Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 16.11.2011 | |
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Aktenzeichen | L 11 SB 67/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 80 Abs 1 GG, § 69 Abs 4 SGB 9, § 145 Abs 1 S 1 SGB 9, § 146 Abs 1 S 1 SGB 9, § 106 SGG |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2008 bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt (noch) die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der 1957 geborene Kläger erlitt im Mai 1994 einen Verkehrsunfall, bei dem er als Fußgänger von einer Straßenbahn erfasst wurde. Die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (BG) erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger mit den Bescheiden vom 6. Oktober 1995 und 19. April 1996 zunächst eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30. Als Arbeitsunfallfolgen erkannte die BG an:
Ohrenrauschen links und Gleichgewichtsstörungen mit Belastungs- und Lageschwindel nach Schädel-Hirntrauma II. bis III. Grades; leichte Bewegungseinschränkung bei der Dorsalflexion der linken Hand, Minderung der groben Kraft links gegenüber rechts um ein Drittel nach konsolidiertem knöchernem Bandausriss der linken Handwurzel; in guter Stellung knöchern fest verheilter Basisbruch des ersten Mittelhandknochens rechts; knöchern fest in guter Stellung verheilte vordere Beckenringfraktur rechts sowie Pfannenbruch rechts; fest verheilte Seitenbandläsion außen am linken Knie bei seitengleicher freier Beweglichkeit beider Kniegelenke; geringe Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur rechts, geringe Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk rechts, leichte posttraumatische Arthrose im rechten Sprunggelenk, Operationsnarbenbildung am rechten Fuß nach in guter Stellung knöchern fest verheilter operativ versorgter Sprunggelenkfraktur rechts.
Mit Bescheid vom 12. Juni 2002 gewährte die BG dem Kläger eine Unfallrente nach einem Grad der MdE von 50 für den Zeitraum ab 1. April 2001 und erkannte insoweit als weitere Arbeitsunfallfolgen an:
Verschlimmerung der neuropsychologischen Ausfälle und Leistungsbeeinträchtigung als Folge des hirnorganischen Psychosyndroms, seitliche Instabilität im linken Kniegelenk.
Grundlage hierfür waren die von der BG veranlassten Gutachten der Psychologin K vom 22. September 2001, des Arztes für Neurologie Dr. M und der Ärztin Dr. K vom 19. Oktober 2001, des Arztes für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Prof. Dr. A vom 5. April 2002 und des Arztes für Chirurgie Dr. P vom 6. Mai 2002.
Mit Bescheid vom 26. April 2006 stellte die BG ohne Änderung des festgestellten Grades der MdE von 50 als weitere Unfallfolge fest:
Leichte Minderung der Sensibilität an der linken Hand, den Fingern I bis III sowie am radialen Anteil des IV. Fingers links nach Schädigung des Nervus medianus links distal.
Auf den Erstantrag vom 8. April 1997 stellte der Beklagte bei dem Kläger mit Bescheid vom 13. März 1998 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest und berücksichtigte hierbei Arbeitsunfallfolgen mit einem Einzel-GdB von 30 und degenerative Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenveränderungen mit chronischen Schmerzsyndromen mit einem Einzel-GdB von 20. Nach Ablehnung des Neufeststellungsantrages des Klägers vom 19. Januar 2001 veranlasste der Beklagte in dem sich daran anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin – S 42 SB 3051/01 – eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H vom 16. Januar 2003, die zu dem Ergebnis kam, dass der Gesamt-GdB des Klägers 50 betrage, der sich aus den zusammengefasst mit einem GdB von 50 zu beurteilenden Arbeitsunfallfolgen im nervenärztlichen, hals-nasen-ohrenärztlichen und chirurgisch-orthopädischen Bereich ergebe und insbesondere berücksichtige, dass die Hirnleistungsminderung des Klägers für den Zeitraum ab Antragstellung im Januar 2001 mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten sei. Darüber hinaus beständen bei dem Kläger mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertende wiederkehrende Muskelreizerscheinungen bei degenerativen Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule und eine mit einem Einzel-GdB von 10 zu beurteilende chronische Bronchitis, die sich jeweils nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkten. Hierauf stellte der Beklagte beim Kläger mit Bescheid vom 11. Februar 2003 einen GdB von 50 für den Zeitraum ab Januar 2001 fest. Nachdem der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B den Kläger auf Veranlassung des Sozialgerichts begutachtet hatte und in seinem Gutachten vom 20. April 2004 zu dem Ergebnis gekommen war, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ nicht vorlägen, nahm der Kläger die zuletzt nur noch wegen des Merkzeichens „G“ fortgeführte Klage zurück.
Auf den Änderungsantrag des Klägers vom 6. April 2005, mit dem er wiederum auch Gehbeschwerden geltend machte, holte der Beklagte einen - durch das Schreiben vom 16. Juni 2005 ergänzten - Befundbericht der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 14. Juni 2005 ein und veranlasste dazu eine gutachtliche Stellungnahme des Versorgungsarztes D vom 6. Juli 2005. Mit Bescheid vom 14. Juli 2005 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte u. a. einen nicht datierten Befundbericht der Ärztin für Hals- Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. S sowie einen Befundbericht des Arztes für Neurologie Dr. R vom 28. Oktober 2005 ein und veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Orthopädie Dr. V. Dieser kam in seinem Gutachten vom 3. April 2006 zu dem Ergebnis, dass der GdB des Klägers mit 60 zu beurteilen sei und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ nicht vorlägen. Dazu führte er u. a. aus: Aus orthopädischer Sicht seien als Unfallfolgen hinsichtlich der unteren Extremitäten eine geringe Bewegungsstörung des rechten Kniegelenks und eine mittelgradige Bewegungsstörung des rechten Sprunggelenks zu berücksichtigen, die zusammengefasst mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten seien. Unter Mitberücksichtigung einer geringen muskulären Schwäche des rechten Unterschenkels sei ein GdB von 30 für die Funktionsstörungen des rechten Beines angemessen. Die funktionellen Auswirkungen des Handgelenkleidens des Klägers seien mit einem Einzel-GdB von 10 ausreichend bewertet. Ferner bestehe bei dem Kläger eine geringe funktionelle Störung der Lendenwirbelsäule und eine deutliche Einschränkung der Halswirbelsäule, die zusammengefasst mit einem Einzel-GdB von 20 zu beurteilen seien. Hierzu veranlasste der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. B vom 4. Mai 2006, wonach der GdB weiterhin mit 50 zu beurteilen sei, und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2006 als unbegründet zurück.
