Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat | Entscheidungsdatum | 16.08.2012 | |
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Aktenzeichen | L 27 R 403/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 48 SGB 10 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 04. März 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen einen Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten wegen der nachträglichen Anrechnung von Einkommen auf eine Hinterbliebenenrente für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2008.
Der 1955 geborene Kläger beantragte am 20. Mai 1999 bei der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente nach seiner 1999 verstorbenen Ehefrau E H. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 8. Juli 1999 ab dem 14. März 1999 fortlaufend eine große Witwenrente, die in der Folgezeit u. a. mit Blick auf häufigere Wechsel in der Krankenversicherung, dem hier nicht relevanten Bezug anderweitiger Einkommen, dem Bezug von Arbeitslosenhilfe ständigen Korrekturen hinsichtlich der Rentenhöhe unterlag.
Neben dieser Rente bezog der Kläger eine bereits zuvor aufgrund eines Unfalls vom 22. Oktober 1975 durch die Bundesaufsichtsbehörde der gesetzlichen Unfallversicherung bewilligte Unfallversicherungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50. Seit Januar 2004 bezieht der Kläger durch die Beklagte aus eigener Versicherung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und seit Juli 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Im Mai 2008 erhielt die Beklagte Kenntnis über Beschäftigungszeiten im Versicherungskonto des Klägers ab dem 15. März 2005 mit zuordnenbarer Betriebsnummer. Als Arbeitsgeber wurde daraufhin die O GmbH ermittelt. Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 24. Juli 2008, der daraufhin mitteilte, zu einem Aushilfslohn auf 400,-Euro-Basis beschäftigt gewesen zu sein, nahm die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2009 den Bescheid vom 8. Juli 1999 in der Fassung des Bescheides vom 13. Juni 2005 mit Wirkung vom 1. Juli 2005 hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 45 des X. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurück und forderte den Kläger auf, den mangels Einkommensanrechnung im Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2008 überzahlten Betrag in Höhe von 4.052,88 € zu erstatten. Hinsichtlich der Überzahlung verwies die Beklagte auf die dem Kläger übersandte Rentenberechnung vom 17. Juli 2008. Zur Begründung der Rücknahmeentscheidung führte die Beklagte aus, der zurückgenommene Bescheid sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Leistungsbewilligung hätte auf unrichtigen und unvollständigen Angaben des Klägers beruht. Ein der Rücknahme entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen des Klägers bestehe nicht. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens habe von der Rücknahme des Bescheides nicht abgesehen werden können.
Der Kläger hat am 22. Mai 2009 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin erhoben, mit der er die Aufhebung des Rücknahme- und Erstattungsbescheides begehrt hat.
Mit Urteil vom 4. März 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Bescheid vom 8. Juli 1999 in der Fassung des Bescheides vom 13. Juni 2005 zu Recht zurückgenommen, weil der Kläger durch die Nichtangabe seiner geringfügigen Beschäftigung grob fahrlässig die Überzahlung bewirkt habe. Dass der Kläger die Aufnahme der Tätigkeit telefonisch angezeigt habe, sei nicht bewiesen. Die Jahresfrist für die Rücknahmeentscheidung sei gewahrt, da die Beklagte erstmals im Mai 2008 Kenntnis von dem Arbeitgeber aufgrund der eingespielten Betriebsnummer erlangt habe.
