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Kindernachzug nach Vollendung des 16. Lebensjahres; Beherrschen der deutschen Sprache; Sprachniveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens; Erforderlichkeit von Kenntnissen der Schriftsprache; notwendige Angaben im Sprachnachweis; Gewährleistung des Einfügens in die deutschen Lebensverhältnisse; kein Rückschluss aus englischen Sprachkenntnissen; kein Rückschluss aus der Integration des Vaters; Vorliegen eines Härtefalls; Assoziationsrecht; Stillhalteklausel; Anwendbarkeit auf Familiennachzug zu türkischen Arbeitnehmern; Vorliegen einer neuen Beschränkung; konkrete Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Verwaltungspraxis; Ermessenspraxis in den Jahren 1965 bis 1983; Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allge-meininteresses; legitimes Ziel der Integrationsgewährleistung; Eignung, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit; zulässige Ungleichbehandlung von Kindern und Ehegatten; keine Vorlage an den EuGH; acte éclairé (Entscheidung Genc); keine Zulassung der Revision


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 28.09.2017
Aktenzeichen OVG 11 B 16.16 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2017:0928.11B16.16.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 32 Abs 2 S 2 Alt 1 AufenthG, § 32 Abs 2 S 2 Alt 2 AufenthG, § 32 Abs 4 AufenthG, § 104 Abs 3 AufenthG, § 20 Abs 4 Nr 2 AuslG 1990, § 2 Abs 1 S 2 AuslG 1965, Art 13 EWGAssRBes 1/80

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am ... Februar 1998 geborene Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Kindernachzug.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte bis Mitte des Jahres 2014 bei seiner Mutter in Akdagmadeni. Am 13. Juni 2014 erhielt er das Diplom des dortigen Technischen Anadolu-Gymnasiums, welches Englisch als Fremdsprache ausweist. Ab September 2014 absolvierte er ein zweijähriges freiwilliges Praktikum bei einer Elektrofirma in Ankara. Seit Oktober 2016 ist er als Elektrotechniker in Isparta angestellt.

Der Vater des Klägers lebt in Leipzig, war seit Oktober 2003 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und verfügt seit April 2009 über eine Niederlassungserlaubnis. Von Oktober 2003 bis Januar 2007 war er bei der D... tätig. Seit Mai 2007 ist er als Polier bei der P...Leipzig beschäftigt. Er bewohnt eine Dreizimmerwohnung. Neben dem Kläger und dessen vier älteren Geschwistern ist er Vater eines im März 2011 geborenen, in der Bundesrepublik lebenden Kindes, dem er Unterhalt leistet.

Nachdem das alleinige Sorgerecht für den Kläger mit Urteil des Familiengerichts Akdagmadeni vom 4. März 2014 von der Mutter auf den Vater übertragen worden war, beantragte der Kläger am 7. August 2014 bei der Botschaft der Beklagten in Ankara das streitgegenständliche Visum. In einem Vermerk über eine Befragung bei der Antragstellung wurde festgehalten, dass Deutschkenntnisse beim Kläger nicht vorhanden gewesen seien. Nachdem die Beigeladene den Vater des Klägers zur Vorlage eines C 1-Sprachzertifikats für den Kläger aufgefordert und ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums mit der Begründung verweigert hatte, dass entsprechende Deutschkenntnisse nicht nachgewiesen worden seien und angesichts fehlender Grundkenntnisse auch keine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse erwartet werden könne, lehnte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Ankara die Erteilung des Visums mit Bescheid vom 27. Februar 2015 ab. Der Bescheid enthält die formalisierte Begründung, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG für den Familiennachzug eines ausländischen Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr bereits vollendet habe, nicht vorlägen und dass Gründe für das Vorliegen einer besonderen Härte nach § 32 Abs. 4 AufenthG nicht ersichtlich seien.

