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Umsatzsteuer 2009 und 2010


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 02.06.2016
Aktenzeichen 7 K 7107/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die von der Seniorenresidenz GbR erzielten Umsätze aus dem Hausnotrufsystem und aus der Betreuungspauschale gemäß § 4 Nr. 16 Umsatzsteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung -UStG- oder aufgrund der Anwendung von Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, Amtsblatt der Europäischen Union -ABl.EU- Nr. L 347 Seite 1) -MwStSystRL- umsatzsteuerfrei sind.

Die Seniorenresidenz GbR war eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß §§ 705 ff Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-. Ihre Gesellschafterinnen waren die B… GmbH und die A… GmbH. Im Jahre 2014 wurde die B… GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht, so dass die A… GmbH als alleinige Gesellschafterin der Seniorenresidenz GbR verblieb und nunmehr als Gesamtrechtsnachfolgerin Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits ist.

Die Seniorenresidenz GbR meldete zum 01.02.2007 beim zuständigen Gewerbeamt den Betrieb einer Senioreneinrichtung als gewerbliche Tätigkeit an. Mit Gesellschafterbeschluss vom 30.09.2010 wurde ihre Liquidation beschlossen.

In den Streitjahren betrieb die Seniorenresidenz GbR auf einem gepachteten Grundstück die Seniorenresidenz C…-straße in D… . Die Anlage besteht aus acht Häusern mit insgesamt 153 seniorengerechten Wohnungen. Diese Wohnungen vermietete die Seniorenresidenz GbR an die jeweiligen Bewohner. Nach den Regelungen in Abschnitt 99 Umsatzsteuer-Richtlinie 2008 beziehungsweise Abschnitt 4.16.5 Abs. 5 Umsatzsteuer-Anwendungserlass war die Seniorenresidenz als Altenwohnheim einzuordnen.

Die Seniorenresidenz GbR bot den Bewohnern ein umfangreiches Getränke- und Verpflegungsangebot, welches Frühstück, Mittag- und Abendessen beinhaltete. Dafür wurden eigene Speiseräume und überwiegend eigenes Küchen- und Hauswirtschaftspersonal vorgehalten. Die pflegerischen Leistungen wurden zusätzlich von einem Pflegedienst erbracht. Mit diesem wurde eine Kooperation eingegangen, um die notwendigen und gewünschten grund- und behandlungspflegerischen Leistungen entsprechend den Richtlinien des Sozialgesetzbuches -SGB- XI und SGB V zu erbringen und mit den Kostenträgern abzurechnen. Eine Verpflichtung der Seniorenresidenz GbR gegenüber den Bewohnern zur Erbringung von Pflegeleistungen bestand nicht. Der Pflegedienst erbrachte diese Leistungen in eigener Verantwortung gegenüber den Bewohnern und rechnete diese Leistungen auch selbständig gegenüber den Bewohnern ab.

Daneben erbrachte die Seniorenresidenz GbR eine Vielzahl von Serviceleistungen an die Bewohner. Dies waren: Beratung und Information an der Rezeption, Freizeitgestaltung im Haus, Durchführung von Veranstaltungen, Organisation und Durchführung regelmäßiger Ausflüge, Essen im hauseigenen Restaurant mit Menüauswahl, Vermittlung von Ärzten und Terminabsprachen, Rezeptbestellung, Einkaufsservice, Postempfang und -versand, Notrufsystem und ambulanter Pflegedienst im Haus, Reinigung der Wohnungen, Wäschedienst, Hausmeisterservice, Blumenpflege, Speise- und Getränkeservice.

