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Schulrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 12. Kammer Entscheidungsdatum 17.08.2018
Aktenzeichen 12 L 707/18 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2018:0817.12L707.18.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 106 Abs 1 SchulG BB, § 106 Abs 2 SchulG BB, § 106 Abs 4 SchulG BB, § 123 VwGO

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zum Schuljahr 2018/2019 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 d… aufzunehmen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

Der aus dem Tenor zu 1) ersichtliche sinngemäße Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Ge-richt eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) und die besondere Dringlichkeit der Anordnung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung). Begehrt ein Antragsteller mit der einstweiligen Anordnung im Ergebnis die Vorwegnahme der Hauptsache, was mit der Vergabe von Schulplätzen faktisch verbunden ist, kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für den Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann ihr unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes nicht zugemutet werden, da ernsthaft zu befürchten ist, dass sie ihren Rechtsanspruch auf Aufnahme in die K… dadurch nicht rechtzeitig verwirklichen kann. Ein Antragsteller braucht sich im gerichtlichen Verfahren, das auf die vorläufige Aufnahme an eine ganz bestimmte Schule gerichtet ist, nicht darauf verweisen lassen, dass er den gewünschten Bildungsgang auch an einer anderen von ihm nicht beantragten Schule aufnehmen kann, nur weil die dortige Kapazität weniger erschöpft ist als an der von ihm beantragten Schule (ständige Rechtsprechung der Kammer: Beschlüsse vom 22. August 2014 - VG 12 L 629/14 - und vom 11. Juli 2016 - VG 12 L 452/16 -).

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes notwendigerweise nur summarische Prüfung ergibt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihr ein Anspruch auf Aufnahme in die K... zusteht und die entgegenstehende Entscheidung der Antragsgegnerin rechtswidrig ist.

Die Antragsgegnerin hat ihrer Entscheidung eine Aufnahmekapazität von 25 Schülerinnen und Schülern zugrunde gelegt. Dabei ist sie offensichtlich davon ausgegangen, dass an der K... im Schuljahr 2018/2019 in der ersten Jahrgangsstufe eine Klasse eingerichtet wird, deren Frequenz wegen Teilnahme der Schule am Landeskonzept „Schulen für gemeinsames Lernen“ entsprechend der Regelung in Nr. 2.5 des Rundschreibens 3/17 vom 9. Februar 2017 (Abl. MBJS/17, Nr. 5, S. 40) mit 25 Schülern zu bemessen ist. Ob diese Annahmen zutreffen, kann dahinstehen. Denn auch unter Berücksichtigung einer Kapazität von - nur - 25 Schülern ist die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Schule aufzunehmen.

Da der angenommenen Kapazität im Umfang von 25 Plätzen 33 Bewerbungen gegenüberstanden, hat die Antragsgegnerin ein Auswahlverfahren durchgeführt. Dies hält im Ergebnis einer Prüfung nicht vollständig stand. Allerdings beanstandet das Gericht nicht, dass die Antragsgegnerin dabei die Grundsätze für die Auswahl bei Bewerbungen im deckungsgleichen Schulbezirk angewandt und die Kinder nach der Nähe der Wohnung zur Schule und nach wichtigen Gründen aufgenommen hat (vgl. § 106 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG). Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin wurde ein Schulbezirk - entgegen der sich aus § 106 Abs. 2 Satz 1 BbgSchulG ergebenden Verpflichtung - nicht gebildet. Da es im Gebiet des Amtes F... mindestens zwei Grundschulen gibt - nämlich die K... und die K... - dürfte die Schulsituation in diesem Gebiet, in dem die Antragstellerin und sämtliche Mitbewerber wohnen, vergleichbar sein mit der Situation in deckungsgleichen Schulbezirken. Es war daher sachgerecht, das wegen Übernachfrage notwendige Auswahlverfahren entsprechend den für deckungsgleiche Schulbezirke festgelegten Regelungen durchzuführen.

Die von der Antragsgegnerin nach Maßgabe dieser Vorgaben vorgenommene Auswahl war teilweise fehlerhaft.

Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin aufgrund eines wichtigen Grundes nach § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG in die Karibu-Grundschule aufzunehmen ist. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „aus wichtigem Grund“ sind die gesetzlichen Beispielsfälle des § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 bis Nr. 4 BbgSchulG ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass durch die Neufassung der Vorschrift im Rahmen des Gesetzes vom 1. Juni 2001 (GVBl. I S. 62) die zunächst den Regelbeispielen beigefügten einschränkenden Attribute („besondere“ Schwierigkeiten, „erhebliche“ pädagogische bzw. „gewichtige“ soziale Gründe) entfallen sind. Damit sollte den Wünschen der Eltern, auf die Auswahl der zu besuchenden Schule auch jenseits von Härtefällen Einfluss nehmen zu können, stärker entsprochen werden (vgl. LT-Drs. 3/2371, S. 71). Der Wegfall der einschränkenden Attribute in der jetzt maßgeblichen Fassung des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG sowie dessen regierungsamtliche Begründung sprechen für eine weite Auslegung sowohl des Begriffs des wichtigen Grundes als auch der gesetzlichen Beispielsfälle; erforderlich ist aber weiter eine über den bloßen Elternwunsch hinsichtlich des Besuchs einer bestimmten Schule hinausgehende Sachlage (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. September 2008 – OVG 3 S 88.08 -, juris Rn. 3). Ein wichtiger Grund liegt daher vor, wenn es aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls, d.h. nach der individuellen Situation des um die Gestattung nachsuchenden Schulkindes und seiner Eltern, nicht gerechtfertigt erscheint, dass sie die (nachteiligen) Folgen hinnehmen müssen, die mit dem Besuch der anderen Schule einhergehen würden.

