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Entscheidung 9 UF 25/19


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 06.06.2019
Aktenzeichen 9 UF 25/19 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2019:0606.9UF25.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der am 19.12.2018 verkündete Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin (Az. 6 F 576/18) dahin abgeändert, dass der Antrag des Antragstellers, die elterliche Sorge für das Kind x…, geboren am … 2010, beiden Eltern gemeinsam zu übertragen, abgewiesen wird.

Es bleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Eltern jeweils zur Hälfte; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern des am …2010 (nichtehelich) geborenen Kindes X... Das Mädchen war eine Frühgeburt mit schweren Darmkomplikationen in den ersten Lebenswochen wurde sie zweimal operiert und verbrachte mehr als zehn Wochen im Krankenhaus.

Die Kindeseltern haben ca. neun Jahre zusammengelebt. Die Trennung erfolgte im … 2017. Der Vater bezog eigenen Wohnraum in B…. X… blieb bei der Mutter.

Die im … geborene Mutter arbeitet vollschichtig als …. Sie hat noch einen erwachsenen Sohn, der in S… lebt. Seit einiger Zeit ist sie neu liiert. Der Partner hat zwei minderjährige Kinder, die bei ihrer Mutter leben.

Der im … geborene Vater betreibt eine Firma für …. Seit Sommer 2018 lebt er mit seiner neuen Lebensgefährtin und deren minderjährigen Sohn (…) in R… zusammen.

Mit Schriftsatz vom 19.09.2018 hat der Vater das vorliegende Verfahren eingeleitet und auf Begründung der gemeinsamen Sorge angetragen. (In einem weiteren Verfahren streiten die Kindeseltern über das Umgangsrecht des Vaters; die Beschwerde wird unter dem Aktenzeichen 9 UF 26/19 geführt.)

Die Mutter ist dem Begehren entgegengetreten. Die gemeinsame elterliche Sorge entspreche nicht dem Wohl des betroffenen Kindes. Zwischen den Eltern bestehe keine tragfähige soziale Beziehung; es herrsche großes Misstrauen. Der Vater lehne jede persönliche Kommunikation mit ihr (der Mutter) ab. Der Austausch erfolge ausschließlich über E-Mail. Der Vater benutze X… als Botin (z.B. für nicht abgestimmte Umgangszeiten). In der Vergangenheit habe sie alle wesentlichen Entscheidungen für das Kind - außer der Schulwahl - allein getroffen. Der Vater, der durch seine selbständige Tätigkeit zeitlich sehr beansprucht sei, habe kein Interesse gezeigt oder sei nicht erreichbar gewesen. Bis Frühjahr 2016 habe sie mit der Tochter sämtliche Termine (z.B. Arzt, Logopädie, Frühförderung, Physiotherapie) wahrgenommen. Danach seien die Logopädie- und Arzttermine zwischen den Eltern geteilt worden; der Vater habe das Kind auch aus der Kita bzw. später von der Schule abgeholt. (X… besucht seit September 2016 eine …schule.) An der schulischen Entwicklung des Kindes zeige er aber kein Interesse.

Der Vater ist dem Vorbringen der Mutter entgegengetreten und hat ihr eine einseitige Verweigerungshaltung vorgeworfen.

Der Verfahrensbeistand hat in seiner Stellungnahme vom 27.11.2018 keine Empfehlung abgegeben. Das Verhältnis zwischen den Eltern sei stark belastet und von gegenseitigen Vorwürfen und teils diametral entgegengesetzten Auffassungen geprägt. Die Kommunikation sei stark gestört.

Mit am 19.12.2018 verkündeten Beschluss hat das Amtsgericht die elterliche Sorge für das Kind X… den Eltern gemeinsam übertragen. Die Begründung der gemeinsamen Sorge widerspreche nicht dem Kindeswohl. Von beiden Eltern könne verlangt werden, dass sie ihre Konsensfähigkeit wieder herstellen. Sie müssten an ihrer Kommunikationsfähigkeit arbeiten (z.B. Beratung, betreute Elterngespräche). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.

Gegen diese Entscheidung hat die Mutter Beschwerde eingelegt, mit der sie eine Antragsabweisung erreichen will. Das Amtsgericht habe den Sachverhalt schon nicht genügend aufgeklärt (fehlende Kindesanhörung). Die Voraussetzungen für die Einräumung der Mitsorge lägen nicht vor. Die Kommunikationsebene der Eltern sei schwerwiegend und nachhaltig gestört. Der Vater kommuniziere nicht mit ihr (der Mutter); er ignoriere sie. Es sei zu befürchten, dass der Vater die gemeinsame Sorge nutze, um wichtige Entscheidungen betreffend das Kind zu blockieren.

Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Begründung. Er habe der Mutter moderierte Gespräche bei der AWO in B… vorgeschlagen. Die Mutter sei auf diese Vorschläge nicht eingegangen.

Der Senat hat das Kind, seine Eltern und den Verfahrensbeistand am 06.06.2019 persönlich angehört.

II.

Die Beschwerde der Mutter ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel auch Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist abzuändern und der Antrag des Vaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge abzuweisen.

Gemäß § 1626 a Abs. 2 BGB überträgt das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Trägt der andere Elternteil keine Gründe vor, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, und sind solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich, wird vermutet, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht. Dem ist zu entnehmen, dass Prüfungsmaßstab ist, ob eine gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (sog. negative Kindeswohlprüfung). Damit bedarf es ausreichender Anhaltspunkte, die den Schluss darauf zulassen, dass eine gemeinsame elterliche Sorge sich nicht zum Wohl des Kindes auswirken wird. Die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist somit unter den gleichen Voraussetzungen abzulehnen, unter denen im Fall des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben wäre (BGH, FamRZ 2016, 1439). Dabei kann allein die Ablehnung der gemeinsamen Sorge durch die Mutter regelmäßig nicht die Vermutung begründen, in diesem Fall entspreche ein beiderseitiges Sorgerecht nicht dem Kindeswohl. Denn dann läge es allein in der Entscheidungsmacht der Mutter, ob auch der Kindesvater mitsorgeberechtigt wird oder nicht. Auf der anderen Seite sind Gründe, die der gemeinsamen elterlichen Sorge im Sinne von § 1626 a Abs. 2 BGB entgegenstehen können, bereits dann gegeben, wenn sich aus den dem Gericht dargelegten oder sonst festgestellten konkreten tatsächlichen Anhaltspunkten die Möglichkeit ergibt, dass die gemeinsame elterliche Sorge nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist (BGH, FamRZ 2016, 1439).

Voraussetzung für eine gemeinsame Sorge ist, nicht anders als im umgekehrten Fall bei dem geprüft wird, ob nach § 1671 BGB die gemeinsame elterliche Sorge aus Gründen des Kindeswohls aufgehoben werden muss, u.a. ein Mindestmaß an Übereinstimmung der Eltern in den wesentlichen - nicht allen - Bereichen der elterlichen Sorge und eine grundsätzliche Konsensfähigkeit (BGH, NJW 2008, 994) sowie insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern (BGH, FamRZ 2016, 1439). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen (BGH, FamRZ 2016, 1439).

Objektive Kooperationsfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft sind damit grundsätzlich unabdingbare Voraussetzungen für ein gemeinsames Sorgerecht. Fehlen diese, so liegt die Prognose nahe, dass es dem Kindeswohl am besten entspricht, wenn nur ein Elternteil die elterliche Sorge inne hat (OLG Hamm, Beschluss vom 31.05.2012 - Az. 4 UF 8/12, zitiert nach juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Die Herstellung der gemeinsamen Sorge der Eltern kommt hier derzeit nicht in Betracht. Die notwendige Übereinstimmung zwischen den Eltern ist nicht gegeben, wie sich aus dem Vorbringen der beteiligten Eltern, den Ausführungen des Verfahrensbeistands in seiner Stellungnahme vom 27.11.2018, dem weiteren Akteninhalt und den Angaben im Anhörungstermin vom 06.06.2019 ergibt.

Die Eltern sind nicht willens und/oder nicht in der Lage, im Interesse des Kindes miteinander zu kommunizieren, geschweige denn zu kooperieren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob beiden Elternteilen gleichermaßen oder ganz überwiegend nur einem Elternteil vorzuwerfen ist, die Kommunikationsstörungen zu verursachen. Die Eltern sind völlig zerstritten und sprechen nicht mehr miteinander. Diese Haltung war auch im Anhörungstermin vom 06.06.2019 erkennbar. Die Eltern haben kein Wort miteinander gewechselt. Beide haben ihren Standpunkt dargelegt, Vorwürfe gegenüber dem anderen Elternteil erhoben und wenig Einsicht gezeigt. Ihnen ist bewusst, dass die gemeinsame Tochter unter dem massiven Elternstreit leidet. Gleichwohl sind sie nicht wirklich bereit, im Interesse des Kindes für eine Befriedung der Situation und Versachlichung der Elternebene zu sorgen. Der Paarkonflikt mit seinen gegenseitigen Kränkungen ist noch sehr präsent, was auch im Anhörungstermin am 06.06.2019 spürbar war.

