Gericht | VG Frankfurt (Oder) 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 06.05.2011 | |
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Aktenzeichen | 7 K 1080/05 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 6 Abs 1 S 2 BauO BB 2003, § 6 Abs 2 S 3 BauO BB 2003, § 60 Abs 1 BauO BB 2003, § 6 Abs 1 S 2 BauO BB, § 113 Abs 1 S 1 VwGO, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG BB, § 50 VwVfG BB |
Eine vorhandene ungenehmigte Bebauung bzw. deren illegale Nutzungsänderung (hier: Nebengebäude in Wohnen) ist im Rahmen der Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB auch dann ausnahmsweise nicht als die nähere Umgebung prägend heranzuziehen, wenn sie der zuständigen Bauaufsichtsbehörde erstmals im gerichtlichen Ortstermin zur Kenntnis gelangt und die Behörde im Anschluss daran ein zeitnahes Einschreiten gegen die illegale Bebauung ankündigt (vgl. BVerwGE 31, 22, 26).
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Baugenehmigung.
Anlässlich einer Ortsbesichtigung stellte der Beklagte fest, dass auf dem streitbefangenen Grundstück in Fürstenwalde, Flur xxx, Flurstück xxx, mit der postalischen Anschrift xxxstraße, zwei hintereinander liegende rückwärtige Anbauten an das bestehende Wohnhaus, grenzständig zum benachbarten Flurstück xxx, errichtet wurden.
Nachdem der Beklagte gegenüber dem Grundstückseigentümer, Herrn xxx, unter dem 7. Mai 2002 einen Baustopp verfügt hatte, stellte der Kläger am 9. August 2002 einen (nachträglichen) Bauantrag für das Vorhaben „Neubau einer Garage, Erweiterung Hobbyraum und Anhebung des Dachgeschosses“. Mit Schreiben vom 21. April 2004 nahm der Kläger den Bauantrag hinsichtlich des Garagenneubaus zurück. Die Beigeladenen als Nachbarn des Flurstücks xxx stimmten auf ihre Beteiligung hin der Übernahme einer Grunddienstbarkeit zur rechtlichen Sicherung von Abstandsflächen am 17. Juni 2003 nicht zu. Der Beklagte teilte dem Kläger unter dem 26. Juni 2003 mit, dass die Nachbarn mündlich ihre Bereitschaft zur Zustimmung für den Fall in Aussicht gestellt hätten, dass die Grenzbebauung die Länge von 9 m und eine Höhe von 3 m nicht überschreite. Nachdem die Beigeladenen auch zu einer modifizierten Planung des Vorhabens bei einer Vorsprache beim Beklagten am 22. Juli 2003 und bei einer Ortsbesichtigung am 4. August 2003 ihre Zustimmung unter Verweis darauf verweigerten, dass die Länge der Grenzbebauung 9 m ab Hinterkante ihres Wohnhauses nicht überschreiten solle und die Dachanhebung hinsichtlich der Tiefe lediglich bis zu einem gemeinsamen Abschluss der Dachaußenflächen beider Wohnhäuser hingenommen werde, reichte der Kläger insbesondere am 28. Oktober 2003 und 23. Dezember 2003 nochmals modifizierte Bauvorlagen ein.
Mit Datum vom 21. April 2004 genehmigte der Beklagte das Bauvorhaben. Unter Ziffer III. der Baugenehmigung sind die in Bezug genommenen – und grün gestempelten – Antragsunterlagen aufgeführt. Ausweislich der Begründung unter Ziffer V.2. erging die Baugenehmigung unter Zulassung einer Abweichung von § 6 Abs. 5 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO) gemäß § 60 BbgBO, derzufolge die Abstandsflächen des Hobbyraums und des diesen mit dem Wohnhaus verbindenden Anbaus (mit einer Tiefe von 3,00 m und Breite von 5,00 m bzw. Tiefe von 4,40 m und 1,64 m) bis auf die Grundstücksgrenze auf das Maß 0,00 m reduziert wurden. Weiter hieß es dort, die Zustimmung der Grundstücksnachbarn liege vor.
Die Baugenehmigung wurde den Beigeladenen mit Postzustellungsurkunde am 7. Mai 2004 zugestellt. Die Beigeladenen erhoben am 27. Mai 2004 Drittwiderspruch, mit dem sie insbesondere geltend machten, dass die Wandhöhe des Vorhabens 3,0 m überschreite, die fortlaufend geänderten Bauzeichnungen nicht mehr nachvollziehbar seien und sie eine Zustimmung zu dem Vorhaben nicht erteilt hätten. Der Beklagte setzte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 4. Juni 2004 außer Vollzug, hörte den Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2004 zur beabsichtigten Rücknahme an und erließ – nach einer erneuten Ortsbesichtigung am 7. Dezember 2004 – dem Kläger gegenüber am 27. Dezember 2004 eine Baueinstellungsverfügung.
