Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat | Entscheidungsdatum | 19.12.2011 | |
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Aktenzeichen | L 13 SB 85/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 69 SGB 9 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Bei der 1950 geborenen Klägerin war durch Bescheid vom 20. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2003 zunächst ein GdB von 30 anerkannt. Der Bescheid enthielt darüber hinaus die Feststellung, dass die Körperbehinderung zu einer äußerlich erkennbaren dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt habe.
Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 08. Dezember 2004 die Neufeststellung wegen Verschlimmerung der bestehenden Behinderungen und legte ein Attest des behandelnden Augenarztes Dr. K zu der bestehenden Weitsichtigkeit und Hornhautvaskularisation der Klägerin vor. Den Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 22. Juni 2005 nach Auswertung der vorgelegten Unterlagen ab, da eine Verschlimmerung nicht feststellbar sei.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte ständige Schmerzen, depressive Phasen, Nervosität und Schlafstörungen geltend. Es sei ein GdB von zumindest 50 festzustellen. Sie legte zudem ein Attest des behandelnden Orthopäden Dr. B vom 23. August 2005 sowie das Ergebnis eines Venen-Check-Up´s der Deutschen BKK vom 23. Juni 2005 vor, wonach ein Lymphödem festgestellt worden sei. Der Beklagte holte ein Gutachten des Internisten Dr. S vom 24. März 2006 ein, der einen GdB von 30 feststellte und dieser Feststellung folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde legte (in Klammern jeweils die verwaltungsinternen zugeordneten Einzel-GdB):
a) Degenerative Wirbelsäulenveränderung, Blockwirbelbildung und Bandscheibenschaden im Bereich der Halswirbelsäule, wiederkehrende Kopfschmerzen (30)
b) Chronische Tracheobronchitis (10)
c) Krampfaderleiden, Lymphödem der Beine, Lipödem beider Beine (10)
d) Sehbehinderung (10)
e) Funktionsbehinderung beider Schultergelenke (10)
f) Funktionsstörung durch Fußfehlform (10)
g) Psychische Störung (10).
Dieser Einschätzung folgend wies der Beklagte unter Berücksichtigung der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen gemäß den Ausführungen des Dr. S den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15. August 2006 zurück und führte aus, dass der GdB nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen mit 30 zutreffend bewertet sei und die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 50 nicht gegeben seien; die neu festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen zu e) bis f) würden sich auf den GdB nicht erhöhend auswirken.
Mit der dagegen am 06. September 2006 zu dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zuerkennung eines GdB von 50 weiter. Zur Klagebegründung hat sie geltend gemacht, dass insbesondere die erheblichen Schmerzen im Bereich der Hals- und auch Lendenwirbelsäule nicht berücksichtigt worden seien. Zudem bestünden migräneartige Kopfschmerzen, Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich sowie in den Armen bis zu den Handgelenken, Schmerzen an den Knien und Füßen und internistische Erkrankungen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte Dr. M (Orthopäde), Dr. K (Augenarzt), Dr. L (Allgemeinmediziner) und Dr. S (Lungenheilkunde) eingeholt und den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Pvom 08. Mai 2007 beigezogen.
Durch Urteil vom 11. März 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen rechtfertigten einen GdB von mehr als 30 nicht, wie sich aus den eingeholten medizinischen Befunden ergebe. Soweit die Klägerin einen höheren GdB unter Hinweis auf ihre Schmerzen geltend mache, seien diese nach Nr. 23.18 Abs. 8 Ahp 05 bereits in die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte mit eingeschlossen. Besondere, über das übliche Maß hinausgehende Schmerzen, seien nicht erkennbar. Im Bereich der Halswirbelsäule bestünden zudem lediglich geringe funktionelle Auswirkungen, die Lendenwirbelsäule weise mittelgradige funktionelle Auswirkungen auf. Ein GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden sei danach bereits als äußerst großzügig zu bezeichnen.