Die fehlende Kommunikation und Zerstrittenheit der Eltern zeigt sich schon im Rahmen der Umgangstermine. Der Vater darf das Wohngrundstück der Mutter nicht mehr betreten; die Übergabe des Kindes erfolgt - während der Ferien - an dem Gartentor. (Ansonsten holt der Vater X… in der Schule zum Umgang ab.) Die Mutter wirft dem Vater vor, ihr beruflich Schaden zugefügt zu haben. Der Vater bestreitet dies. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat sich der Elternstreit weiter zugespitzt. Die Eltern sind schon nicht in der Lage, sich im Hinblick auf Terminwünsche zu verständigen, die von der gerichtlichen Umgangsregelung abweichen. Dies betraf den Umgang am 13.04. und 20.04.2019. Die Kommunikation erfolgte ausschließlich per E-Mail; Kompromisse konnten nicht erzielt werden (9 UF 26/19, Bl. 143 f. GA). Die Mutter scheute sich nicht, X… in den Streit einzubeziehen. Sie scheint die Trennung, die vom Vater ausging, noch nicht verarbeitet zu haben. Das Verhältnis der Eltern zueinander ist von Misstrauen, gegenseitigen Vorwürfen und Geringschätzung geprägt. Sie streiten über alles und das in besonders kleinlicher Weise. Es geht dabei auch um Geld (laufender Unterhalt, Schulgeld, Beiträge für eine Unfallversicherung). Das Kind hat viel von den elterlichen Auseinandersetzungen und der Haltung von Mutter und Vater mitbekommen. X… ist durch den hochkonflikthaften Streit ihrer Eltern sehr belastet und verunsichert, wovon sich der Senat anlässlich ihrer Anhörung überzeugen konnte. Sie befindet sich in einem massiven Loyalitätskonflikt. Das sieht auch der Verfahrensbeistand so. In seiner Stellungnahme vom 27.11.2018 beschreibt er das Mädchen als sehr mitteilsam und mit einem deutlich erkennbaren Leidensdruck. Die Ursache hierfür sieht er in dem fortwährenden Elternstreit. Das Verhältnis zwischen den Eltern sei stark belastet und von gegenseitigen Vorwürfen und teils diametral entgegengesetzten Auffassungen geprägt. Die Kommunikation sei stark gestört und das Ausmaß der Unstimmigkeiten desaströs. Auch das Jugendamt hat in seinem Bericht vom 12.03.2019 eine Verbesserung der Kommunikation der Eltern dringend angemahnt.

Bei diesen Gegebenheiten gibt es (jedenfalls derzeit) keine Basis für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Es fehlt an der erforderlichen Kommunikation; zwischen den Eltern besteht keine tragfähige soziale Beziehung. Dies hat der Vater im Anhörungstermin vom 06.06.2019 selbst eingeräumt, indem er ausgeführt hat, dass ein Dritter zwischen den Eltern vermitteln müsste. Nach den Entwicklungen der vergangenen Monate ist davon auszugehen, dass im Falle eines gemeinsamen Sorgerechts erst recht und vermehrt Streit entstehen würde. Durch weiteres Streitpotenzial würde X… noch mehr belastet, was dem Kindeswohl widersprechen würde.

Eine vermeintliche "Pflicht zur Konsensfindung" vermag eine tatsächlich nicht bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nicht zu ersetzen und ändert nichts daran, dass ein andauernder Elternzwist für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen führt, die dem Kindeswohl widersprechen. Die am Kindeswohl auszurichtende Regelung der elterlichen Sorge ist jedenfalls kein geeignetes Instrument, zu Gunsten des kooperationswilligen Elternteils für Gerechtigkeit gegenüber dem abblockenden Elternteil zu sorgen (BGH, NJW 2008, 994 BVerfG, FF 2009, 416). Deswegen kann dem Vater auch nicht aus Gründen der Herstellung der "Waffengleichheit" zwischen ihm und der Mutter das Mitsorgerecht übertragen werden. Entscheidend für das Wohl des Kindes ist die Fortsetzung des positiv verlaufenden Umgangs mit dem Vater. Dadurch wird X… verdeutlicht, dass ihr Vater sich für sie einsetzt und sich ungeachtet aller Widrigkeiten (z.B. erhebliche Fahrstrecke) nicht vom regelmäßigen Umgang abhalten lässt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.