Mit an den Kläger gerichteten Bescheid vom 31. Januar 2005, zugestellt am 2. Februar 2005, nahm der Beklagte die Baugenehmigung vom 21. April 2004 unter Berufung auf §§ 50, 48 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz Brandenburg (VwVfG Bbg) mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die nähere Umgebung durch eine offene Bauweise geprägt sei, weshalb die danach geltenden Abstandsflächen auf dem Grundstück selbst zu realisieren seien. Diesbezüglich enthielte die Verfahrensakte keinen Abstandsflächennachweis für den Verbindungsbau. Dessen konkret zugelassene Wandhöhe sei aus den genehmigten Bauzeichnungen nicht zu ermitteln. Der amtliche Lageplan vom 19. Dezember 2003 enthalte nicht die Projektänderung aus dem Dezember 2003, sondern das Projekt vom September 2003 und widerspreche somit den anderen Bauvorlagen. Durch den rückwärtigen Verbindungsbau und den Hobbyraumanbau (ehemals als Wintergarten ausgewiesen) sei die Abstandsflächenfrage neu aufgeworfen. Die unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichteten Baulichkeiten verstießen gegen die Vorschriften des § 6 BbgBO. Eine Abweichung nach § 60 BbgBO sei nicht zulässig, weil dem Schutzziel der Abstandsflächenvorschrift nicht in gleicher Weise genügt werden könne und der Nachbar in seinen Interessen unzumutbar beeinträchtigt werde. Soweit die Grenzwand zwei Wandabschnitte aufweise (Verbindungsbau und Hobbyraum), sei für eine Teilaufhebung der Baugenehmigung kein Raum, weil der Verbindungsbau wegen der Gebäudestruktur und Raumaufteilung nicht von der Dachgeschosserweiterung abtrennbar sei. Ferner sei der Wandabschnitt des Verbindungsbaus, der den Anbauquerschnitt des bestehenden Wohnhauses der Beigeladenen verlasse, nicht vermaßt. Ausgehend von dem Lageplan vom 18. November 2002 lasse sich eine Breite dieses Abschnittes von 2,26 m ermitteln, während die erteilte Abweichung nur 1,64 m berücksichtige. Der Nachbar habe auch sein Abwehrrecht nicht verwirkt. Hinsichtlich der Ermessensausübung verwies der Beklagte darauf, dass mit der Rücknahme dem Abwehranspruch der Grundstücksnachbarn genügt und der rechtswidrige Abstandsflächenverstoß ausgeräumt werde. Weiterhin sei nach den letzten Ortsbesichtigungen davon auszugehen, dass der Kläger nicht einmal gewillt sei, die 5 m lange grenzständige Wand des Hobbyraums auf die genehmigte Wandhöhe von 3,0 m zu kürzen, vielmehr offenbar die ursprüngliche Planung vom September 2003 verwirklicht werden solle. Im Übrigen sei die Rücknahme der Baugenehmigung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um klare bauordnungsrechtliche Verhältnisse zu schaffen. Der Kläger habe die Bestandskraft der Baugenehmigung für die Fortsetzung der Bautätigkeit nicht abgewartet.
Der Kläger erhob am 14. Februar 2005 Widerspruch. Zu dessen Begründung führte er aus, ein Abstandsflächenverstoß sei nicht gegeben, weil das Bauvorhaben in einem Gebiet liege, in dem das Gebäude planungsrechtlich an die Grenze gebaut werden dürfe. Abstandsflächenrechtlich unerheblich sei insofern, welche Art der Bebauung die Grenzbebauung sei. Die nähere Umgebung des Grundstücks weise schlauchartige, enge Grundstücke auf, die typischerweise an der Grenze bebaut würden. Die Grenzbebauung reiche – häufig in Form von Nebengebäuden – tief in die Grundstücke hinein, weshalb auch die Tiefe der zulässigen Grenzbebauung mit dem Vorhaben nicht überschritten sei. Nur vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass sich die genehmigte Höhe von 3,0 m für den Anbau vom Geländeniveau des Baugrundstücks bemesse, was sich auch aus den genehmigten Bauvorlagen, insbesondere aus Blatt 133 a des Verwaltungsvorgangs, ergebe. Soweit diese Höhe überschritten worden sein sollte, handele es sich allenfalls um eine formelle, nicht aber um eine materielle Rechtswidrigkeit, weshalb deshalb keine Abrissverfügung ergehen dürfe.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2005, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt durch Empfangsbekenntnis am 30. Juni 2005, als unbegründet zurück. In der Begründung hieß es insbesondere, dass die maßgebliche Umgebungsbebauung durch eine offene Bauweise geprägt sei und vergleichbare Bebauungssituationen in einem größeren Umkreis in dieser Grundstückstiefe nicht vorhanden seien, so dass die Einhaltung des Abstandsflächengebotes nicht nach § 6 Abs. 1 BbgBO entbehrlich sei.
