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Entscheidung 11 O 187/08


Metadaten

Gericht LG Potsdam 11. Zivilkammer Entscheidungsdatum 05.05.2011
Aktenzeichen 11 O 187/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2005 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche vergangenen und zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung vom 15.08.2005 an der am 17.08.2005 verstorbenen Frau K. Pä. entstanden sind, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger 50 % und die Beklagte 50 %.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist der Alleinerbe seiner am 17.08.2005 verstorbenen Ehefrau K. Pä.; er macht einen Schmerzensgeldanspruch der Erblasserin sowie mit der Feststellungsklage eigene Ansprüche gegen die Beklagte geltend.

Frau Pä. kam am 04.08.2005 beim Fahrradfahren zu Fall, weil sie einem Fußgänger auswich. Sie wurde in das St. Josefs-Krankenhaus Potsdam eingeliefert und dort mit einem Oberschenkelgips versorgt.

Frau Pä. wog 107 kg bei einer Körpergröße von 163 cm; sie litt an Krampfadern und hatte stark ausgeprägte Venen. Sie erhielt im St. Josefs-Krankenhaus eine Thromboseprophylaxe und wurde am Tag nach dem Unfall, also am 05.08.2005 in das Haus der Beklagten verlegt.

Am 08.05.2005 wurde der Frau Pä. bei der Beklagten ein Fixateur externe angelegt. Am Morgen des 16.08.2005 informierte die Bettnachbarin im Krankenzimmer das Pflegepersonal, dass Frau Pä. unter Atemnot litt. Nachträglich ergab sich, dass die Ursache der Atemnot ein Lungeninfarkt war. Die bei der Beklagten beschäftigten Ärzte leiteten Reanimationsmaßnahmen ein. Die durchgeführte bildgebende Diagnostik zeigte ein beidseitiges hochgradiges Hirnödem als Ausdruck einer Schädigung des Hirns. Frau Pä. starb an der Hirnschädigung am 17.08.2005.

Der Kläger behauptet, die Beklagte hätte bereist für den 08.08.2005 die abschließende Osteosynthese geplant, diese dann aber auf den 12.08.2005 verschoben worden sei. Stattdessen sei am 08.08.2005 ein Fixateur externe angelegt worden. Auch die am 12.08.2005 geplante definitive Versorgung habe nicht stattgefunden. Der Frau Pä. sei mitgeteilt worden, dass Notfälle vorgezogen seien.

Am 13.08.2005 habe eine Krankenschwester Frau Pä. gefragt, warum sie keine Thrombosespritze mehr bekomme. Frau Pä. habe geantwortet, das wisse sie nicht.

Frau Pä. habe am 15.08.2005 über starke Schmerzen im Bein geklagt. Die Nachtschwester habe das Bein jedoch nur mit einer Salbe versorgt und umwickelt.

Die zwischen den Parteien unstreitige Unterrichtung des Pflegepersonals durch die Bettnachbarin habe bereits gegen 04:25 Uhr stattgefunden. Sofortmaßnahmen und Reanimation seien nicht direkt im Krankenzimmer vorgenommen worden. Die Reanimation habe erst um 05:30 Uhr begonnen; eine Intubation erst gegen 06:00 Uhr.

Der Kläger meint, seine Ehefrau Frau Pä. sei bei der Beklagten mehrfach fehlerhaft behandelt worden. Der Bruch hätte primär operativ versorgt werden müssen. Die Anlage des Fixateur externe habe eine enorme und drastische Risikoerhöhung im Hinblick auf das Auftreten einer Thrombose verursacht. Bei einer frühzeitigen primär operativen Versorgung des Bruches hätte eine längere Ruhezeit der Patientin vermieden werden können.

Die Thrombosepraxis sei unzureichend. Die von Frau Pä. unstreitig erlittene Beinvenenthrombose, die zu der Lungenembolie geführt habe, hätte bei einer ordnungsgemäßen Thromboseprophylaxe vermieden werden können. Es hätte Krankengymnastik und Frühmobilisation neben einer medikamentösen Thromboseprophylaxe erfolgen müssen. Auch hätte die Immobilisationszeit verkürzt werden müssen und Frau Pä. hätte mit angepassten Kompressionsstrümpfen versorgt werden müssen. Ferner sei eine physikalische Therapie geschuldet gewesen, sodass man mit Frau Pä. aktive und passive Bewegungsübungen hätte durchführen müssen, was nicht erfolgt sei. Auch sei Frau Pä. flach im Bett gelagert worden, sodass das Bein nicht hochgelagert war. Eine kontinuierliche medikamentöse Thromboseprophylaxe sei unterblieben bzw. entgegen der Dokumentation in der Krankenakte nicht zur Anwendung gekommen.