Mit der am 8. Juni 2006 erhobenen Klage hat der Kläger neben der Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ zunächst auch die Feststellung eines höheren GdB als 50 begehrt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Seit dem Spätsommer 2004 hätten sich die Folgen seiner Unfallverletzungen massiv verschlimmert. Etwa einmal im Vierteljahr erleide er „Black outs“, bei denen er kurzzeitig das Bewusstsein verliere und stürze. Ein bis zweimal im Monat erfassten ihn leichtere Ausfälle, bei denen er nicht völlig wegtrete, sondern noch Halt finden könne. Hinzu kämen Drehschwindelanfälle, die ihn zwängen sich hinzusetzen oder hinzulegen, um nach etwa einer halben Stunde das Gleichgewicht wieder zu finden. Generell leide er unter räumlichen und zeitlichen Orientierungsschwierigkeiten bei gleichzeitig erheblich gestörter Koordinierung der Bewegungsabläufe. Diese Störungen zwängen ihn in der Regel, sich zu Fuß mit zwei Gehhilfen fortzubewegen. Ihm sei deshalb von der BG ein Einzelfallhelfer zur Seite gestellt worden, der ihn bei Erledigungen außer Haus begleite. Seine Hörbehinderung verstärke die Orientierungs- und Koordinationsprobleme. Zudem leide er an einer chronifizierten Bronchitis, die sein Gehleistungsvermögen beeinträchtige.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Ärztin für Orthopädie Dr. K vom 24. November 2006, der Psychologin S vom 23. November 2006, der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 23. November 2006 sowie des Arztes für Neurologie Dr. R vom 30. November 2006/10. Januar 2007 eingeholt und die Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 26. Oktober 2007 ausgeführt, bei dem Kläger lägen folgende nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen vor:
- Arbeitsunfallfolgen
Einzel-GdB 50
- Wiederkehrende Wurzelreizerscheinungen bei degenerativen
Veränderungen der Hals- und LendenwirbelsäuleEinzel-GdB 20
- Hörbehinderung
Einzel-GdB 10
- chronische Bronchitis
Einzel-GdB 10
- Gebrauchseinschränkung der linken Hand
Einzel-GdB 10
Der Gesamt-GdB des Klägers betrage 60. Hauptleiden des Klägers sei das als Unfallfolge anerkannte hirnorganische Psychosyndrom mit deutlichen Hirnleistungsstörungen und nach Aktenlage feststellbaren psychischen Ausfällen. Insoweit bestehe eine mittelgradige, im Alltagsgeschehen sich deutlich auswirkende Beeinträchtigung, die ausgehend von dem hierfür vorgesehenen Beurteilungsrahmen von 50 bis 60 eher mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang „geistige Aussetzer“ mit motorischen Bewegungsstörungen beschrieben habe, habe der erhobene EEG-Befund keine Hinweise auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft ergeben. Danach sei das Vorliegen eines epileptischen Anfallsleidens zwar nicht sicher ausgeschlossen. Jedoch seien die von dem Kläger geschilderten Ausfälle nicht typisch für epileptische Dämmerattacken und deshalb eher im Rahmen seines gesamtpsychischen Ausfallmusters zu werten und nicht als neurologisch oder organisch bedingte Ausfälle. Eine Einschränkung des Gehvermögens des Klägers ergebe sich weder in neurologischer noch in orthopädischer Hinsicht. Er sei in der Lage, eine Strecke von 2000 Metern innerhalb von 30 Minuten zu Fuß zurückzulegen; hierfür benötige er aus neurologischer und orthopädischer Sicht auch keine Unterarmgehstützen.
Mit Bescheid vom 19. März 2008 stellte der Beklagte einen GdB des Klägers von 60 für den Zeitraum ab April 2005 fest. Hierauf hat der Kläger sein Klagebegehren auf die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ beschränkt.
Mit Urteil vom 18. November 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und entschieden, dass der Beklagte dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Verfahrenskosten zu erstatten hat. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“. Unter Zugrundelegung der von dem Arzt Dr. V in seinem Gutachten vom 3. April 2006 festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen ergebe sich bei dem Kläger ein mobilitätsbedingter GdB von lediglich 30. Bei dem Kläger bestehe auch kein Anfallsleiden, welches die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ rechtfertigen könne. Das Vorliegen eines epileptischen Anfallsleidens könne aufgrund der vorliegenden EEG-Befunde nicht bewiesen werden. Nach den eigenen Angaben des Klägers hätten zudem die bei ihm auftretenden Anfälle bei weitem nicht die Häufigkeit, die für die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung vorauszusetzen sei. Der Kläger leide auch nicht an erheblichen Orientierungsstörungen. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Unfallfolgen einschließlich der chirurgisch-orthopädischen Beschwerden lediglich mit einem GdB von 60 zu beurteilen seien. Zudem könne weder den Befundberichten der behandelnden Ärzte und der Psychologin S noch dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G entnommen werden, dass der Kläger aufgrund einer Störung der Orientierungsfähigkeit in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei.
Gegen das dem Kläger am 25. Februar 2009 zugestellte Urteil hat dieser am 12. März 2009 Berufung eingelegt und zur Begründung ergänzend vorgetragen: Der mobilitätsbedingte GdB sei bei ihm höher als mit 30 zu bewerten. Der Arzt Dr. V habe in seinem Gutachten vom 3. April 2006 nicht die bei ihm vorliegenden Hüftgelenksfunktionsstörungen berücksichtigt. Die von ihm festgestellte geringe Funktionsstörung des linken Kniegelenks hätte mit einem messbaren Einzel-GdB beurteilt werden müssen. Seine Lendenwirbelsäule sei zudem funktionell mehr als nur in geringem Umfang eingeschränkt. Auch berücksichtige Dr. V bei der Gesamtbewertung der mobilitätsbedingten Beeinträchtigungen nicht hinreichend die linksseitige Mitbetroffenheit. Vor allem bestehe bei ihm aber eine sich stetig verschlimmernde defizitäre Hirnleistung mit einem funktionell gestörten Reaktionsverhalten mit erheblicher Auswirkung auf seine Gehfähigkeit und Gangsicherheit. Beeinträchtigt sei er insoweit insbesondere durch Schwindel und Gleichgewichtstörungen, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie Koordinierungsstörungen der Arme und Beine und darüber hinaus durch ein depressives Syndrom und eine eingeschränkte Belastbarkeit, die nach längerer geistiger Anstrengung u. a. auch zu Verschwommensehen, Ermüdung und Erschöpfung, Tempoverlangsamung, Verlust der Überblickfähigkeit sowie Defiziten im planerischen Denken und logischen Schlussfolgern führe. Hinzu komme eine erhebliche Schmerzsymptomatik rechtsseitig im Knie, in der Hüfte und im Sprunggelenk.