Der Kläger hat am Montag, dem 1. August 2005 Klage erhoben, mit der er sein Anfechtungsbegehren weiter verfolgt. Hierzu macht er in Ergänzung des bisherigen Vorbringens geltend, dass eine Grenzbebauung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BbgBO auch dann zulässig sei, wenn die Umgebungsbebauung durch eine teilweise geschlossene oder halboffene Bauweise geprägt sei. Denn auch dann sei eine geschlossene Bauweise auf dem Vorhabengrundstück planungsrechtlich zulässig. Im Übrigen trägt er vor, dass die Abweichungsentscheidung der Zustimmung der Nachbarn zu einer Grenzbebauung von 3,0 m Wandhöhe rechtmäßig Rechnung getragen habe, denn der Bauantrag beziehe sich nur auf diese Höhe, wobei das Niveau des Baugrundstücks maßgeblich sei. Ferner sei die Abweichungsentscheidung nicht wegen eines fehlenden diesbezüglichen Antrags rechtswidrig, weil nach der Überleitungsvorschrift in § 83 Abs. 4 BbgBO (vom 16. Juli 2003, in Kraft getreten zum 1. September 2003 – BbgBO 2003) auf die bei Stellung des Baugenehmigungsantrags am 9. August 2002 geltende günstigere Vorschrift des § 72 BbgBO 1998 abzustellen sei, nach der eine gesonderte Antragstellung nicht erforderlich gewesen sei. Zuletzt trägt er vor, dass der Beklagte einräume, dass sich das streitgegenständliche Gebäude ohne Weiteres in die unmittelbare Umgebung des Vorhabens, in der sich eine ganze Reihe von grenzständigen Wohngebäuden befänden, einfüge. Maßgeblich sei auf die tatsächlich vorhandene Bebauung unabhängig davon abzustellen, ob diese genehmigt worden sei. Vorhandene Baulichkeiten müssten nur dann außer Betracht bleiben, wenn – namentlich durch Erlass von Beseitigungsverfügungen – das Verhalten der zuständigen Behörden hinreichend klar ergebe, dass ihre Beseitigung absehbar sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Darüber hinaus sei zu beachten, dass es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Rücknahmebescheides ankomme, weil es sich um eine Anfechtungsklage handele.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Rücknahme der Baugenehmigung vom 31. Januar 2005 (Aktenzeichen: xxx) in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid der unteren Bauaufsichtsbehörde vom 24. Juni 2005 (Aktenzeichen: xxx) gefunden hat, aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt der Klage unter Verweis auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide entgegen und macht ergänzend insbesondere geltend, dass der Verweis auf die Zustimmung der Nachbarn zu der Abweichung in der Baugenehmigung unrichtig gewesen sei. Denn der Verbindungsbau zwischen Wohnhaus und Hobbyraum verlasse den Anbauquerschnitt des Wohnhauses der Nachbarn mit einer Wandhöhe von über 3 m. Dem hätten die Nachbarn nicht zugestimmt, weshalb eine Abweichung nicht habe erteilt werden dürfen. Ferner nimmt er zu der durchgeführten Ortsbesichtigung und den dabei aufgestellten Behauptungen des Klägers bezüglich vorhandener Wohnnutzungen in den hinteren Grundstücksbereichen der näheren Umgebung im Einzelnen mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2010 Stellung und hat insofern angekündigt, dass er die Rechtmäßigkeit aller auf den vorgenannten Grundstücken errichteten Baulichkeiten überprüfen und sowohl wegen illegaler Errichtung wie auch wegen illegaler Nutzungsänderung von Baulichkeiten ordnungsbehördliche Verfahren eröffnen werde. Ein solches hat er nach Mitteilung vom 18. November 2010 bereits in Bezug auf das Grundstück in Fürstenwalde, xxxstraße, Flur xxx, Flurstück xxx wegen der Errichtung eines Schwimmbades und einer Gaube unter dem Aktenzeichen xxx eröffnet.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Sie beziehen sich auf ihr Vorbringen in den Verwaltungsverfahren und betonen, dass sie der Abweichung nicht zugestimmt haben. Sie sind der Auffassung, dass es bei der Wandhöhe maßgeblich auf die Bezugshöhe gemessen vom Nachbargrundstück ankomme, da der Nachbar das Schutzziel sei. Im Übrigen habe der Kläger versucht, die Bezugshöhe für die Grenzwandbemessung durch Erdaufschüttungen zu manipulieren.