Für einen Bewohner betrugen die dafür berechneten Kosten für das Hausnotrufsystems monatlich 17,90 € und die Betreuungspauschale monatlich 75,00 €. Diese Leistungen rechnete die Seniorenresidenz GbR direkt gegenüber den Bewohnern ab, nicht mit Pflegekassen oder ähnlichen Trägern der Sozialversicherung. Die Leistungen des Hausnotrufsystems und die Betreuungspauschale behandelte die Seniorenresidenz GbR in den Jahren 2007 bis 2010 als umsatzsteuerbefreit nach § 4 Nr. 16 UStG. Die Betreuungspauschale umfasste von den genannten Leistungen: Beratung und Unterstützung in Fragen zur altersgerechten Betreuung und Pflege, Vermittlung und Hilfeleistung von bzw. bei Arztbesuchen, Rezeptbestellung und -besorgung, Taxibestellung, altersgerechte Veranstaltungen der Unterhaltung, Geselligkeit, Bildung und Deckung kultureller Bedürfnisse, Benachrichtigung und Information von Angehörigen, Hilfestellung beim Umgang mit Rollator oder Rollstuhl sowie Hausmeisterleistungen, soweit dies übliche vermieterseitige Belange betraf (Bereitstellung Sammelmüllcontainer am Abholtag, Wartung Haustechnik etc.). Die übrigen Leistungen wie Wäschedienst, Hausmeisterservice, Blumenpflege, Speisen- und Getränkeleistungen, Telefon, Gästewohnen rechnete die Seniorenresidenz GbR sämtlich mit 19 % Umsatzsteuer gegenüber den Bewohnern ab und erklärte dies auch entsprechend.

Im Jahr 2008 führte der Beklagte bei der Seniorenresidenz GbR eine Umsatzsteuersonderprüfung für den Besteuerungszeitraum 2007 durch. Der Prüfer hielt die Vermietungsleistungen der Seniorenresidenz GbR für steuerbare, aber gemäß § 4 Nr. 12 Buchstabe a) UStG umsatzsteuerfreie sonstige Vermietungsleistungen gemäß § 3 Abs. 9 UStG. Die Serviceleistungen sah er nicht als übliche Nebenleistungen einer Vermietung und damit nicht bereits als nach § 4 Nr. 12 Buchstabe a) UStG umsatzsteuerfrei an. Er sah ferner die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG als nicht gegeben an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 15.05.2008 verwiesen.

Der Beklagte folgte den Feststellungen und Wertungen des Prüfers und setzte die Umsatzsteuer 2007 mit Bescheid vom 24.06.2008 abweichend von der Umsatzsteuererklärung geändert fest. Das dagegen geführte Klageverfahren (5 K 5223/10 vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg) hatte Erfolg. Die Umsätze für die Bereitstellung des Hausnotrufsystems und die übrigen Servicepauschalen wurden nicht mehr der Umsatzsteuer unterworfen. Für das Jahr 2008 half der Beklagte dem Begehren der Seniorenresidenz GbR im Einspruchsverfahren ab und beließ die Umsätze für die Bereitstellung des Hausnotrufsystems und die übrigen Servicepauschalen umsatzsteuerfrei.

Der Beklagte wandte die Feststellungen und Wertungen des Berichts vom 15.05.2008 auch auf die Streitjahre an und änderte die bisherigen, durch Einreichung der Umsatzsteuererklärungen erfolgten Umsatzsteuerfestsetzungen für 2009 mit Bescheid vom 25.02.2011 und für 2010 mit Bescheid vom 09.06.2011, die beide weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Er berücksichtigte die Erlöse der Seniorenresidenz GbR für die Bereitstellung des Hausnotrufes, die Servicepauschalen und die Bearbeitungsgebühren als zum Regelsteuersatz steuerpflichtige Umsätze. Dagegen legte die Seniorenresidenz GbR rechtzeitig Einspruch ein. Mit der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2013 half der Beklagte dem Begehren der Seniorenresidenz GbR, alle genannten Erlöse umsatzsteuerfrei zu belassen, hinsichtlich der Bearbeitungsgebühren ab, weil es sich dabei um Entgelt für die Nebenleistung der Bearbeitung des Mietvertrages handele. Diese Erlöse seien von § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG mit umfasst und daher steuerfrei. Im Übrigen blieb der Einspruch erfolglos. Wegen der Berechnung der noch der Umsatzsteuer unterworfenen streitigen Erlöse der Seniorenresidenz GbR und der Vorsteuerbeträge wird auf Blatt 21 bis 24 der Gerichtsakte (Anlage zur Einspruchsentscheidung) verwiesen.