Der Senat hat Befundberichte des Ärztin für Orthopädie Dr. K vom 11. Dezember 2009 und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 17. Dezember 2009 eingeholt und auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Begutachtung des Klägers durch die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin L veranlasst. Diese hat in ihrem Gutachten vom 28. April 2011 aufgrund der Untersuchungen des Klägers am 2. März und 27. April 2011 ausgeführt: Neben den Unfallfolgen, wie sie in den Vorgutachten beschrieben worden seien (chronischer Kopfschmerz, ständiges Ohrgeräusch, Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk nach Wadenbeinbruch, schmerzhafte Bewegungsseinschränkung im rechten Hüftgelenk nach Hüftpfannendachbruch, konsekutive Wirbelsäulenbeschwerden besonders im Bereich der Lendenwirbelsäule, Kraftminderung beider Handgelenke nach Mittelhandknochenbruch, Beschränkung der Mobilität beim Laufen und besonders beim Steigen auf Leitern, schmerzhaft eingeschränkte Gehstrecke nach Hüft- und Sprunggelenksverletzung rechts, laterale Instabilität im linken Kniegelenk, deutliche Minderung der Merkfähigkeit und Konzentration, depressiver Verstimmungszustand) bestehe bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung und eine dissoziative Störung, die zusammengefasst als schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 70 zu beurteilen seien. Unter Berücksichtigung der von den Vorgutachtern beschriebenen und mit einem GdB von 60 bewerteten Unfallfolgen ergebe sich ein Gesamt-GdB von 80. Auf die Gehfähigkeit des Klägers wirkten sich die Störungen der unteren Gliedmaßen und der Lendenwirbelsäule sowie die posttraumatische Belastungsstörung und die dissoziative Störung aus. Dabei handele es sich nicht um hirnorganische Anfälle im engeren Sinn; vielmehr scheine es sich um eine unfallbedingte (posttraumatische) Gleichgewichtsstörung als konversionsneurotische Störung zu handeln. Zudem folgten aus der dissoziativen Störung auch Störungen der Orientierungsfähigkeit. Als dissoziative Symptome seien eine dissoziative Amnesie, eine Derealisations- und Depersonalisationsstörung, ein dissoziativer Stupor, eine dissoziative Bewegungsstörung und dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen zu benennen. Bei allen Vorgutachten falle eine Diskrepanz zwischen vom Kläger erlebter Beeinträchtigung und den objektivierbaren Befunden auf, die durch das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Verbindung mit einer dissoziativen Störung zu erklären sei. Der Kläger habe Angst, seine Wohnung zu verlassen, weil er sich seiner selbst nicht sicher sein könne. Die Unfähigkeit, seine Wohnung sicher zu verlassen, „könnte“ sich aus der Unfallerfahrung in dem Sinne erklären, dass abgespaltene Unfallerinnerungen beim Kläger einen starken Widerstand bewirkten, aus der sicheren Wohnung zu gehen. Nach seinen Angaben wirke sich die Störung u. a. dadurch aus, dass er Menschen oder Gegenstände „anrempele“ und sich dabei auch häufiger verletze. Dabei schere der Kläger stets nach links aus; dies sei die Straße, von der die Straßenbahn gekommen sei. In ihrer Begleitung habe der Kläger eine Gehstrecke von ca. 800 Metern in 35 Minuten zurückgelegt. Er habe wiederholt stehen bleiben bzw. sich auf eine Bank setzen müssen. Sein Gang sei sicherer gewesen, wenn sie links neben ihm gelaufen sei. Der Kläger habe das rechte Bein geschont, das er kaum aufgesetzt habe. Stattdessen habe er sich mit Hilfe von Gehstützen bewegt. Beim Gehen sei der Kläger einerseits in der Lage gewesen, mit ihr Gespräche zu führen und auf Fragen zu antworten, andererseits habe er sich dadurch in seinem Bemühen um Gleichgewicht gestört gefühlt. Die festzustellenden Störungen hätten bereits am 11. April 2005 bestanden, wobei die Behinderung des Klägers zum damaligen Zeitpunkt eher schwerwiegender gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 in der Fassung des Bescheides vom 19. März 2008 zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ für den Zeitraum ab 6. April 2005 festzustellen,
hilfsweise,
nach § 106 SGG ein Gutachten auf neuropsychologischem Fachgebiet durch den Diplom-Psychologen Dr. H, Anschrift wie auf Blatt 212 der Gerichtsakte,
weiter hilfsweise,
nach § 106 SGG ein Gutachten auf neuropsychologischem Fachgebiet durch einen geeigneten, vom Gericht auszuwählenden Diplom-Psychologen einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und verweist zur Begründung auf die Stellungnahmen der Ärztin für Innere Medizin T vom 4. Juli 2011 und des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 8. Juli 2011.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Gerichtsakten des Sozialgerichts Berlin S 42 SB 3051/01 und die Verwaltungsakten des Beklagten sowie der BG verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die von dem Kläger im Berufungsverfahren weiterverfolgte Klage, mit der er noch unter Änderung des Bescheides vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 2006 in der Fassung des Bescheides vom 19. März 2008 die Verurteilung des Beklagten begehrt, bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ für den Zeitraum ab Antragstellung am 6. April 2005 festzustellen, ist in der Gestalt der Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGG zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat für den Zeitraum ab 6. April 2005 keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch ist insoweit nicht eingetreten.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sind die §§ 69 Abs. 4, 145 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen fordert das Gesetz eine doppelte Kausalität. Denn Ursache der beeinträchtigenden Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken.