Das Gericht hat nach der Übertragung des Rechtsstreits auf den Berichterstatter als Einzelrichter am 14. September 2010 eine mündliche Verhandlung als Ortstermin durchgeführt, in der eine Augenscheinnahme stattfand. Hinsichtlich des Ergebnisses der Augenscheinnahme wird auf die Verhandlungsniederschrift verwiesen. Die Beteiligten haben sich in dem Termin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Rücknahmebescheid vom 31. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage der Rücknahme der Baugenehmigung ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg in der bis zum 16. Juli 2009 geltenden Fassung (VwVfG Bbg a. F.). Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Voraussetzungen für die Rücknahme, die ausdrücklich mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte, sind danach gegeben.
I. Die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 21. April 2004 war im Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 48 Rz. 57) rechtswidrig. Denn der Kläger hatte keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BbgBO 2003, weil das beantragte Vorhaben zur „Erweiterung Hobbyraum mit Anhebung des Dachgeschosses“ bereits zu diesem Zeitpunkt gegen das Abstandsflächengebot nach § 6 Abs. 1 und 2 BbgBO 2003 verstieß. Die sich zum Grundstück der Beigeladenen hin ergebenden Abstandsflächen lagen nicht auf dem Vorhabengrundstück selbst, sondern erstreckten sich nicht nur geringfügig i. S. v. § 6 Abs. 2 Satz 2 BbgBO 2003 auf das Nachbargrundstück. Eine rechtliche Sicherung i. S. v. § 6 Abs. 2 Satz 3 BbgBO 2003 war ebenfalls nicht gegeben.
1. Die Einhaltung des Abstandsflächengebotes vor den entsprechenden grenzständigen Außenwänden des Vorhabens war - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BbgBO 2003 entbehrlich, weil das Gebäude planungsrechtlich an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss oder darf. Denn ein Anbau an die seitliche Grundstücksgrenze zum Grundstück der Beigeladenen hin war bauplanungsrechtlich der Bauweise nach nicht zulässig, weil sich das Bauvorhaben insoweit nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht in die nähere Umgebung einfügte.
Die in der näheren Umgebung vorhandene Bebauung ist und war auch bereits im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung durch eine offene Bauweise geprägt.
Das Vorhabengrundstück liegt in einem unbeplanten Gebiet, das nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen ist. Der Maßstab für die Frage der zulässigen Bebauung kann sich demzufolge lediglich aus der prägenden näheren Umgebung anhand der faktisch vorhandenen Bebauung ergeben. Die maßgebliche nähere Umgebung reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt. Im unbeplanten Innenbereich lässt sich die Bauweise dabei regelmäßig – so auch hier – entlang des Straßenzuges erkennen, an dem das Baugrundstück liegt (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 8. April 1998 – 2 S 3/98 –, LKV 1998, 357 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Dezember 2009 – 10 S 18.08 –, EA S. 5). Der maßgebliche Straßenzug ist im Fall des Klägers im Ergebnis der Augenscheinnahme und der Würdigung der Flurkarte der Abschnitt der xxxstraße von dem Abzweig an der xxx-Straße im Norden bis zu dem „Knick“ der xxxstraße um etwa 90° in Richtung Westen. Die sich an diesen Knick beidseits der Straße in Richtung Westen anschließende Bebauung, deren Gebäude mit Hauptnutzungen teils in offener und teils in halboffener Bauweise errichtet sind, hat insofern mit Blick auf die Bauweise keine prägende Wirkung mehr und wird durch die im Streit stehende Bebauung auf dem klägerischen Grundstück ihrerseits nicht berührt. Denn die scharfe Straßenbiegung stellt in Bezug auf das Merkmal der Bauweise eine Zäsur dar. Die im maßgeblichen Straßenzug der xxxstraße vorhandenen und beachtlichen Baulichkeiten mit Hauptnutzungen – allesamt Wohnhäuser – sind nach dem Ergebnis der Augenscheinnahme bis auf eine Ausnahme in offener Bauweise errichtet und heben sich in ihrer Prägung deutlich von der diffuseren Bebauung in dem in westlicher Richtung abknickenden anderen Straßenzug der xxxstraße ab.