Die Seniorenresidenz GbR macht mit ihrer am 18.04.2013 erhobenen Klage geltend, dass ihr eine Steuerbefreiung für die Erlöse für die Bereitstellung des Hausnotrufes und für die Servicepauschalen zustehe. Diese Leistungen seien bereits nach § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG steuerfrei. Sie betreibe, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, eine Einrichtung zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen. Die streitigen Leistungen seien mit dem Betrieb dieser Einrichtung unstreitig eng verbundene Leistungen. Die Leistungen des Hausnotrufs seien im Jahr 2009 zu 61 % und im Jahr 2010 zu 46 % an Personen mit Pflegestufe 1 bis 3 erbracht worden. Die Leistungen, die mit der Betreuungspauschale abgegolten werden, seien im Jahr 2009 zu 68 % und im Jahr 2010 zu 40 % an diesen Personenkreis erbracht worden. Ein Nachweis darüber, ob und zu welchem Prozentsatz der Fälle diese streitigen Leistungen von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe vergütet worden seien, läge ihr, der Seniorenresidenz GbR, nicht vor. Sie habe keine Kenntnis, ob die Bewohner die Rechnungen über diese Leistungen eingereicht und von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung die ganze oder eine überwiegende Erstattung ihrer Zahlungen erhalten hätten.

Es könne aber dahingestellt bleiben, ob die streitigen Leistungen tatsächlich erstattet worden seien. Denn es habe sich um Leistungen gehandelt, die nach ihrer Art und nach der Höhe ihrer Vergütung jedenfalls Leistungen gewesen seien, für die die Kosten von den Trägern der Sozialversicherung, der Sozialhilfe und der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung übernehmbar gewesen seien.

Sie könne sich mit Erfolg unmittelbar auf die gemäß Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL bestehende unionsrechtliche Steuerbefreiung berufen. Für die Berufung auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL reiche es aus, wenn die Leistungen übernehmbar gewesen seien.

Sie, die Seniorenresidenz GbR, sei eine „andere Einrichtung mit sozialem Charakter“ im Sinne dieser Vorschrift und habe eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen erbracht. Sie sei auch als eine Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

Soweit nach § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG verlangt werde, dass die Kosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, der Sozialhilfe und der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung übernommen worden sein müssen, habe die Bundesrepublik Deutschland das ihr nach Artikel 133 MwStSystRL zustehende Ermessen zur Bestimmung des Verfahrens der Anerkennung von privaten Einrichtungen überschritten. Dies gelte sowohl für die 40-%-Grenze als auch dafür, dass eine Erstattung erforderlich sei. Es widerspreche dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität, diese gesetzlichen Forderungen einzuhalten. Denn dies bewirke bei Gleichartigkeit der Leistungen, dass die Leistungen bestimmter privater Steuerpflichtiger der Umsatzsteuer unterworfen würden, die gleichartigen Leistungen anderer privater Steuerpflichtiger hingegen nicht.

Die monatlichen Beträge lägen bei der Betreuungspauschale in dem Rahmen, der von den Pflegekassen übernommen würden. Der Preis für den Hausnotrufdienst liege noch unter den von den Pflegekassen übernommenen Kosten von bis zu 18,36 €.

Dies führe dazu, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Regelung des § 4 Nr. 16 UStG den unionsrechtlichen Vorgaben der Artikel 132 und 133 MwStSystRL nicht nachgekommen sei. Daher könne sie, die Seniorenresidenz GbR, sich unmittelbar auf diese unionsrechtlichen Regelungen berufen, deren Voraussetzungen sie auch erfülle.

Die Klage sei auch zulässig. Sie, die Seniorenresidenz GbR, habe die Klagefrist gewahrt. Bei ihr sei die Einspruchsentscheidung erst am 18.03.2013 per Post angekommen. Sie unterhalte ein Postfach, in das die Einspruchsentscheidung eingelegt worden sei. Dieses Postfach werde arbeitstäglich zwischen 9.30 Uhr und 10.00 Uhr geleert. Bis spätestens 9.30 Uhr sei die tägliche Eingangspost in die Postfächer sortiert. Dies werde von der Post durch eine Leuchtschrift dokumentiert „Posteingang ist verteilt“. Daher sei bei Abholung sichergestellt, dass der Sortiervorgang abgeschlossen sei. Nach Rückkehr werde die Post geöffnet und mit einem Eingangsstempel, bei fristgebundenen Schriftstücken mit einem Bescheidprüfungsstempel, versehen. Das Zugangsdatum werde darin eingetragen. Ferner habe der Beklagte keine Nachweise für die tatsächliche Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post erbracht. Ein solcher Nachweis ergebe sich weder aus dem Datum der Entscheidung noch aus dem angeblichen Absendevermerk.

