GRC und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 82). Diese Vermutung ist widerlegt, wenn das Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen oder bereits erhalten haben, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 36; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 83). Dieses Risiko entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Umstände, die für eine mit der GRC unvereinbare Behandlung sprechen, ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32).

Die für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC erforderliche besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 92). Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, solange sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 39; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 93).

Sofern Minderjährige von der Unzulässigkeitsentscheidung betroffen sind, ist zu beachten, dass Kinder extrem verletzlich sind (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – HUDOC Rn. 99). Ob systemische oder allgemeine oder nur bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen, die das Risiko einer Verletzung von Art. 4 GRC begründen, hat das Gericht auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 38; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 90; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018 – 2 BvR 2435/17 – juris Rn. 34).

Ohne Bedeutung ist für sich genommen, ob anerkannte Schutzberechtigte auf familiäre Solidarität zurückgreifen können (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 94), Integrationsprogramme mangelhaft sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 96), Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Anerkennungsrichtlinie) vorliegen (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 36; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 92) oder keine existenzsichernden staatlichen Leistungen bestehen, soweit dies für Inländer ebenso gilt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 93).

In zeitlicher Hinsicht kommt es bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Asylantrages nicht darauf an, ob das relevante Risiko einer Verletzung von Art. 4 GRC zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder erst nach dessen Abschluss besteht (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 – juris Rn. 37; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 88).

Von diesen Maßstäben ausgehend droht dem Kläger in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Art. 4 GRC. Das ernsthafte Risiko, dass es in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten, die gesund und arbeitsfähig sind sowie keine besondere Verletzlichkeit aufweisen, unabhängig von ihrem Arbeitswillen und persönlichen Entscheidungen nicht gelingen kann, ein ausreichendes Erwerbseinkommen zu erzielen, eine Unterkunft zu finden und dadurch zumindest eine extreme materielle Not abzuwenden, kann nicht festgestellt werden (vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Oktober 2019 – A 4 S 2476/19 – juris Rn. 16 f.; OVG Schleswig, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 – juris Rn. 68 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 22. August 2018 – 3 L 50/17 – juris Rn. 13 ff.; nunmehr auch OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 Bf 132/17.A – juris Rn. 37 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A – juris Rn. 51 ff. sowie OVG Weimar, Urteil vom 13. November 2019 – 4 A 947/17.A – juris Rn. 40 ff.; a.A. VGH Kassel, Beschluss vom 13. September 2018 – 3 B 1712/18.A – juris Rn. 14 f. unter Verweis auf VGH Kassel, Urteil vom 4. November 2016 – 3 A 1292/16.A – juris; OVG Saarlouis, Urteil vom 19. April 2018 – 2 A 737/17 – juris Rn. 19 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Januar 2018 – 10 LB 87/17 – juris Rn. 39 ff.).

Die Lage von anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien stellt sich wie folgt dar:

1. Bulgarien ist das Land mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der Europäischen Union (Global Detention Project, Country Report, April 2019, S. 7), es betrug im Jahr 2017 nur 51 % des Durchschnitts der Europäischen Union (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 47). Das Land leidet unter der Auswanderung von rund 1,3 Millionen Bürgern in den letzten drei Jahrzehnten bei einer Einwohnerzahl von rund sieben Millionen Menschen (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 7).

Die Zahl der Schutzsuchenden hat während der sog. Flüchtlingskrise stark zugenommen. Während im Jahr 2012 nur 1.387 Personen um Schutz nachsuchten, begehrten im Jahr 2014 11.081 und im Jahr 2016 sogar 19.336 Personen internationalen Schutz. Im Jahr 2017 waren es nur noch 3.700 Antragsteller (Global Detention Project, Country Report, April 2019, S. 10) und im Jahr 2018 belief sich die Zahl der Schutzsuchenden auf 2.536. Insgesamt haben zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 30. November 2018 rund 25.000 Personen internationalen Schutz in Bulgarien erhalten (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 7).

Die meisten Schutzsuchenden sehen Bulgarien als bloßes Transitland auf ihrem Weg nach Westeuropa an. Bei einer Umfrage des UNHCR erklärten weniger als 10 % der befragten Schutzsuchenden, in Bulgarien leben zu wollen. Das UNHCR schätzt die Anzahl der Flüchtlinge, die jedes Jahr in Bulgarien bleiben, auf nur ein paar Hundert (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 7 und S. 17). Nach dem österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geben sogar 99,8 % der aufgegriffenen illegalen Migranten an, Bulgarien sei nicht ihr Zielland (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 7). Im Jahr 2018 haben 79 % der Asylbewerber ihr Asylverfahren in Bulgarien nicht zu Ende geführt (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 69). Die Anzahl der in Bulgarien lebenden anerkannten Schutzberechtigten wird auf 1.000 bis 2.000 (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 7) bzw. auf einige Hundert bis 5.000 (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Lüneburg, 18. Juli 2017, S. 2) geschätzt.