a) Das gilt insbesondere auch für das Haus auf dem Baugrundstück des Klägers (Haus Nr. 2) und für das Haus der Beigeladenen (Haus Nr. 1) einerseits und die gegenüberliegenden Häuser Nr. 18 und 19 (Flurstücke xxx und xxx) andererseits, weil diese jeweils Doppelhäuser in offener Bauweise sind (vgl. § 22 Abs. 1 und 2 Satz 1 BauNVO und dazu OVG Berlin, Beschluss vom 8. April 1998, a. a. O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Dezember 2009, a. a. O., jew. m. w. N.). Denn es handelt sich in beiden Fällen um jeweils durch das Anbauen zweier Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer baulichen Einheit zusammengefügte bauliche Anlagen. Die bauliche Einheit ergibt sich insoweit im Ergebnis der Augenscheinnahme daraus, dass die Gebäude insbesondere hinsichtlich ihrer Gebäudehöhe und -tiefe jeweils wechselseitig verträglich und in einer aufeinander abgestimmten Weise aneinandergebaut wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 –, BVerwGE 110, 135). Bezüglich des Hauses Nr. 2 auf dem Vorhabengrundstück ist dabei zu beachten, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung auf den früheren Bauzustand vor Durchführung der zur Genehmigung gestellten Baumaßnahmen abzustellen ist, so dass ausweislich des amtlichen Lageplans vom 19. Dezember 2003 (BA 3, 138) gegenüber dem Haus der Beigeladenen nur ein geringer Versatz hinsichtlich der Gebäudetiefe bestand.
b) Ferner sind bezüglich der Häuser Nr. 18 und 19 auf den Flurstücken Nr. xxx und xxx die dahinter liegenden grenzständigen Nebengebäude oder solchen äußerlich ähnlichen Gebäude nicht als für die Bauweise prägende Baulichkeiten in die Betrachtung einzubeziehen.
Hinsichtlich des betreffenden Gebäudes auf dem Flurstück Nr. xxx (hinter Haus Nr. 19), welches bei der Augenscheinnahme von der Straße aus nicht wahrgenommen wurde und dessen Vorhandensein sich aus der zu den Akten genommenen Flurkarte ergibt, ist für das Vorhandensein einer Wohnnutzung in diesem Gebäude nichts ersichtlich. Als möglicherweise zulässiges oder bestandsgeschütztes Nebengebäude prägt es nicht die Bauweise im unbeplanten Innenbereich, weil es insoweit auf die Gebäude der Hauptnutzung ankommt und nicht darauf, ob die in der näheren Umgebung vorhandenen Nebengebäude an der Grundstücksgrenze stehen und sich die Zulässigkeit des Anbaus von Nebengebäuden an die Grundstücksgrenze allein nach dem Bauordnungsrecht richtet (vgl. VGH München NVwZ-RR 2005, 391; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Dezember 2009, a. a. O. m. w. N.).
Soweit der Kläger in Bezug auf das sich hinter dem Haus Nr. 18 auf dem Flurstück Nr. xxx grenzständig anschließende Gebäude im Termin vor Ort eine Wohnnutzung behauptet hat, ergibt sich daraus schon nicht, dass eine solche bereits im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung vorhanden war. Selbst wenn eine solche tatsächliche Wohnnutzung auch bereits zu diesem Zeitpunkt als vorhanden unterstellt wird, ist dieses Gebäude nicht als prägend für die Frage der Bauweise heranzuziehen. Zwar kommt es im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich auf die tatsächlich vorhandene Bebauung (und ihre Nutzung) unabhängig davon an, ob eine solche auch genehmigt ist. Das gilt jedoch nur dann, wenn eine weder formell noch materiell baurechtmäßige Bebauung in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die Behörde mit ihrem Vorhandensein abgefunden hat. Wenn dagegen das Verhalten der zuständigen Behörden keinen Zweifel daran lässt, dass die Beseitigung absehbar ist oder – bezogen auf eine rechtswidrige Nutzung – gegen diese eingeschritten wird, sind solche Gebäude bzw. ihre Nutzung außer Betracht zu lassen (vgl. BVerwGE 31, 22, 26; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl., § 34, Rz. 4, 14 m. w. N.).
