Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 16.12.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 12 M 21.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 50 S 3 BeamtStG, § 88 Abs 2 BG BE |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2010 wird geändert. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug zur Durchführung eines Klageverfahrens gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2008 und des Bescheides vom 9. März 2009, mit dem die Gebühr für das Widerspruchsverfahren auf 15,00 Euro reduziert worden ist, bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit hat die Klägerin nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung. Diese bietet im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg feststeht. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 1999, NVwZ-RR 1999, 587, 588; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. November 2006, NVwZ-RR 2007, 210 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 166 Rn. 8). Prozesskostenhilfe darf demgegenüber verweigert werden, wenn die Erfolgschance lediglich eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, BVerfGE 81, 347, 357).
Gemessen daran ist der Antragstellerin für ihr Begehren, den Antragsgegner zur Einsicht in Vorgänge zu verpflichten, die gegen Mitarbeiter des Antragsgegners erhobene Dienstaufsichtsbeschwerden betreffen, Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die beabsichtigte Klage kann nicht mit der Begründung, die Antragstellerin wolle nicht nur in die Dienstaufsichtsbeschwerdevorgänge, sondern eventuell auch in weitere Verwaltungsvorgänge einsehen, mangels Durchführung eines Verwaltungsverfahrens als unzulässig angesehen werden. Hierbei kann offen bleiben, inwieweit das Verwaltungsgericht schon im Hinblick auf das erstinstanzliche Vorbringen davon hätte ausgehen müssen, dass sich der begehrte Zugang allein auf die bei dem Antragsgegner geführten Beschwerdeakten bezog bzw. inwieweit der anwaltlich nicht vertretenen Antragstellerin Gelegenheit zur Klarstellung ihres Begehrens hätte gegeben werden müssen. Jedenfalls ergibt sich aus dem zuletzt im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsatz der Antragstellerin vom 22. Juni 2010, dass sie allein „Einsicht in die personenbezogenen Daten zu ihrer Person in den Beschwerdeakten“ verlangt.
Ebenso wenig lässt sich nach dem derzeitigem Sach- und Streitstand aus anderen Gründen feststellen, dass die Klage ohne Erfolg im Sinne von § 166 VwGO, § 114 ZPO bleiben wird. Dem begehrten Informationszugang steht § 50 Satz 3 BeamtStG, § 88 Abs. 2 Satz 1 LBG, wonach Personalakten vertraulich zu behandeln sind bzw. Auskünfte an Dritte hieraus grundsätzlich nur mit Einwilligung der Beamtin oder des Beamten erteilt werden dürfen, nicht entgegen. Es spricht alles dafür, dass die streitigen Dienstaufsichtsbeschwerdevorgänge nicht Bestandteil der Personalakten der Bediensteten des Antragsgegners sind, über deren Verhalten sich die Antragstellerin beschwert hat (a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2006 – OVG 7 M 3.05 -).
Das Verwaltungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass Unterlagen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Beamtenverhältnis stehen, grundsätzlich in materieller Hinsicht Bestandteil der Personalakte sind, und zwar unabhängig davon, ob der Dienstherr sie zur Personalakte im formellen Sinn genommen hat (zum materiellen Personalaktenbegriff vgl. auch Fürst, in: GKÖD, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Band II, K § 90 BGG Rn. 4). In Bezug auf Dienstaufsichtsbeschwerden ist jedoch insoweit – auch unter Berücksichtigung des Fürsorge- und Schutzgedankens - eine Differenzierung geboten (so auch Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Auflage, Rn. 500). Danach ist ein Beschwerdevorgang, der das Verhalten eines Beamten betrifft, nur dann materieller Bestandteil der Personalakte und dementsprechend zur Personalakte zu nehmen, wenn sich die Beschwerde als begründet erweist. Anderenfalls verbleiben Beschwerdeschreiben, Vermerke und Antwortschreiben allein in der Sachakte über die Dienstaufsichtsbeschwerde. Dieses Vorgehen entspricht offensichtlich auch der Praxis des Antragsgegners, der Dienstaufsichtsbeschwerdevorgänge nicht von vornherein als Bestandteil der Personalakte des jeweiligen Beamten ansieht.
Ist der Zugang zu den Beschwerdevorgängen jedenfalls nicht durch dienstrechtliche Vorschriften ausgeschlossen, so muss die ohne Kenntnis vom Inhalt der Akten nicht ohne weiteres zu beantwortende Frage, ob sich der Antragsgegner zu Recht auf Ausschlussgründe nach dem Berliner Informationsfreiheitsgesetz berufen hat, im Hauptsachverfahren geklärt werden. Gleiches gilt in Bezug auf mögliche Ansprüche nach dem Berliner Datenschutzgesetz. Akteneinsicht nach § 29 VwVfG kommt – wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat - nicht in Betracht, weil das Verwaltungsverfahrensgesetz nach dessen § 9 nicht anwendbar ist. Die Bescheidung einer Dienstaufsichtsbeschwerde stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG dar (OVG Hamburg, Beschluss vom 17. September 2001 – 1 Bf 469/98 -, juris; VGH München, Beschluss vom 11. September 2000 – 12 ZC 00.2290 -, juris).
Für den beabsichtigten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die festgesetzte Widerspruchsgebühr kann keine Prozesskostenhilfe gewährt werden. Dieser Antrag dürfte derzeit bereits daran scheitern, dass die Antragstellerin bei dem Antragsgegner nicht den nach § 80 Abs. 6 VwVfG erforderlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat und der Antragsgegner offensichtlich keine (weiteren) Vollstreckungsversuche unternimmt. Unabhängig davon ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Höhe der Gebühr von 15,00 Euro zu einer unbilligen Härte führt. Im Übrigen unterliegt die die Gebührenpflicht auslösende Amtshandlung, gegen die sich die Antragstellerin hier vorrangig wendet, bei einem Streit um die Rechtmäßigkeit einer Gebühr nur dann einer inzidenten gerichtlichen Kontrolle, wenn sie nicht selbständig angegriffen werden kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. September 2009 – OVG 12 M 57.09 -, juris; Beschluss vom 18. Dezember 2007 – OVG 12 S 141.07 -).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).