Mit seiner am 9. Oktober 2015 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren mit der Begründung weiterverfolgt, dass sein Vater Inhaber des alleinigen Sorgerechts sei, seinen Lebensunterhalt sichern könne und über eine ausreichend große Wohnung verfüge. Weitere Voraussetzungen seien von ihm nicht zu verlangen. Das Erfordernis, die deutsche Sprache zu beherrschen bzw. sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einzufügen, widerspreche der Stillhalteklausel im Assoziationsrecht EWG-Türkei, weswegen das Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen sei. Im Übrigen seien diese Voraussetzungen auch erfüllt.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger Ablichtungen undatierter Bescheinigungen der Fortbildungseinrichtung „... darüber vorgelegt, dass er „zu unserer Ausbildung Deutsch A2 teilgenommen und … dieses Zertifikat mit Erfolg bekommen“ bzw. „an unserem Sprachkurs in der C1 vom 03. Juni bis 05. Oktober 2015 teilgenommen und die Kursabschlussprüfung mit 95 % bestanden“ habe. Er hat vorgetragen, ab Juli 2016 einen C1-Sprachkurs beim Goethe-Institut besucht zu haben, in dessen Rahmen er für eine C1-Deutschprüfung am 4. Oktober 2016 angemeldet sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. September 2016 abgewiesen. Der Nachzugsanspruch richte sich nicht nach § 104 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit § 20 AuslG in seiner bis Ende 2004 geltenden Fassung, da die neuere Rechtslage bezüglich § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG günstiger sei und bezüglich 32 Abs. 2 AufenthG der alten entspreche. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien nicht erfüllt. Ob der Vater des Klägers trotz unterbliebener persönlicher Anhörung der Mutter Inhaber des alleinigen Sorgerechts geworden sei, könne dahinstehen, da der Kläger die weiteren Voraussetzungen der Norm nicht erfülle. Zum einen habe er den Nachweis nicht erbracht, vor Vollendung des 18. Lebensjahres die deutsche Sprache auf C1-Niveau beherrscht zu haben. Das vorgelegte C1-Sprachschulzertifikat vermöge dies angesichts im Einzelnen benannter Umstände nicht zu belegen. Zum anderen sei nicht gewährleistet, dass der Kläger sich in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen könne, da er sein ganzes Leben in der Türkei verbracht und seinen Vater nie besucht habe, dem Schulabschluss lediglich ein Praktikum gefolgt sei und nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger gut genug deutsch spreche, um nach der Einreise eine Schule besuchen, eine Ausbildung aufnehmen oder sich in der Arbeitswelt zurecht finden zu können. Auch eine besondere Härte im Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG liege nicht vor, da eine nach Ausreise des Vaters eingetretene Änderung solcher Umstände, die bislang den Verbleib des Klägers in der Türkei ermöglichten, weder vorgetragen noch ersichtlich sei. Ein Nachzugsanspruch ergebe sich auch nicht aus dem Assoziationsrecht EWG-Türkei. Zwar könne der Kläger sich als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen. Die Anforderungen für den Nachzug von über 16-jährigen Kindern seien jedoch keine „neuen Beschränkungen“, da die frühere Rechtslage weder am 1. Dezember 1980 noch in der Folgezeit günstiger gewesen sei. Nach der damaligen Nachzugsregelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 habe lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bestanden. Eine Ermessenslenkung dahingehend, minderjährigen Familienangehörigen von türkischen Arbeitnehmern stets oder im Regelfall einen Familiennachzug zu gestatten, sei nicht erkennbar. Demgegenüber vermittle § 32 AufenthG als gebundener Anspruch eine günstigere Rechtsstellung, in dessen Voraussetzungen ebenfalls keine Verschlechterung liege, weil die Integrationsperspektive schon damals maßgeblicher Gesichtspunkt für die Ermessensentscheidung gewesen sei.

Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung macht der Kläger u.a. geltend, dass er einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums aus § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 in Verbindung mit Art. 13 ARB 1/80 ableiten könne. Das Vorliegen einer neuen Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 sei konkret zu beurteilen und angesichts des nach alter Rechtslage eröffneten Ermessens bereits dann zu bejahen, wenn – wie vorliegend – eine positive Bescheidung des Nachzugsbegehren möglich erscheine. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union im Fall Dogan erschwere die Regelung des § 32 Abs. 2 S. 1 AufenthG den Familiennachzug, weil sie die Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme eines Familienangehörigen im Vergleich zu jenen verschärfe, die bei Inkrafttreten des Zusatzprotokolls gegolten hätten. Die Beschränkung sei weder aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit noch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Als ein solcher komme nur ein neuer Grund in Betracht, da die Stillhalteklausel gegenstandslos würde, wenn bereits vorab bestehende Zielsetzungen des Ausländerrechts wie die Steuerung von Migrationsströmen zur Rechtfertigung nachträglicher Beschränkungen herangezogen werden könnten. Einer Rechtfertigung stehe weiter entgegen, dass die Nichterfüllung der Voraussetzungen automatisch, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, zur Ablehnung des Visumantrags führe. Dies sei hier der Fall, weil die Härtefallklausel des § 32 Abs. 4 AufenthG nur einen engen Anwendungsbereich habe und es an einem auf die Sprachkenntnisse bezogenen Ausnahmetatbestand fehle. Auch differenziere der Gesetzgeber ungerechtfertigt zwischen Ehegatten, die lediglich Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 benötigen, und über 16jährigen Kindern, denen eine günstige Integrationsprognose erst bei Sprachkenntnissen auf dem Niveau C1 gestellt werde, obwohl deren Spracherwerb regelmäßig leichter und schneller vonstattengehe. Die nach § 2 Abs. 1 S. 2 AuslG 1965 gebotene Ermessensausübung habe die Beklagte unterlassen und könne sie nicht nachholen. Bei Einstellung aller für ihn sprechenden Umstände in das Ermessen sei das Visum zu erteilen. Das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass seine englischen Sprachkenntnisse ihm ein weiteres Erlernen der deutschen Sprache im Bundesgebiet erleichterten, dass die Bitte des Vaters, einen Dolmetscher für die mündliche Verhandlung zu laden, eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sei, und dass das Absolvieren eines Praktikums nach dem Abitur eine auch in Deutschland übliche Orientierungsentscheidung sei. Auch könne ihm die fehlende Kenntnis der kulturellen und sozialen Verhältnisse in Deutschland nicht angelastet werden, weil sie auf die lange Verfahrenslaufzeit zurückzuführen sei. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei auch sein Einfügen in die bundesdeutschen Lebensverhältnisse im Sinne des §§ 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG gewährleistet. Schließlich belege das vorgelegte C1-Zertifikat, dass er über die von § 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AufenthG geforderten Sprachkenntnisse verfüge. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er mit der Anmeldung zu einem weiteren Sprachtest beim Goethe-Institut lediglich den Anforderungen der Beklagten habe genügen wollen.