Hilfsweise werde ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, weil übersehen worden sei, dass der Postlauf ungewöhnlich lang gedauert habe.

Nachdem die B… GmbH im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden war, beantragt die verbliebene Gesellschafterin der Seniorenresidenz GbR, ihre Gesamtrechtsnachfolgerin und nunmehrige Klägerin,

abweichend von dem Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 25.02.2011 und dem Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 09.06.2011, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2013, die Umsatzsteuer ohne Berücksichtigung der Umsätze aus Betreuungsleistungen und aus Leistungen des Hausnotrufdienstes für 2009 (netto 122.644,27 €) auf 11.850,62 € und für 2010 (netto 63.287,43 €) auf 7.271,09 € geändert festzusetzen,

und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die in der Einspruchsentscheidung wiedergegebenen Gründe und führt ergänzend aus, dass allein eine Steuerfreiheit der Leistungen der Seniorenresidenz GbR gemäß § 4 Nr. 16 UStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 in Betracht komme. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen habe die Seniorenresidenz GbR allerdings nicht nachgewiesen, weil sie weder einen Vertrag, eine Anerkennung oder Vereinbarung nach dem Sozialrecht vorgelegt habe, noch eine vollständige oder überwiegende Vergütung der Betreuungsleistungen und Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle nachgewiesen habe. Dazu wäre es erforderlich gewesen, für die Vorjahre der Streitjahre, mithin 2008 und 2009, pro Bewohner den Nachweis der Pflegebedürftigkeit, den Nachweis der Kosten des Falls durch Rechnungen und den Nachweis der Höhe der Erstattung durch Abrechnungsunterlagen nachzuweisen. Solche Aufzeichnungen habe die Seniorenresidenz GbR nicht geführt. Auch müssten die Leistungen der Seniorenresidenz GbR von den Trägern der sozialen Sicherheit tatsächlich übernommen worden sein.

Durch die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG ab 01.01.2009, insbesondere durch die Auffangvorschrift § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG werde nunmehr eine umfassende richtlinienkonforme nationale Steuerbefreiung der Leistungen, die eng mit der sozialen Fürsorge verbunden sind, gewährleistet. Die Vorschrift des § 4 Nr. 16 UStG stehe in Zusammenhang mit Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) sowie Artikel 133 und 134 MwStSystRL. Die Neugestaltung dieser Steuerbefreiung habe zur Folge, dass eine Berufung unmittelbar auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL ausscheide. Denn durch die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG durch das Jahressteuergesetz 2009 sei eine umfassende Umsetzung dieser Richtlinie in das deutsche Umsatzsteuergesetz erfolgt.

Nachdem der Beklagte zunächst ausgeführt hat, die Klagefrist sei nicht gewahrt (SS Bl. 87, 109 GA), der Vermerk zur Absendung stamme von dem Bearbeiter, gebe das Datum der Aufgabe zur Post wieder und sei mit dem Datum der Einspruchsentscheidung identisch, hält er nunmehr daran nicht mehr fest (Bl. 138 GA).

Dem Gericht haben bei der Entscheidung die Akte 5 K 5223/10 sowie drei Bände Akten (Umsatzsteuer, Bilanzen Band I, Vertragsakte) und ein Halbhefter (Rechtsbehelfsverfahren) des Beklagten zur Steuernummer … vorgelegen, unter der dieser die Seniorenresidenz GbR (Klägerin) führt.

Entscheidungsgründe

Die Klägerin ist während des Klageverfahrens Gesamtrechtsnachfolgerin der Seniorenresidenz GbR und als solche Beteiligte des Klageverfahrens geworden. Nach § 18 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages der Seniorenresidenz GbR scheidet ein Gesellschafter der Seniorenresidenz GbR aus dieser mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen oder bei Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse aus der Gesellschaft aus. Die Gesellschaft wird in diesem Fall mit den verbliebenen Gesellschaftern fortgesetzt. Dem steht es gleich, wenn ein Gesellschafter, hier die B… GmbH, im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden und daher als juristische Person nicht mehr existent ist. Mit Ausscheiden der B… GmbH ist die Klägerin die alleinige, noch verbliebene Gesellschafterin der Seniorenresidenz GbR. Da sie nach der Regelung im Gesellschaftsvertrag die Gesellschaft fortsetzt, ist sie Gesamtrechtsnachfolgerin der Seniorenresidenz GbR geworden und in deren Stellung als Klägerin eingetreten. Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.