Gegen das am 01. April 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. April 2008 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren auf Feststellung eines GdB von 50 ab Antragstellung weiter und macht geltend, dass sie unter mittelschweren Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule, erheblichen Schmerzen, insbesondere im Halswirbelsäulen-, Schulter- und Nackenbereich, migräneartigen Kopfschmerzen, einer chronischen Bronchitis mit Kurzatmigkeit und Hustenanfällen, Lymph- und Lipödemen sowie depressiven Angstzuständen leide. Zudem legt die Klägerin ein Attest des Facharztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. F vom 03. November 2008 vor.
Mit fachinternistischer Stellungnahme vom 18. Dezember 2008 führte der Beklagte aus, dass die Behinderung zu b) (bislang Chronische Tracheobronchitis -10) umzuformulieren sei in eine chronische Bronchitis, Lungenfunktionseinschränkungen mit einem Einzel-GdB von 20, woraus sich jedoch eine Erhöhung des Gesamt-GdB nicht ergebe.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung Befundberichte des Dr. H(Orthopäde), Dr. R (Hals-Nasen-Ohren-Ärztin), Dr. L(Allgemeinmediziner), Dr. S (Neurochirurg) und Dr. F (Lungen- und Bronchialheilkunde) eingeholt; hierzu haben die Beteiligten Stellung genommen, insbesondere der Beklagte eine psychiatrische Stellungnahme durch Dr. B vom 29. September 2009 eingereicht. Die Klägerin hat zudem ein Attest des Dr. K (Augenarzt) vom 16./18. November 2010 eingereicht.
Zur weiteren Sachaufklärung hat der Senat ein Gutachten des Facharztes für Augenheilkunde Dr. V vom 24. Mai 2011 eingeholt, der den GdB bezüglich der Augen mit 5 vH einschätzte. Weiterhin hat der Senat ein Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B vom 02. Dezember 2011 eingeholt. Dieser stellte unter Auswertung sämtlicher vorliegender und von der Klägerin zusätzlich vorgelegter Unterlagen, zu denen auch der Entlassungsbericht vom 11. April 2011 über ein im Reha-Zentrum Ü vom 09. März bis 06. April 2011 durchgeführtes stationäres Heilverfahren gehört, einen GdB von 30 fest und legte dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde (in Klammern jeweils die zugeordneten Einzel-GdB):
a) Degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule (mit leichter bis mäßiger Funktionseinbuße ohne neurologische Auswirkungen der Bandscheiben) (30)
b) Chronische Bronchitis (20)
c) Sehbehinderung (10).
Wegen der weiteren Einzelheiten der genannten medizinischen Unterlagen, Stellungnahmen und Ermittlungen wird auf diese Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen das Gutachten des Dr. V eingewandt, dass dessen Befunde und Diagnosen nicht mit den Feststellungen des behandelnden Arztes Dr. K in der letzten Untersuchung übereinstimmen würden und in dem Gutachten teilweise biographische Ungenauigkeiten bei der Schilderung der Entwicklung der Erkrankung vorhanden seien. Zu dem Gutachten des Dr. B hat die Klägerin vorgetragen, dass dieser ihr Lungenleiden, welches als Asthma bronchiale zu werten sei, nicht ausreichend gewürdigt habe. Insbesondere habe er die aktuellen Messwerte des Dr. F und auch die Erkenntnisse aus dem Reha-Verfahren im März/April 2011, in welchem ausführliche Untersuchungen und Tests hinsichtlich des Lungenleidens durchgeführt worden seien, nicht berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. März 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2006 zu verpflichten, für die Klägerin ab dem 08. Dezember 2004 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass nach den versorgungsärztlichen Stellungnahmen zu den weiteren von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen die begehrte Anhebung des GdB auf 50 nicht gerechtfertigt sei. Zu dem augenärztlichen Gutachten des Dr. V und dem Attest des Dr. K hat der Beklagte eine Stellungnahme der Augenärztin L vom 16. August 2011 vorgelegt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Die Berufung ist gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben, jedoch unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 11. März 2008 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn eine wesentliche Veränderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen gegenüber dem mit dem Ausgangsbescheid vom 14. August 2003 festgestellten GdB, die ab Stellung des Änderungsantrages vom 08. Dezember 2004 die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigen würde, liegt nicht vor (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –SGB X).