Behandlungsfehlerhaft hätte die Beklagte zudem die nächtlichen Schmerzen der Frau Pä. nicht zutreffend gewertet. Dieses seien klinische Zeichen und Symptome der Beinvenenthrombose gewesen. Die Beklagte hätte hier weitere Befunde erheben müssen. Die Behandlung mit der Salbe sei nicht ausreichend gewesen.

Auch die Reanimationsmaßnahmen seien nur verzögert durchgeführt worden. Frau Pä. sei bereits gegen 04:25 Uhr stark luftnötig gewesen. Aus der Patientendokumentation folge ferner, dass Frau Pä. gegen 06:00 Uhr auf der Intensivstation „ohne Arzt“ eintraf. Soweit dokumentiert ist, Frau Pä. sei auf dem Weg zur Toilette kollabiert, sei dies unzutreffend, was schon daraus folge, dass sie aufgrund der Anlage des Fixateur externe nicht in der Lage war, sich selbstständig zu bewegen.

Der Kläger macht den auf ihn im Wege des Erbfalles übergegangenen Schmerzensgeldanspruch der Frau Pä. geltend, der er mit mindestens 50.000,00 Euro beziffert.

Ferner verlangt der Kläger die Verpflichtung zur Feststellung weiterer Schäden. Er trägt hierzu vor, ihm seien durch den Tod seiner Ehefrau ein Haushaltsführungsschaden sowie steuerliche Nachteile eingetreten. Ferner habe er auch Anspruch auf Unterhaltsschaden gemäß § 844 BGB.

Der Kläger beantragt,

1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2005;
2.Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche vergangene und zukünftige materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung seiner verstorbenen Ehefrau im Zeitraum vom 05.08.2005 bis 17.08.2005 resultieren, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet einen Behandlungsfehler.

Eine Thromboseprophylaxe sei bei Frau Pä. regelmäßig durchgeführt worden. Soweit die Behandlungsunterlagen vom 15.08.2005 die Durchführung der ärztlich angeordneten Verabreichung der Thromboseprophylaxe nicht bestätigen, sei dies ein Dokumentationsversäumnis. Es sei lediglich versäumt worden, die ärztliche Bestätigung „abzuhaken“.

Zudem hätten die Ärzte der Beklagten das Unterlassen der Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 erst bei der Visite am nächsten Tag bemerken können, sodass von keinem ärztlichen Versäumnis auszugehen ist. Es habe sich die evtl. unterlassene Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 auch nicht kausal ausgewirkt. Soweit der Sachverständige Dr. Gr. in seiner Anhörung ausgeführt habe, aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen einschließlich des Sektionsgutachtens könne auch kein anderer Sachverständiger einen Rückschluss darauf ziehen können, ob die Ursache der Embolie ein „alter“ Thrombus oder ein „frischer“ Thrombus gewesen sei, sei dies nicht zutreffend. Der Sachverständige sei Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie und zur Beantwortung dieser Frage nicht fachkundig. Die Beklagte beantragt insoweit die Einholung eines angiologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Thrombose sich auch bei Einhaltung der ärztlich verordneten durchgängigen Thromboseprophylaxe ereignet hätte.

Die Beklagte trägt zudem vor, Frau Pä. sei hinreichend mobilisiert worden; dies im Rahmen ihrer Ressourcen im Rollstuhl und mit Unterarmgehstützen. Die Behandlung des Bruches sei behandlungsfehlerfrei durchgeführt. Eine vorherige operative Versorgung habe wegen der vorhandenen Schwellung des verletzten Beines nicht durchgeführt werden können. Die Verwendung des Fixateur externe habe zu keiner Risikoerhöhung geführt. Auch sei das linke Bein mit einem eigenen maßgeschneiderten Strumpf versorgt worden. Die Thromboseprophylaxe sei durchgeführt worden und seitens des Pflegepersonals der Beklagten korrekt gegengezeichnet worden.

