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Unterhaltsvorschuss; Leistungseinstellung; Anfechtungsklage; Berufung; Klagebefugnis eines Elternteils; Alleinerziehung; rund 43 % Betreuungsanteile des anderen Elternteils; „Qualität“ der Betreuung; temporäre Bedarfsgemeinschaft; Betreuung während der Ferienzeiten; Mittelpunkt der Lebensbeziehungen; gewöhnlicher Aufenthalt; Erfüllungsfiktion; Erstattungsanspruch des Sozialleistungsträgers; Vorrang der Unterhaltsvorschussleistungen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 13.12.2018
Aktenzeichen OVG 6 B 9.17 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2018:1213.OVG6B9.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 42 Abs 2 VwGO, § 113 Abs 1 S 1 VwGO, Art 6 Abs 2 GG, § 1 Abs 1 UVG, § 9 Abs 1 S 1 UVG, § 30 Abs 3 S 2 SGB 1, § 7 Abs 3 Nr 4 SGB 2, § 104 Abs 1 SGB 10, § 107 Abs 1 SGB 10

Leitsatz

1. Den Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen kann der Elternteil, bei dem das Kind lebt, im eigenen Namen gerichtlich geltend machen.

2. Zur Frage der Alleinerziehung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem mit betreuenden Elternteil.

3. Zur Berücksichtigung abweichender Betreuung während der Schulferien.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz - UVG - für ihre am 15. Mai 2008 geborene Tochter.

Im März 2015 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem UVG für ihre Tochter. Dabei gab sie an, der Vater betreue diese von Montagnachmittag bis Mittwochabend.

Mit Bescheid vom 21. April 2015 bewilligte der Beklagte die begehrten Leistungen.

Nachdem die Klägerin in einer vom Bezirksamt im Februar 2016 erbetenen Selbstauskunft erklärt hatte, der Vater betreue das Kind „ca. 2-3 Tage die Woche“, und nach Auskunft des Sozialleistungen an den Kindsvater und an die Tochter als Teil einer sog. temporären Bedarfsgemeinschaft gewährenden Jobcenters der Vater dort im September 2015 angegeben hatte, seine Tochter von montags 12:45 Uhr bis donnerstags 08:00 Uhr zu betreuen, hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 21. April 2015 mit Wirkung vom 1. Mai 2016 auf und stellte die Zahlungen ab demselben Zeitpunkt ein (Aufhebungsbescheid vom 25. April 2016). Zur Begründung hieß es, Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen bestehe nicht, da sowohl die Klägerin als auch der Vater die Tochter betreuten und versorgten und deren elementare Bedürfnisse befriedigten und wiederkehrend abdeckten.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 21. Februar 2017 abgewiesen. Die Klägerin könne die Weitergewährung von Leistungen nach dem UVG nicht verlangen. Es spreche zwar viel dafür, dass sie alleinerziehend im Sinne des Gesetzes sei. Das sei im Unterhaltsvorschussrecht in Anlehnung an die Wertung in § 5 Abs. 4 Satz 2 WoGG anzunehmen, wenn der andere Elternteil nicht mindestens ein Drittel der Betreuungszeit erbringe. Danach läge hier Alleinerziehung durch die Klägerin vor. Während der Schulzeiten erbringe der Vater zwar rund 40% der Betreuungszeiten, berücksichtige man die Ferienzeiten, in denen ausschließlich die Klägerin das Kind betreue, reduziere sich dessen Betreuungsanteil aber auf rund 32%. Letztlich könne die Frage offen bleiben. Denn ein unterstellter Anspruch auf UVG-Leistungen gälte gemäß § 107 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 104 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Die Tochter der Klägerin habe im maßgeblichen Zeitraum Leistungen nach dem SGB II bezogen, die ihren Anspruch auf die zweckidentischen Unterhaltsvorschussleistungen überstiegen. Dass das Sozialgeld an den Kindsvater ausgezahlt werde und ein Unterhaltsvorschuss an die Klägerin auszuzahlen wäre, führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Sowohl für das Sozialgeld als auch für den Unterhaltsvorschuss sei allein das Kind anspruchsberechtigt, auf die Auszahlungsmodalitäten komme es nicht an.

Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung der Klägerin. Mit ihr bekräftigt die Klägerin, ganz überwiegend die Betreuung ihrer Tochter zu übernehmen. Anders als das Verwaltungsgericht meine, dürfe insoweit allerdings nicht nur auf die reinen Kalendertage der Betreuung abgestellt werden, sondern auf die „betreuungsaktiven“ Zeiten, also auf die Zeiten, in denen das Kind tatsächlich von einem Elternteil betreut werde. Das seien nicht die Zeiten, in denen das Kind zur Schule, in die Kita, zum Sportverein oder zur Musikschule gehe, sondern die übrigen Betreuungszeiten, für die allein der betreuende Elternteil zuständig sei. Daher sei die Betreuungszeit an den Wochenenden deutlich höher als während der Schultage. Lege man dies zugrunde, gelange man zu einem Betreuungsanteil des Kindsvaters von lediglich 24 %. Das Verwaltungsgericht gehe im Übrigen zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X aus. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes führe im vorliegenden Fall dazu, dass der Beklagte entscheiden könne, dass die für die Tochter zu erbringenden Leistungen ausschließlich und in voller Höhe an den Vater zu erbringen seien, dessen Betreuungsleistung lediglich 24 % und dessen finanzieller Beitrag zum Unterhalt allenfalls 10 % ausmache. Kindesunterhalt zahle er nicht. Der Beklagte habe auch in den Zeiträumen, in denen Unterhaltsvorschuss gewährt worden sei, nicht auf den Erstattungsanspruch nach § 107 SGB X verwiesen, obgleich auch in dieser Zeit Sozialleistungen an den Vater für die Tochter ausgezahlt worden seien. Im Übrigen könne es nicht in der Hand des Beklagten liegen, die nachrangigen Leistungen nach dem SGB II auszuzahlen und die vorrangigen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz einzubehalten. Deswegen wäre, wenn überhaupt, das an den Vater ausgezahlte Sozialgeld zu kürzen. Die Unterhaltsvorschusszahlung solle im Übrigen dem Kind im Haushalt des überwiegend betreuenden Elternteils zugutekommen und zwar als Ersatz für den Ausfall der Barunterhaltsleistung des nicht überwiegend betreuenden Elternteils. Wenn die Unterhaltsvorschussleistungen in diesem Haushalt nicht ankämen, werde dieses Ziel verfehlt.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

das erstinstanzliche Urteil zu ändern und den Aufhebungsbescheid vom 25. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2016 aufzuheben.

Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und schließt sich der Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X an.

Der Senat hat die Klägerin informatorisch und den Vater des Kindes als Zeugen zur Betreuungssituation der gemeinsamen Tochter im Zeitraum ab Mai 2016 gehört. Wegen des Ergebnisses der Befragung und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll und wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsvorgänge und der den Kindsvater betreffenden Akte des Jobcenters, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage scheitert, anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat, allerdings bereits an dem Umstand, dass die Klägerin nicht alleinerziehend im Sinne der gesetzlichen Vorgaben ist.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Die von der Klägerin geltend gemachte Anfechtungsklage ist statthaft. Im Falle einer Stattgabe, also bei Aufhebung des Aufhebungs- und Einstellungsbescheides vom 25. April 2016, wäre ihrem Ziel der Weitergewährung der Unterhaltsvorschussleistungen entsprochen, da dann der Bewilligungsbescheid vom 21. April 2015, der eine Befristung der Leistungsbewilligung nicht vorsah, wieder auflebte.

2. Weiter ist die Klägerin, die Unterhaltsvorschussleistungen für ihre Tochter im eigenen Namen geltend macht, klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO, weil sie geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dass Berechtigter des Anspruchs auf Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 UVG das minderjährige Kind selbst und nicht ein Elternteil ist, steht dieser Annahme nicht entgegen.