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 IX sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 des Bundesversorgungsgesetzes zu bewerten. Hierbei sind als antizipiertes Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) heranzuziehen, und zwar entsprechend dem streitgegenständlichen Zeitraum in den Fassungen 2004, 2005 und 2008. Seit dem 01. Januar 2009 sind die in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Form einer Rechtsverordnung in Kraft, welche die AHP –ohne Eintritt einer grundsätzlichen Änderung hinsichtlich der medizinischen Bewertung - abgelöst haben.
Die Klägerin hat danach keinen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 50 ab dem 08. Dezember 2004, da die Voraussetzungen für die Feststellung eines höheren GdB als 30 nicht nachgewiesen sind. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorhandenen medizinischen Unterlagen. Insbesondere sind insoweit die vom Senat eingeholten Gutachten des Augenarztes Dr. V vom 24. Mai 2011und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Bvom 02. Dezember 2011 von Bedeutung.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, insbesondere die bloße Addition der Einzel-GdB (Teil A Nr. 3a der Anlage zu § 2 VersMedV bzw. Teil A Nr. 19.1 AHP 2008, 2005, 2004, jeweils Seite 24). Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV (bzw. Teil A Nr. 19.3 AHP 2008, 2005, 2004, jeweils Seite 25) ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV sowie Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und Teil A Nr. 19 AHP 2005, 2008, 2004, jeweils Seite 24 ff.).
Hauptleiden der Klägerin sind die degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit leichter bis mäßiger Funktionseinbuße ohne neurologische Auswirkungen der Bandscheiben, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind.
Nach Teil A Nr. 26.18 AHP 2004, 2005, 2008 (jeweils Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10 zu bewerten. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) sind mit einem GdB von 20 und Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30-40 zu bewerten.
Bei der Klägerin liegt nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen, insbesondere den Befunden über die bildgebenden Untersuchungen sowie dem Sachverständigengutachten des Dr. B ein mittelgradiges Zervikalsyndrom vor, da im Bereich der Halswirbelsäule Bewegungsminderungen um etwa ein Drittel bestehen. Die Seitneigungen sind bis 30°, die Drehung bis 60° möglich, der Kinn-Brustbein-Abstand beträgt 2/14 cm. Kernspintomografisch ist im August 2002 ein Bandscheibenprolaps im Segment C6/7 nachgewiesen worden, der im Juni 2007 nicht mehr nachweisbar gewesen ist: es ist zu diesem Zeitpunk nur noch eine mäßige Protusion mit Impression des Duralschlauchs festgestellt worden. Die durch die Klägerin geschilderten Bewegungsschmerzen sind jedoch durch die Blockwirbelbildung C 4/5 sowie die veränderten Nervenwurzelkanäle in Form einer knöchernen Neuroforaminaeinengung durch Unk- und Spondylarthrose plausibel zu erklären. Die Lendenwirbelsäule ist nach den vorliegenden Befunden und insbesondere dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Dr. B bis auf eine mäßige Hyperlordose komplett unauffällig. Die paralumbale Muskulatur war in der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. B nur mäßig verspannt, bei Ablenkung bzw. geänderter Untersuchungstechnik wurden selbst kräftige Palpationen überhaupt nicht registriert. Die Vorbeuge war möglich bis zu einem Finger-Boden-Abstand von 18 cm, wobei der normale Lendenschober mit 9/10/15 eine sehr gute lumbale Inklinationsfähigkeit belegt. Die Seitneigungen und Rotationsbewegungen der Lenden- und Brustwirbelsäule sind mit jeweils 30° ebenfalls regelrecht gewesen. Auch zahlreiche Lagerungs- und Funktionsproben sind in der Untersuchung harmonisch und zügig erfolgt, beim Aufsitzen mit durchgedrückten Knien konnten die Fingerspitzen den Zehen bis auf 8 cm genähert werden, ohne dass hierbei Lumbalgien oder eine Wurzelreizsymptomatik aufgetreten sind. Bei der Funktionsprüfung nach Lasègue wurden erst nach 90° Muskeldehnungsschmerzen angegeben ohne radikuläre Ausdehnung nach distal. Dies entnimmt der Senat den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. B und den weiteren vorliegenden medizinischen Unterlagen, die dieser ausgewertet hat.
