Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 20.12.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 S 35.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 3 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 4 Abs 1 Nr 2 HuHG BE, § 10 Abs 1 S 1 HuHG BE |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 14. September 2010 angeordnete Tötung seines Hundes, eines im August 2009 geborenen Alaskan Malamute, wiederherzustellen. Nach der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzustellenden Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das private Interesse des Antragstellers, von der angeordneten Maßnahme vorerst verschont zu bleiben, da an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bei summarischer Prüfung keine Zweifel bestünden.
Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfende Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Die Beschwerde beanstandet nicht, dass das Verwaltungsgericht als Rechtsgrundlage für die Maßnahme § 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Halten und Führen von Hunden in Berlin vom 29. September 2004, GVBl. S. 424 - HundeG Bln - herangezogen hat. Danach hat die Veterinäraufsicht bei Auffälligkeit eines Hundes durch aggressives Verhalten gegenüber Menschen oder Tieren im Sinne von § 4 Abs. 1 die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine weitere Gefährdung von Menschen und Tieren abzuwehren. Hunde, die einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnliche Weise provoziert worden zu sein, gelten als gefährlich (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeG Bln). Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Hund des Antragstellers um einen gefährlichen Hund in diesem Sinn handelt, weil er am 6. September 2010 ein Kind unprovoziert angegriffen und durch mehrfaches Beißen in den linken Oberschenkel verletzt hat, bestreitet der Antragsteller ohne Erfolg. Dieses die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage ausfüllende Kerngeschehen - die unprovozierten Bisse in den Oberschenkel des Kindes - vermag die Beschwerde nicht durch den Hinweis in Frage zu stellen, dass letztlich nur die von dem Hund zugefügten Bissverletzungen unstreitig seien, während der Sachverhalt im Übrigen mangels Zeugenaussagen nicht feststehe. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das auf dem Straßengelände und in Begleitung seiner Urgroßmutter befindliche, acht Jahre alte Mädchen den Hund vor dessen Angriff provoziert hat. In seinem Widerspruchsschreiben vom 20. September 2010 hat der Antragsteller zunächst angegeben, er habe aus den Augenwinkeln seinen Hund aus der Tür laufen gesehen und sei sofort hinterhergerannt. Der Hund sei die Straße entlang um die Kurve und auf ein achtjähriges Mädchen zugelaufen, welches mit seiner Urgroßmutter dort gestanden habe. Selbst wenn man nicht diese, eine Provokation von vornherein ausschließende Schilderung des Antragstellers zugrunde legen wollte, sondern die - dieser Beschreibung widersprechende - Angabe im selben Schreiben des Antragstellers, der Hund habe weder auf sein Rufen und Pfeifen reagiert, sondern sei hinter der nächsten Straßenkurve aus seinem Blickwinkel verschwunden und habe dann das Kind gebissen, der Vorfall habe sich in einem Zeitfenster von maximal einer Minute abgespielt, gälte nichts anderes. Denn auch der zuletzt geschilderte Geschehensablauf, den der Antragsteller in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22. November 2010 lediglich hinsichtlich des Randgeschehens, etwa der Frage, ob der Hund bei seinem Erscheinen von sich aus von dem Kind abließ oder erst weggezerrt werden musste, abweichend schildert, spricht eindeutig für einen unvermittelten und unprovozierten Angriff. Soweit die Beschwerde nunmehr mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2010 auch das Erscheinungsbild eines Beuteverhaltens in Zweifel zieht, kann sie damit angesichts der erheblichen Schürfwunden am Rücken, die bei dem verletzten Kind festgestellt wurden, und die auf eine „Sicherung der Beute“ durch Wegschleifen hinweisen, nicht durchdringen. Die daraus folgende Gefährlichkeit des Hundes wird auch durch die Mutmaßung des Antragstellers in seinem Widerspruchsschreiben, ein Rennen des Kindes könne zu dem Angriff geführt haben, nicht beseitigt, sondern mit Blick auf den Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeG vielmehr bestätigt.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend den Feststellungen des behördlichen Veterinärmediziners zur Gefährdungsprognose und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Einschläferung des Hundes gefolgt. Der Einwand der Beschwerde, dass die amtstierärztliche Gefährdungsprognose bereits fehlerhaft sei, da sie nicht den Ist-Zustand erfasse, geht ins Leere. Der behördliche Veterinärmediziner hat den maßgeblichen Ist-Zustand, nämlich den Hergang des Bissgeschehens vom 6. September 2010, zur Grundlage seiner Einschätzung gemacht und ist dabei beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Verhalten des Hundes auf ein ausgeprägtes Beuteverhalten (unvermittelter Angriff ohne Vorwarnung, multiple Bisse und Wegzerren des Opfers) nach entsprechender Reizauslösung zurückzuführen ist und jederzeit mit einem gleichartigen Geschehen gerechnet werden muss, da der Reizauslöser nicht bekannt ist. Zur Stützung dieser Gefährdungsprognose bedarf es entgegen der Beschwerde keines zusätzlichen Wesenstests. Zum einen sieht das Gesetz einen solchen nicht vor, zum anderen ist die Gefährdungsprognose durch die amtstierärztlichen Feststellungen ausreichend unterlegt.