Anerkannte Flüchtlinge haben in Bulgarien die gleichen Rechte wie bulgarische Staatsangehörige mit wenigen Ausnahmen (etwa Teilnahme an Wahlen, Parteiaktivitäten, Wehrdienst); subsidiär Schutzberechtigte verfügen über die gleichen Rechte wie Drittstaatsangehörige mit Daueraufenthaltsrecht (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 69; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien vom 30. Juni 2017, S. 17). Anhaltspunkte, dass anerkannte Schutzberechtigte von der Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels ausgeschlossen wären, solange sie ihren Schutzstatus innehaben, bestehen nicht.

2. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien von Obdachlosigkeit bedroht sind, kann nicht festgestellt werden.

Die bulgarischen Aufnahmezentren für Schutzsuchende sind bei weitem nicht ausgelastet. Insgesamt standen Ende des Jahres 2018 in den verschiedenen Aufnahmezentren insgesamt 4.760 Plätze zu Verfügung, belegt waren tatsächlich nur rund 500 (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 49). Zum 30. April 2019 wohnten nur noch 353 Asylbewerber in den Zentren (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 3).

Anerkannte Schutzberechtigte (einschließlich Rückkehrer wie der Kläger) haben allerdings keinen Anspruch, in einem Aufnahmezentrum zu wohnen. Ihnen steht eine finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft von bis zu sechs Monaten nach Wirksamkeit der Zuerkennungsentscheidung zu (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 76). Da dieser Anspruch nicht erfüllt wird, dürfen Schutzberechtigte nach ihrer Anerkennung auf Antrag bis zu sechs Monate in den Aufnahmezentren verbleiben, sofern Kapazitäten frei sind. Ende des Jahres 2018 lebten dort 29 anerkannte Schutzberechtigte (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 76). Für anerkannte Schutzberechtigte, die das Aufnahmezentrum verlassen haben, besteht kein Anspruch auf erneute Aufnahme in eine Flüchtlingsunterkunft. Sie müssen sich selbständig um eine Unterkunft bemühen. Angesichts freier Kapazitäten kann aber in Ausnahmefällen eine Aufnahme erfolgen (Auswärtiges Amt an BAMF vom 25. März 2019, S. 2; Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 1; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 8).

Das bulgarische Rote Kreuz betreibt jeweils bis zum 31. März sog. „Winterunterkünfte“, in die auch Rückkehrer aufgenommen werden (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 2). Daneben existieren Obdachlosenunterkünfte, deren Wohnstandard bescheiden, aber nicht menschenunwürdig ist (Auswärtiges Amt an BAMF vom 25. März 2019, S. 2; Auswärtiges Amt an VG Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 2). Anhaltspunkte, dass anerkannte Schutzberechtigte vom Zugang zu solchen Unterkünften ausgeschlossen wären, bestehen nicht.

Ebenso wenig wie bulgarische Staatsangehörige haben anerkannte Schutzberechtigte einen Anspruch auf eine Sozialwohnung. Sie können sich aber auf die wenigen Sozialwohnungen bewerben (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 2). Auch erhalten anerkannte Schutzberechtigte - wie bulgarische Staatsangehörige - in der Regel kein Wohngeld, weil die Voraussetzungen für dessen Gewährung kaum zu erfüllen sind (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 2; Ilareva an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 9).

Wenn sie nicht in Notunterkünften untergebracht sind, sind anerkannte Schutzberechtigte darauf verwiesen, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu finden. Neben den dafür benötigten finanziellen Mitteln, welche die Schutzberechtigten selbst erwirtschaften müssen, bestehen bei der Wohnungssuche Probleme aufgrund der Sprachbarriere und der Unerfahrenheit der anerkannten Schutzberechtigten. Ferner werden Fremdenfeindlichkeit und Vorbehalte gegenüber Muslimen auf Seiten der Vermieter beschrieben (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 9; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 9 f.).