Bestritten werde, dass Frau Pä. bereits am 15.08.2008 unter Schmerzen im Bein litt und bereits zu diesem Zeitpunkt klinisches Zeichen und Symptome einer Beinvenenthrombose vorgelegen haben. Unzutreffend sei es zudem, dass bereits um 04:25 Uhr die Zimmernachbarin der Frau Pä. die Nachtschwester gerufen habe. Vielmehr sei dieser Ruf erst um 05:25 Uhr erfolgt. Das Pflegepersonal habe sodann sofort einen ärztlichen Notruf eingeleitet. Um 05:30 Uhr habe die Reanimation begonnen, bei der 2 Anästhesisten und 2 Chirurgen beteiligt gewesen seien.

Das vom Kläger begehrte Schmerzensgeld hält die Beklagte für überhöht. Im Hinblick auf die Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken vom 25.10.1985 – 10 O 379/84 – sei nur ein Schmerzensgeld von höchstens 7.500,00 Euro bei Tod eines Patienten angemessen.

Der Feststellungsantrag sei ebenfalls unbegründet, zudem mache der Kläger mit diesem auch keinen materiellen Schaden geltend, was nicht zulässig sei.

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

Die Akte der Staatsanwaltschaft Potsdam zum Az.: 486 UJs 7292/06 lag dem Gericht vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Das genannte Ermittlungsverfahren behandelt die strafrechtliche Untersuchung zum Tod der Frau Pä . Das Verfahren ist gemäß § 170 StPO wegen fehlendem Tatverdacht eingestellt. In der Akte befindet sich ein Obduktionsgutachten der Frau Pä. sowie eine Zeugenaussage der Bettnachbarin der Frau Pä.(Frau He.). Die dortige Aussage der Frau He. wurde dem Sachverständigen im Rahmen des Beweisbeschlusses als Grundlage der Begutachtung vorgegeben.

Das Gericht hat ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie – Unfallchirurgie Dr. med. P. Gr. aus Berlin eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten am 29.10.2010 (Bl. 89 ff. d. A.) Bezug genommen. Das Gericht hat den Sachverständigen zudem in der mündlichen Verhandlung am 03.03.2011 angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist wegen des aus dem Tenor ersichtlichen Umfanges begründet.

Der Kläger hat gemäß den §§ 1922 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB sowie wegen positiver Verletzung des Behandlungsvertrages einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000,00 Euro sowie auf Feststellung der Verpflichtung, Schäden wegen des Behandlungsfehlers zu ersetzen.

Die Beklagte hat es unterlassen, Frau Pä. durchgängig mit einer Thromboseprophylaxe zu versorgen. Dies ist aufgrund der Behandlungsunterlagen der Beklagten erwiesen, denn in den Behandlungsunterlagen der Beklagten ist die Verabreichung der für den 15.08.2005 ärztlich angeordneten Thromboseprophylaxe nicht abgehakt. Damit steht fest, dass die Thromboseprophylaxe an diesem Tag nicht verabreicht wurde, denn die Nichtdokumentation von aufzeichnungspflichtigen Maßnahmen indiziert ihr Unterlassen (OLG München in NJW RR 2006, S. 33). Dokumentationspflichtig war hier nicht nur die Anordnung der Thromboseprophylaxe, sondern auch deren Vollziehung. Dokumentationspflichtig ist eine Maßnahme, soweit sie aus medizinischer Sicht erforderlich ist (BGH NJW 1999, S. 3408). Die Dokumentation dient der Sicherstellung der im Rahmen des Behandlungsverlaufes für Diagnose und Therapie im Wesentlichen medizinischen Daten und Fakten (Palandt, BGB, 70. Aufl., § 823 RdNr. 161). Durch das „Abhaken“ der ärztlich angeordneten Verabreichung des Medikaments wird dargelegt, dass das Medikament auch tatsächlich verabreicht worden ist. Dies ist medizinisch geboten, da dass in einem Krankenhaus nach Wechsel des Pflegepersonals ggf. aus eigener Erinnerung nicht mehr festgestellt werden kann, welche angeordnete Maßnahme tatsächlich durchgeführt worden ist. Die Behauptung der Beklagten, es sei ein Dokumentationsversäumnis, da nur das „Abhaken“ der durchgeführten Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 unterblieben ist, während die Maßnahme tatsächlich durchgeführt wurde, ist im Hinblick auf die o. g. Beweiserleichterung, die dem Kläger aufgrund der unterlassenen Dokumentation zu Gute kommt, unerheblich. Die Beklagte hat auch keinen Beweis dafür angeboten – was grundsätzlich zulässig wäre -, dass die Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 entgegen der unterlassenen Dokumentation doch durchgeführt wurde.