Im Fall des Klägers ist für einen formellen oder sonstigen Bestandsschutz einer Wohnnutzung des sich hinter dem Wohnhaus Nr. 18 anschließenden grenzständigen Gebäudes nichts ersichtlich. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Wohnnutzung im Zeitpunkt der Erteilung der im Streit stehenden Baugenehmigung oder später durch den Beklagten in der oben dargestellten Weise geduldet wurde. Es fehlen schon jegliche Anhaltspunkte dafür, dass dem Beklagten eine entsprechende Nutzung oder auch Errichtung des Gebäudes überhaupt vor dem gerichtlichen Verhandlungstermin vor Ort zur Kenntnis gelangt wäre. Der Kläger hat eine diesbezügliche konkrete Nutzung selbst erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2010 ohne nähere Angaben zu dem Zeitpunkt der Nutzungsaufnahme behauptet. Auch aus den von ihm vorgelegten Unterlagen zu seinem Baugenehmigungsantrag ergibt sich nichts anderes. Nur ergänzend wird angemerkt, dass dieses Gebäude ausweislich der zur Gerichtsakte genommenen Flurkarte bislang auch nicht im Liegenschaftskataster geführt wird.
Soweit der Kläger demgegenüber geltend macht, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Rücknahme der Baugenehmigung sei der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung, weshalb es insoweit nicht auf die gegenwärtige Sach- und Rechtslage und damit auf die in der mündlichen Verhandlung und im Nachgang dazu vorgenommenen Erklärungen des Beklagten zu einem ordnungsbehördlichen Einschreiten gegen illegale Baulichkeiten oder bauliche Nutzungen ankommen könne, folgt dem das Gericht nicht. Abgesehen davon, dass hinsichtlich der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung als Voraussetzung der angefochtenen Rücknahme zunächst auf den Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung und erst hernach auch auf den späteren Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist (s. o.), verkennt der Kläger, dass die Berücksichtigung nicht genehmigter oder sonst rechtswidriger Baulichkeiten auch nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes eine Duldung seitens der zuständigen Behörde im Sinne eines „Abfindens“ mit den Zuständen voraussetzt (s. o.). Dies bedingt wiederum zumindest die vorherige Kenntnisnahme des betreffenden Vorhabens seitens der zuständigen Behörde, weshalb es ihr nicht verwehrt ist, auf eine ihr erst nachträglich bekannt gewordene – angeblich – bereits im maßgeblichen Zeitpunkt prägend vorhanden gewesene Bebauung bzw. bauliche Nutzung ihrerseits entsprechend zeitnah zu reagieren. Dies hat der Beklagte mit der im Anschluss an die mündliche Verhandlung seinerseits eingeleiteten Überprüfung seiner Aktenbestände, der so verstandenen Feststellung, dass zu dem fraglichen (Neben-)Gebäude auf dem Flurstück Nr. xxx Genehmigungsunterlagen bei ihm nicht vorhanden seien und er gegen eine (etwaige) illegale Wohnnutzung zeitnah einschreiten werde, hinreichend getan.
c) Schließlich stellt das auf dem Flurstück Nr. xxx mit der Hausnummer 15 in halboffener Bauweise errichtete grenzständige Haus – ggf. auch mitsamt dem nach Klägerangaben zur Wohnnutzung genutzten Anbau, gegen den bzw. dessen Wohnnutzung der Beklagte allerdings ein Einschreiten angekündigt hat – einen sog. Fremdkörper dar, der bei der Frage des Einfügens nach der Bauweise außer Betracht zu bleiben hat (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 8. April 1998, a. a. O.), weil diese Bebauung insofern in der maßgeblichen Umgebung singulären Charakter hat und im auffälligen Kontrast zur sonstigen Anordnung der Einzel- und Doppelhäuser mit Grenzabstand steht, zumal es von der übrigen Bebauung abgesetzt am äußersten südlichen Rand des Straßenzuges liegt.
d) Soweit die Regelung in § 83 Abs. 4 BbgBO 2003 nach dem Günstigkeitsprinzip die Anwendung der BbgBO in der bei Antragstellung im August 2002 noch geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 1998 (BbgBO 1998), geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2002, vorsah, bleibt dies wegen der insofern inhaltlichen Entsprechung der Vorgängerregelung in § 6 Abs. 1 Satz 2 BbgBO 1998 ohne Auswirkung auf die fehlende Entbehrlichkeit der Abstandsflächen.
e) Ob der ursprünglich genehmigte Anbau daneben auch der überbaubaren Grundstücksfläche nach unzulässig war – wofür mit Blick auf in vergleichbarer Grundstückstiefe in der näheren Umgebung nicht prägend vorhandenen Grenzbebauung durch entsprechende Hauptnutzungen einiges spricht –, bedarf danach keiner Entscheidung.