Bei der Prüfung, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008dievom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Arbeit und Soziale Sicherung) herausgegebenen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletztAusgabe 2008) zu beachten. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sie sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht – BSG –, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 sind an die Stelle der AHP die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes – Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) – vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) festgelegten „versorgungsärztlichen Grundsätze“ getreten, mit denen die in den AHP niedergelegten Maßstäbe mit lediglich redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten. Sie sind inzwischen ihrerseits durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I, Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I, Seite 928), 17. Dezember 2010 (BGBl. I, Seite 2124) und vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I, Seite 2153) geändert worden, die jedoch für den vorliegenden Fall keine Relevanz haben. Ob die „versorgungsärztlichen Grundsätze“, soweit sie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für bestimmte Merkzeichen – wie hier für das Merkzeichen „G“ – betreffen, auf einer ausreichenden Verordnungsermächtigung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes beruhen, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen. Denn die in den „versorgungsärztlichen Grundsätzen“ geregelten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“, die sich in jeder Hinsicht mit den insoweit in den AHP angeführten und für den Fall der Teilnichtigkeit der „versorgungsärztlichen Grundsätze“ zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für die Betroffenen unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG zunächst weiter heranzuziehenden Voraussetzungen decken, sind im Fall des Klägers nicht erfüllt.
Die AHP bzw. die Bestimmungen der Anlage zu § 2 VersMedV beschreiben in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 (Seite 136 ff.) bzw. Teil D Nr. 1 d) – f) (Seite 114 f.) Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen können (vgl. BSG SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens „in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist“, und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP bzw. die in der Anlage zu § 2 VersMedV getroffenen Bestimmungen all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen (BSG a. a. O.).
Nach Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Nach Teil B Nr. 30 Abs. 4 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und der Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit (siehe Teil A Nr. 26.3 AHP, Seite 40 ff., Teil B Nr. 3.1 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 20 ff.) zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Analoges gilt beim Diabetes mellitus mit häufigen hypoglykämischen Schocks.
Nach Teil B Nr. 30 Abs. 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 f) der Anlage zu § 2 VersMedV sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, anzunehmen
- bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70,
- bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung),
- bei Hörbehinderungen, bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung).
Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB von unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.
Danach sind bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ für den maßgeblichen Zeitraum ab 6. April 2005nicht erfüllt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus einer Gesamtschau der vorhandenen medizinischen Unterlagen. Dabei sind das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Gvom 26. Oktober 2007 und das in dem Klageverfahren S 42 SB 3051/01 erstattete Gutachten des Arztes Dr. B vom 20. April 2004 von besonderer Bedeutung, die jeweils auf eingehenden Untersuchungen des Klägers und einer Auswertung der zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen beruhen.
Danach bestehen bei dem Kläger zunächst keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen.
Die unfallbedingten Funktionseinschränkungen im rechten Hüftgelenk nach Hüftpfannendachbruch sind nach Teil A Nr. 26.18 AHP (Seite 124 f.) und Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 98 f.) auch unter Berücksichtigung der Schmerzsymptomatik des Klägers bei einem chronischen Schmerzsyndrom im Stadium I nach dem Mainzer Stadienmodell MPSS (vgl. Befundberichte der BG-Schmerzambulanz vom 26. Juli und 24. August 2010) als einseitig vorliegende Bewegungseinschränkung geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) bei dem hierfür vorgesehenen GdB-Rahmen von 0 – 20 mit einem Einzel-GdB von (höchstens) 20 zu bewerten. Das Vorliegen einer geringgradigen Bewegungseinschränkung ergibt sich aus dem Gutachten des Arztes Dr. B vom 20. April 2004, das hier nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 411a der Zivilprozessordnung im Wege des Sachverständigenbeweises verwertet werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 13. Juli 2010 – B 9 VH 1/10 B –, juris). Die von ihm durchgeführte Funktionsprüfung des rechten Hüftgelenks nach der Neutral-0-Methode ergab für die Streckung/Beugung einen Normalwert von 0/0/130 (Norm 0/0/120-150), für das Abspreizen/Anführen einen leicht unter der Norm liegenden Wert von 20/0/30 (Norm 30-45/0/20-30) und für die Drehung auswärts/einwärts ebenfalls einen leicht unter der Norm liegenden Wert von 30/0/20 (Norm 40-50/0/30-40). Im Übrigen ergaben die von ihm erhobenen Röntgenbefunde, dass die Hüftpfannenfraktur rechts vollständig ausgeheilt ist und weder eine Stufenbildung noch coxarthrotische Veränderungen nachweisbar waren. In der Folgezeit ist es auch zu keiner Verschlimmerung des Hüftleidens gekommen. Vielmehr sprechen die in dem Zeitraum danach erhobenen Befunde des Arztes Dr. Vin seinem für den Beklagten erstatteten Gutachtenvom 3. April 2006 (Beugung 120 °, Streckung frei, Innen-/Außenrotation 30/0/30, Abduktion/Adduktion frei) und des BG-Arztes Dr. Min seinem Bericht vom 1. Juli 2010 (freie Beweglichkeit), die im hiesigen Verfahren jeweils im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden können (vgl. hierzu z. B. BSG, Beschluss vom 26. Mai 2000 – B 2 U 90/00 B –, zitiert nach juris), für eine Verbesserung der Beweglichkeit des rechten Hüftgelenks. Aus dem Gutachten der Sachverständigen Lvom 28. April 2011 sowie den Befundberichten der behandelnden Ärztinnen für Orthopädie Dr. K vom 11. Dezember 2009 und Allgemeinmedizin Dr. vom 17. Dezember 2009 ergibt sich nichts anderes.
Entsprechendes gilt für die unfallbedingten Bewegungseinschränkungen im rechten oberen Sprunggelenk des Klägers. Der von Dr. Bin seinem Gutachten vom 20. April 2004 festgestellte Wert beim Heben und Senken des rechten Fußes von 0/0/30 (links10/0/40, Norm 20-30/0/40-50) entspricht einer Bewegungseinschränkung mittleren Grades, die nach Teil A Nr. 26.18 AHP (Seite 127) und Teil B Nr. 18. 14 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 101) mit einem Einzel-GdB von 10 zu beurteilen ist. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist auch insoweit nicht festzustellen. So lagen die von dem behandelnden Arzt für Orthopädie Dr. W(Befundbericht vom 18. Juli 2007) am 18. Mai und 15. Juni 2006 ermittelten Werte von 0/0/40 für das Heben und Senken des rechten Fußes unterhalb des GdB-relevanten Bereiches. Der von dem BG-Arzt Dr. M am 1. Juli 2010 insoweit ermittelte Wert von 20/0/40 lag innerhalb des Normbereichs. Danach kommt für das rechte obere Sprunggelenk ein Einzel-GdB von 20 nur unter Berücksichtung der Schmerzsymptomatik des Klägers in Betracht.
