Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1953 in der T geborene und seit 1971 in Deutschland lebende Klägerin arbeitete bis 1998 als Montiererin. Seitdem ist sie arbeitslos. Über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt sie nicht. Auf ihren Antrag vom Juli 2002 stellte das Versorgungsamt bei ihr einen Grad der Behinderung von 30 fest.
Im November 2002 beantragte sie bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten der Internistin Dipl. Med. E vom 19. Dezember 2002 ein, die nach Untersuchung der Klägerin deren Leistungsvermögen dahingehend einschätzte, dass sie in der letzten Tätigkeit als Montiererin unter drei Stunden, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch sechs Stunden und mehr einsatzfähig sei. Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 6. Januar 2003 ab.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Einholung des Gutachtens der Psychiaterin Dr. Sch vom 7. März 2003, die eine vollschichtige Einsetzbarkeit der Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bejahte, mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2003 zurück.
Mit ihrer Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin ab 1. November 2002 eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsunfähigkeit – ggf. bei Berufsunfähigkeit – begehrt.
Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte und einer Durchschrift des vom Arbeitsamt veranlassten Gutachtens der Arbeitsmedizinerin Dr. B vom 4. November 2002 das Gutachten der Nervenärztin Dr. S vom 25. Februar 2004 eingeholt. Die Sachverständige hat folgende Gesundheitsstörungen auf ihrem Fachgebiet diagnostiziert:
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depressive Episode, lang anhaltend, reaktiv ausgelöst bei familiärer Konfliktsituation auf dem Boden einer depressiv-histrionischen Persönlichkeitsstruktur, |
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Zervikalsyndrom ohne Zeichen einer Wurzelkompressionssymptomatik, |
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3. |
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Lumbalsyndrom ohne Zeichen einer Wurzelkompressionssymptomatik, |
Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin unter bestimmten qualitativen Einschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne.
Ferner hat das Sozialgericht durch Einholung des Gutachtens des Orthopäden Dr. L vom 29. Juni 2004 Beweis erhoben, der folgende Diagnosen auf seinem Fachgebiet gestellt hat:
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1. |
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Knick-Senk-Spreizfuß beidseits, |
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Bewegungseinschränkung im Bereich der linken Schulter ab 90° im Sinne des Schulterengpass-Syndroms, |
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3. |
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wiederkehrende Beschwerden vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule bei leichter Herabsetzung des Mineralsalzgehaltes der Knochen und kleinerer Bandscheibenvorwölbungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. |
Hieraus hat der Sachverständige gefolgert, dass das Leistungsvermögen der Klägerin für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen ausreiche.
Zu den von der Klägerin eingereichten medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Bericht des Fachpsychologen Dr. St vom 30. August 2005, hat die Sachverständige Dr. S unter dem 20. Januar 2006 dahingehend Stellung genommen, dass sie an ihrer Auffassung festhalte.
Mit Urteil vom 30. November 2006 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsunfähigkeit bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI), da sie nicht berufsunfähig sei. Nach § 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI sei derjenige nicht berufsunfähig, welcher eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne; hierbei sei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Sei der bisherige Beruf – wie hier die Tätigkeit der Klägerin als Montiererin – eine ungelernte Tätigkeit, könne der Betreffende sozial zumutbar auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden; der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedürfe es nicht. Zwar könne die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ihre bisherige Tätigkeit als Montiererin ausüben. Jedoch ergebe sich aus den überzeugenden Gutachten der Nervenärztin Dr. S vom 25. Februar 2004 und des Orthopäden Dr. L vom 29. Juni 2004 dass die Klägerin körperlich leichte Arbeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen, die einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegenstünden, noch im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne, was die Berufstätigkeit ausschließe. Dieser Beurteilung stünden die nach Erstellung der Gutachten eingereichten medizinischen Unterlagen nicht entgegen. In den Attesten der behandelnden Ärzte würden lediglich bereits bekannte Diagnosen gestellt und teilweise abweichende Einschätzungen des Leistungsvermögens angegeben, ohne dass neue Aspekte dargelegt würden. Aus dem Entlassungsbericht der C vom 26. März 2005 und dem Arztbrief über die stationäre Behandlung vom 10. bis 12. Oktober 2005 ergäben sich keine andauernden quantitativen Leistungseinschränkungen. Etwas anderes folge auch nicht aus dem Bericht des Dr. St vom 30. August 2005 über die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Klägerin. Zum einen sei die Aussagekraft des psychologischen Tests äußerst begrenzt, weil die Ergebnisse von der Mitarbeit des Patienten abhingen und die Klägerin der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Zum anderen sei der im unteren Normwert liegende Intelligenzquotient der Klägerin insoweit berücksichtigt, als ihr nur einfache geistige Tätigkeiten zugemutet würden. Schließlich rechtfertige auch der vorgelegte Befundbericht des Dipl.-Psychologen H vom 31. Oktober 2006 keine andere Bewertung ihres Leistungsvermögens. Dieser habe der Klägerin eine chronische Depression, eine generalisierte Angststörung und multiple psychosomatische Leiden attestiert und hieraus auf eine erhebliche Minderung ihrer Leistungsfähigkeit geschlossen, aufgrund derer eine Teilnahme am Arbeitsleben nicht mehr zu verantworten sei. Diese Einschätzung überzeuge nicht. Die von dem Dipl.-Psychologen H aufgeführten Leiden seien bereits seit dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. Sch bekannt und berücksichtigt worden.