Soweit die Beschwerde weiter rügt, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es sich ohne vorherigen Hinweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein vom 30. Oktober 2000 - 4 M 74/00 -, juris, gestützt habe, wonach es bei „bissigen“ Hunden ausschließlich Sache des Hundehalters sei, substanziiert und qualifiziert die Feststellungen des behördlichen Veterinärmediziners zu widerlegen, dringt sie damit nicht durch. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der behauptete Gehörsverstoß überhaupt vorliegt. Die das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnende Regelung des § 146 Abs. 4 VwGO ermöglicht nach Maßgabe der Beschwerdebegründung eine umfassende Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung und damit zugleich auch eine ggf. nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs.
Anders als die Beschwerde meint, entfällt die von dem Verwaltungsgericht angenommene Obliegenheit des Antragstellers, die amtstierärztlichen Feststellungen zu widerlegen, nicht deshalb, weil diese auf einem nicht verifizierten Sachverhalt beruhen sollen. Das trifft im Hinblick darauf, dass der amtstierärztlichen Gefährdungsprognose der feststehende Bissvorfall vom 6. September 2010 zu Grunde liegt, nicht zu.
Die nunmehr im Beschwerdeverfahren vom Antragsteller eingereichten Unter-lagen (Negativgutachten und Wesensüberprüfung des Hundesachverständigen Busse, Sachkundenachweise sowie weitere Erklärungen) sind nicht geeignet, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die amtstierärztliche Gefährdungsprognose nicht substanziiert angegriffen worden sei, in Zweifel zu ziehen. Die Unterlagen, die das unproblematische Wesen des Hundes belegen sollen, entkräften nicht ansatzweise die Einschätzung einer erheblichen Gefährdungslage, die sich in dem Bissgeschehen vom 6. September 2010 manifestiert hat. Denn sie geben keine gesicherte Erklärung für den Reizauslöser des in Rede stehenden Bissverhaltens des Hundes und lassen nicht den Schluss zu, dass dieses beherrschbar ist und sich nicht wiederholen wird. Die Anregung der Beschwerde, die Tierärztin E... als Sachverständige heranzuziehen und sie mit der Erstellung eines so genannten Niedersächsischen Wesensgutachtens zu beauftragen, zieht die Auffassung des Verwaltungsgerichts gleichfalls nicht in Zweifel, da sie bereits den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO nicht genügt.
Der Hinweis der Beschwerde, dass gegen die amtstierärztliche Gefährdungsprognose jedenfalls das Verhalten des Antragsgegners spreche, der den Hund nicht sofort sichergestellt, sondern ihn zunächst bei dem Antragsteller belassen habe, greift nicht durch. Der Beschwerde ist zwar zuzugestehen, dass dieses Unterlassen des Antragsgegners kaum nachvollziehbar ist. Jedoch kann sie daraus nichts zu ihren Gunsten herleiten, weil hierdurch weder der Antragsteller eine Rechtsbeeinträchtigung erfährt noch die objektiv fortbestehende Gefährdungslage in Frage gestellt wird.
Entgegen der Beschwerde leidet die Tötungsanordnung nicht an einem Ermessensausfall. Das Verwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich bereits aus der Gefährdungsprognose die Notwendigkeit der Einschläferung des Hundes ergebe und mildere Mittel nicht ersichtlich seien. Der Bissvorfall lasse auf einen stark ausgeprägten Beutetrieb mit Tötungsabsicht schließen, der gegen Menschen gerichtet sei und sich bis zum Eintritt der vollen Leistungsfähigkeit des Hundes mit drei Jahren noch steigern werde. Damit bestehen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts keine Handlungsalternativen, die dem Antragsgegner eine von der Beschwerde geforderte Ermessensausübung ermöglichen könnten. Das Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt keine andere Beurteilung. Weder die Anordnung eines Maulkorbzwangs noch die von einem Tierschutzverein sowie der Mutter des Antragstellers angebotene Verwahrung des Hundes stellen angesichts des aufgezeigten erheblichen Gefahrenpotentials, das von dem Hund des Antragstellers ausgeht, ein milderes Mittel zur Gefahrenabwehr dar. Insbesondere könnte bereits ein einmaliger Verstoß gegen einen Maulkorbzwang zu nicht wieder gut zu machenden Schäden an Personen führen. Der Einwand, bei dem Bissvorfall habe der Hund keine Tötungsabsicht gezeigt, weil er anderenfalls auch den herbeieilenden Antragsteller angegriffen hätte, erschöpft sich angesichts des unzweifelhaft gezeigten Beuteverhaltens in einer bloßen Behauptung und übersieht die erheblichen und eindeutigen Verletzungen, die der Hund dem Kind bis zum Eingreifen des Antragstellers bereits zugefügt hat. Schließlich beanstandet die Beschwerde ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht hätte seine Ausführungen über die Gefährlichkeit des Hundes nicht auf die weiteren Ausführungen des Antragsgegners in dessen Schriftsatz vom 28. September 2010 stützen dürfen, da diese in die eigenständige Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gehört hätten. Die Beschwerde verkennt, dass die Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO auf einer eigenständigen Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts beruht, bei der summarisch die gesamte Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen ist. Davon losgelöst ist die Frage zu beantworten, ob der Antragsgegner die angeordnete sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides nach § 80 Abs. 3 VwGO ausreichend begründet hat. Das ist zu bejahen. Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO hat der Antragsgegner schon dadurch Genüge getan, dass er in dem Bescheid die sofortige Vollziehung unter Hinweis auf das Gefährdungspotential des Hundes angeordnet hat. Hieraus ergibt sich ohne weiteres das besondere, ein Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegendes öffentliches Interesse an einem Schutz vor weiteren Angriffen gegen Menschen, das keiner weiteren Rechtfertigung bedarf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).