Im Bereich der gesamten Wirbelsäule sind danach weiter neurologische Defizite in keiner Region feststellbar und die sensiblen und motorischen Verhältnisse der Extremitäten insofern ebenso unauffällig, wie das Reflexgeschehen; auch eine Nervenwurzelreizsymptomatik besteht nicht. Weiter erfolgt nur eine sehr zurückhaltende Therapie und keinerlei Medikation von Schmerzmitteln. Insbesondere letzteres ist aufgrund der Bandbreite der vorhandenen Schmerzmittelpräparate mit der angegebenen Ibuprofenunverträglichkeit allein nicht zu erklären. Auch aus den vorliegenden Reha-Entlassungsberichten sind gravierende orthopädische Erkrankungen nicht zu erkennen.
Die daraus von dem Sachverständigen Dr. B gezogenen Schlussfolgerungen, dass insgesamt nach klinischen und radiologischen Kriterien ein leichteres Lumbal- und ein mittelgradiges Zervikalsyndrom festzustellen seien, sind überzeugend. Stärkere Funktionseinbußen oder eine therapieresistente Erkrankung der Wirbelsäule hätten zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, so dass der GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden als sehr hoch anzusehen sei und das Höchstmaß der nach den versorgungsmedizinischen Kriterien denkbaren Bewertung darstelle.
Der Senat teilt diese Einschätzung für die Wirbelsäulenerkrankung unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien der AHP 2004, 2005, 2008 bzw. der VersMedV. Der Sachverständige hat diese mit den von ihm erhobenen Befunden nach ausführlicher Untersuchung inklusive Prüfung der jeweiligen Bewegungsausmaße und unter Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen schlüssig begründet. Maßgebliche Abweichungen ergeben sich auch nicht aus den Befundberichten der behandelnden Orthopäden oder der vorliegenden weiteren medizinischen Unterlagen inklusive der Reha-Entlassungsberichte; insbesondere sind die darin genannten Diagnosen/Beschwerden auch durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B ausgewertet und gewürdigt worden.
Etwas anderes ergibt sich zudem nicht unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen erheblichen Schmerzen im Lenden- und Halswirbelsäulenbereich inklusive Schulter- und Nackenregion sowie in den Armen bis in die Hände. Für die mit Wirbelsäulensyndromen einhergehenden Schmerzen ist in Teil A Nr. 26.18 AHP 2005, 2005 und 2008 (jeweils Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 der VersMedV geregelt, dass diese in den dort genannten GdB bereits mitberücksichtigt sind. Ein darüber hinausgehendes, außergewöhnliches Schmerzsyndrom, welches die Anhebung des mit 30 bereits sehr hoch bewerteten GdB für das Wirbelsäulenleiden rechtfertigen könnte, liegt im Bereich der Wirbelsäule nicht vor. Hierzu führt der Sachverständige aus, dass in allen Wirbelsäulenbereichen neurologische Defizite bzw. Nervenwurzelreizsymptomatik fehlen würden, unauffällige sensible und motorische Verhältnissen der Extremitäten bestehen und eine Therapie nur sehr zurückhaltend sowie eine Schmerzmedikation gar nicht erfolgt.