Demgegenüber lässt sich nicht feststellen, dass melderechtliche Probleme, auf die sich auch der Kläger beruft, einer erfolgreichen Wohnungssuche entgegenstehen. Danach wird geltend gemacht, dass für den Abschluss eines Mietvertrages die Vorlage eines gültigen Ausweispapiers erforderlich sei, auf das auch anerkannte Schutzberechtigte einen Anspruch haben. Voraussetzung für die Ausstellung eines Personaldokuments sei aber ein Wohnsitz und dessen Eintragung in die nationale Datenbank. Dabei sei es einem anerkannten Schutzberechtigten nicht möglich, die Anschrift des Aufnahmezentrums als Wohnsitz anzugeben (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 21; Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 70 und S. 76). Demzufolge setzt der Erhalt einer Wohnung eine registrierte Meldeanschrift voraus, die aber ohne Wohnung nicht vorhanden sein kann. Um diesen Kreis zu durchbrechen, werden auch Scheinmietverträge verwendet (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 70 und 76; Ilareva, Auskunft an den VGH Mannheim, 27. August 2015, S. 6). Nach Mitteilung der Sachverständigen Ilareva sind die Probleme bei der Registrierung einer Wohnanschrift und die Erlangung eines Identitätsdokuments seit 2015 noch größer geworden (Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 7).

Dem steht jedoch entgegen, dass das bulgarische Innenministerium zwischen dem 1. Januar 2014 und dem 31. Dezember 2018 fast 14.000 Identitätsdokumente für anerkannte Schutzberechtigte ausgestellt hat (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 70). Da in diesem Zeitraum rund 16.400 Schutzsuchende in Bulgarien internationalen Schutz erhalten haben (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 21), spricht alles dafür, dass das Registrierungsproblem in der Praxis lösbar ist. Darauf deutet zudem hin, dass die Caritas Bulgarien in ihrem umfangreichen Bericht über die Lage der Migranten in Bulgarien den dargestellten „Teufelskreis“ nicht erwähnt, obwohl sie auch aus dem Bericht von Frau Ilareva vom 7. April 2017 zitiert und ihr daher deren Ansicht bekannt sein müsste (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 33). Auch das UNHCR beschreibt zwar die Notwendigkeit einer Registrierung der anerkannten Schutzberechtigten in einer Gemeinde, erwähnt insoweit aber keine Probleme (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S 6).

Soweit sich Gemeinden geweigert haben, anerkannte Schutzberechtigte zu registrieren, obwohl diese Inhaber einer Wohnung waren (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 33; USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 12; Amnesty International, Report Bulgarien 2017/18, 23. Mai 2018, S. 1; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 10), handelt es sich um Ausnahmefälle. Eine verbreitete Praxis der rechtswidrigen Weigerung einer Registrierung ist nicht bekannt. Zudem ist jedenfalls in einem Fall gegen einen Bürgermeister, der öffentlich seine Weigerung zur Aufnahme einer syrischen Familie kundgetan hatte, eine Geldbuße verhängt worden (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 13).

Die Schwierigkeiten anerkannter Schutzberechtigter bei der Wohnungssuche werden schließlich dadurch gemildert, dass sie Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen erhalten können (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 4; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 8). In Bulgarien sind mehrere internationale und bulgarische Nichtregierungsorganisationen aktiv und bieten Programme für Flüchtlinge an. Nichtregierungsorganisationen sind bereits in den Aufnahmezentren präsent und informieren Schutzsuchende über ihre Rechte und die Verfahrensabläufe (Auswärtiges Amt an OVG Weimar vom 18. Juli 2018, S. 3; Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 41).

Das Bulgarische Rote Kreuz (BRK) führt diverse Integrationsmaßnahmen durch, wozu auch Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche zählt, und bietet Sachleistungen oder einmalige finanzielle Hilfe bei Notsituationen (z.B. bei drohender Obdachlosigkeit) an (Auswärtiges Amt an OVG Weimar vom 18. Juli 2018, S. 3; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 4). Die Hilfeleistungen des BRK sind rechtlich im bulgarischen Gesetz über Asyl und Flüchtlinge (abgedruckt bei UNHCR an VG Köln vom 26. März 2019) verankert. An mehreren Stellen wird es explizit zur Unterstützung der bulgarischen Asylbehörde bei Hilfestellungen für Schutzsuchende und anerkannte Schutzberechtigte erwähnt (Art. 53 Nr. 1, Nr. 4 und Nr. 5, Art. 54 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1).

Die Caritas unterhält in Sofia das Zentrum für Soziale Rehabilitation St. Anna, in dem Flüchtlinge diverse Unterstützungsleistungen erhalten können, bietet Sprachkurse an und hilft bei der Suche von Arbeit und Unterkunft sowie der Erlangung sozialer oder medizinischer Versorgung. Im Jahr 2016 sind dort 287 Schutzsuchende und anerkannte Schutzberechtigte betreut worden (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 4; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 5).