Die funktionellen Beeinträchtigungen des rechten Kniegelenks sind höchstens mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Denn eine GdB-relevante Bewegungseinschränkung ist insoweit nicht festzustellen. Der von Dr. B ermittelte Wert für das Strecken und Beugen des rechten Knies rechts von 0/0/150 liegt innerhalb des Normbereichs von 0/0/120-150. Gleiches gilt für den von dem Arzt für Orthopädie Dr. W(a. a. O.) am 18. Mai 2006 für das rechte Knie ermittelten Wert von 0/0/130. Auch der von Dr. M am 1. Juli 2010 ermittelte Wert von 0/10/120 ergibt keine GdB-relevante Einschränkung.
Soweit der Kläger an Hyperkeratosen an beiden Fersen nach pottraumatischer Ulceration leidet, resultieren hieraus keine GdB-relevanten Beeinträchtigungen beim Gehen, da diese durch eine entsprechende Ausstattung der Schuhe mit einer Weichpolsterbettung ausgeglichen werden, wie u. a. dem Befundbericht der behandelnden Ärztin für Orthopädie Dr. K vom 11. Dezember 2009 zu entnehmen ist.
Die beim Kläger bestehenden Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule in Gestalt von Wurzelreizerscheinungen bei degenerativen Veränderungen sind nach Teil A Nr. 26.18 AHP (Seite 116) und Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 90) höchstens mit dem für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehenen Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Das Vorliegen eines mit einem Einzel-GdB von 30 zu beurteilenden Wirbelsäulenschadens mit schweren funktionellen Auswirkungen (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist nach den Feststellungen des Arztes Dr. Bin seinem Gutachten vom 20. April 2004, des Arztes für Orthopädie Dr. V in seinem Gutachten vom 3. April 2006 und des Sachverständigen Prof. Dr. Gin seinem Gutachten vom 26. Oktober 2007 auszuschließen. Insoweit ergeben sich aus dem Gutachten der Sachverständigen L vom 28. April 2011 sowie den Befundberichten der behandelnden Ärztinnen für Orthopädie Dr. K vom 11. Dezember 2009 und Allgemeinmedizin Dr. B vom 17. Dezember 2009 auch keine Hinweise auf eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers.
Bei Gesamtwürdigung der jeweils (höchstens) mit einem Einzel-GdB von 20 zu beurteilenden funktionellen Störungen des rechten Hüftgelenks, des rechten oberen Sprunggelenks und der Lendenwirbelsäule sowie der mit einem Einzel-GdB von (höchstens) 10 zu beurteilenden Einschränkungen des rechten Kniegelenks ergibt sich für diese nach Teil A Nr. 19 AHP (Seite 24 ff.) und Teil A Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 10) insgesamt kein höherer GdB als 30, weil diese jeweils nur leichte Funktionsbeeinträchtigungen bedingen, die zusammengefasst (höchstens) einen GdB von 30 rechtfertigen.
Danach liegen bei dem Kläger auch keine Behinderungen an den unteren Gliedmaßen vor, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung und arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40.
Ebenso wenig bestehen bei dem Kläger innere Leiden, die bei ihm zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen könnten. Insbesondere leidet der Kläger an keiner erheblichen Erkrankung der Atmungsorgane. Die erstmals im Befundbericht der Ärztinnen für Allgemeinmedizin Drs. Bund L vom 19. April 2001, dem u. a. Lungenfunktionsbefunde der Ärztin für Innere Medizin P vom 14. Februar 2000 beigefügt sind, dokumentierte chronische Bronchitis ist nur mit leichten Einschränkungen und keiner dauernden Einschränkung der Lungenfunktion verbunden, sodass diese nach Teil A Nr. 26. 8 AHP (Seite 67 f.) höchstens mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist. Der Arzt Dr. B hat insoweit in seinem Gutachten vom 20. April 2004 u. a. ausgeführt, dass die Spirometrie sehr gute Lungenfunktionswerte oberhalb der Normbereiche ergeben habe. Relevante Veränderungen lassen sich insoweit auch nicht den Befundberichten der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 23. November 2006 und vom 17. Dezember 2009 entnehmen; im Letzteren gibt diese vielmehr an, dass sich die von ihr erhobenen Befunde deutlich gebessert hätten.
Der Kläger leidet auch nicht (insbesondere) an hirnorganischen Anfällen, die nach Art und Häufigkeit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen. Dabei sind mit hirnorganischen Anfällen solche Anfälle gemeint, die neurologische Ursachen haben und mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr einhergehen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 9 BVs 45/93 –, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28. September 2010 – L 11 SB 77/07 –, LSG Hamburg, Urteil vom 12. April 2011 – L 4 SB 7/09 –, jeweils zitiert nach juris). Hierzu rechnen insbesondere epileptische Anfälle im Sinne von Teil A Nr. 26.3 AHP (Seite 43) und Teil B Nr. 3.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 22 f.), wobei im Allgemeinen – wie bereits dargelegt – erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr zu schließen ist. Ein solche ist nach Teil A Nr. 26.3 AHP und Teil B Nr. 3.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV gegeben beim Auftreten generalisierter (großer) und komplex-fokaler Anfälle mit Pausen von Wochen und/oder kleiner und einfach-fokaler Anfälle mit Pausen von Tagen. In Abgrenzung dazu sind epileptische Anfälle selten, wenn generalisierte (große) komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Monaten und/oder kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen auftreten.
Danach besteht bei dem Kläger kein Anfallsleiden im Sinne von Teil B Nr. 30 Abs. 4 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV. Die bei ihm auftretenden Bewusstseinsstörungen, Bewegungsstörungen und Gleichgewichtsstörungen sind auch nicht den dort genannten Anfällen und hypoglykämischen Schocks gleichzustellen. Das Vorliegen eines epileptischen Anfallsleidens erscheint nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nahezu ausgeschlossen. So finden sich, wie der Sachverständige Prof. Dr. G in seinem Gutachten vom 26. Oktober 2007 ausgeführt hat, bei dem Kläger keine Hinweise auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft; auch ist die von ihm beschriebene Symptomatik untypisch für epileptische Dämmerattacken und deshalb eher im Rahmen eines gesamtpsychischen Ausfallmusters zu werten. Diese Einschätzung wird durch die von dem Arzt für Neurologie Dr. R auf Veranlassung der BG erstatteten Befundberichte vom 22. Dezember 2005, 4. Oktober 2006 und 19. Dezember 2008 bestätigt. Danach ergaben die von ihm erhobenen EEG-Befunde ebenfalls keine epilepsietypischen Potentiale in Ruhe und nach Provokation durch Hyperventilation sowie Fotostimulation und damit keinen Anhalt für das Vorliegen einer Epilepsie. In Übereinstimmung damit geht auch die Sachverständige L in ihrem Gutachten vom 28. April 2011 davon aus, das bei dem Kläger kein hirnorganisches Anfallsleiden besteht.