Zudem liegt bei der Klägerin eine chronische Bronchitis vor, die mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Die Lungenfunktionstests der behandelnden Fachärzte Dr. S und Dr. F zeigen nur geringgradige Normabweichungen der Lungenwerte. Entsprechend hat der behandelnde Facharzt Dr. F eine leichte Obstruktion und eine leichte Lungenüberblähung festgestellt. Im aktuellen Reha-Entlassungsbericht aus April 2011 findet sich ein bodyplethysmografischer Normalbefund bei unauffälligen Blutgasen und einer normalen ventilatorischen Funktion und eingeleiteter Therapie mit inhalativen Kortikoiden. Auch die aktuelle Messung von Dr. F vom 03. November 2011 hat spirometrische Lungenfunktionswerte im guten Normalbereich ergeben. Ein stärkeres Lungenleiden lässt sich danach nicht feststellen. Es besteht keine Belastungsdyspnoe, keine manifeste allergische Dyspnoe und keine gesicherte manifeste allergische Erkrankung oder höhergradige chronische Bronchitis. Dies entnimmt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B sowie den genannten Befundberichten der behandelnden Ärzte und dem Reha-Entlassungsbericht. Die Untersuchung des Sachverständigen hat zudem ergeben, dass die Klägerin kardiopulmonal zumindest bis 100 Watt asymptomatisch belastbar war. Der GdB ist danach unter Beachtung der Vorgaben der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 8.2 sowie Nr. 26.8 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 67) mit 20 zu berücksichtigen. Denn nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen besteht eine nur geringgradige obstruktive Atemwegserkrankung und konnten höhere relevante funktionelle Beeinträchtigungen der Atemwege auch in der Begutachtung nicht festgestellt werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Klägerin. Entgegen ihrer Auffassung zeigen die Ausführungen des Dr. B insbesondere, dass dieser auch die aktuellen Messwerte des behandelnden Arztes Dr. F und die Ergebnisse des Reha-Entlassungsberichts aus April 2011 ausführlich gewürdigt und bei seiner Einschätzung berücksichtigt hat.
Bei der Klägerin besteht zudem eine Sehbehinderung, die mit einem GdB von 10 zu bewerten ist. Seit ihrer Kindheit besteht bei der Klägerin eine hohe Weitsichtigkeit, die nach dem Sachverständigengutachten des Dr. V beiderseits eine Sehschärfenherabsetzung von 0,6 bedingt, wobei beidäugig eine korrigierte Sehschärfe von 0,8 erreicht wird. Es besteht zudem ein grüner Star (Augeninnendruckerhöhung), der medikamentös reguliert wird. Im Goldmann-Gesichtsfeld für die Gutachtermarke III 4 waren keine Gesichtsfeldeinschränkungen nachweisbar. Diese Erkrankungen sind in Übereinstimmung mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen und Dr. B auf 10 aufzurunden. Ein höherer GdB als 10 für das Augenleiden ist nicht gerechtfertigt. Dies ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Einwände der Klägerin gegen das Gutachten des Dr. V. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. V zur Beurteilung der Gesichtsfeldeinschränkungen stimmen mit der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 4 und Nr. 4.5 sowie Nr. 26.4 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 50 und 54) überein. Zutreffend führen zudem die Augenärztin L vom versorgungsärztlichen Dienst sowie der Sachverständige Dr. B aus, dass der Behinderungsgrad selbst bei Zugrundelegung der von dem behandelnden Arzt Dr. K zuletzt mitgeteilten ungünstigeren Visuswerte von beidseits 0,5 zu keinem höheren GdB führen würde. Denn nach der MdE-Tabelle der DOG in der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 4.3 sowie Nr. 26.4 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 52) sind auch Augenleiden bei beidseitiger Sehschärfe von nur noch 0,5 mit einem GdB von 10 zu bewerten. Ob die Messwerte hinsichtlich der Sehschärfe des Sachverständigen Dr. V nach den Mitteilungen des Dr. Kbereits als überholt bzw. weiter verschlimmert anzusehen sind, kann danach dahinstehen, da sich ein höherer GdB auch nach den Werten des Dr. K nicht ergibt. Die weiteren von der Klägerin vorgetragenen Bedenken hinsichtlich des augenärztlichen Gutachtens sind ebenfalls nicht geeignet, die Einschätzungen des Dr. V ernstlich in Frage zu stellen. Insbesondere sind kleinere Ungenauigkeiten in der biografischen Anamnese für die Einschätzung der Sehbehinderung nach dem SGB IX ebenso irrelevant, wie die Frage, wann erstmalig das Glaukom diagnostiziert worden ist.