Ferner ist die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Bulgarien sehr aktiv (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 43). Sie führt mit einem Budget von knapp einer Million Euro Projekte zur Unterstützung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Integration, Ausbildung und Beratung von illegalen Migranten, Asylsuchenden und anerkannten Schutzberechtigten durch (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 4). Der Umfang der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen hängt von deren konkreter Finanzierung ab (Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 3), wobei keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Hilfeleistungen der Nichtregierungsorganisationen mangels Finanzierung eingeschränkt oder eingestellt wurden.

Daneben gibt es Vereinigungen von Migranten, die ebenfalls Flüchtlinge unterstützen. Zu den aktivsten zählt die syrische Vereinigung, die besonders während des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen ab dem Jahr 2015 Hilfe an bedürftige Flüchtlinge geleistet hat (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 25 f.). Die muslimische Gemeinde steht muslimischen Flüchtlingen grundsätzlich offen gegenüber, beteiligt sich an der Flüchtlingshilfe und überlässt anerkannten Schutzberechtigten Wohnraum (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 4).

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die zur Vermeidung einer unzureichenden Versorgungslage benötigten Hilfeleistungen von dem jeweiligen Mitgliedstaat, mit Hilfe von EU-Programmen, durch internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, private Gruppen oder Familienangehörige bereitgestellt werden. Entscheidend ist allein, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, und nicht, ob gerade staatliche Stellen eine drohende Gefahr abgewendet haben (so auch zutreffend OVG Magdeburg, Beschluss vom 22. August 2018 – 3 L 50/17 – juris Rn. 17; Thym, in: NVwZ 2018, 609, 613).

Die Hilfestellungen nichtstaatlicher Organisationen bei der Wohnungssuche sind praktisch erfolgreich, weil es in Bulgarien kaum obdachlose Schutzberechtigte gibt bzw. darüber jedenfalls nichts bekannt ist (Auswärtiges Amt an BAMF vom 25. März 2019, S. 2; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 2; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 9; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 9).

Gegen gravierende tatsächliche Probleme anerkannt Schutzberechtigter bei der Wohnungssuche spricht ferner die Zahl derjenigen Asylsuchenden, die auf eigene Kosten außerhalb der Aufnahmezentren wohnen. So wohnten zum 30. April 2019 353 Asylbewerber in Aufnahmezentren und 131 Asylbewerber in privaten Unterkünften (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 3). Da dieser Personenkreis in den Aufnahmezentren versorgt wird, während der ersten drei Monate nach der Ankunft in Bulgarien nicht arbeiten darf, sich naturgemäß erst relativ kurze Zeit in Bulgarien aufhält und der überwiegende Anteil der Schutzsuchenden Bulgarien zeitnah wieder verlassen möchte, ist der Anteil derjenigen, denen es bereits in diesem Verfahrensstadium gelungen ist, eine private Unterkunft zu finden und zu finanzieren, mit mehr als 25% recht hoch.

3. Es ist fernliegend, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien ihren Lebensunterhalt aus staatlichen Sozialleistungen decken können. In der Regel kann der Lebensunterhalt nur durch Erwerbstätigkeit gesichert werden (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 3).

Anerkannte Schutzberechtigte haben in Bulgarien den gleichen Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe von 65 Lewa (umgerechnet rund 30,- Euro) wie bulgarische Staatsangehörige. Der Erhalt von Sozialhilfe ist aufgrund von Bürokratie und anderen Formalitäten schon für bulgarische Staatsangehörige sehr schwierig und für anerkannte Schutzberechtigte nur möglich, wenn sie Hilfe von Nichtregierungsorganisationen erhalten (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 77; Auswärtiges Amt an OVG Weimar vom 18. Juli 2018, S. 2; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 7). Nur sehr wenige anerkannte Schutzberechtigte beziehen Sozialhilfe (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 3; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 7).