Der Kläger leidet auch nicht an Anfällen, die nach Art und Häufigkeit mit epileptischen Anfällen mittlerer Häufigkeit vergleichbar wären. Insbesondere leidet er nicht in relevanter Häufigkeit an mit Bewusstseinsverlust und Sturzgefahr einhergehenden Anfällen. Soweit er vorträgt, etwa einmal im Vierteljahr erleide er „Black outs“, bei denen er kurzzeitig das Bewusstsein verliere und stürze, ist ein solcher Fall konkret nur einmal ärztlich dokumentiert (Sturz im Treppenhaus am 5. oder 10. Mai 2004 mit Knieprellung links nach einem Schwindelanfall mit kurzem Bewusstseinsverlust, vgl. BG-Akte Bd. V, Bl. 852-858, 865-868, 878, 926). Aber auch die Angaben des Klägers zu Grunde gelegt, fehlte es, wie bereits das Sozialgericht dargelegt hat, an einer relevanten Anfallshäufigkeit, weil zwischen solchen „großen“ Ohnmachtsanfällen Pausen von Monaten und nicht nur Wochen lägen. Soweit der Kläger vorträgt, dass ihn ein bis zweimal im Monat leichtere Ausfälle erfassten, bei denen er nicht völlig wegtrete, sondern noch Halt finden könne, geht von diesen Anfällen ohnehin keine erhebliche Sturzgefahr aus. Zudem ist festzustellen, dass die Anzahl der Stürze des Klägers unter der von ihm im Juli 2004 begonnenen neuropsychologischen Behandlung und der ihm ab April 2006 bewilligten Einzelfallhilfe deutlich zurückgegangen ist. Während die behandelnde Psychologin S in ihrer Stellungnahme vom 7. Juni 2005 noch ausführte, dass der Kläger Verletzungsquellen nicht wahrnehme und Folgen erst mit großer zeitlicher Verzögerung registriere, ohne zu wissen, wie und wo, führte sie in ihrem Abschlussbericht vom 13. Dezember 2006 aus, dass die „Wahrnehmungsschulung“ zu einer deutlichen Verringerung der Selbstgefährdung geführt habe; allerdings müssten die erlernten Selbsthilfetechniken alle sechs bis acht Wochen aufgefrischt werden. Hiervon ausgehend sah sie die Notwendigkeit einer Einzelfallbetreuung nur (noch) in einem eng umschriebenen Bereich (Erledigung von Behördenpost und Behördengängen, häusliche Organisation). Damit in Übereinstimmung führte der Einzelfallhelfer K in seinem Verlaufsbericht vom 30. März 2007 aus, dass sich der allgemeine Gesundheitszustand des Klägers im Berichtszeitraum April 2006 bis März 2007 weiter stabilisiert habe; insbesondere sei die Zahl der „kleineren“ Unfälle (z. B. Stürze, spontanes Fallenlassen von Gegenständen u. ä.) zurückgegangen. Diese Entwicklung setzte sich in der Folgezeit fort, wie den Berichten der Psychologin S vom 17. April 2008 und 3. August 2009 sowie den Verlaufsberichten des Einzelfallhelfers K 26. April 2008 und 12. Juli 2009 zu entnehmen ist.
Ebenso wenig bestehen bei dem Kläger Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen im Sinne von Teil A Nr. 26.3 und Nr. 26.5 AHP (Seite 42, 60 f.) bzw. Teil B Nr. 3.1.2 und Nr. 5.3 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 21, 36 f.), die nach Art und Häufigkeit den in Teil B Nr. 30 Abs. 4 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten hirnorganischen Anfällen und hypoglykämischen Schocks gleichzustellen wären. Denn nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen besteht bei dem Kläger lediglich eine geringgradige Gleichgewichtsstörung. Nach Teil A Nr. 26.5 AHP (Seite 60 f.) und Teil B Nr. 5.3 (Seite 36 f.) der Anlage zu § 2 VersMedV sind Gleichgewichtsstörungen wie folgt zu beurteilen:
Gleichgewichtsstörung ohne wesentliche Folgen GdB 0 - 10
- Beschwerdefreiheit, allenfalls Gefühl der Unsicherheit bei alltäglichen Belastungen (z. B. Gehen, Bücken, Aufrichten, Kopfdrehungen, leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung
- leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen (Schwanken) bei höheren Belastungen (z. B. Heben von Lasten, Gehen im Dunkeln, abrupte Köperbewegungen)
- stärkere Unsicherheit mit Schwindelerscheinungen (Fallneigung, Ziehen nach einer Seite) erst bei außergewöhnlichen Belastungen (z. B. Stehen und Gehen auf Gerüsten, sportliche Übungen mit raschen Körperbewegungen)
- keine nennenswerten Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen
Gleichgewichtsstörung mit leichten Folgen GdB 20
- leichte Unsicherheit, geringe Schwindelerscheinungen wie Schwanken, Stolpern, Ausfallschritte bei alltäglichen Belastungen,
- stärkere Unsicherheit und Schwindelerscheinungen bei höheren Belastungen,
- leichte Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen erst auf höherer Belastungsstufe,
Gleichgewichtsstörung mit mittelgradigen Folgen GdB 30 - 40
- stärkere Unsicherheit, Schwindelerscheinungen mit Fallneigung bereits bei alltäglichen Belastungen,
- heftiger Schwindel (mit vegetativen Erscheinungen, gelegentlich Übelkeit, Erbrechen) bei höheren und außergewöhnlichen Belastungen
- deutliche Abweichungen bei den Geh- und Stehversuchen bereits auf niedriger Belastungsstufe
Gleichgewichtsstörung mit schweren Folgen GdB 50 - 70
- heftiger Schwindel, erhebliche Unsicherheit und Schwierigkeiten bereits bei Gehen und Stehen im Hellen und anderen alltäglichen Belastungen, teilweise Gehhilfe erforderlich
- bei Unfähigkeit, ohne Unterstützung zu gehen oder zustehen.