Letztlich schließt sich der Senat der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B an, dass die weiteren Leiden der Klägerin nur geringgradig sind und keinen Einzel-GdB rechtfertigen.
Zu dem bislang von dem Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Krampfaderleiden, Lymphödem und Lipödem der Beine führt der Sachverständige Dr. B unter Berücksichtigung der Untersuchungsbefunde aus, dass sich insofern bis auf ein mäßig ausgeprägtes Lipödem überhaupt kein Krankheitsbild bei der Untersuchung ergeben habe. Dies überzeugt unter Berücksichtigung der mitgeteilten Untersuchungsbefunde. Danach waren Ober- und Unterschenkel zwar etwas stämmig, aber normal geformt, und Krampfadern, hydrostastische oder lymphatische Schwellungen, Fußrücken- oder Zehenödeme nicht nachweisbar. Das Stemmer´sche Zeichen war negativ und auch nach längerem Fingerdruck das Entstehen einer prätibialen Delle nicht erkennbar. Kompressionsstrümpfe sind nicht vorhanden, eine Lymphdrainage nur kurzfristig vor Jahren erfolgt. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass ein GdB insofern nicht gerechtfertigt ist, steht mit der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 9.2.1 sowie Nr. 26.9 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 73) in Einklang, wonach erst arterielle Verschlusskrankheiten und Arterienerkrankungen an den Beinen mit ausreichender Restdurchblutung, Pulsausfall ohne Beschwerden oder mit geringen Beschwerden (Missempfindungen in Wade und Fuß bei raschem Gehen) mit einem GdB von 0-10 zu bewerten sind.
Auch die Ausführungen zu der bislang mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Funktionsbehinderung beider Schultergelenke des Sachverständigen Dr. B sind überzeugend. Da beide Arme in der Untersuchung noch nach vorne bis 140° und seitlich bis 130° zügig angehoben werden konnten, ist die Einschätzung, dass für diese ein GdB nicht zu berücksichtigen ist, mit der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 18.13 sowie Nr. 26.18 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 119) in Einklang zu bringen. Denn danach ist die Bewegungseinschränkung des Schultergelenks erst dann mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, wenn der Arm nur um 120° zu erheben ist und eine entsprechende Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit vorliegt.
Auch für die bislang mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Funktionsstörungen durch Fußfehlform ist die Berücksichtigung eines GdB nicht gerechtfertigt. Weder liegt eine messbare Bewegungseinschränkung, noch ein gestörtes Gangbild oder eine Bandinstabilität im oberen Sprunggelenk vor, wie sich aus den Ergebnissen der Untersuchung des Dr. B ergibt. Entsprechend ist ein Einzel-GdB für diese Leiden nach der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 18.14 sowie Nr. 26.18 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 127), wonach auch Bewegungseinschränkungen geringen Grades im oberen Sprunggelenk noch keinen GdB bedingen, nicht angezeigt.