Außerdem erweist sich die am 19. Juli 2017 in Kraft getretene Integrationsverordnung als weitgehend wirkungslos. Die danach vorgesehene Integrationsvereinbarung zwischen einem anerkannten Schutzberechtigten und einer Gemeinde umfasst die Gewährung von Unterkunft, Krankenversicherung und Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche (Auswärtiges Amt an VG Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 1; USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 13). Bislang haben nur sehr wenige anerkannte Schutzberechtigte davon profitieren können (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 12; USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 13). Als Grund für den fehlenden Erfolg gibt die bulgarische Asylbehörde an, anerkannte Schutzberechtigte wie auch die zuständigen Bürgermeister zeigten Zurückhaltung, weil Schutzberechtigte überwiegend planten, sich in anderen europäischen Ländern niederzulassen (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 13). Die wenigen Kommunen, die auch wegen eines starken Bevölkerungsrückgangs Interesse am Abschluss einer Integrationsvereinbarung haben, befinden sich überwiegend außerhalb der Zentren (Auswärtiges Amt, Auskunft der Botschaft Sofia vom 1. März 2018, S. 2) und sind daher für anerkannte Schutzberechtigte wenig attraktiv.

4. Es ist aber nicht beachtlich wahrscheinlich, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien keine zur Sicherung eines nach Art. 4 GRC gebotenen Existenzminimums nötige Arbeit finden können.

Für anerkannte Schutzberechtigte erfolgt der Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt automatisch und unbeschränkt (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 76; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6). Das Fehlen einer Meldeanschrift stellt kein Hindernis bei der Arbeitsplatzsuche dar (Auswärtiges Amt an VG Trier vom 26. April 2018, S. 3). Anfängliche Probleme von Unternehmen mit Behörden, wenn sie anerkannte Schutzberechtigte einstellen wollten, bestehen nicht mehr (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 15).

Als größtes Hindernis bei der Arbeitsplatzsuche sind fehlende Kenntnisse der bulgarischen Sprache anzusehen (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 32; Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 76; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 14 und S. 18; UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 11). Laut UNHCR fordern fast alle von ihm befragten Arbeitgeber ein Minimum an bulgarischen Sprachkenntnissen (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 15 und S. 23). Außerdem ist es ohne ausreichende Sprachkenntnisse schwierig, Arbeitsplätze mit Hilfe von Onlineplattformen oder Zeitungen zu suchen. Demzufolge sind anerkannte Schutzberechtigte häufig auf mündliche Weiterempfehlungen von offenen Stellen angewiesen, wobei sie jedoch regelmäßig ein wenig ausgeprägtes soziales Netzwerk haben (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 32; UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 11).

Bei besser ausgebildeten anerkannten Schutzberechtigten ist es zudem kompliziert, förmliche Berufsqualifikationen aus dem Heimatland in Bulgarien anerkennen zu lassen (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 32; Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 76 f.; UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 11). Ein weiteres Problem stellt die kritische Haltung potentieller Arbeitgeber dar (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 13), wobei Diskriminierung nach Nationalität oder Herkunft bei der Beschäftigung verboten ist (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 30 f.).

Schließlich sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Suche eines Arbeitsplatzes nicht günstig, weil in Bulgarien eine Rezession mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit besteht (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 52; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 14 und 18). Im Jahr 2016 betrug die Arbeitslosenquote 7,6 %, bei jungen Menschen fast 23 % (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 13). Als weitere Schwierigkeit bei der Einstellung anerkannter Schutzberechtigter gilt die Annahme der Arbeitgeber, dass die Schutzberechtigten nur relativ kurze Zeit in Bulgarien bleiben und nach einigen Monaten die Arbeitsstelle wieder aufgeben, um Richtung Westeuropa weiterzuwandern (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 32).

Die Vermittlung eines Arbeitsplatzes durch die staatliche Agentur für Arbeit ist für anerkannte Schutzberechtigte wenig erfolgversprechend (Ilareva an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 5 f. mit Verweis auf dies. an VGH Mannheim vom 27. August 2015, S. 4). Die staatlichen Programme zur Integration von anerkannten Schutzberechtigten am Arbeitsmarkt laufen weitgehend leer. Im Juni 2016 waren bei bulgarischen Arbeitsämtern 61 anerkannte Schutzberechtigte arbeitslos gemeldet, elf von ihnen konnten in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden, zehn erhielten Schulungsmaßnahmen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 18). An dem zwölf Monate dauernden Nationalen Programm zur Beschäftigung und Weiterbildung von Flüchtlingen haben in den Jahren 2015 und 2016 lediglich zwei Flüchtlinge teilgenommen (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 18). Die Agentur für Arbeit schickt aber Arbeitsplatzangebote an die bulgarische Asylbehörde, die dann versucht, den direkten Kontakt zwischen Arbeitsplatzsuchenden und Arbeitgebern herzustellen (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 19).