Danach leidet der Kläger allenfalls an Gleichgewichtsstörungen mit leichten Folgen. Soweit der Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Dr. A zuletzt in seinen von der BG veranlassten Gutachten vom 6. August 1995, 26. März 1996 und 9. Februar 1997 zu dem Ergebnis gekommen war, der Kläger leide unfallbedingt an einer (zuletzt leicht gebesserten, aber noch nicht vollständig kompensierten) zentralen Gleichgewichtsirritation, die als objektivierbare Labyrinthstörung mit gelegentlichem Belastungsschwindel, Unsicherheit bei plötzlichen Kopfdrehungen und Lageschwindel einzustufen sei, entspricht dies einer Gleichgewichtsstörung ohne wesentliche Folgen. In seinem ebenfalls für die BG erstellten Gutachten vom 5. April 2002 kam der Arzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Prof. Dr. A zu dem Ergebnis, dass eine periphere Störung des Gleichgewichts-Systems im Innenohr und zentrale Gleichgewichtsirritationen nicht (mehr) nachzuweisen seien. Auf dieser Grundlage führte der Arzt Dr. Bin seinem Gutachten vom 20. April 2004 aus, der Kläger leide an einer leichteren atypischen Schwindelsymptomatik bei Zustand nach Schädelhirntrauma mit zentralvestibulärer Irritation, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Das Gangbild des Klägers sei ohne Gehhilfen völlig unauffällig gewesen. Monopedales Hüpfen sei ihm links problemlos und rechts etwas beschwerlich mit Schmerzangabe im Hüft-, Knie- und Sprunggelenk möglich gewesen. Das Auf- und Absteigen von Treppen sei ihm auch abwärts freihändig ohne Schwindelsymptomatik oder Fallneigung möglich gewesen. Auch bei einer gemeinsam durchgeführten Gehprobe habe der Kläger eine Wegstrecke von 400 Metern zurückgelegt, ohne über Schwindelerscheinungen zu klagen. Ebenso vermochte der Sachverständige Prof. Dr. Gin seinem Gutachten vom 26. Oktober 2007 nur leichte Gleichgewichts- und/oder Koordinationsstörungen des Klägers festzustellen. Anderes ergibt sich auch nicht aus den weiteren ärztlichen Unterlagen. Soweit der Kläger im Jahr 2006 darüber geklagt hatte, dass er mit dem rechten Unterschenkel immer wieder gegen Gegenstände laufe, vermochte der Arzt für Neurologie Dr. Rin seinem von der BG veranlassten Befundbericht vom 8. September 2006 ebenfalls nur leichtere Gleichgewichts- und/oder Koordinationsstörungen festzustellen (Finger-Nase-Versuch rechts etwas unsicher, links unauffällig, beim Laufen im Zimmer keine Auffälligkeiten, beim Tip-Top-Gang leichte Unsicherheit mit Fallneigung nach rechts, beim Unterberger-Versuch leichte Drehung nach rechts, im Rombergversuch Unsicherheit mit Fallneigung). Soweit die Sachverständige L in ihrem Gutachten vom 28. April 2011 ausgeführt hat, der Kläger habe in ihrer Begleitung eine Gehstrecke von ca. 800 Metern in 35 Minuten zurückgelegt, dabei sei sein Gang sicherer gewesen, wenn sie links neben ihm gelaufen sei, beim Gehen sei der Kläger einerseits in der Lage gewesen, mit ihr Gespräche zu führen und auf Fragen zu antworten, andererseits habe er sich dadurch in seinem Bemühen um Gleichgewicht gestört gefühlt, lässt sich daraus ebenfalls keine mehr als nur leichtgradige Gleichgewichtsstörung des Klägers herleiten.
Der Kläger leidet auch nicht an Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen. Eine Sehbehinderung besteht bei dem Kläger nicht. Die bei ihm vorliegende Hörstörung bei ständigem Ohrgeräusch (Tinnitus) links ist leichtgradig und in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Gnach Teil A Nr. 26.4 AHP (Seite 56 ff.) bzw. Teil B Nr. 5 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 33 ff.) mit einem GdB von 10 zu bewerten. Bei dem Kläger besteht auch keine geistige Behinderung, die für sich genommen oder in Kombination mit der leichtgradigen Hörstörung eine erhebliche Störung seiner Orientierungsfähigkeit bedingt. Weder liegt bei ihm eine geistige Behinderung mit einem GdB von mindestens 80 vor, noch ist hier insoweit ein besonders gelagerter Einzelfall gegeben, bei dem eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch bei einer geistigen Behinderung mit einem GdB unter 80 gegeben ist. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Gin seinem Gutachten 26. Oktober 2007 ausgeführt hat, besteht bei dem Kläger ein Hirnschaden mit mittelgradigen, sich im Alltag deutlich auswirkenden (organisch-) psychischen Störungen, der nach Teil A Nr. 26.3 AHP (Seite 41 f.) und Teil B Nr. 3.1 der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 20 ff.) maximal mit einem GdB von 60 zu bewerten ist. Zu den bei dem Kläger vorliegenden organisch-psychischen Störungen gehören insbesondere Beeinträchtigungen der Merkfähigkeit und Konzentration, vorzeitige Ermüdbarkeit, Einbuße an Überschauvermögen und psychovegetative Labilität (Kopfschmerzen, Schlafstörungen, affektive Labilität), wie auch den von der BG veranlassten neuropsychologischen und neurologischen Zusatzgutachten der Psychologin K vom 22. September 2001 sowie der Ärzte Dr. Mund Dr. K vom 19. Oktober 2001 zu entnehmen ist. Wie die Psychologin S in ihrer neuropsychologischen Stellungnahme vom 3. August 2009 ausgeführt hat, resultieren aus der eingeschränkten Merkfähigkeit des Klägers zwar auch Störungen der Orientierungsfähigkeit. Diese sind jedoch nicht so schwerwiegend, dass hierdurch die Bewegungsfähigkeit des Klägers erheblich beeinträchtigt wäre. So sieht die Psychologin bei dem Kläger auch insoweit nicht die Notwendigkeit einer Einzelfallhilfe. Dies deckt sich auch mit den Verlaufsberichten des Einzelfallhelfers K vom 30. März 2007, 26. April 2008 und 12. Juli 2009, wonach der Kläger jedenfalls mit Hilfe eines Gedächtnis- und Wahrnehmungstrainings durchaus in der Lage ist, sich ohne Begleitung auch auf Wegen, die er nicht täglich benutzt, zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortzubewegen, ohne dabei die Orientierung zu verlieren. Danach würde sich auch dann nichts anderes ergeben, wenn man die geistige Behinderung des Klägers unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen L in ihrem Gutachten vom 28. April 2008 als Hirnschaden mit schwerer Leistungsbeeinträchtigung mit einem GdB von 80 bewertete, wofür allerdings angesichts der vorliegenden neuropsychologischen Befunde kein Anlass besteht.