Auch ist kein GdB für psychische Erkrankungen/Beschwerden der Klägerin zu berücksichtigen. Nach der Anlage zu § 2 VersMed V, Teil B Nr. 3.7 sowie Nr. 26.3 AHP 2004, 2005 und 2008 (jeweils Seite 48) sind leichtere psychovegetative und psychische Störungen mit einem GdB von 0-20 zu bewerten. Im internistischen Gutachten des Dr. S aus März 2003 ist hinsichtlich der Psyche lediglich „klagend“ notiert; im Übrigen lassen sich dort keine weiteren Daten oder Beobachtungen finden, welche die vorgenommene Leidensformulierung „psychische Störung GdB 10“ rechtfertigen. Auch in den Reha-Berichten wird die Klägerin als affektiv schwingungsfähig, im Verhalten situationsadäquat bei regelrechter Mimik und Gestik und mit unauffälligem Ausdrucksverhalten (Bericht Mai 2003) bzw. „stimmungsweise ausgeglichen, Zuwendung freundlich, keine Aggravation“ (Bericht Mai 2007) beschrieben. Im aktuellsten Entlassungsbericht aus April 2011 ist eine befriedigende Krankheitsverarbeitung dokumentiert und deswegen eine psychologische Begleitung nicht als unbedingt erforderlich eingeschätzt worden. Das Verhalten wird als weitgehend angepasst beschrieben, ein gewisser allgemeiner Erschöpfungszustand für möglich gehalten und Somatisierungstendenz nicht ausgeschlossen worden. Auch der Sachverständige Dr. B führt aus, dass in der Begutachtung deutlich geworden sei, dass die subjektive Beschwerdewahrnehmung über die erkennbaren Defizite hinausgehe. Die eigenständige Bezeichnung einer psychischen Erkrankung ist jedoch nicht erforderlich. Dies begründet der Sachverständige Dr. B überzeugend insbesondere damit, dass bis auf gelegentliche hausärztliche Sprechstundengespräche keine neuropsychiatrische Behandlung erfolge. Lediglich 2003 habe die Klägerin aufgrund einer nicht mehr aktuellen Mobbingsituation kurzfristig Johanniskraut genommen. In der Begutachtungssituation hat sich die Klägerin aufgeschlossen und vital mit positiver Grundstimmung präsentiert und war kognitiv wendig mit Durchhaltevermögen. Auch aus der orientierenden ADL-Anamnese sind keine Kriterien einer bezeichnungspflichtigen depressiven oder sonstigen psychischen Störung erkennbar gewesen, wie der Sachverständige weiterhin mittelt. Der Einschätzung, dass ein GdB von 10 für psychische Leiden nicht gerechtfertigt ist, ist danach unter Berücksichtigung der dargestellten Kriterien der AHP bzw. VersMedV zu folgen.
Schließlich ergeben sich nach den überzeugenden Einschätzungen des Sachverständige Dr. B auch aus den weiteren Beschwerden der Klägerin (Oberbauchbeschwerden mit bei Medikation nur noch sehr seltenem Sodbrennen und gutem Appetit, Adipositas mit nur mäßigem Stoffwechselleiden und bislang ohne erkennbare Folgeschäden) keine Funktionsbeeinträchtigungen, die mit eigenen GdB zu bewerten wären.
Aus den genannten Funktionsbeeinträchtigungen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien kein GdB von insgesamt mehr als 30 zu bilden. Ausgehend von den degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule mit leichter bis mäßiger Funktionseinbuße ohne neurologische Auswirkungen der Bandscheiben, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind, ergibt sich durch die weiteren Einzel-GdB keine Erhöhung des GdB auf über 30. Dies rechtfertigt sich insbesondere nicht durch die Funktionsbeeinträchtigungen infolge der chronischen Bronchitis, die mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Leiden der Klägerin –wie auch der gerichtliche Sachverständige Dr. B überzeugend darstellt- beziehungslos nebeneinander stehen ohne Wechselwirkungen im Sinne einer Überschneidung oder Verstärkung. Eine Erhöhung durch die jeweils mit 10 bewerteten weiteren Einzel-GdB ist nach Teil A Nr. 3 d) ee) der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3, 4 und AHP 2004, 2005, 2008 (jeweils Seite 26) in aller Regel und so auch im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Dies würde im Übrigen auch für die weiteren Leiden gelten, für die der Senat unter Berücksichtigung der medizinischen Ermittlungen und insbesondere der Einschätzungen des Sachverständigen Dr. B einen eigenen GdB verneint, wenn für diese die bislang berücksichtigten Einzel-GdB weiter berücksichtigt würden. Denn sowohl die Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, als auch die Funktionsstörung durch Fußfehlform, die psychische Störung und das Krampfaderleiden, Lymphödem sowie Lipödem beider Beine waren bislang mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden, der jeweils nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.