Die Klage ist zulässig.

Ausweislich des Bearbeitungsstempels ist die Einspruchsentscheidung erst am 18.03.2013 bei der Bevollmächtigten der Leistungen der Seniorenresidenz GbR eingegangen. Davon ausgehend ist die Klagefrist von einem Monat nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- mit der am 18.04.2013 eingegangenen Klageschrift gewahrt. Dem ist der Beklagte nicht entgegen getreten.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 vom 25.02.2011 und vom 09.06.2011, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2013, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die streitigen Umsätze sind nicht umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG.

Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unter anderem die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Von diesen Umsätzen sind nach § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG unter anderem steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundene Leistungen, die Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- und Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, erbracht werden. Bezogen auf die hier streitigen Umsätze beruht die Vorschrift auf Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL (zuvor Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -6. EG-Richtlinie-), wonach die Mitgliedstaaten unter anderem die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von der Umsatzsteuer befreien.

Das Gericht kann nicht feststellen, dass die Seniorenresidenz GbR in den Streitjahren die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG erfüllt hat. Die Klägerin hat keine Aufzeichnungen vorgelegt, aus denen sich die volle oder überwiegende Erstattung der Pflege- und Betreuungskosten bei mindestens 40 % der Fälle durch die genannten Kostenträger ergibt. Sie hat zudem ausgeführt, dass es sich ihrer Kenntnis entziehe, ob und bei welchem Bewohner es zu einer Erstattung gekommen sei. Solche Aufzeichnungen seien in den Streitjahren nicht geführt und von den damaligen Bewohnern auch nicht abgefragt worden. Unter diesen Umständen trifft die Klägerin die Feststellungslast, weil es sich bei der Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG um eine für sie günstige Tatsache handelt.

Eine Steuerfreiheit der Leistungen der Seniorenresidenz GbR gemäß § 4 Nr. 16 Buchstabe a) bis j) UStG kommt nicht in Betracht, weil die dort jeweils erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die Betreuungsleistungen und der Hausnotruf sind darüber hinaus auch keine nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Nebenleistungen zur Wohnraumvermietung und teilen daher deren Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG nicht. Nebenleistungen zu einer Hauptleistung liegen vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern das Mittel darstellen, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Übliche Nebenleistungen zu Vermietungsumsätzen sind wie diese steuerfrei. Dies wird angenommen, wenn die Leistung in engem Zusammenhang mit einer anderen, hier: der Vermietungsleistung, steht, im Verhältnis zu dieser nebensächlich ist und in deren Gefolge üblicherweise vorkommt (Bunjes/Heidner, UStG, 14. Auflage München 2015, § 4 Nr. 12 Tz. 29 und 36 mit weiteren Nachweisen und Beispielen). Diese Voraussetzungen sind bei den Betreuungsleistungen und dem Hausnotruf nicht erfüllt. Es handelt sich gerade nicht um Leistungen, die gegenüber der Vermietung keinen eigenen Zweck erfüllen. Es geht bei der Erbringung und dem Bezug dieser Leistungen nicht darum, die Vermietungsleistung optimal in Anspruch zu nehmen, sondern um Leistungen, die allgemein die Selbständigkeit der Bewohner im Umgang mit ihren täglichen Bedürfnissen unterstützen. Sie sollen als Zwischenschritt zur umfassenden Pflege ein selbständiges Leben der Bewohner ermöglichen. Sie dienen der Unterstützung der Bewohner bei der Lebensführung und hängen nicht mit der Vermietung eng zusammen.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL berufen.

Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von der Umsatzsteuer.