Soweit der Kläger darüber hinaus an psychischen Störungen, insbesondere an Depressionen und Ängsten leidet und diese Störungen zu Verstimmungen, einer Antriebsminderung und einem zeitweiligen Nicht-Verlassen seiner Wohnung aus Angst vor Unfällen führen, rechtfertigt dies seine Gleichstellung mit den in Teil B Nr. 30 Abs. 4 und Abs. 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 e) und f) der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Personengruppen ebenfalls nicht. Denn im Hinblick auf diesen Personenkreis, bei dem die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sein kann, ohne dass das Gehvermögen betroffen ist, enthält § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine abschließende Aufzählung, die durch die AHP bzw. die Anlage zu § 2 VersMedV ausgefüllt werden. Demnach vermögen psychische Störungen nicht das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung zu begründen, wenn diese sich – wie in der Regel und so auch hier – nicht auf das Gehvermögen selbst auswirken (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 9 BVs 45/93 –, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28. September 2010 – L 11 SB 77/07 –, LSG Hamburg, Urteil vom 12. April 2011 – L 4 SB 7/09 –, jeweils zitiert nach juris). Auf dieser Grundlage führen insoweit auch die Ausführungen der Sachverständigen Lin ihrem Gutachten vom 28. April 2011 nicht weiter.
Aus den Ausführungen der Sachverständigen L ergeben sich auch keine sonstigen – nicht bereits unter Gleichstellungsgesichtspunkten erörterten – besonderen Umstände, die dazu führen könnten, die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ außerhalb der in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV beschriebenen Regelfälle zu bejahen. Die Sachverständige ist hier zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei. Die von ihr insoweit gegebene Begründung, dass ursächlich hierfür letztlich die von ihr festgestellte posttraumatische Belastungsstörung sowie die weiter diagnostizierte dissoziative Störung seien, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn wie der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S in seiner psychiatrischen Stellungnahme vom 8. Juli 2011 nachvollziehbar dargelegt hat, lässt sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung im Fall des Klägers schon deshalb nicht halten, weil der Kläger – wie die Sachverständige an anderer Stelle ihres Gutachtens berichtet hat – an das Unfallereignis keinerlei Erinnerung hat. Vor diesem Hintergrund sind bereits die für die Bejahung einer posttraumatischen Belastungsstörung erforderlichen Eingangskriterien A und B nicht erfüllt, weil sich bei dem Kläger weder Gefühle intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen als Reaktion auf das Erlebte noch ein beharrliches Wiedererleben des Ereignisses in Form von wiederkehrenden und eindringlichen belastenden Erinnerungen und/oder wiederkehrenden belastenden Träumen und/oder Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt, haben eruieren lassen.
Schließlich lässt sich das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ auch nicht aus dem Zusammenwirken der sich auf die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auswirkenden Beeinträchtigungen des Klägers herleiten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 7/06 R –, zitiert nach juris), weil die nach den vorstehenden Ausführungen insoweit zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen nicht so gravierend sind, dass sie in der Gesamtschau den Regelbeispielen in Teil B Nr. 30 Abs. 3 bis 5 AHP bzw. Teil D Nr. 1 d) bis f) der Anlage zu § 2 VersMedV gleichgestellt werden könnten.
Eine weitere Sachaufklärung war nicht erforderlich. Insbesondere musste der Senat den nach § 106 SGG gestellten und auf die Einholung eines neuropsychologischen Gutachtens gerichteten Beweisanträgen nicht folgen. Der Umfang der in § 103 SGG geregelten Amtsermittlungspflicht richtet sich nach dem Streitgegenstand, nämlich dem prozessualen Anspruch des Klägers unter Berücksichtigung der Verteidigung des Beklagten und der möglichen Entscheidung des Gerichts (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 103, Rn. 4). Die Gerichte haben den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, wobei das Ausmaß der Aufklärung und die Wahl der Beweismittel in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt sind und weitgehend vom Einzelfall abhängen (vgl. Großer Senat des BSG, Beschluss vom 11. Dezember 1969 - GS 2/68 - juris). Den Umfang der Amtsermittlung bestimmt das Gericht also aufgrund pflichtgemäßer Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 61/97 - juris). Dabei gilt der allgemeine Grundsatz, dass sich die amtliche Sachaufklärungspflicht nicht auf Tatsachen erstreckt, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (vgl. BSG, Urteile vom 21. September 2000 - B 11 AL 7/00 R – und vom 5. April 2000 - B 5 RJ 38/99 R – beide bei juris). Nach Maßgabe dieser Grundsätze lässt sich die Notwendigkeit eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht erkennen. Denn im Fall des Klägers liegen nicht nur ein nach § 106 SGG eingeholtes Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet und ein nach § 109 SGG veranlasstes Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet, sondern auch noch eine Vielzahl weiterer medizinischer Unterlagen vor, die eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bieten. Dass die gerichtlichen Sachverständigengutachten nicht auf neuropsychologischem Fachgebiet eingeholt worden sind, steht dem nicht entgegen. Denn abgesehen davon, dass sich insbesondere in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der BG aussagekräftige (neuro)psychologische Berichte und sonstige Unterlagen aus neuerer Zeit befinden, haben weder der Sachverständige Prof. Dr. G noch die Sachverständige L die Einholung eines weiteren Gutachtens für erforderlich gehalten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung fehlerhaft sein könnte, bestehen bei kritischer Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen sowie der sonstigen medizinischen Unterlagen nicht. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Umstand, dass der Senat im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung aufgrund einer Gesamtschau der vorhandenen Gutachten und sonstigen Unterlagen zu einem anderen Ergebnis gelangt ist als der Kläger. Denn Divergenzen bei der Beweiswürdigung sind nicht mit Unklarheiten über den zu Grunde liegenden Sachverhalt gleichzusetzen und dementsprechend nicht geeignet, die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen von Amts wegen zu begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.