Über die Zahlung der Unterhaltsleistung wird gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG auf schriftlichen Antrag des Elternteils, bei dem der Berechtigte lebt, oder des gesetzlichen Vertreters des Berechtigten entschieden. Diese Vorschrift umfasst die Berechtigung des alleinerziehenden Elternteils, den Anspruch des Kindes auf Unterhaltsvorschussleistungen im eigenen Namen geltend zu machen (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Mai 2014 - 4 LA 198/13 -, Nds.Rpfl 2015, S. 139 f., Rn. 6 ff. bei juris; VGH München, Beschluss vom 20. Januar 2014 - 12 C 13.2488 -, NJW 2014, S. 876, Rn. 7 f. bei juris; OVG Münster, Urteil vom 23. September 1999 - 16 A 461/99 -, FamRZ 2000, S. 777 ff., Rn. 7 bei juris; OVG Bautzen, Urteil vom 16. März 2011 - 5 D 181/10 -, LKV 2011, S. 277 f., Rn. 8 bei juris). Die Regelung dient der Sicherstellung, dass ein Anspruch auf Unterhaltsleistung auch dann durchgesetzt werden kann, wenn das Sorgerecht beiden Eltern gemeinsam zusteht, der Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, jedoch mit einer Verfolgung des Anspruchs nicht einverstanden ist (Senatsbeschluss vom 27. August 2012 - OVG 6 M 111.12 -, NVwZ-RR 2012, S. 814 f., Rn. 5 bei juris). Zwar könnte die Norm auch dahingehend verstanden werden, dass sie lediglich eine besondere Vertretungsregelung des alleinerziehenden Elternteils enthält, ohne für diesen eine eigenständige Klagebefugnis zu normieren. Dieser Auffassung steht jedoch entgegen, dass bei einer nur gewollten Vertretungsregelung die Festlegung, dass der Antrag auch durch den gesetzlichen Vertreter gestellt werden kann, überflüssig wäre (VGH München, a.a.O.; OVG Bautzen, a.a.O.). Zudem stellt bereits die Einräumung eines eigenständigen Antragsrechts ein gewichtiges Indiz für eine auch materiell-rechtlich geschützte Rechtsposition im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO dar. Weiter spricht dafür der Umstand, dass die wirtschaftlichen Interessen des alleinerziehenden Elternteils von der Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen berührt werden und dass im Einzelfall das elterliche Erziehungsrecht nach Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG als taugliche Grundlage eines elterlichen Klagerechts in Angelegenheiten ihrer Kinder in Betracht kommt (OVG Münster, a.a.O., m.w.N.).

Da die Klägerin beansprucht, alleinerziehender Elternteil zu sein, kann sie geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Tochter der Klägerin steht der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen im Zeitraum ab Mai 2016 nicht zu. Der Aufhebungs- und Einstellungsbescheid vom 25. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt sie und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 1 Abs. 1 UVG. Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Nummer 1), im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (Nummer 2), und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil erhält (Nummer 3). Die 2008 geborene Tochter der Klägerin hat das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet. Sie erhält, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, keinen Unterhalt von dem anderen Elternteil, ihrem Vater. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob das Kind der Klägerin nur „bei einem seiner Elternteile“ lebt.

a) Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt“ als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 20.11 -, BVerwGE 144, 306 ff., Rn. 20 bei juris m.w.N.; OVG Münster, Beschluss vom 13. Juli 2018 - 12 E 278/18 -, Rn. 4 bei juris). Von einer Alleinerziehung, wie sie in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG gefordert wird, kann nicht ausgegangen werden, wenn die leiblichen Eltern - auch wenn sie nicht zusammen wohnen - die Erziehungsaufgaben so untereinander aufteilen, dass keiner der Elternteile diese Aufgabe ganz oder weit überwiegend alleine erfüllen muss. Dabei ist nicht zu fordern, dass die Erziehungs- und Betreuungsanteile in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich sind. Im Hinblick auf den Zweck des § 1 UVG, die Belastungen für Kinder zu mildern, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben, lassen sich Erschwernisse, die eine finanzielle Besserstellung durch die Gewährung von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erfordern, schon dann nicht mehr feststellen, wenn der andere Elternteil in wesentlichem Umfang - wenn auch nicht völlig gleichwertig - an der erzieherischen Leistung mitwirkt (OVG Münster, Urteil vom 15. Dezember 2015 - 12 A 1053/14 -, FamRZ 2016, S. 143 ff., Rn. 29 bei juris; VGH München, Beschluss vom 14. Januar 2013 - 12 C 12.2737 -, Rn. 10 bei juris). Eine Alleinerziehung im vorgenannten Sinne liegt dagegen regelmäßig dann vor, wenn ein Elternteil die Verantwortung für die Betreuung und Versorgung seines Kindes in einem solchen Maße trägt, dass schon bei einer überschlägigen Prüfung im Sinne einer Evidenzkontrolle diese Betreuungsleistung nach ihrer Qualität und Quantität eindeutig dominierend in den Vordergrund tritt, die etwaigen Betreuungsleistungen des anderen Elternteils dagegen lediglich als gelegentliches Mitwirken, etwa im Rahmen von Besuchsaufenthalten, erscheinen (VGH München, Beschluss vom 14. Januar 2013, a.a.O.; VG Münster, Urteil vom 17. April 2012 - 6 K 103/11 -, Rn. 19 bei juris).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe lebt die Tochter der Klägerin nicht nur bei einem Elternteil. Die Klägerin ist nicht alleinerziehend im Sinne des § 1 Abs. 1 UVG.

Die Tochter wird an drei Tagen der Woche vom Vater und an vier Tagen von der Mutter, also der Klägerin, betreut. Der Vater holt sie montags nach der Schule oder vom Hort ab und betreut sie bis Donnerstagfrüh, wenn er sie zur Schule bringt. Am Donnerstagnachmittag wird die Tochter nach dem Hort von der Klägerin abgeholt, wo sie bis zum Montag früh bleibt, bis sie wieder zur Schule gebracht wird. Während der Betreuungszeiten kümmert sich der jeweilige Elternteil allein um die Tochter.

Das ergibt sich aus den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aus den Angaben des als Zeuge gehörten Kindsvaters und wird weiter bestätigt durch die von der Klägerin gegenüber dem Beklagten (Schreiben vom 21. Februar 2016) und durch die vom Kindsvater gegenüber dem Jobcenter gemachten Angaben (Erklärungen vom 16. September 2015 und vom 2. Juni 2016).

Vom zeitlichen Umfang her betreut der Kindsvater seine Tochter damit zu einem Anteil von rund 43 % der Woche. Die von ihm während dieser Zeit erbrachten Betreuungsleistungen haben auch keine „mindere Qualität“ gegenüber der von der Klägerin erbrachten Betreuungsleistungen. Nach den Angaben der Klägerin selbst kümmert sich der Vater im Alltagsgeschehen während seiner Betreuungstage um seine Tochter. Dies betrifft nicht nur das Bringen zur Schule und das Abholen von der Schule bzw. vom Hort, sondern auch Arztbesuche, Betreuung während Erkrankungstagen sowie die hauswirtschaftliche Versorgung und andere Dinge, die nach Bedarf anfallen mögen (Freizeitaktivitäten, Hausaufgabenbetreuung, zu Bett bringen, Körperpflege, Wäsche waschen, vgl. die Erklärung vom 21 Februar 2016). Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat, dass sie sich überwiegend um die schulischen Belange ihrer Tochter kümmert sowie um die Organisation der sozialen Kontakte und besonders wichtige Termine selbst wahrnehme, also praktisch „durchgehend“ die übergeordnete Erziehungsverantwortung trägt, ändert dies nichts daran, dass sie im Alltag von dem Betreuungs- und Erziehungsanteil des Vaters entlastet wird.