Nichtregierungsorganisationen helfen anerkannten Schutzberechtigten bei der Arbeitsplatzsuche, etwa die Caritas in ihrem Zentrum St. Anna (Ilareva an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 7), und nehmen auch Kontakt zu Unternehmen auf, um dort passende Arbeitsplätze zu finden (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 19). Nach eigenen Angaben hat die Caritas 231 Personen bei der Arbeitsplatzsuche beraten und 128 Arbeitsplätze vermittelt, wobei der Zeitraum sich aus der Mitteilung nicht ergibt. Sie unterhält Kontakte zu 45 Arbeitgebern in unterschiedlichen Branchen (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 44).

Arbeitsmöglichkeiten für anerkannte Schutzberechtigte bestehen vor allem in der Landwirtschaft und Gastronomie, wo auch geringqualifizierte Beschäftigte ohne gute Sprachkenntnisse eine Erwerbstätigkeit finden können. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist besonders in den ländlichen Gebieten hoch (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Trier vom 26. April 2018, S. 4). Dementsprechend teilte der Leiter des Aufnahmezentrums Harmanli mit, dass für Schutzsuchende ein großes Angebot an freien Stellen außerhalb der Einrichtung bestehe (BMI/BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2019, S. 6). Die Mehrheit der arbeitenden Schutzberechtigten ist bei einem Arbeitgeber gleicher Herkunft beschäftigt (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6). In Sofia gibt es den großen Ilientsi-Markt, auf dem viele Unternehmen von Migranten, überwiegend chinesischer und arabischer Herkunft, Güter verkaufen und Arbeitsplätze für anerkannte Schutzberechtigte anbieten (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 25). Auch einige größere Unternehmen bieten anerkannten Schutzberechtigten Beschäftigungsmöglichkeiten (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 44). Unternehmen – insbesondere fern der Zentren – fragen immer wieder gezielt bei der bulgarischen Asylbehörde oder bei Nichtregierungsorganisationen bezüglich der Möglichkeit an, Flüchtlinge vor allem für einfache Tätigkeiten einzustellen. Bisweilen scheitert eine Beschäftigung von Flüchtlingen bei einem in einer ländlichen Region niedergelassenen Unternehmen daran, dass anerkannten Schutzberechtigten die Bereitschaft fehlt, in die bulgarische Provinz zu ziehen (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Trier vom 26. April 2018, S. 4; Auswärtiges Amt, Auskunft der Botschaft Sofia vom 1. März 2018, S. 2). Ferner sind einige anerkannte Schutzberechtigte bei Nichtregierungsorganisationen beschäftigt (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6), etwa als Übersetzer oder Sozialarbeiter (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 7).

Hinreichende Anhaltspunkte, dass der Lohn für geringqualifizierte Tätigkeiten nicht zur Deckung eines Existenzminimums einschließlich der Finanzierung einer Unterkunft ausreicht, bestehen nicht (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Trier vom 26. April 2018, S. 4), auch wenn unqualifizierte Tätigkeiten schlecht entlohnt werden (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6). Zum 1. Januar 2017 betrug der monatliche Mindestlohn 235,20 Euro (UNHCR, Where there is a Will, there is a Way, 26. April 2017, S. 13). Dies liegt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, wobei 31 % aller Einwohner ein darunter liegendes Einkommen erzielen (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 32). Nach Angaben bulgarischer Gewerkschaften betragen die monatlichen Lebenshaltungskosten im Landesschnitt 305 Euro, in Sofia sogar 397 Euro (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 3). Die Unterschreitung der offiziellen Armutsgrenze belegt aber nur, dass ein anerkannter Schutzberechtigter trotz Arbeit regelmäßig in großer Armut leben wird, worauf es hier aufgrund der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe aber nicht ankommt, weil damit keine extreme materielle Not in diesem Sinne verbunden ist.

Eindeutige Zahlen, wie viele anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien arbeiten, lassen sich den Erkenntnissen nicht entnehmen. Im Jahr 2015 hatten 192 Schutzsuchende und anerkannte Schutzberechtigte einen registrierten Arbeitsvertrag, im Jahr 2016 waren es 162 Personen. Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2017 haben bislang nur wenige anerkannte Schutzberechtigte eine Arbeit gefunden (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 6). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass dem informellen Wirtschaftssektor („grey economy“), in dem es häufig an förmlichen Arbeitsverträgen fehlt, in Bulgarien eine erhebliche Bedeutung zukommt; rund ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes wird dort erwirtschaftet (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 33).