2. Da die Einhaltung des Abstandsflächengebotes nicht nach § 6 Abs. 1 BbgBO entbehrlich war, verstieß die erteilte Baugenehmigung in rechtswidriger Weise gegen das in § 6 Abs. 2 BbgBO geregelte Gebot, dass die Abstandsflächen grundsätzlich auf dem eigenen Grundstück liegen müssen.
a) Die diesbezüglich erteilte Abweichung mit der „Reduzierung der Abstandsfläche auf Null“ war nach § 60 BbgBO 2003 unzulässig und wurde daher ebenfalls zu Recht mit der Baugenehmigung aufgehoben. Für die Erteilung einer Abweichung war schon deshalb kein Raum, weil in § 6 Abs. 2 Satz 3 BbgBO 2003 insofern eine besondere gesetzliche Abweichung vom Abstandsflächengebot – hier mit Blick auf die berührten nachbarlichen Interessen – vorgesehen war. War diese Regelung, wie im Fall des Klägers, der Sache nach einschlägig, lagen deren besonderen Voraussetzungen jedoch nicht vor, verblieb grundsätzlich kein Raum für die Erteilung einer Abweichung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Dezember 2009 – 10 L 21.09 –, juris, Rz. 21).
Eine inhaltlich andere, dem Kläger günstigere Rechtslage bestand insofern mit Blick auf die Übergangsregelung in § 83 Abs. 4 BbgBO 2003 auch nicht nach § 7 Abs. 1 BbgBO 1998. Denn in Nr. 3 dieser Vorschrift war Voraussetzung für eine Entscheidung zur Erstreckung von Abstandsflächen auf ein Nachbargrundstück u. a., dass diese Abstandsflächen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht überbaut werden können. Diese Voraussetzungen waren ebenfalls nicht gegeben, insbesondere hatte der Kläger entsprechende rechtliche Sicherheiten – in Form einer Grunddienstbarkeit nach § 1018 BGB sowie einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zugunsten des Rechtsträgers der Unteren Bauaufsichtsbehörde (vgl. Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 1. Aufl. 1998, § 7 Rz. 6) – nicht vorgelegt.
Unabhängig davon war die Abweichung nicht deshalb zulässig erteilt worden, weil die Beigeladenen, wie der Kläger meint, ihr ausweislich des Genehmigungsbescheides und auch des Widerspruchs der Beigeladenen zugestimmt hätten. Eine solche Zustimmung zu dem konkret zur Genehmigung gestellten Vorhaben lässt sich den Aktenvorgängen nicht entnehmen. Die Beigeladenen haben vielmehr jeweils – wie auch zuletzt in der durchgeführten mündlichen Verhandlung – sinngemäß lediglich in allgemeiner Form ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, einem in den Maßen reduzierten Vorhaben (Länge 9 m und Höhe 3 m) ihre Zustimmung zu erteilen (ersichtlich entsprechend einer in diesen Maßen sonst hinzunehmenden abstandsflächenrechtlich privilegierten Grenzbebauung durch Nebengebäude). So machten die Beigeladenen in ihrer Widerspruchsbegründung vom 1. Juni 2004 (Verwaltungsvorgänge – VV – Bl. 190) u. a. geltend, dass einerseits den verschiedentlich übersandten geänderten Bauzeichnungen mangels Änderungsindex nur noch schwerlich gefolgt werden könne und die zuletzt übersandten Zeichnungen mit Datum „12/03“ nicht ihren Forderungen entsprächen.
