Der Kläger ist Meister (Teamleiter) 30 KV Kabelanlagen bei der Beklagten.
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 16. April 2009 zum 20. April 2009 wegen des Vorwurfs der Hehlerei und des Arbeitszeitbetruges, einer hilfsweisen außerordentlichen Kündigung wegen derselben Gründe mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2009 vom 16. April 2009 sowie eine weitere hilfsweise außerordentliche Verdachtskündigung wegen des Verdachts des Diebstahls oder der Hehlerei und einer weiteren hilfsweisen außerordentlichen Verdachtskündigung wegen derselben Gründe mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2009 vom 27. April 2009.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die gegen die Kündigungen gerichtete Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass bereits die außerordentliche Kündigung vom 16. April 2009 das Arbeitsverhältnis zum 20. April 2009 beendet habe. Die Kündigung vom 16. April 2009 sei als Tatkündigung wirksam, so dass es auf die Wirksamkeit der Verdachtskündigung vom 27. April 2009 nicht ankomme. Denn zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass sich der Kläger zumindest des Versuchs der Hehlerei zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht habe, indem er sich in der Nacht vom 21. Mai auf den 22. Mai 2008 Kupferkabelteile mit einer Gesamtlänge von rund 24 Metern verschafft habe, die für die Berliner S-Bahn-Stromversorgung verwendet werden und zumindest früher unstreitig der Beklagten gehörten, um sich oder Dritte zu bereichern. Es stehe fest, dass es sich bei den zur angegebenen Zeit von der Polizei sichergestellten Kupferkabeln um fremde Sachen handele, die nicht im Eigentum des Klägers standen. Es stehe ferner fest, dass die Kabelteile ein anderer gestohlen oder sonst durch ein gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt habe, da Privatpersonen nicht rechtmäßig an die S-Bahn-Stromversorgungskabel gelangen könnten. Die Geschichte von den Unbekannten, von denen der Bekannte des Klägers die Kabel erhalten haben will, sei schon wenig plausibel; jedenfalls ergebe sich aus dieser Geschichte nicht, dass diese Unbekannten auf legalem Weg an die Kabel gelangt seien.
Der Kläger habe zur Überzeugung des Gerichts auch mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Die genauen Einzelheiten der Vortat, insbesondere die Person des Vortäters, müssten nicht bekannt sein. Der Kläger habe sich mit der möglichen deliktischen Herkunft der Sache zumindest abgefunden. Denn er habe sich bei der Polizei dahingehend eingelassen, dass sie gerade wegen der „Medienwirksamkeit“ von Kupferkabeldiebstählen sich auf einen unbeleuchteten Parkplatz begeben hätten, um die Kabel umzuladen. Die Initiative dafür, sich auf einem unbeleuchteten Parkplatz zum Verladen zu treffen, ging nach seinen Einlassungen vom ihm aus. Dies habe der Kläger im Kammertermin dahingehend erläutert, dass in den Medien vielfach von Kupferkabeldiebstählen berichtet worden sei und man sich bewusst auf dem Parkplatz begeben hätte, um möglichst nicht aufzufallen, damit niemand auf falsche Gedanken käme. Damit aber sei klar, dass der Kläger sehr wohl davon ausging, dass „irgendetwas nicht mit rechten Dingen“ zugehen könnte. Auch seine Einlassung, er habe in den Dateien der Beklagten geforscht, ob Diebstähle gemeldet worden seien, mache dies deutlich.
Dass die Beklagte Straftaten eines Arbeitnehmers, die gegen ihr Vermögen gerichtet sind, nicht hinnehmen müsse, verstehe sich von selbst. Die Kupferkabel hätten auch keinen geringen Wert. Selbst nach den Angaben des Klägers im Kammertermin würde der Schrotterlös für diese Kabel mindestens 200,-- € betragen. Beim Kläger komme hinzu, dass er als Meister/Teamleiter S-Bahn-Stromversorgung bestimmungsgemäß mit entsprechenden Kabeln täglich Umgang habe. Der Arbeitgeber müsse sich darauf verlassen können, dass ein solcher Arbeitnehmer nicht Straftaten begehe, die sich gerade auf diese Kabel bezögen. Das gelte auch dann, wenn man der strafrechtlichen Würdigung nicht im Einzelnen folgen würde. Entscheidend sei nämlich nicht die strafrechtliche Würdigung, sondern der mit der Pflichtverletzung verbundene schwere Vertrauensbruch.
Auch die bei der außerordentlichen Kündigung erforderliche Interessenabwägung wirke nicht zu Gunsten des Klägers. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstelle, dass Arbeitsverhältnis sei in der Vergangenheit ohne Beanstandungen durchgeführt worden, wiege der Verstoß des Klägers gegen seine Loyalitätspflichten gegenüber dem Arbeitgeber und der eingetretene Vertrauensverlust trotz der langen Beschäftigungsdauer und seines Lebensalters so schwer, dass es der Beklagten nicht zuzumuten sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen oder auch nur die fiktive Kündigungsfrist einzuhalten.