Vor diesem Hintergrund lässt sich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht feststellen, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien keine ausreichende Arbeit finden können. Da sie ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht aus Sozialleistungen sichern können, es aber – wie dargestellt – keine Erkenntnisse über eine verbreitete Obdachlosigkeit gibt, muss es einer Mehrzahl von anerkannten Schutzberechtigten gelingen, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, um sich eine Unterkunft leisten zu können. Dies entspricht den dargestellten Möglichkeiten, wonach Schutzberechtigte vor allem auch in bestimmten Sektoren eine Erwerbstätigkeit finden können.

5. Des Weiteren lässt sich nicht das ernsthafte Risiko feststellen, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien keine ausreichende medizinische Versorgung erlangen können.

Von Gesetzes wegen haben anerkannte Schutzberechtigte den gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung wie bulgarische Staatsangehörige. Sie müssen die Krankenversicherungsbeiträge selbst aufbringen, andernfalls sind sie nicht krankenversichert (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 16 und S. 22; UNHCR, Auskunft an VG Köln vom 17. Dezember 2018, S. 3). Bei einer regulären Erwerbstätigkeit übernimmt der Arbeitgeber die Beiträge zur Krankenversicherung (Ilareva, Auskunft an VGH Mannheim vom 27. August 2015, S. 7). Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage können sich rund eine Million Menschen in Bulgarien die Beiträge zur Krankenversicherung nicht leisten und sind daher ohne Versicherungsschutz (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 19).

Das bulgarische Gesundheitssystem ist im Allgemeinen in einem sehr schlechten Zustand, es mangelt an qualifiziertem Personal und ausreichender finanzieller Ausstattung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 16 und 22 f.; Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 53; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 15). Manche Behandlungen oder Medikamente – insbesondere bei schweren oder chronischen Erkrankungen – werden nicht oder nur teilweise erstattet, nicht abgedeckte Leistungen müssen gesondert entgolten werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 23 f.; UNHCR, Auskunft an VG Köln vom 17. Dezember 2018, S. 3). Eine spezielle Behandlung für Folteropfer und psychisch Kranke ist nicht ohne weiteres verfügbar (Aida, Country Report: Bulgaria, Update 2018, S. 53 und 77), bestimmte Psychopharmaka werden aber ganz oder teilweise von der Krankenkasse bezahlt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 19).

Daneben gibt es Nichtregierungsorganisationen, die – je nach finanzieller Lage – eine kostenlose medizinische Behandlung anbieten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 24).

Für anerkannte Schutzberechtigte können neben der Finanzierung der Krankenversicherung praktische Hindernisse bei der medizinischen Versorgung bestehen. Dies betrifft z.B. die allgemeine Unkenntnis vom bulgarischen Gesundheitssystem, fehlende Sprachmittler, Kapazitätsprobleme oder Vorbehalte einiger Ärzte (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 24; UNHCR, Auskunft an VG Köln vom 17. Dezember 2018, S. 3; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 10).

Unabhängig von einem Krankenversicherungsschutz haben anerkannte Schutzberechtigte wie auch bulgarische Staatsangehörige Anspruch auf eine kostenfreie medizinische Notfallversorgung. Dazu zählen alle medizinischen Maßnahmen zur Heilung von akut lebensbedrohlichen Funktionsstörungen, die Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Körperfunktionen sowie die Behandlung psychischer Erkrankungen, die eine Gefahr für den Erkrankten oder Dritte darstellen. Es ist kein Fall bekannt, in dem einem anerkannten Schutzberechtigten eine erforderliche Notfallversorgung verweigert worden ist und er deshalb körperliche Schäden erlitten hat (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Trier vom 26. April 2018, S. 4; Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 9 f.; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 11).

Schon wegen dieser Notfallversorgung kann ein auf einer Erkrankung beruhendes ernsthaftes Risiko extremer Not nicht festgestellt werden. Darüber hinaus ist es einem anerkannten Schutzberechtigten, der zur Sicherung seines Lebensunterhaltes ohnehin auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen ist, regelmäßig möglich, aus seinem Arbeitseinkommen die Krankenversicherungsbeiträge aufzubringen und sich krankenversichern zu lassen, sofern er nicht ohnehin über seinen Arbeitgeber krankenversichert ist.