Durch diese Aufteilung tritt eine wesentliche Entlastung der Klägerin bei der Betreuung ihrer Tochter ein. Während drei Tagen der Woche ist sie nicht der mit einer Alleinerziehung typischerweise verknüpften Doppelbelastung ausgesetzt. Nur so ist ihr möglich - wie sich aus Ihren Angaben gegenüber dem Senat in der mündlichen Verhandlung ergibt -, ihre beruflich zeitintensiven Verpflichtungen als Leiterin eines Kinder- und Jugendzentrums wahrzunehmen. Sie kann im Übrigen ihren sonstigen Verpflichtungen, Obliegenheiten sowie sozialen und sonstigen Aktivitäten nachgehen, ohne sich zugleich um ihre Tochter kümmern zu müssen. Dies auf einer regelmäßigen und nicht lediglich sporadischen Basis, was ihr eine verlässliche und insoweit von ihrer Tochter unabhängige Lebensplanung ermöglicht.

Für eine Übernahme von Betreuungsleistungen, die die Klägerin wesentlich entlasten, spricht auch, dass der Kindsvater, der von SGB II-Leistungen lebt, für die Zeit, die seine Tochter bei ihm im Haushalt verbringt, anteilig Sozialleistungen bezieht, weil er insoweit mit ihr in einer sog. temporären Bedarfsgemeinschaft lebe. Eine temporäre Bedarfsgemeinschaft besteht in der Regel für jeden Tag, an dem der Hilfebedürftige sich länger als zwölf Stunden in dieser Bedarfsgemeinschaft aufhält. Die Regelung in § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II verlangt nach ihrem Wortlaut („dem Haushalt angehören“) kein dauerhaftes „Leben“ des unverheirateten Kindes im Haushalt des jeweiligen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Es genügt vielmehr ein dauerhafter Zustand in der Form, dass das Kind mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnt, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen (BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R -, FamRZ 2009, S. 1997 ff., Rn. 15 f. bei juris). In diesem Fall gehört das Kind zeitweise dem Haushalt des Leistungsberechtigten im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II an.

c) Diese Einschätzung des Senats gilt unabhängig von der Frage, ob man der Auffassung der Klägerin im Berufungsverfahren folgt, wonach die von ihr regelmäßig an den Wochenenden geleistete Betreuungszeit einen größeren Umfang habe als die während der Schultage anfallende Betreuungszeit.

Dessen ungeachtet erscheint diese Auffassung aber auch in der Sache nicht überzeugend. Sie berücksichtigt nicht, dass auch während der Schultage eine Betreuungsbereitschaft für kurzfristige Erkrankungen oder anderweitige Angelegenheiten bestehen muss und zudem die Betreuungsintensität von äußeren Umständen und vom subjektiven Empfinden des jeweiligen Elternteils und den Bedürfnissen und Vorstellungen des jeweiligen Kindes und der individuellen Gestaltung der Betreuungszeiten abhängt. Je nach Jahreszeit, Wetter, Gemütslage, schulischen Bedürfnissen, anstehenden Sport- oder sonstigen Wettbewerben, anderweitiger Einbindung des Kindes oder des Elternteils kann die Betreuung an manchen Tagen oder während mancher Phasen intensiver oder weniger intensiv ausfallen, gleich ob an Wochen- oder Wochenendtagen.

Auch soweit die Klägerin weiter einwendet, die Finanzierung ihrer Tochter übernehme ganz überwiegend sie und nicht der Kindsvater, spricht dies nicht gegen die vorstehende Annahme, zumal dies dem Umstand geschuldet sein mag, dass der Kindsvater seinen Lebensunterhalt von Sozialleistungen bestreitet, während die Klägerin selbst ein Einkommen aus beruflicher Tätigkeit bezieht. Darauf deuten auch ihre Angaben auf Befragung in der mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht am 21. Februar 2017 hin. Sie hat auf die fehlende Beteiligung des Kindsvaters an den Kosten für Bekleidung, Spielsachen, außerschulische Aktivitäten, Klassenreisen, Urlaub usw. und auf Vorhalt, ob sie nicht gefragt habe, dass er seinen Anteil davon zahlen könne, erklärt, dieser sei eben so; außerdem beziehe er Hartz IV.