Aus den Gründen, die eine Berufsunfähigkeit ausschlössen, folge zugleich, dass bei der Klägerin weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vorliege. Da sie gesundheitlich noch sechs Stunden erwerbstätig sein könne, liege eine Erwerbsminderung nicht vor.
Mit der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hat das Gutachten des Vertragsarztes der Agentur für Arbeit Dr. Ma vom 10. Februar 2007 vorgelegt, wonach sie für länger als sechs Monate auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht belastet werden dürfe.
Der Senat hat Befundberichte des Orthopäden Dr. (TR) K vom 22. Juni 2007 und der Psychiaterin N vom 5. August 2007 sowie das Gutachten des Nervenarztes Dr. M vom 7. Januar 2008 eingeholt. Der Sachverständige hat folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:
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undifferenzierte Somatisierungsstörung, |
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rezidivierende depressive Störung, derzeit leichte Episode, |
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phobische Ängste, Agoraphobie (Sozial- und Wegangst). |
Im Vordergrund stehe die undifferenzierte Somatisierungsstörung, die jedoch nur leicht ausgeprägt sei. Die Klägerin verleihe ihr durch bewusstes aggravatorisches Verhalten Nachdruck. Das gleiche gelte durch die Neigung zu depressiven Verstimmungen und den berichteten Ängsten, die zum Teil phobischen Charakter hätte, zum Teil auch mit leichteren psychovegetativen Begleiterscheinungen einhergingen, aber deutlich im Sinne eines sekundären Krankheitsgewinns funktionalisiert würden, um die Unterstützung der Familie zu erzwingen. Nach dem Befund im Zeitpunkt der Untersuchung handele es sich um leichtere Störungen. Ein organischer Prozess liege nicht vor, sondern um eine gestörte Erlebnisverarbeitung im Sinne eines psychischen Fehlverhaltens. Die Klägerin sei sich dieser Fehlhaltung nur teilweise bewusst, da es sich um einen teilweise unbewussten Prozess handele. Des aggravatorischen Anteils an dem Geschehen sei die Klägerin sich jedoch bewusst. Es habe sich keine Simulation, jedoch eine deutliche Neigung zur Aggravation feststellen lassen, die durch Diskrepanzen bei der körperlichen Untersuchung auch habe objektiviert werden können. Es sei insofern nicht auszuschließen, dass es sich auch um ein bewusstes Verhalten im Sinne einer Begehrensvorstellung handele. Zwar sei die Klägerin nicht in der Lage, die Fehlhaltung bei zumutbarer Willensanstrengung allein und ohne fachliche Hilfe vollständig zu überwinden, jedoch sei es ihr zuzumuten, mehr als bisher den bewussten Anteil der Aggravation aufzugeben und das noch vorhandene Restleistungsvermögen weiterhin in dem Umfang einzusetzen, der medizinisch möglich sei. Dies schließe eine vollschichtige Leistungsfähigkeit ein und sei sofort zumutbar.
Die Klägerin wendet sich gegen das Gutachten des Nervenarztes Dr. M. Es komme entscheidend darauf an, ob der Betroffene sich selbst für voll erwerbsgemindert halte. Bejahendenfalls sei zu prüfen, ob der Betroffene bei dennoch vorhandener objektiver Leistungsfähigkeit aufgrund seiner psychischen Störung die „begründete“ Vorstellung habe, keiner Erwerbsfähigkeit mehr nachgehen zu können, und anschließend, ob er sich aus dieser Vorstellung weder aus eigener Willenskraft noch mit ärztlicher Hilfe befreien könne. Schließlich seien die Gesichtspunkte Aggravation und Simulation nach wissenschaftlichen Kriterien zu verifizieren oder auszuschließen. Diesen Anforderungen entspreche das Gutachten nicht, da es nicht die Feststellung trage, dass sie sich mit eigener zumutbarer Willensanspannung aus der Fehlhaltung lösen könne. Aus würden die „Aggravationstendenzen“ nicht nachvollziehbar erläutert. Die Feststellung, dass eine Begehrensvorstellung nicht auszuschließen sei, reiche nicht aus.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2003 zu verpflichten, ihr ab dem 1. November 2002 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung – ggf. bei Berufsunfähigkeit – zu gewähren,
hilfsweise,
des Weiteren Beweis zu erheben durch Befragung des Gutachters Dr. M, hilfsweise durch Einholung eines weiteren psychotherapeutischen /psychosomatischen ärztlichen Gutachtens zu der Frage, ob die Klägerin die nicht durch objektivierbare Befunde gestützte Vorstellungen hat, nicht mehr erwerbstätig sein zu können, ob die Klägerin sich ggf. von dieser Vorstellung a) aus eigener Kraft b) mit fremder Hilfe lösen kann. Die Frage bezieht sich weiter darauf, ob die Begründung des Gutachters Dr. M auf Seite 34 seines Gutachtens, es seien keine objektiven medizinischen Einschränkungen feststellbar, die bei Ausschöpfung der zumutbaren Willensanstrengungen eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens erfordern, bedeuten, dass die Klägerin sich von dieser Vorstellung aus eigener Kraft lösen kann, oder ob dieser Bewertung entgegen steht, dass die Fehlhaltung der Klägerin bei zumutbarer Willensanstrengung und ohne fachliche Hilfe nicht vollständig zu überwinden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.