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Antragstellerin einen wichtigen Grund im Sinne des § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 4 BbgSchulG glaubhaft gemacht; sie kann sich auf soziale Gründe berufen. Zwar ist der Antragsgegnerin in ihrer Einschätzung zustimmen, dass wesentliche Betreuungserleichterungen durch den Besuch der K... nicht ersichtlich sind. Regelmäßig ist Kindern auch zuzumuten, eine Schule ohne die Unterstützung älterer Geschwister zu besuchen. Im Fall der Antragstellerin ist aber die besondere Familiensituation zu berücksichtigen: Die Eltern der Antragstellerin sind getrennt. Die Antragstellerin und ihre Schwester haben zunächst bei der Mutter in P... gelebt und wohnen erst seit März 2018 aufgrund einer vor dem Familiengericht getroffenen Vereinbarung beim Vater in P.... Die Verlagerung des Wohnsitzes der Mutter dorthin, die bis zum Ende der Sommerferien geplant war, findet nach den glaubhaften Angaben im vorliegenden Verfahren nicht statt. Zudem ist der Vater aufgrund seines Arbeitsplatzes in Berlin lange aus dem Haus; zumindest morgens sind die Kinder daher vollständig auf sich gestellt. Im Hinblick auf die noch relativ neue Familienkonstellation und Umgebung sowie die mit dem Schulbeginn verbundene weitere Änderung der Lebensumstände ist der Vortrag nachvollziehbar, dass die Beziehung zu ihrer Schwester von erheblicher Bedeutung für die Antragstellerin ist. Diese Einschätzung wird durch die Angaben eines (in Auszügen) vorgelegten psychologischen Gutachtens vom 28. Februar 2018 gestützt, wonach die Verlässlichkeit des Geschwisterkontakts nach der Trennung der Eltern für die Mädchen einen großen Stellenwert hat. Das Gericht verkennt nicht, dass dieser Kontakt während der Schulzeit auch beim Besuch derselben Schule keinen großen Umfang haben, sondern sich vornehmlich auf die Anfahrt und die Pausen beschränken wird. Es ist aber davon auszugehen, dass bereits die gemeinsam mit ihrer Schwester zurückzulegenden Schulwege und die Momente des Zusammentreffens auf dem Schulgelände in Verbindung mit der Gewissheit, sich in Notsituationen an die Schwester wenden zu können, der Antragstellerin in ihrem derzeit (noch) insgesamt als eher instabil einzuschätzenden Umfeld ein Gefühl der Sicherheit vermitteln werden und daher für sie wesentlich sind. Dass die Antragstellerin in dieser Situation die mit dem Besuch unterschiedlicher Schulen verbundene Einschränkung des Kontakts zu ihrer Schwester hinzunehmen hätte, erscheint daher nicht gerechtfertigt. Im Übrigen kann das Gericht nach den vorgetragenen Informationen nicht erkennen, dass die Sachlage in dem Fall des Kindes auf dem Listenplatz 3, bei dem die Antragsgegnerin soziale Gründe angenommen hat, gravierende Unterschiede zu der Situation der Antragstellerin aufweist. Unklar ist in Bezug auf die dort angenommene Betreuungserleichterung beispielsweise, ob die Großeltern über ein Auto verfügen und wo sich der zweite Wohnort der Familie befindet.

Unabhängig davon spricht einiges dafür, dass die auf die Listenplätze 2 und 3 gesetzten Kinder der Antragstellerin zu Unrecht vorgezogen wurden. Nach den von der Antragsgegnerin überreichten Unterlagen ist zumindest zweifelhaft, ob bei ihnen ein wichtiger Grund für den Besuch der K... deswegen vorliegt, weil der Schulweg in die Schule i... für sie unzumutbar ist. Denn danach kann der Schüler mit der Nummer 2 die Schule in 42 Minuten erreichen, der Schüler mit der Nummer 3 in 39 Minuten. Für die Rückfahrt benötigen die Schüler demnach zwischen 31 und 42 Minuten. Diese Zeiten erscheinen auch für Erstklässler jedenfalls nicht offensichtlich unzumutbar und unterscheiden sich zudem nicht erheblich von der Dauer des Schulwegs, den die Antragstellerin beim Besuch der Schule in F... hätte, nämlich ausweislich der Angaben auf vbb.info bei der schnellsten Verbindung 31 Minuten. Besondere Schulwegbedingungen, die eine Unzumutbarkeit unabhängig von der Dauer als gegeben erscheinen lassen, wurden nicht vorgetragen.

Da demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Aufnahmeanspruch der Antragstellerin besteht und die Versagung der Aufnahme rechtswidrig war, hat die Antragsgegnerin die Rechtsverletzung durch Aufnahme der Antragstellerin zu beheben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Oktober 2017, OVG 3 S 71.17 m.w.N., juris). Dabei muss sie wegen des verfassungsrechtlichen Gebotes effektiven Rechtsschutzes zusätzliche Plätze bis an die Grenze der Funktionsfähigkeit zur Verfügung stellen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Oktober 2015, OVG 3 S 70.15, juris). Dass diese Grenze durch Aufnahme eines 26. Kindes überschritten würde, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung aus § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes, wobei der Streitwert in Anbetracht der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren ist.