Die Anwendung dieser Vorschrift ist durch die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG ab dem 01.01.2009 nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie ist weiterhin unmittelbar anwendbar. Denn die Neufassung der Vorschrift des § 4 Nr. 16 UStG durch die Bundesrepublik Deutschland zum 01.01.2009 stellt keine umfassende Übernahme von Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL in nationales Recht dar. Jedenfalls die als Auffangnorm konzipierte Regelung des § 4 Nr. 16 Buchstabe k) UStG enthält einschränkende Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit, die nicht mit der wörtlichen Fassung des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL übereinstimmen. Schon daraus ergibt sich, dass Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL mit der Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG nicht vollständig übernommen ist. Damit ist die Bundesrepublik der Verpflichtung, alle in Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL genannten Umsätze von der Umsatzsteuer zu befreien, nicht (vollständig) nachgekommen. Es eröffnet sich auch nach der Neufassung zum 01.01.2009 die Möglichkeit für Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen der Steuerfreiheit für Umsätze nach § 4 UStG nicht erfüllen, sich unmittelbar auf die Befreiungsvorschrift des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL zu berufen (Gerichtshof der Europäischen Union -EuGH-, Urteil vom 10.9.2002 - C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, Rdnr. 61; Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 30.7.2008 - XI R 61/07, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 2009, 68; Finanzgericht -FG- Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.01.2011 - 5 K 5110/07, Entscheidungen der FG -EFG- 2011, 1285 mit weiteren Nachweisen; Erdbrügger in Hartmann/Metzenmacher, UStG, E § 4 Nr. 16 Tz. 60; Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, Loseblatt Stand April 2014, § 4 Nr. 16 Tz. 31, 103; Hölzer in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, Loseblatt Stand Oktober 2015, § 4 Nr. 16 Tz. 504 f.).

Die Klägerin kann sich jedoch nicht unmittelbar auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL berufen, weil sie weder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist noch eine von der Bundesrepublik Deutschland anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter.

Die Richtlinie legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören das Bestehen spezifischer Vorschriften - seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit -, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit (z.B. Urteile des EuGH, Go fair-Zeitarbeit vom 12.03.2015 - C-594/13, ABl. EU, Nr. C 146, 4, BStBl. II 2015, 980, Rz 20; Les Jardins de Jouvence SCRL vom 21.01.2016 - C-335/14, Abl. EU Nr. C 98, 7, Rz 35, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2016, 235, jeweils mit weiteren Nachweisen zur EuGH-Rechtsprechung, und BFH, Urteil vom 05.06.2014 - V R 19/13, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE- 245, 433, Rz 24, mit weiteren Nachweisen). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kosten im konkreten Fall tatsächlich übernommen worden sind, sondern es reicht aus, dass sie übernehmbar sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile vom 18.08.2005 - V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl. II 2006, 143, unter II.2.d cc (2), Rz 52, und vom 08.08.2013 - V R 8/12, BFHE 242, 548, Rz 40).

Eine Anerkennung der Seniorenresidenz GbR erfolgte - anders als bei der im Urteil des EuGH Les Jardins de Jouvence SCRL vom 21.01.2016 (C-335/14, EU:C:2016:36) zu beurteilenden Einrichtung für betreutes Wohnen - nicht im Rahmen von gesetzlichen Vorschriften. Anders als in Belgien unterliegen Altenwohnheime (respektive „Betreutes Wohnen“), wie das von der Klägerin betriebene, in der Bundesrepublik Deutschland nicht denselben Regelungen wie Altenheime oder ähnliches. Es gibt keine gesetzlichen Regelungen eines solchen, privatwirtschaftlich organisierten betreuten Wohnens. Es bleibt jedem Anbieter überlassen, welche zusätzlichen Leistungen er ergänzend zur Vermietung anbietet und welche Gegenleistung er dafür verlangt. Insbesondere gibt es keine Regelungen, welche Zusatzleistungen mindestens in welcher Qualität angeboten werden müssen.

Auch aus einer Übernahme der Kosten für die streitigen Leistungen ergibt sich im Streitfall keine Anerkennung der Seniorenresidenz GbR als Einrichtung mit sozialem Charakter. Es lässt sich nicht erkennen, dass eine Übernahme der Kosten der streitigen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit stattgefunden hätte oder hätte erfolgen können.