Der Kläger beantragt

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. September 2016 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft in Ankara vom 27. Februar 2015 zu verpflichten, ihm ein Visum zum Familiennachzug zu seinem Vater zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Gegen das Vorliegen der dem Kläger bescheinigten C1-Sprachkenntnisse spreche, dass dieser sich in der Folge nicht nur zu einer weiteren Sprachprüfung, sondern auch zu einem weiteren Sprachkurs angemeldet habe. Das Verwaltungsgericht habe die Klageabweisung nicht darauf gestützt, dass der Vater des Klägers keine Gewähr für dessen Integration biete, sondern darauf, dass aus seinen Deutschkenntnissen keine positiven Erkenntnisse für den Kläger gezogen werden könnten. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Fehlen derjenigen Voraussetzungen, an die § 32 Abs. 2 AufenthG heute einen Nachzugsanspruch knüpfe, nach alter Rechtslage regelmäßig zur Ablehnung des Nachzugsbegehrens geführt hätte, weil unter diesen Umständen eine positive Ermessensausübung ermessensfehlerhaft, zumindest aber eine negative Ermessensausübung recht- und zweckmäßig gewesen sei. Jedenfalls sei eine Beschränkung mit dem Ziel, die erfolgreiche Integration zu gewährleisten und Migrationsströme wirksam zu steuern, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und ihre Verhältnismäßigkeit durch die Härtefallklausel des §§ 32 Abs. 4 AufenthG gewahrt. Woraus sich die klägerseits im Rahmen von § 2 Abs. 1 S. 2 AuslG 1965 angenommene Ermessensreduzierung auf Null ergebe, sei nicht ersichtlich.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Es sei unerheblich, ob auf die konkrete Rechtslage abzustellen sei, da das Verwaltungsgericht die alte und die neue Rechtslage auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls verglichen habe. Der Kläger verkenne, dass Sprachkenntnisse des Niveaus C1 keine zwingende Voraussetzung für die Visumerteilung darstellten und dass die gebotene Einzelfallprüfung im Rahmen von § 32 Abs. 2 S. 1 Alt 2 und § 32 Abs. 4 AufenthG erfolge. Dass der Kläger nach dem Abitur lediglich eine Orientierungsphase durchlaufen habe, könne zu seinen Lasten berücksichtigt werden, da dieser sich nicht mit deutschen Jugendlichen vergleichen könne, sondern von ihm besondere Anstrengungen zur Integrationserleichterung zu erwarten seien.

Der Kläger hat beantragt, dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Vorabentscheidungsfragen vorzulegen; zu den Einzelheiten wird auf Bl. 360 bis 368 der Streitakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Streitakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der den Kläger und seinen Vater betreffenden Ausländerakten der Beigeladenen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in Abwesenheit der Beigeladenen verhandeln und entscheiden, da sie mit der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die zwar zulässige, jedoch unbegründete Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

I.

Der Kläger hat keinen Visumanspruch nach § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 6 Abs. 3 AufenthG.

Gemäß § 32 Abs. 1 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil einen der dort genannten Aufenthaltstitel, u.a. eine Niederlassungserlaubnis, besitzen. Nach § 32 Abs. 2 AufenthG gilt dies für ein minderjähriges lediges Kind, das bereits das 16. Lebensjahr vollendet hat und seinen Lebensmittelpunkt nicht zusammen mit seinen Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in das Bundesgebiet verlegt, nur, wenn es die deutsche Sprache beherrscht [Alt. 1] oder wenn gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann [Alt. 2].

Zwar sind die genannten Regelungen vorliegend anwendbar (1.). Auch erfüllt der Kläger die Altersvoraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG (2.) und sind die allgemeinen Visumerteilungsvoraussetzungen gegeben (3.). Weiter ist sein Vater im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und des alleinigen Sorgerechts (4.). Es ist jedoch weder feststellbar, dass der Kläger die deutsche Sprache beherrscht (5.), noch gewährleistet, dass er sich in die hiesigen Lebensverhältnisse einfügen kann (6.).

1. Das Nachzugsbegehren ist nicht vorrangig nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG 1990 i.V.m. § 104 Abs. 3 AufenthG zu prüfen. Nach der Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 3 AufenthG gilt bei Ausländern, die sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben, hinsichtlich eines Nachzugs der vor diesem Zeitpunkt geborenen Kinder § 20 AuslG 1990 in der zuletzt gültigen Fassung, es sei denn die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes gewähren eine günstigere Rechtsstellung. Zwar hat sich der Vater des Klägers vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, das Aufenthaltsgesetz gewährt dem Kläger insoweit jedoch eine günstigere Rechtsposition, da § 32 Abs. 2 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während die Vorgängerregelung des § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG unter denselben Voraussetzungen den Nachzug in das Ermessen der Ausländerbehörde stellte.

2. Der im Februar 1998 geborene Kläger erfüllt die Altersvoraussetzung des § 32 Abs. 2 AufenthG, weil er zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Visumantragstellung im August 2014 das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Wird, wie hier, die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten, folgt daraus allerdings, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht nur aktuell sondern spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zu Gunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene in dem bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17/08 -, juris, Rn. 10 unter Bezugnahme auf Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, juris Rn. 16 f.)

3. Auch die allgemeinen Visumerteilungsvoraussetzungen waren zum Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres und sind gegenwärtig gegeben.

a. Der Lebensunterhalt war und ist im Sinne der §§ 27 Abs. 3, 2 Abs. 3 AufenthG gesichert.