Die Kündigung sei auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Denn der Arbeitgeber könne seinen Kündigungsentschluss vom Fortgang eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abhängig machen. Er sei nicht gezwungen, vor Abschluss eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens selbst Ermittlungen anzustellen, den Arbeitnehmer anzuhören oder eine Verdachtskündigung auszusprechen. An eine Verdachtskündigung würden strenge Anforderungen gestellt, weil bei dieser stets die Gefahr bestehe, dass ein Unschuldiger betroffen sei. Entscheide sich der Arbeitgeber deshalb dafür, nicht eine Verdachtskündi-gung auszusprechen, sondern den Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten und als- dann innerhalb von 2 Wochen nach Kenntniserlangung von der Ermittlungsakte eine so genannte Tatkündigung auszusprechen, sei damit die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht versäumt.
So sei es hier. Die Beklagte habe den Ausgang des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abwarten dürfen. Der Umstand, dass es zu keiner strafrechtlichen Verurteilung gekommen sei, sei unerheblich. Die Beklagte habe den Inhalt der Ermittlungsakte selbständig gewürdigt, was ihr freigestanden habe. Sie konnte die Würdigung auch erst vornehmen, nachdem sie vom Inhalt der Ermittlungsakte Kenntnis genommen habe.
Endlich sei die Kündigung auch nicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam und die Kündigung scheitere auch nicht an einer fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde für die Personen, die die Kündigung unterschrieben hätten.
Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Oktober 2009 Bl. 255 - 266 d. A. verwiesen.
Gegen dieses ihm am 21. Oktober 2009 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am Montag, dem 23. November 2009, eingegangene und am 21. Januar 2010 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Januar 2010 begründete Berufung des Klägers.
Der Kläger hält den Vorwurf der versuchten Hehlerei bereits aus rechtlichen Gründen für falsch, da eine konkrete Vortat nicht festgestellt worden sei. Das Arbeitsgericht dürfe nicht mit Plausibilitätserwägungen und unter Zugrundelegung von Normalabläufen das Vorliegen einer Straftat, die eine Tatkündigung begründe, feststellen. Der Kläger habe bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 06. Oktober 2009, S. 4 ff dargelegt, welche Möglichkeiten bestanden, dass Dritte in den Besitz stromführender Kabel gelangen konnten. Es wäre nun Sache der Beklagten gewesen, diese Einlassungen im konkreten Fall zu widerlegen. Der Tatbestand der Hehlerei liege nur dann vor, wenn neben dem Vorliegen der sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 259 StGB der Vortäter die Sache durch eine rechtswidrige Tat erlangt habe und diese rechtswidrige Vortat auch tatsächlich begangen worden sei. Folglich müsse der bedingte Vorsatz des Hehlers auch gerade dieses Tatbestandsmerkmal umfassen. Das Arbeitsgericht führe in dem angefochtenen Urteil hierzu selbst aus, dass die bloße Möglichkeit der Rechtswidrigkeit der Vortat für die Annahme eines bedingten Vorsatzes des Hehlers nicht ausreiche.
Das Arbeitsgericht habe die Initiative des Klägers, die Kabel auf einem Parkplatz zu schneiden, unzutreffend interpretiert. Hierbei sei es keineswegs um Heimlichtuerei oder aber das Verdecken einer Straftat gegangen. Vielmehr wollte der Kläger in Anbetracht der Tageszeit eine Geräuschbelästigung der Nachbarn vermeiden. Aus diesem Grunde habe er sich mit dem Bekannten Herrn M. auf dem fraglichen Parkplatz verabredet.
Herr M. habe nach seinen Angaben die Kabel am 20. Mai 2009 zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr erhalten von 2 ihm unbekannten Personen im Blaumann. Er habe den Kläger gebeten, ob er diese Kabel in dessen Gartenhäuschen einlagern könne, da er selbst eine Wohnung im Erdgeschoss lediglich mit Abstellraum zur Miete ohne Keller innehabe. Herr M. habe außerdem am nächsten bzw. übernächsten Tag etwas Größeres kaufen wollen und daher sein Auto mit einem leeren Kofferraum zum Transport benötigt.