Das Unterlassen der Thromboseprophylaxe war ein Behandlungsfehler, denn gemäß den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Gr. in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2011 muss bei einem so hohen Thromboserisiko, wie es hier bei der verstorbenen Frau Pä. vorlag, lückenlos eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden. Die Beklagte haftet gemäß § 278 BGB bzw. gemäß § 831 BGB für das Verschulden des Pflegepersonals, welches die ärztliche Anordnung zur Durchführung der Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 nicht erledigt hat.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die am 15.08.2005 um 19:00 Uhr unterlassene Thromboseprophylaxe von den Ärzten erst bei der Visite am nächsten Tag hätte bemerkt werden können und daher ggf. ein ärztlicher Fehler nicht vorliegt; denn ein Behandlungsfehler liegt auch dann vor, wenn das Pflegepersonal eine Maßnahme, die geboten oder wie hier ärztlich verordnet ist, nicht durchführt. Eine Haftung des Pflegepersonals kommt nämlich dann in Betracht, soweit dieses gegen ärztliche Anweisungen verstößt (Steffen/Dressler Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., RdNr. 84; OLG München am angegebenen Ort).

Der Behandlungsfehler der Beklagten ist als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren. Ein grober Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn ein Fehler begangen wird, der aus objektiver Sicht (nicht nach dem Grad subjektiver Vorwerfbarkeit) nicht mehr verständlich erscheint, weil er schlechterdings nicht unterlaufen darf (Palandt, BGB, 70. Aufl., § 823 RdNr. 162). Dies ist hier der Fall. Die Thromboseprophylaxe war – wie der Sachverständige ausgeführt hat – dringend erforderlich. Der Sachverständige hat zudem ausgeführt, dass er die Nichtverabreichung der Prophylaxe für einen Fehler hält, der nicht mehr nachvollziehbar ist. Dass ggf. bei dem unbekannten Pflegepersonal, welches den Fehler begangen hat, nur eine Nachlässigkeit vorliegt, ist als subjektives Element nicht bei der Qualifizierung des Fehlers zu berücksichtigen.

Da das Unterlassen der Thromboseprophylaxe einen groben Behandlungsfehler darstellt, tritt eine Beweislastumkehr ein. Daher ist der Beweis erbracht, dass das Unterlassen der Beklagten kausal für den am 16.08.2005 eingetretenen Lungeninfarkt und die hieraus resultierende Gesundheitsbeschädigung, die dann zum Tod der Frau Pä. geführt hat, war. Die ärztlich verordnete Thromboseprophylaxe diente – wie der Sachverständige ausgeführt hat – dazu, die Gefahr einer Thrombose signifikant zu verringern, wobei trotz Thromboseprophylaxe das Eintreten einer Thrombose nicht auszuschließen ist. Ohne die hier eintretende Beweislastumkehr wegen des groben Behandlungsfehlers könnte der Kläger daher den Beweis, dass die Thrombose eine unmittelbare Folge der unterlassenen Thromboseprophylaxe ist, nicht führen; denn auch bei vollständiger Thromboseprophylaxe kann es zu einer Thrombose als schicksalshafte Komplikation kommen.

Die Beweislastumkehr entfällt, wenn der Arzt beweist, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass der Fehler (auch nur mit) zum Schadenseintritt beigetragen hat, oder sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (Palandt, BGB, 70. Aufl., § 823 RdNr. 162). Der Beklagten ist der Beweis, dass es hier äußerst unwahrscheinlich ist, dass das Unterlassen der Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 zum Schaden geführt oder diesen begünstigt hat, nicht gelungen. Der Sachverständige hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2011, nachdem ihm aus den Sektionsgutachten vom 22. März 2006 (beigezogene Ermittelungsakte) die dortigen Feststellungen vorgehalten wurden, ausgeführt, dass weder er noch ein anderer Sachverständiger aus der Darstellung einen Rückschluss darauf ziehen kann, ob es sich bei dem im Sektionsgutachten beschriebenen Thrombus um einen „alten“ Thrombus oder einen „frischen“ Thrombus gehandelt hat. Mithin ist nicht bewiesen, dass der Thrombus bereits vor dem 15.08.2005 sich zu diesem Zeitpunkt nach durchgeführter Thromboseprophylaxe gebildet hat.