b) Die durch das Vorhaben hervorgerufenen Abstandsflächen (vgl. zum Mindestmaß § 6 Abs. 5 Satz 1 BbgBO 2003) lagen ohne die erforderliche rechtliche Sicherung vollständig und damit in Widerspruch zu § 6 Abs. 2 BbgBO 2003 auf dem Grundstück der Beigeladenen. Darauf, ob die zurückgenommene Baugenehmigung unabhängig davon bereits wegen insofern unbestimmter Bauvorlagen – die genehmigten Wandansichten (VV Bl. 141) waren schon nicht vermaßt und lassen auch im Zusammenhang mit dem genehmigten amtlichen Lageplan vom 19. Dezember 2003 (VV Bl. 138) einen hinreichenden Bezugspunkt zur vorhandenen natürlichen Geländeoberfläche – maßgeblich ist i. Ü. auf die Oberfläche unterhalb der relevanten Gebäudewand, also noch auf dem Vorhabengrundstück, abzustellen – nicht erkennen, letzteres gilt auch für die genehmigten Schnittzeichnungen (Bl. 133a, 140), – rechtswidrig gegen das drittschützende Abstandsflächengebot verstieß, weil sich die genehmigte Wandhöhe nicht hinreichend eindeutig ermitteln ließ (vgl. hierzu Urteil der Kammer vom 11. November 2003 – 7 K 1007/00 – Seite 14 EA mit Nw. des OVG Münster, Beschluss vom 29. September 1995 – 11 B 1258/95 – BRS 57 Nr. 162) bedarf keiner Entscheidung. Auch braucht den deutlichen Anzeichen dafür, dass die Bauausführung die nach den genehmigten Ansichten (nur zeichnerisch zu ermittelnde) Wandhöhe zu Lasten der Beigeladenen deutlich übersteigt (vgl. hierzu die Feststellungen in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2010, S. 3, Begründung des Bescheides vom 31. Januar 2005, S. 4 unten) hier nicht weiter nachgegangen zu werden.
II. Eine für den Kläger im Ergebnis günstige Änderung der Sach- oder Rechtslage, die zu seinen Gunsten berücksichtigungsfähig wäre ist in der Zwischenzeit seit Erteilung der Baugenehmigung weder bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides noch zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten. Auch nach dem nunmehr leicht modifizierten Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 3 und 4, Abs. 5 Satz 1 der BbgBO vom 14. Juli 2008 – BbgBO 2008 – erweist sich die zurückgenommene Baugenehmigung in gleicher Weise als rechtswidrig. Ein Fall des § 6 Abs. 12 BbgBO ist ersichtlich nicht gegeben.
III. Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass die Rücknahme nicht den einschränkenden Vorschriften nach § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 VwVfG Bbg a. F. unterlag, weil die Rücknahme gemäß § 50 VwVfG Bbg a. F. nach der durch die Beigeladenen erfolgten Anfechtung während des Vorverfahrens erging und dadurch dem Widerspruch der Beigeladenen gegen die Baugenehmigung abgeholfen wurde. Die dafür erforderliche Voraussetzung, dass der Widerspruch der Beigeladenen zulässig und auch begründet war, mithin ein durchsetzbarer Abwehranspruch der Beigeladenen bestand, ist ebenfalls gegeben (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 8. November 2001, NVwZ 2002, 730, 732/733). Die Beigeladenen haben ihren Widerspruch gegen die Baugenehmigung fristgemäß und auch sonst zulässig erhoben. Anhaltspunkte für eine Verwirkung bestehen nicht. Insbesondere richtete sich der Widerspruch objektiv erkennbar gegen den mit dem genehmigten Vorhaben einhergehenden Abstandsflächenverstoß. Dazu führten die Beigeladenen klar verständlich aus, dass das Vorhaben jene Maße überschreite, welchen sie zuzustimmen oder zu tolerieren bereit seien. Der Widerspruch war wegen des gegebenen Verstoßes gegen die die Beigeladenen als Nachbarn unmittelbar schützenden Abstandsflächenvorschriften und wegen der damit einhergehenden Verletzung ihrer Rechte auch begründet.
Die Ermessensausübung des Beklagten zur Rücknahme begegnet vor diesem Hintergrund keinen rechtlichen Bedenken. Hierzu wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Bescheides vom 31. Januar 2005 (dort S. 4 f.) verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen folgt aus § 162 Abs. 3 VwGO. Sie waren nicht dem Kläger aufzuerlegen, weil die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Festsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Bedeutung der Sache für den Kläger. Hierbei orientiert sich die Kammer hinsichtlich der angefochtenen Rücknahme der Baugenehmigung an dem Wert, der für die Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung in Anlehnung an den Streitwertkatalog anzusetzen wäre und setzt mit Blick auf die erheblichen Ausmaße des Anbaus an das Wohnhaus ¾ des Wertes für ein Einfamilienhaus an (vgl. Nr. II.9.1.1 des Streitwertkatalogs).