Zum Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres am 20. Februar 2016 verfügte der vollbeschäftigte Vater des Klägers, selbst unter Berücksichtigung lediglich des Stundenlohnes von 20 Euro, über einen durchschnittlichen Monatslohn von 3.476 Euro brutto, aus sich dem nach Abzug der darauf nach Steuerklasse I mit 1,5 Kindern im Jahr 2016 entfallenden 591 Euro Steuern sowie 700 Euro Sozialabgaben des bei der AOK mit einem Arbeitnehmeranteil von 7,6 % versicherten Vaters ein Monatsnetto von 2.185 Euro ergibt. Davon in Abzug zu bringen sind maximal die in § 11b Abs. 2 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten von monatlich 100 Euro. Hinzuzurechnen sind das Kindergeld von 190 Euro für den gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 c BuKG kindergeldberechtigten Kläger sowie das hälftige Kindergeld von 95 Euro für das im März 2011 geborene Kind, dem der Vater Unterhalt leistet. Dies ergibt verfügbare Einkünfte von 2.370 Euro monatlich, an deren Nachhaltigkeit Zweifel nicht ersichtlich sind. Demgegenüber steht ein Regelbedarf von 404 Euro für den Vater und 324 Euro für den Kläger sowie die Warmmiete von 350 Euro. Krankenversicherungskosten entstehen für den Kläger nicht, da nicht erwerbstätige Kinder unter 24 Jahren familienversichert sind (10 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Hinzuzurechnen ist der Unterhalt für das weitere Kind in der 2016 gezahlten Höhe von 225 Euro. Diesen Gesamtbedarf von 1.303 Euro übersteigen die ermittelten Einkünfte um 1067 Euro.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ergeben sich keine maßgeblichen Änderungen. Bei konstantem Stundenlohn ergibt sich weiterhin ein Monatsbrutto von 3.476 Euro brutto, aus sich im Jahr 2017 nach Abzug von 581 Euro Steuern sowie 703 Euro Sozialabgaben ein Monatsnetto von 2.192 Euro errechnet, von dem 100 Euro pauschalierte Werbungskosten abzuziehen und zu dem 192 Euro bzw. 96 Euro für 1,5 Kindergeldbeträge hinzuzurechnen sind. Dies ergibt verfügbare und nachhaltige Einkünfte von 2.380 Euro monatlich. Demgegenüber steht ein Regelbedarf für den Vater und den Kläger von 409 Euro bzw. 327 Euro, die Warmmiete von 350 Euro sowie 356 Euro aktuell gezahlter Unterhalt. Diesen Gesamtbedarf von 1442 Euro übersteigen die ermittelten Einkünfte um 906 Euro.

b. Auch steht im Falle eines Nachzugs des Klägers mit der 58 qm großen, vom Vater allein bewohnten Dreizimmerwohnung ausreichender Wohnraum im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zur Verfügung.

c. Schließlich verfügt der Kläger im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG über einen noch bis zu 7. September 2018 gültigen Pass.

4. Der Vater des Klägers war und ist zu den genannten Zeitpunkten auch im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und Inhaber des alleinigen Sorgerechts für diesen. Letzteres ist ihm durch die Entscheidung des türkischen Familiengerichts Akdagmadeni vom 4. März 2014 wirksam übertragen worden. Ein Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public international – der nach Art. 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens bzw. Art. 10 Abs. 1 lit. a) des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens die Grenze der gegenseitigen Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen darstellt (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 14/12 –, juris Rn. 16 ff. und Urteil des Senates vom 12. Juli 2017 – OVG 11 B 5.16 –, juris Rn. 15 ff., jeweils m.w.N.) – ist vorliegend nicht ersichtlich. Dass das Familiengericht im Vorfeld der Übertragung lediglich den Kläger mündlich, seine Eltern hingegen nur schriftlich angehört hat, verstieß bereits deshalb nicht gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, weil auch im deutschen Verfahrensrecht für Sorgerechtsübertragungen die gebotene Anhörung der Eltern (§ 160 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FamFG), anders als diejenige des Kindes (§§ 159 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 FamFG), nicht zwingend in persönlicher Form erfolgen muss. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen den materiellrechtlichen ordre public vor, denn Belange des klägerischen Kindeswohls standen der – vom Familiengericht mit der wünschenswerten Entfernung des Klägers aus einem negativen Bekanntenkreis, der fehlenden Einflussmöglichkeit der Mutter und der Vorbildwirkung des Vaters begründeten – Sorgerechtsübertragung nicht zwingend entgegen. Ob die Sorgerechtsübertragung – wie die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat – türkischem Familienrecht zuwiderläuft, ist unerheblich (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 – OVG 11 B 3.10 –, juris Rn. 32 ff.).

5. Der Kläger hat jedoch den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass er bei Vollendung des 18. Lebensjahres im Februar 2016 die deutsche Sprache i.S.d. § 32 Abs. 2 S. 1 1. Alt. AufenthG beherrschte. Nichts anderes gilt bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

a. Das Spracherfordernis des § 32 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG steht in Übereinstimmung mit der die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung.

Diese Richtlinie regelt die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zu einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält (Art. 1). Sie findet vorliegend Anwendung, da der Vater des Klägers Drittstaatsangehöriger ist (Art. 2 Buchst. a), als Zusammenführender (Art. 2 Buchst. c) in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht die Voraussetzungen des Art. 3 der Richtlinie erfüllt und der Kläger als minderjähriges Kind eines Zusammenführenden, der das Sorgerecht besitzt und für den Unterhalt aufkommt, zum Kreis der begünstigten Familienangehörigen gehört (Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c).

Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie gestatten die Mitgliedstaaten den dort genannten Familienangehörigen des Zusammenführenden vorbehaltlich der in Kapitel IV sowie in Art. 16 genannten Bedingungen die Einreise und den Aufenthalt. Als eine dieser Bedingungen sieht Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen können, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie kann ein Mitgliedstaat jedoch bei einem Kind über zwölf Jahren, das unabhängig vom Rest seiner Familie ankommt, weiterhin prüfen, ob dieses ein zum Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenes Integrationskriterium erfüllt, bevor es ihm die Einreise und den Aufenthalt gestattet. Da das Erfordernis, die deutsche Sprache zu beherrschen oder sich in die Lebensverhältnisse einzufügen, bereits in § 20 Abs. 4 Nr. 1 des zum 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Ausländergesetzes 1990 verankert war und damit schon zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie bestand, ist seine weitere Anwendung folglich von der Richtlinie gedeckt.

b. Der Legaldefinition des § 2 Abs. 12 AufenthG zufolge beherrscht ein Ausländer die deutsche Sprache, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen – GER – (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen; deutsche Fassung unter http://www.goethe.de/z/50/commeuro/deindex.htm) entsprechen.