Soweit die Beklagte im nachgelassenen Schriftsatz vom 24.03.2011 die Einholung eines angiologischen Sachverständigengutachtens dahingehend beantragt, dass unabhängig von einer am Abend des 15.08.2005 verabreichten Thromboseprophylaxe wenige Stunden später eingetretene Embolieergebnis nicht zu verhindern war, war eine solche Beweiserhebung nicht geboten, weil die bisherige Beweiserhebung durch Anhörung des Sachverständigen Dr. Gr. den von der Beklagten zu leistenden Gegenbeweis der fehlenden Kausalität nicht erbracht hat und Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Sachverständigen nicht bestehen. Der Sachverständige hat – wie ausgeführt – zum einen erklärt, dass aus dem Sektionsgutachten auch ein anderer Arzt keine weitere Befundung über Zeitpunkte der Thrombose treffen kann. Zum anderen hat der Sachverständige ausgeführt, es könne keine Bewertung dazu abgegeben werden, ob bei einer Thromboseprophylaxe unter dem 15.08.2005 die Thrombose hätte verhindert werden können oder nicht. Diese Ausführung des Sachverständigen ist so zu verstehen, dass auch kein anderer Sachverständiger seriös eine Äußerung dazu treffen kann, was eingetreten wäre oder hätte vermieden werden können, wenn die Thromboseprophylaxe am 15.08.2005 durchgeführt worden wäre. Denn der Sachverständige hat ausgeführt, dass das Thromboserisiko steigt, wenn die Prophylaxe nicht durchgeführt wird und nicht gesagt werden könne, dass die Thrombose rein aufgrund der Disposition der Patientin und der Immobilisierung aufgrund des Bruches auch bei gedachter Thromboseprophylaxe eingetreten wäre. Dies wäre spekulativ.

Deshalb sind Gründe, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, nicht gegeben. Die Beweisfrage ist zweifelsfrei im Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme beantwortet.

Der von der Beklagten beantragte Beweis ist daher nicht erbracht. Ein weiteres Gutachten war nicht einzuholen, da auch ein anderer Sachverständiger nicht zu einem anderen Ergebnis kommen kann.

Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen des Behandlungsfehlers in Höhe von 15.000,00 Euro. Im Ergebnis der Beweisaufnahme ist durch den Behandlungsfehler der Tod der Frau Pä. verursacht worden. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist zu berücksichtigen, dass die Frau Pä., jedenfalls bei Eintritt der Komplikation am 16.08.2008 erhebliche Schmerzen erlitten hat, weil sie wegen des Lungeninfarktes zu ersticken drohte. Die Kammer orientiert sich hierbei an der Entscheidung des OLG Koblenz vom 14.04.2005 (NJW RR 2005, S. 1111). Dort wurde einem Patienten, der nach einer Bauchfellentzündung an dessen Folgen verstarb, ein Schmerzensgeld von 20.000,00 Euro zuerkannt. Ferner ist zu verweisen auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes in BGH Z 18, S. 388. Dort wurde dem Kläger, der 10 Tage nach einem Verkehrsunfall starb – ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen – ein Schmerzensgeld in Höhe von 28.000,00 DM zugesprochen. Hier ist davon auszugehen, dass die verstorbene Frau Pä. die Luftnot noch über einen gewissen Zeitraum miterlebt hat. Dies rechtfertigt den Schmerzensgeldbetrag in genannter Höhe.

Auch dem erhobenen Feststellungsantrag war stattzugeben. Das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO ist gegeben. Der Kläger ist in Arzthaftungsstreitigkeiten, wenn ein Teil des Schadens schon entstanden ist und mit der Entstehung eines weiteren Schadens, jedenfalls nach seinem Vortrag, noch zu rechnen ist, nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten (OLG München Urteil vom 21.08.2008 – 1 U 1654/08 – zitiert nach Juris). Daher war hier der Tenor des Feststellungsurteils auch auf bereits entstandene Ansprüche zu erstrecken und nicht nur wegen zukünftiger Ansprüche zu beschränken.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Eine Feststellungsklage ist begründet, wenn die ernsthafte Möglichkeit oder gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis noch Ansprüche entstanden sind oder noch entstehen können. Dies ist hier der Fall, denn der Kläger stützt sich als mögliche Anspruchsgrundlage auf § 844 Abs. 2 BGB. Dies ist ein gesetzlich geregelter Fall der Liquidationsfähigkeit eines Drittschadens. Der vom Kläger geltend gemachte Unterhaltsschaden ist auch ein Primärschaden, für den die Beweislastumkehr gilt. Beim groben Behandlungsfehler gilt die Beweislastumkehr für durch den Fehler des Arztes unmittelbar verursachten haftungsbegründenden Gesundheitsbeschädigungen oder die „Sekundärschäden“ – also Schäden, die erst durch den Gesundheitsschaden entstanden sind - wenn diese „Sekundärschäden“ eine typische Folge der Primärverletzung sind (BGB NJW 1988, S. 2948, BGH in Versicherungsrecht 1993, S. 969). Dies ist hier sowohl für den Unterhaltschaden als auch für den Haushaltsführungsschaden der Fall, denn beide sind eine direkte Folge des Todes der Frau Pä.. Gleiches gilt für eventuelle steuerliche Nachteile, die ebenfalls von der Ersatzpflicht mit erfasst sind (Palandt, BGB, 70. Aufl., § 249 RdNr. 54).