Gegen das ihm am 15. März 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. April 2011 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Zur Begründung trägt er vor, dass die Beklagte Kenntnis von der seit dem 15. März 2005 ausgeübten Tätigkeit gehabt habe. Wie sich aus dem Schreiben der Rentenversicherung vom 24. Mai 2011 ergäbe, sei er durch seinen Arbeitgeber für die Zeit vom 15. März 2005 bis zum 30. April 2009 als geringfügig entlohnter Beschäftigter gemeldet worden. Die fehlende Kommunikation zwischen den Behörden könne nicht zu Lasten des Klägers gehen. Ein grob fahrlässiges Verhalten sei nicht gegeben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 04. März 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 03. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass der Kläger zu keiner Zeit Angaben über seine geringfügige Beschäftigung gemacht habe. So sei insbesondere auch in den Anträgen auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung vom 15. Mai 2007 und vom 1. März 2010 die Frage nach einer Beschäftigung vom Kläger verneint worden. Eine – grundsätzlich ausschließlich in einem elektronischen Meldeverfahren erfolgte – Mitteilung der Minijobzentrale, die ausschließlich zum Versicherungskonto des Klägers wegen des Bezuges der Erwerbsminderungsrente erfolgt wäre, entbinde den Kläger nicht von der eigenen Mitteilungspflicht.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin ist zutreffend. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 3. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Sowohl hinsichtlich der Rücknahme respektive Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 1999 in der Gestalt des Bescheides vom 13. Juni 2005 für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2008 in Höhe eines geleisteten Rentenbetrages von 4.052,88 € als auch hinsichtlich der Rückforderung dieser Summe ist die hier angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten findet der Bescheid vom 3. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 21. April 2009, soweit für den vorgenannten, vergangenen Zeitraum die Bewilligung von Rentenleistungen zurückgenommen wird, allerdings nicht in § 45 SGB X, sondern in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X eine wirksame Rechtsgrundlage. Danach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass eines Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder der Minderung des Anspruch geführt haben würde, wobei als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse in Fällen, in denen Einkommen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzes anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums ist (Satz 3). Diese Voraussetzungen liegen, vor, weil wegen des erzielten Einkommens aus der geringfügigen Beschäftigung nach Erlass der jeweiligen Rentenbewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2008 eine – zwischen den Beteiligten unstrittige - Minderung der Rentenleistung in dem von der Rücknahmeentscheidung erfassten Umfang eingetreten wäre. Dass die Beklagte die Entscheidung auf § 45 SGB X gestützt hat, weil sie rechtsirrig von einer bereits bei dem jeweiligen Bescheiderlass rechtswidrigen Rentenbewilligung ausgegangen ist, ist jedoch unschädlich. Denn mit Blick darauf, dass eine Entscheidung über die Aufhebung nach § 48 SGB X auf das gleiche Ziel wie die Rücknahme nach § 45 SGB X gerichtet ist, kann der angefochtene Bescheid der Beklagten auf eine nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützte Entscheidung gemäß § 43 SGB X umgedeutet werden.
Die im Wege der Umdeutung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützte Aufhebungsentscheidung erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Die vorliegend ausgesprochene Aufhebung für die Vergangenheit unterliegt nur einem eingeschränkten Ermessen mit der Folge, dass im Regelfall eine rückwirkende Aufhebung erfolgen muss. Nur in atypischen Fällen kann die Beklagte nach ihrem Ermessen davon abweichen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 77/09 R, Rn. 57 m.w.N., zit. nach Juris). Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist selbst nicht im Wege der Ermessensausübung zu klären, sondern vielmehr als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen (vgl. BSG, a.a.O.). Für die Frage, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufes vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsaktes ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Dies zu Grunde gelegt, scheidet vorliegend ein atypischer Fall, der Anlass dazu bietet, in eine Abwägung einzutreten, ob von der Aufhebung der Bewilligung ganz oder zumindest teilweise abgesehen wird, aus. Dem Kläger war aufgrund von bereits früher ausgeübten Beschäftigungen und insbesondere einer solchen bei der O GmbH während des Rentenbezuges bekannt, dass entsprechende Mitteilungen über erzieltes Einkommen für die Höhe der jeweiligen Rentenzahlung von Bedeutung sind. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger bei dieser Sach- und Rechtslage etwa in dem Antrag auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung vom 15. Mai 2007 die Frage nach einer Beschäftigung wahrheitswidrig verneint hat, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger aufgrund seiner Kenntnisse und der wahrheitswidrigen Angaben auch von der Überzahlung der Rentenleistungen im strittigen Zeitraum von Anfang an wusste und diese billigend in Kauf nahm. Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer Atypik und ist die Aufhebung der Überzahlung zwingend geboten. Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die geringfügige Beschäftigung bei der Rentenversicherung angezeigt hat und die Beklagte deswegen die Überzahlung hätte erkennen können. Für eine Gewichtung eines insoweit möglichen Mitverschuldens der Beklagten ist angesichts des überragenden Wissens des Klägers und der von ihm in Kauf genommenen Überzahlung kein Raum. Ein atypischer Fall, der ausnahmsweise eine Ermessensausübung rechtfertigen könnte, ist daher nicht begründbar.
Der Bescheid vom 3. September 2008 wahrt auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, da eine die Aufhebung der Bewilligung rechtfertigende Kenntnis der Beklagten frühestens im Mai 2008 aufgrund der im Versicherungskonto eingespielten Betriebsnummer des klägerischen Arbeitgebers gegeben war.
Angesichts der Rechtsmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung, die im Wege der Umdeutung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt werden kann, ist auch die auf § 50 SGB X gestützte Erstattungsentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.