Sprachkenntnisse des Niveaus C1 werden in der sogenannten Globalskala des GER (Ziff. 3.3, Tabelle 1) wie folgt umschrieben: „Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.“ Innerhalb der Globalskala untergliedert der GER die Sprachniveaus weiter bezüglich einzelner kommunikativer Aktivitäten und Strategien in solche produktiver Art (d. h. Sprechen und Schreiben, vgl. Ziff. 4.4.1 GER), rezeptiver Art (d. h. Hören und Lesen, vgl. Ziff. 4.4.2 GER), interaktiver Art (d. h. mündliche und schriftliche Interaktion, vgl. Ziff. 4.4.3 GER) sowie sprachmittelnder Art (d.h. Übersetzen und Dolmetschen, vgl. Ziff. 4.4.4 GER). Der Referenzrahmen enthält indes keine Festlegung dahingehend, dass innerhalb der einzelnen Sprachniveaus alle oder bestimmte Formen der Sprachaktivität zu erwerben sind; er ist vielmehr darauf konzipiert, sowohl im Rahmen umfassender (auf sämtliche kommunikative Kompetenzen abzielender) als auch im Rahmen partieller (nur auf bestimmte kommunikative Kompetenzen abzielender) oder gewichteter (bestimmte Aktivitäten stärker betonender) Lernprogramme und Zertifikate Anwendung zu finden (Ziff. 1.5, GER). Dementsprechend enthalten die Zertifikate etablierter Sprachprüfungen auf der Grundlage des GER nicht nur Angaben über das geprüfte Sprachniveau, sondern auch Angaben dazu, auf welche Sprachaktivitäten sich die Prüfung bezieht und mit welchen Einzelnoten bzw. welchem Gewicht diese in die Bewertung einfließen.

Für ein Beherrschen der deutschen Sprache im Sinne von § 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AufenthG sind auch Kenntnisse der Schriftsprache (Lesen und Schreiben) zu fordern. Denn wie sich aus einem Vergleich der Regelung mit anderen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes ergibt, die bestimmte Kenntnisse der deutschen Sprache verlangen, bringt der Gesetzgeber es klar zum Ausdruck, wenn (ausnahmsweise) mündliche Kenntnisse genügen. So ist etwa für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG erforderlich, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, und nur unter den besonderen Voraussetzungen von § 104 Abs. 2 AufenthG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG reicht es aus, wenn er sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann. Auch bei der Altfallregelung in § 104a AufenthG ist ausdrücklich klargestellt, dass der Ausländer nur über mündliche Kenntnisse verfügen muss (so bezüglich der in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangten Grundkenntnisse: BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 – 1 C 8/09 –, juris Rn. 14). Die Erstreckung des Spracherfordernisses auf das Beherrschen der deutschen Schriftsprache entspricht auch Sinn und Zweck des § 32 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG. Denn dass eine Integration eines über 16jährigen Kindes in die hiesigen Verhältnisse nur dann gewährleistet ist, wenn es die deutsche Sprache lesen und schreiben kann, zeigt sich in der großen Bedeutung, die dieser Form der Kommunikation in vielen Bereichen, insbesondere im schulischen und beruflichen Umfeld, zukommt.

Für den Nachweis der entsprechenden Sprachkompetenz ist die Vorlage eines entsprechenden Zertifikats einer akkreditierten Stelle eine hinreichende, aber keine notwendige Voraussetzung; entscheidend ist, dass die entsprechenden Kenntnisse tatsächlich vorliegen (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – BVerwG 10 C 11/12 –, juris Rn. 27).

c. Nach diesem Maßstab lässt sich vorliegend nicht zur Überzeugung des Senats feststellen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres im Februar 2016 über mündliche und schriftliche Sprachkenntnisse des Niveaus C1 verfügte und dass diese Fähigkeiten gegenwärtig vorhanden sind.

aa. Zum Beleg entsprechender Fähigkeiten hat der Kläger allein auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte C1-Bescheinigung des „Ankara Kariyer Merkezi“ verwiesen. Aus dieser ergibt sich jedoch nicht, dass der Kläger über die erforderlichen mündlichen und schriftlichen deutschen Sprachkenntnisse des Niveaus C1 des GER verfügt. Die Bescheinigung lässt schon nicht eindeutig erkennen, dass die attestierten C1-Kenntnisse solche der deutschen Sprache sind. Ebenso wenig geht aus ihr hervor, welche produktiven, rezeptiven, interaktiven oder sprachmittelnden Aktivitäten Gegenstand des Kurses und der Prüfung waren. Weiter enthält die Bescheinigung keine Angaben dazu, mit welchem Gewicht die Beherrschung der einzelnen Fähigkeiten in das Prüfungsergebnis eingeflossen ist, so dass der bescheinigte Prozentwert keinen Rückschluss darauf zulässt, in welchem Maß der Kläger einzelne Aktivitäten, insbesondere die Schriftsprache beherrscht.

bb. Selbst aber wenn man zugunsten des Klägers unterstellen wollte, dass das vorgelegte Zertifikat mündliche und schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache auf C1-Niveau bescheinigt, kann der Senat sich nicht davon überzeugen, dass eine solche Feststellung den Tatsachen entspricht.

Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 23. September 2016 angab, einen weiteren C1-Sprachkurs zu besuchen, spricht indes nach Auffassung des Senates weder für noch gegen das Vorliegen entsprechender Kenntnisse bereits im Oktober 2015. Unterstellt man den Vortrag als wahr, lässt der Umstand nicht darauf schließen, dass der Kläger zuvor noch nicht über C1-Kenntnisse verfügte, denn ebenso gut wäre es möglich, dass ein solcher Kursbesuch ein bereits erworbenes Sprachniveau erhalten und damit die weitere Erfüllung der Visumvoraussetzungen sicherstellen sollte. Geht man dagegen von einer Schutzbehauptung aus, so würde auch eine solche keine Rückschlüsse auf den Umfang der tatsächlichen Sprachbeherrschung des Klägers zulassen.

Gegen die inhaltliche Richtigkeit der vorgelegten Bescheinigung spricht jedoch der bereits vom Verwaltungsgericht angeführte Umstand, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben, die sich mit den Feststellungen des Botschaftsmitarbeiters und damit decken, dass sein Diplomzeugnis von Juni 2014 lediglich Englisch als Fremdsprache ausweist, noch zum Zeitpunkt der Visumantragstellung im August 2014 über keinerlei Deutschkenntnisse verfügte. Da für den Erwerb des Sprachniveaus C1 etwa 720 bis 1200 Stunden zu veranschlagen sind – die Sprachschule des Klägers geht von 720 Stunden (http://www.ankara-kariyermerkezi.com/?pnum=43&pt=Almanca+Kursu), die Universität Halle von 800 bis 1200 Stunden aus (http://www.sprache.uni-halle.de/deutschkurse/course _level/) –, wäre ein nachträglicher begonnener Spracherwerb nur dann plausibel, wenn der Kläger in den 14 Monaten zwischen der Visumantragstellung und dem bescheinigtem Kursende ein intensives Lernprogramm von etwa 12 bis 20 Wochenstunden absolviert hätte. Spracherwerbsbemühungen in diesem Umfang sind jedoch nicht vorgetragen und lassen sich auch nur schwer mit der Tatsache vereinbaren, dass der Kläger parallel ein berufsvorbereitendes Praktikum absolvierte.

Gegen die inhaltliche Richtigkeit der Bescheinigung spricht weiter der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass der Kläger bei Klageerhebung am 9. Oktober 2015 lediglich eine Bescheinigung über Deutschkenntnisse auf A2-Niveau vorlegte und in der Klageschrift keine Angaben zu darüber hinausgehenden Fähigkeiten machte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt – folgt man den Angaben in der erst am 23. Mai 2016 vorgelegten C1-Bescheinigung – bereits einen viermonatigen C1-Sprachkurs besucht und die C1-Prüfung bestanden hatte. Dass der Kläger einen Umstand, dessen Entscheidungserheblichkeit für ihn aufgrund des bisherigen Verfahrensgangs offenkundig war, mehr als sieben Monate unerwähnt ließ, kann sich der Senat nur dadurch erklären, dass die entsprechende Bescheinigung erst nachträglich erstellt worden ist. Dies wiederum weist darauf hin, dass die bescheinigten Tatsachen nicht der Wahrheit entsprechen. Denn hätte der Kläger tatsächlich unter erheblichem zeitlichem Einsatz fortgeschrittene Deutschkenntnisse erworben und Anfang Oktober 2015 erfolgreich eine C1-Prüfung absolviert, so hätte es sich für ihn aufdrängen müssen, sich deren Bestehen umgehend bescheinigen zu lassen, um seinem Visumbegehren zeitnah zum Erfolg zu verhelfen.

Gegen die inhaltliche Richtigkeit der C1-Bescheinigung spricht schließlich auch die Gestaltung dieser und der A2-Bescheinigung desselben Institutes. Beide unter dem Briefkopf des Ankara Kariyer Merkezi erstellten Zertifikate sind in unrichtigen Deutsch formuliert, dessen Verwendung Zweifel daran erweckt, dass der Aussteller selbst über diejenige Sprachkompetenz verfügt, die beim Kläger geprüft worden sein soll. Beide Sprachzertifikate lassen nicht erkennen, auf welche Sprachaktivitäten sie sich beziehen, sind undatiert und die A2-Bescheinigung gibt überdies auch den Prüfungszeitpunkt nicht an, obwohl einer laut Ihrem Internetauftritt auf der Grundlage des GER arbeitenden Sprachschule die Relevanz der betreffenden Angaben offenkundig sein müsste.

In der Gesamtschau lassen die vorgenannten Umstände daher für den Senat lediglich den Schluss zu, dass die bescheinigte C1-Prüfung des Klägers nicht stattgefunden bzw. nicht das zertifizierte Ergebnis erbracht hat.

6. Ebenso wenig erscheint es i.S.d. § 32 Abs. 2 S. 1 1. Alt. 2 AufenthG gewährleistet, dass der Kläger sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.