Das Arbeitsgericht gehe auch zu Unrecht davon aus, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB von der Beklagten eingehalten worden sei, da im Hinblick auf die hohen Anforderungen an die Verdachtskündigung der Abschluss des Ermittlungsverfahrens abgewartet werden dürfe, um eine Tatkündigung auszusprechen zu können. In dieser Allgemeinheit seien diese Feststellungen unhaltbar. Das Ermittlungsverfahren sei durch Verfügung vom 05. März 2009 eingestellt worden. Erst mit Schreiben vom 24. März 2009 habe die Beklagte ihre Rechtsanwältin gebeten, Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten zu nehmen. Billige man dem Arbeitgeber zu, bis zum Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen den Ausspruch einer Kündigung hinauszögern zu können, so könne dies nicht beliebig lange gelten. Das Zuwarten müsse enden mit dem Abschluss der Ermittlungen. Dann müsse der Arbeitgeber sofort die entsprechenden Erkundigungen einholen. Zwischen Einstellung und Beauftragung der Rechtsanwältin hätten vorliegend jedoch nahezu 3 Wochen gelegen. Hinzu komme, dass die Beklagte laut Anhörungsschreiben vom 08. April 2009 die Frist für den Betriebsrat zur Stellungnahme bereits im Antragsschreiben bis zum 16. April 2009 verlängert habe. Dies führe zu einer weiteren Hinauszögerung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB.
Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats werde nach wie vor bestritten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. Oktober 2009 - 38 Ca 8149/09 - abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung unter Gewährung einer sozialen Auslauffrist der Beklagten aus dem Schreiben der Beklagten vom 16. April 2009 beendet worden ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die außerordentliche Verdachtskündigung der Beklagten und auch nicht durch die vorsorgliche und hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31. Dezember 2009 aus dem Schreiben der Beklagten vom 27. Aprils 2009 beendet worden ist, sondern fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Auffassung wie das Arbeitsgericht, dass für eine Hehlerei lediglich eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat als Vortat vorliegen müsse, ohne dass festgestellt werden müsse, welche konkrete gegen das Vermögen gerichtete Tat es im Einzelnen sei. Eine derartige Straftat, die gegen das Vermögen der Beklagten gerichtet sei, stehe aufgrund des Sachverhalt außer Frage, da die streitgegenständlichen Kupferkabel der Beklagten gehörten bzw. gehört haben, da sie im Zuge der Grunderneuerung des Streckenabschnitts Zoologischer Garten - Wannsee der Linie S 3 ausgebaut worden seien.
Der Kläger sei bei der Beklagten als Meister der Kabelmeisterei Mittelspannungskabel und in der Meisterei Gleichstromkabel tätig. Wenn einer bei der Beklagten Kabel „im Dunkeln“ erkennen könne, so sei dies der Kläger. Der Kläger kenne aus seiner langjährigen Tätigkeit zudem alle Kabelplätze im S-Bahnnetz und auch die dortigen Kabel. Unterstellt, die Geschichte zum Erwerb des Kabels wäre wahr, sei dem Kläger aufgrund seiner Position zweifelsohne sofort klar gewesen, dass vor ihm Kabel der S-Bahn-Stromversorgung lagen. Er wisse auch sehr genau, dass dieses Kabel im Berliner Raum ausschließlich bei der Berliner S-Bahn verwandt worden sei. Gegenteilige Behauptungen des Klägers wären wider besseren Wissens und reine Schutzbehauptungen. Die Kabelmarkierung lasse jedenfalls keinen Zweifel an der Zuordnung zur Berliner S-Bahn aufkommen.
Zutreffend sei das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt habe. Denn die Beklagte habe den Ausgang des Ermittlungsverfahrens abwarten dürfen. Denn kündige der Arbeitgeber nicht schon aufgrund des Verdachts einer strafbaren Handlung, sondern warte er das Ergebnis des Strafverfahrens ab, so werde die 2-wöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB jedenfalls dann gewahrt, wenn der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung binnen 2 Wochen seit Kenntniserlangung von der Tatsache der Verurteilung ausspreche. Kenntnis von der Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 Abs. 1 StPO habe die Beklagte nicht vor dem 07. April 2009 gehabt. Die Ermittlungsakte sei der Beklagten frühestens am Abend des 06. April 2009 infolge Abholung durch die nicht kündigungsberechtigte Personalreferentin im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugegangen. Der Akteninhalt habe daher vom Kündigungsberechtigten frühestens am 07. April 2009 zur Kenntnis genommen werden können.
Auch die Rüge des Klägers, das Ermittlungsverfahren sei bereits Anfang März 2009 eingestellt worden, die Beklagte habe sich aber erst am 24. März 2009 um Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bemüht, trage nicht. Die Beklagte habe keine eigene Kenntnis von der Einstellung des Verfahrens gehabt. Weder sei ihr dies von der Staatsanwaltschaft noch vom Kläger mitgeteilt worden.
Die pauschale Rüge des Klägers der nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung gehe fehl.
Wegen der weiteren konkreten Ausführungen der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 20. Januar 2010 (Bl. 284 ff d. A.), 25. Januar 2010 (Bl. 297 d. A.), 02. Februar 2010 (Bl. 299 d. A.) und 23. April 2010 (Bl. 364 d. A.) sowie der Beklagten vom 31. März 2010 (Bl. 313 ff d. A.) und 01. April 2010 (Bl. 333 ff d. A.) verwiesen.