Die genannten Schäden wären nur dann nicht mehr dem zurechenbaren Bereich der Folgeschäden zuzuordnen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die Frau Pä. auch ohne den Behandlungsfehler allein aufgrund des Einbruches nicht hätte wiederhergestellt werden können, sodass sie allein deshalb den Haushalt nicht mehr hätte führen können bzw. nicht mehr erwerbstätig hätte sein können. Dafür ist nichts ersichtlich und nichts vorgetragen.

Die sonstigen vom Kläger behaupteten Behandlungsfehler haben sich im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten dargelegt, dass die Behandlung der Frau Pä. nicht verzögert wurde. Bereits bei der Verlegung der Frau Pä. aus dem St. Josefs-Krankenhaus in das Haus der Beklagten war eine definitive Osteosynthese des Bruches nicht mehr möglich, weil der sich nach dem Bruch schicksalshaft eingestellte ausgeprägte Schwellzustand diese Behandlung ausgeschlossen hat. Der Sachverständige kritisiert das von der Beklagten durchgeführte Behandlungsregime auch nicht weiter. Er sieht auch keinen Fehler in der Anlegung eines Fixateur externe. Dabei handelt es sich zwar um einen Verfahrenswechsel gegenüber dem Oberschenkelgips. Dieser Verfahrenswechsel hat sich nach Angaben des Sachverständigen aber auf das Risiko des Eintritts einer Thrombose nicht ausgewirkt, denn die Mobilisierung im Fixateur externe war besser als die im vorherigen Ruhegips, da beim Fixateur externe der Fuß nicht ruhiggestellt ist, sodass eine Bewegungsmöglichkeit insoweit bestand. Die Indikation für den Verfahrenswechsel ist ebenfalls nicht zu kritisieren. Insoweit schließt sich die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an, der dargelegt hat, dass das erzielte Repositionsergebnis mit dem im St. Josefs-Krankenhaus angelegten Spaltgips nicht zu halten war und dieser Umstand den Verfahrenswechsel begründete.

Die Kammer sieht – im Ergebnis der Ausführungen des Sachverständigen – auf die Bezug genommen wird, auch keinen Behandlungsfehler bei der Durchführung der Reanimation. Der Sachverständige stellt fest, dass ausgehend von den niedergelegten Daten von einer schnellen Reaktion ausgegangen werden kann. Zwar hat die Zeugin He. bei ihre polizeilichen Vernehmung am 25.01.2008 (beigezogene Ermittlungsakte) angegeben, sie glaube, es war so „drei halb vier“, als die Schwester im Zimmer war. Die Zeugin hat in diesem Zusammenhang aber auch ausgeführt, sie habe danach leichten Schlaf gehabt. Die Zeugin macht daher keine konkreten Angaben über den genauen Zeitpunkt der Luftnot der Frau Pä.. Daher ist von den dokumentierten Zeiten auszugehen.

Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, die Schmerzen, die die Frau Pä. gemäß der Aussage der Zeugin He. geäußert hat, fehlerhaft gedeutet zu haben. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, im Hinblick auf das ausgedehnte Frakturgeschehen der Fixateurversorgung könne im Nachhinein nicht festgestellt werden, dass die insoweit geäußerten Beschwerden deutliche Hinweise auf eine sich anbahnende Thrombose waren.

Fehler bei der Dosierung der Thromboseprophylaxe sind der Beklagten nicht vorzuwerfen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die angegebene Dosierung der Thromboseprophylaxe bei der Frau Pä. zutreffend war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Der Streitwert beträgt 75.000,-- Euro. Davon entfallen auf die Feststellungsklage 25.000,-- Euro.