Für die Erfüllung dieser – aus den vorgenannten Gründen richtlinienkonformen – Tatbestandsvoraussetzung genügt es nicht, dass eine erfolgreiche Integration möglich erscheint. Vielmehr muss aufgrund konkreter Anhaltspunkte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine positive Integrationsprognose gerechtfertigt sein. Wie die Gleichstellung dieses Erfordernisses mit der Tatbestandsalternative des Beherrschens der deutschen Sprache zeigt, bedarf es dafür ebenso gewichtiger Umstände wie solcher der Sprachbeherrschung. Diese müssen ein Kind, das in absehbarer Zeit die Volljährigkeit erreicht, in die Lage versetzen, sich unter den hiesigen Lebensverhältnissen ohne größere Schwierigkeiten so fortzuentwickeln, dass er als Erwachsener in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert sein wird und in den Angelegenheiten seines täglichen Lebens ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter selbständig zu handeln vermag, ohne dass ihm diese künftige Fähigkeit erst durch einen Integrationskurs i.S.d. § 43 AufenthG vermittelt werden müsste.

Nach der – die Gerichte nicht bindenden – Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 ist dies im Allgemeinen bei Kindern anzunehmen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in einem sonstigen in § 41 Abs. 1 S. 1 AufenthV genannten Staat aufgewachsen sind (Nr. 32.2.4). Auch bei Kindern, die nachweislich aus einem deutschsprachigen Elternhaus stammen oder die im Ausland nicht nur kurzzeitig eine deutschsprachige Schule besucht haben, ist danach davon auszugehen, dass sie sich integrieren werden (Nr. 32.2.5). Generell ist danach davon auszugehen, dass einem Kind die Integration umso leichter fallen wird, je jünger es ist (Nr. 32.2.6; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 – 1 C 22/96 –, juris Rn. 24). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, setzt eine positive Integrationsprognose zudem regelmäßig wenigstens Grundkenntnisse der deutschen Sprache voraus (HTK AuslR -Sennekamp, Stand 4/2016, § 32 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 2.3 b; Bergmann/Dienelt - Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 32 Rn. 37).

Dergleichen aussagekräftige Anhaltspunkte sind für den Senat vorliegend weder für den Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit noch für den gegenwärtigen Zeitpunkt erkennbar.

Zugunsten des Klägers spricht zwar, dass er in der Türkei nicht nur der achtjährigen Schulpflicht genügt, sondern das Diplom einer weiterführenden Schule mit einem Resultat von 69,14 Punkten erreicht hat, das gemäß den von den deutschen Universitäten angewandten Umrechnungsregelungen etwa mit der Note 3,0 gleichzusetzen ist (vgl. https://www.uni-hannover.de/fileadmin/luh/content/zentral/anerkennung/notenumrechnung.pdf). Mithin ist davon auszugehen, dass der Kläger über einen Kenntnisstand verfügte, mit dem er den Anforderungen einer Berufsausbildung und möglicherweise sogar eines Studiums in inhaltlicher Hinsicht gewachsen erscheint. Zulasten des Klägers spricht jedoch, dass sich nicht feststellen lässt, dass dieser über deutsche Sprachkenntnisse verfügt, die ihn in die Lage versetzen würden, auch den sprachlichen Anforderungen einer Berufsausbildung oder eines Studiums zu genügen. Der Verweis des Klägers darauf, englische Sprachkenntnisse auf Abiturniveau zu besitzen, aufgrund derer ihm ein Erlernen der deutschen Sprache leichter falle, rechtfertigt keine andere Bewertung. Zum einen bewirkt – in objektiver Hinsicht – auch eine solche Erleichterung nicht, dass sich Deutschkenntnisse in einem die Aufnahme einer Ausbildung ermöglichenden Umfang zeitnah nach der Einreise erwerben lassen. Zum anderen lässt – in subjektiver Hinsicht – die bisherige Entwicklung des Klägers nicht den Schluss darauf zu, dass dieser über ein ausgeprägtes Interesse an seiner Fortentwicklung verfügt. Zu Recht stellt das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf ab, dass der Kläger die seit dem Abitur verstrichene Zeit nicht dafür genutzt hat, eine weiterführende Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu absolvieren oder einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, sondern lediglich ein Praktikum absolviert hat. Der klägerische Hinweis, dass eine solche Orientierungsphase auch bei deutschen Jugendlichen gebräuchlich sei, mag zutreffen, vermag indes den für die Integrationsprognose relevanten Umstand, dass der Kläger nur mäßige Fortkommensbestrebungen manifestiert hat, nicht zu entkräften.

Gegen eine positive Integrationsprognose spricht insbesondere, dass der bereits volljährige Kläger bisher keine wesentliche Berührung mit den sozialen und kulturellen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland oder einem anderen Staat der Europäischen Union hatte. Er hat sein ganzes bisheriges Leben mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in der Türkei verbracht, dort nur türkisch gesprochen und seine gesamte Schullaufbahn ausschließlich auf türkischen Schulen absolviert. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass auch das Erlernen der englischen Sprache ohne persönliche Erfahrungen in einem westlichen Lebensumfeld keine Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen erzeugt. Auch hat der Kläger seinen Vater nie in Deutschland besucht. Ob, wie der Kläger vorträgt, seine fehlende Kenntnis von den kulturellen und sozialen Verhältnissen in Deutschland der Verfahrenslaufzeit geschuldet ist, kann dahinstehen, weil die Integrationsprognose insoweit an objektive Umstände und nicht an deren subjektive Vorwerfbarkeit anknüpft.