d) Dass die Klägerin nach ihren Angaben vor dem Senat die Tochter während der Sommerferien regelmäßig für zwei Wochen auf Ferienfreizeiten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Leiterin eines Kinder- und Jugendzentrums mitnimmt und im Anschluss daran mit ihr den eigenen Urlaub verbringt und die Tochter auch regelmäßig während der Weihnachtsfeiertage betreut, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Denn bei einer vorübergehenden, voraussichtlich nicht länger als sechs Monate dauernden Trennung (z.B. durch Krankheit, Kur, Urlaub, Haft) des Kindes oder des allein erziehenden Elternteils gilt die häusliche Gemeinschaft als fortbestehend. Der Senat macht sich insoweit die Einschätzung der Ziffer 1.3.2 der Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu Eigen.

Dies erscheint gerechtfertigt, weil der Betreuungszusammenhang des Alltags durch vorübergehende Unterbrechungen oder Abwesenheitszeiten nicht aufgehoben wird. Für die Frage, bei welchem der Elternteile das Kind lebt, kommt es darauf an, wo das Kind den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Dies richtet sich nach vergleichbaren Kriterien wie die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I (Grube, UVG, 2009, § 1 Rn. 9 f.; s. auch VGH München, Urteil vom 27. November 2001 - 12 B 99.586 -, Rn. 20 bei juris). Ebenso wie eine Abwesenheit von längerer Dauer den gewöhnlichen Aufenthalt nicht aufhebt, wenn die Absicht oder Wahrscheinlichkeit besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und gefestigte Beziehungen dorthin aufrechterhalten bleiben (LSG, Stuttgart, Urteil vom 11. Juli 2012 - L 2 SO 2400/10 -, ZfSH/SGB 2012, S. 715 ff., Rn. 40 bei juris), ändert sich etwas an den Lebensbeziehungen eines Kindes, wenn es - wie hier - mit einem seiner Elternteile verreist.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der übrigen Schulferien, die die Tochter der Klägerin nach den Angaben des Kindsvaters öfter bei ihrer Oma mütterlicherseits in G... verbringt, mit der sie mitunter auch zum Skifahren verreist. Auch durch diese zeitlich begrenzten Aufenthalte ändert sich an den grundlegenden Lebensverhältnissen der Tochter der Klägerin nichts. Der maßgeblich durch den Alltag geprägte Betreuungszusammenhang zu beiden Eltern wird hierdurch nicht unterbrochen.

2. Auf die nach Ansicht des Verwaltungsgerichts entscheidende Frage, ob der mit der Klage verfolgte Anspruch gemäß § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gilt, kommt es vor dem dargelegten Hintergrund nicht entscheidungserheblich an. Ihre Beantwortung hängt maßgeblich davon ab, ob das Jobcenter für die Sozialleistungen, die die Tochter der Klägerin als Mitglied einer temporären Bedarfsgemeinschaft im Haushalt des Kindsvaters bezieht, als nachrangig Verpflichteter einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse für die im Haushalt der Klägerin bezogenen Unterhaltsvorschussleistungen hat. Ein Erstattungsanspruch schiede aus, wenn auf die im Haushalt des Kindsvaters bezogenen Sozialleistungen der im Haushalt der Klägerin bezogene Unterhaltsvorschuss anrechenbar wäre (dies verneinend: LSG Schleswig, Urteil vom 17. Januar 2014 - L 3 AS 119/11 ZVW -, Rn. 43 bei juris, weil es sich bei dem ausgezahlten Unterhaltsvorschuss für die Zeit der temporären Bedarfsgemeinschaft nicht um sog. bereite Mittel handele).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.