6. Des Weiteren besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien Opfer fremdenfeindlicher Gewalttaten werden.

Es kommt in Bulgarien immer wieder zu ausländerfeindlichen, teilweise schweren Übergriffen Dritter – auch in Form sog. „Bürgerwehren“ – gegen Migranten und Asylsuchende. Auch haben Anwohner gegen die Niederlassung von Flüchtlingen protestiert (USDOS, Bulgaria 2018 Human Rights Report, S. 12; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Bulgarien, 30. Juni 2017, S. 7 und 10). Es liegen aber keine Anhaltspunkte vor, dass in Bulgarien über Einzelfälle hinaus systematisch oder flächendeckend Gewalttaten gegen Ausländer verübt werden. Auch zeigen gegen fremdenfeindliche Täter verhängte Haftstrafen, dass der bulgarische Staat dem Phänomen gegenüber nicht untätig bleibt.

7. Zusammenfassend ist festzustellen, dass keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass eine große Anzahl anerkannter Schutzberechtigter unter Hunger und Entbehrung leidet (Auswärtiges Amt an OVG Lüneburg vom 18. Juli 2017, S. 8; Ilareva, Auskunft an OVG Lüneburg vom 7. April 2017, S. 8). Die bulgarische Caritas geht sogar davon aus, dass Migranten in Bulgarien gut integriert sind, was jedoch nicht auf staatlichen Hilfen, sondern eigenen Anstrengungen beruht. Es gibt daher keine ausgegrenzte Gruppe von Migranten und keine „Migranten-Ghettos“ (Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, S. 23). Dagegen sieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien von existenziellen Schwierigkeiten bedroht, weshalb diese nicht nach Bulgarien überstellt werden sollten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 4). Dies beruht jedoch auf einer Würdigung der Lebensumstände von anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien, der der Senat aus den dargelegten Gründen nicht folgt.

Soweit die Lage anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien in der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Teil anders beurteilt wird (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 13. September 2018 – 3 B 1712/18.A – juris Rn. 14 f. unter Verweis auf VGH Kassel, Urteil vom 4. November 2016 – 3 A 1292/16.A – juris; OVG Saarlouis, Urteil vom 19. April 2018 – 2 A 737/17 – juris Rn. 19 ff.; OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Januar 2018 – 10 LB 87/17 – juris Rn. 39 ff.), schließt sich der Senat dieser Auffassung nicht an. Sie stellt im Kern darauf ab, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien von Obdachlosigkeit bedroht seien und keine Arbeit finden könnten. Diese Annahme beruht jedoch auf Erkenntnissen, die im Vergleich zu den von dem Senat herangezogenen aktuelleren Erkenntnissen veraltet sind. Die Relevanz neuerer Erkenntnisse ist hier auch deswegen besonders hoch, weil das bulgarische Asylsystem bis zum Jahr 2016 durch erhebliche Asylanträge besonders stark belastet war und die Zahl der Schutzsuchenden erst im Laufe des Jahres 2017 deutlich abgenommen hat.

Von dieser Erkenntnislage ausgehend droht dem Kläger in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Art. 4 GRC, weil er gesund, arbeitsfähig und nicht besonders verletzlich ist. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass er psychisch so schwer erkrankt wäre, als dass dies seine Fähigkeit, in Bulgarien die nötige Eigeninitiative aufzubringen und zu arbeiten, erheblich einschränken könnte. Der Kläger hat keine psychische Erkrankung mehr geltend gemacht und eine solche insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr geschildert. Ebenso wenig hat er ein aktuelles ärztliches Attest eingereicht. Die letzte von ihm vorgelegte Mitteilung über psychische Probleme - ein Bericht des Bezirksamtes Neukölln von Berlin – datiert vom 30. April 2015. Dieser Bericht ist rund viereinhalb Jahre alt.

Da die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu beurteilen ist, kommt es hier weder auf die Lage in Bulgarien in den Jahren 2013/2014 während des dortigen Aufenthaltes des Klägers an, noch darauf, welchen besonderen Schwierigkeiten er als noch Minderjähriger dort ausgesetzt war.

Soweit das Begehren des Klägers (§ 88 VwGO) hilfsweise auf die Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, gerichtet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 – 1 C 10.17 – juris Rn. 11), ist die Verpflichtungsklage unbegründet (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen entsprechenden Anspruch. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen nicht vor. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Eine Unzulässigkeit der Abschiebung des Klägers nach Bulgarien folgt insbesondere nicht aus einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 4 GRG verwiesen, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRC die gleiche Bedeutung und Tragweite hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 – juris Rn. 91). Auch auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann kein Abschiebungsverbot festgestellt werden. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen spricht hierfür ebenfalls nichts.

Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. Juni 2015 erlassene Abschiebungsandrohung. Diese hat das Verwaltungsgericht mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 20. November 2015 aufgehoben; hiergegen hat die Beklagte kein Rechtsmittel eingelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.