Der Erstattungsfähigkeit der Betreuungspauschale steht entgegen, dass die Pflegekassen grundsätzlich Pflegesachleistungen erbringen (§ 28 Abs. 1 SGB XI). Dabei ist kennzeichnend, dass die Sachleistungen von Pflegekräften erbracht werden, die von der Pflegekasse oder von ambulanten Pflegeeinrichtungen, die einen Vertrag mit der Pflegekasse abgeschlossen haben, angestellt sind. Eine Abrechnung mit dem zu Pflegenden und eine anschließende Erstattung erfolgt nicht. Insoweit war die Betreuungspauschale nicht erstattungsfähig, weil der Erbringer dieser Leistung, die Seniorenresidenz GbR, keine Pflegekasse und auch keine vertraglich gebundene Pflegeeinrichtung war.

Statt der Sachleistungen kann auch Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI in Anspruch genommen werden. Auch in diesen Fällen erfolgt aber keine Erstattung von Beträgen, die der zu Pflegende geleistet hat. Vielmehr muss dieser dafür sorgen, dass er alle notwendigen Leistungen mit dem Pflegegeld (oder aus eigenem Mitteln) bezahlt.

Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass das Hausnotrufsystem in der Mehrzahl der Fälle erstattet worden ist oder wenigstens erstattungsfähig gewesen ist. Zwar handelt es sich bei einem Hausnotrufsystem um ein technisches Pflegehilfsmittel, welches in der Weise erstattungsfähig ist, dass dem Pflegebedürftigen die Kosten dafür erstattet werden. Dies setzt aber voraus, dass ein Hausnotrufsystem für den jeweiligen Pflegebedürftigen notwendig ist (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.12.2003 - L 8 KN 502/02 P, juris). Ob dies auf die Bewohner der Seniorenresidenz GbR in den Streitjahren zutraf, kann das Gericht nicht feststellen. Die Klägerin hat dazu keine Aufzeichnungen oder ähnliches vorgelegt, aus denen sich die Bewilligung oder die Bewilligungsfähigkeit des Hausnotrufs gegenüber einzelnen Bewohnern ablesen lässt. Weitere Ermittlungen zu diesen Fragen waren für das Gericht nicht möglich. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, dass sie zu der tatsächlichen Erstattung der streitigen Entgelte an die Bewohner nichts weiter vortragen oder vorlegen könne.

Darüber hinaus sind die streitigen Leistungen auch nicht nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität deshalb steuerfrei zu stellen, weil auf anerkannte Wohlfahrtsverbände die Vorschrift des § 4 Nr. 18 UStG anwendbar ist. Daraus folgt nicht, dass diese Leistungen von anerkannten Wohlfahrtsverbänden nur unter Berufung auf § 4 Nr. 18 UStG umsatzsteuerfrei erbracht werden können.

Der EuGH hat im Urteil vom 15.11.2012 C-174/11, Zimmermann (Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2013, 35 Tz. 58) entschieden, dass das nationale Recht im Rahmen der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Buchstabe e) UStG keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und für die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen darf. Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den durch das EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 präzisierten unionsrechtlichen Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ist § 4 Nr. 18 UStG daher teleologisch dahingehend einzuschränken, dass eine andere nationale Regelung des § 4 UStG, die eine steuerbefreite Leistung genau bezeichnet (wie z.B. § 4 Nr. 14 und § 4 Nr. 16 UStG), der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 18 UStG als lex specialis vorgeht. Eine derartige durch den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG begrenzte Wirkung des § 4 Nr. 18 UStG kommt daher nur in Betracht, wenn die betreffenden Leistungen des die Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 UStG erfüllenden Steuerpflichtigen im Falle ihrer Ausführung durch privatrechtliche Einrichtungen mit Gewinnstreben ihrer Art nach von § 4 Nr. 16 Buchstabe e) UStG umfasst werden könnten. Ist dies nicht der Fall und liegen nach nationalem Recht die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung vor, deren Versagung durch eine noch mit dem Wortlaut zu vereinbarende richtlinienkonforme enge Auslegung nicht möglich, kann sich der Steuerpflichtige auf die ihm günstigere nationale Regelung berufen (BFH, Urteil vom 08.08.2013 - V R 13/12, BFHE 242, 557, BFH/NV 2014, 123 Tz. 29f. und Urteil vom 15.03.2007 - V R 55/03, BFHE 217, 48, BStBl. II 2008, 31). Daraus folgt für den Streitfall, dass ein unter die Regelung des § 4 Nr. 18 UStG fallender Steuerpflichtiger für die Steuerfreiheit von Leistungen, wie die Seniorenresidenz GbR erbracht hat, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 UStG erfüllen muss. Weil diese Leistungen unter den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 16 UStG fallen, kommt eine nur auf § 4 Nr. 18 UStG gestützte Steuerfreiheit nicht in Betracht.

Ferner steht es dem Grundsatz der Neutralität nicht entgegen, dass für die in Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL vorgesehene Befreiung die Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht erforderlich ist, während es einer solchen Anerkennung bei Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, bedarf. Hinsichtlich der Bedingungen, an die die Mitgliedstaaten die Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, knüpfen, steht den Mitgliedstaaten ein Ermessen zu. Der Grundsatz der Neutralität gebietet aber die Gleichbehandlung der Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, hinsichtlich der Anerkennung ihres sozialen Charakters.

Da der Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Rahmen der Umsetzung der in Artikel 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL vorgesehenen Befreiung sachlich unterschiedliche Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits verbietet (EuGH-Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 Rdnr. 58), könnte daraus zu folgern sein, dass sich ein Unternehmer, der eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen im Sinne des Artikels 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL erbringt, der aber nicht über die erforderliche staatliche Anerkennung verfügt, dann unmittelbar auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL berufen kann, wenn die gleichen Leistungen gemäß § 4 Nr. 18 UStG von der Steuer befreit wären, sofern sie von einem amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband oder eines seiner Mitglieder erbracht würden. Andererseits kann die Ausführung "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen" die nach Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL erforderliche Anerkennung durch den Mitgliedstaat nicht ersetzen. Eine richtlinienwidrige Begünstigung anderer Steuerpflichtiger in § 4 Nr. 18 UStG führt nicht dazu, dass die Anerkennung eines Steuerpflichtigen, der "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen" erbringt, durch den Mitgliedstaat fingiert wird. Das Unionsrecht setzt - wie sich unmittelbar aus Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL ergibt und wie der EuGH im Urteil Zimmermann in UR 2013, 35 ausdrücklich betont - eine Anerkennung durch den Mitgliedstaat voraus. Eine Steuerbefreiung durch die Möglichkeit einer Berufung auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL ohne mitgliedstaatliche Anerkennung wäre daher richtlinienwidrig (BFH, Urteil vom 08.08.2013 - V R 8/12, BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119 Tz. 41 ff.) und kommt aus diesen Gründen auch im Streitfall nicht in Betracht.

Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität führt auch unter dem Gesichtspunkt der freien Wahl des Organisationsmodells zu keinem anderen Ergebnis. Zwar müssen nach der Rechtsprechung des EuGH Wirtschaftsteilnehmer nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität in der Lage sein, das Organisationsmodell zu wählen, das ihnen, rein wirtschaftlich betrachtet, am besten zusagt, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Umsätze von der in Artikel 13 Teil B Buchstabe d) der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen werden (EuGH, Urteile vom 04.05.2006 - C-169/04, Abbey National, Slg. 2006, I-4027, BStBl. II 2010, 567; vom 21.06.2007 - C-453/05, Ludwig, Slg. 2007, I-5083). Diese Rechtsprechung des EuGH bezieht sich aber auf die Steuerbefreiungen in Artikel 13 Teil B der Richtlinie 77/388/EWG, die keine unternehmerbezogenen Merkmale voraussetzen. Die freie Wahl des Organisationsmodells führt indessen nicht dazu, dass bei den Steuerbefreiungen in Artikel 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG, die - wie Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) der Richtlinie 77/388/EWG (und im Streitfall Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe g) MwStSystRL) mit der Anerkennung durch den Mitgliedstaat - unternehmerbezogene Merkmale voraussetzen, auf diese unternehmerbezogenen Merkmale unter Berufung auf die Freiheit des Organisationsmodells verzichtet werden kann (BFH, Urteil vom 08.08.2013 - V R 8/12, BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119 Tz. 41 ff.).

Die Revision war gemäß § 15 Abs. 2 FGO zuzulassen, weil die genauen Auswirkungen der Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG noch nicht höchstrichterlich geklärt erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.