Schließlich ist auch der Umstand, dass der Vater des Klägers seit vielen Jahren in Deutschland lebt, einer qualifizierten und gut bezahlten Erwerbstätigkeit nachgeht und – was der Senat zu seinen Gunsten unterstellt – die deutsche Sprache beherrscht, nicht geeignet, eine Integration des Klägers zu gewährleisten. Der Vater hat in rechtlicher Hinsicht keine Möglichkeit mehr, auf die Entscheidungen des volljährigen Klägers Einfluss zu nehmen. Auch in tatsächlicher Hinsicht ist der Einfluss dadurch begrenzt, dass der Kläger im Fall des Nachzuges nicht mehr wirtschaftlich von seinem Vater abhängig wäre, sondern einen eigenen Hausstand gründen und erforderlichenfalls Hilfe zum Lebensunterhalt beanspruchen könnte. Da der Vater seinen Lebensentwurf danach nicht ohne weiteres auf den Kläger zu übertragen vermag, lässt dessen Integration daher keinen belastbaren Rückschluss auf die weitere Entwicklung des Klägers zu.

In der Gesamtschau kann sich der Senat daher nicht von einer gewährleisteten Integration des Klägers in die deutschen Lebensverhältnisse überzeugen.

II.

Der Kläger kann eine Visumerteilung gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG oder die Neubescheidung seines Visumbegehrens auch nicht zur Vermeidung einer besonderen Härte beanspruchen.

1. Der betreffende Anspruch richtet sich vorliegend, anders als erstinstanzlich angenommen, nicht nach 32 Abs. 4 AufenthG, sondern nach § 104 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG 1990. Nach § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG 1990 konnte dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers im Übrigen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es auf Grund der Umstände des Einzelfalles zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich war. Gemäß 104 Abs. 3 AufenthG findet diese Norm auch nach ihrem Außerkraftteten zum 1. Januar 2005 weiter Anwendung auf den Kläger, weil die Nachfolgeregelung des § 32 Abs. 4 AufenthG, welche das Verwaltungsgericht herangezogen hat, ihm keine günstigere Rechtsposition vermittelt. Denn beide Regelungen setzen tatbestandlich eine besondere Härte voraus, die nach demselben Maßstab zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 – 1 C 32/07 –, juris Rn. 31), und eröffnen in der Rechtsfolge Ermessen.

2. Dieses Ermessen ist im vorliegenden Fall nicht eröffnet, weil bereits das Tatbestandsmerkmal der besonderen Härte nicht erfüllt ist.

Eine besondere Härte setzt nach der vom Senat geteilten (Beschluss vom 6. Januar 2012 – OVG 11 N 100.11 –, juris Rn. 5) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass das Interesse des minderjährigen Kindes und des im Bundesgebiet lebenden Elternteils an einem Zusammenleben deswegen vorrangig ist, weil sich die Lebensumstände wesentlich geändert haben, die das Verbleiben des Kindes im Heimatland bisher ermöglichten, und weil dem Elternteil eine Rückkehr in das Heimatland gegenwärtig nicht zumutbar ist. Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte ist demzufolge der Eintritt eines Umstands, den der Elternteil bei seiner früheren Entscheidung, das Kind nicht nach Deutschland nachzuholen, nicht in Rechnung stellen konnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 1 B 180.96 -, juris Rn. 5; Beschluss vom 24. Januar 1994 – 1 B 181/93 –, juris Rn. 3). An einer solchen unvorhersehbaren Änderung in den Lebensumständen des Klägers fehlt es hier.

Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sein Nachzug ursprünglich bereits vor Vollendung des 16. Lebensjahres geplant gewesen wäre. Vielmehr deutet die enge zeitliche Abfolge von Sorgerechtsübertragung im März 2014, Schulabschluss im Juni 2014 und Visumantragstellung im August 2014 darauf hin, dass die Entscheidung, den Kläger über das 16. Lebensjahr hinaus in der Türkei zu belassen, dem Wunsch geschuldet war, dass dieser dort zunächst seine Schulausbildung abschließen sollte, mithin auf einem Umstand, der genauso wie ursprünglich geplant eingetreten ist.

Auch in Bezug auf den altersbedingt erforderlichen Spracherwerb des Klägers fehlt es an einer nachträglichen Änderung. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger rechtzeitig Spracherwerbsbemühungen unternommen hat, die aus unvorhersehbaren Gründen gescheitert sind. Dass der Kläger möglicherweise vor der Visumantragstellung keine Kenntnis vom Erfordernis der Sprachbeherrschung hatte, vermag dagegen eine Härte nicht zu begründen, weil insoweit eine Erkundigung geboten gewesen wäre.

III.

Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung des beantragten Visums ergibt sich schließlich nicht aus der assoziationsrechtlichen Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation – ARB 1/80 – in Verbindung mit der zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens geltenden Nachzugsregelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 – AuslG 1965 –.

Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Derartige Stillhalteklauseln begründen selbst kein Aufenthaltsrecht, sondern stellen eine gleichsam verfahrensrechtliche Vorschrift dar, die in zeitlicher Hinsicht festlegt, nach welchen nationalen Bestimmungen die Situation eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist (für den Stammberechtigten: EuGH, Urteil vom 21. Oktober 2003 – C-317/01 [Abatay/ Sahin]–, juris Rn. 62 ff., für den Familienangehörigen: EuGH, Urteil vom 15. November 2011 – C-256/11 [Dereci]–, juris Rn. 88).

§ 2 Abs. 1 Satz 1 AuslG 1965 bestimmte während der gesamten Geltungsdauer des Gesetzes von April 1965 bis Dezember 1990 unverändert, dass Ausländer zur Einreise und zum Aufenthalt einer Aufenthaltserlaubnis bedurften, sofern keiner der, hier nicht relevanten, Sonderfälle des § 2 Abs. 2 AuslG 1965 gegeben war. Diese Aufenthaltserlaubnis durfte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte.

Zwar kann sich der Kläger, der als Kind eines türkischen Arbeitnehmers den Familiennachzug erstrebt, auf die assoziationsrechtliche Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen (1.). Auch stellt die Nachzugsvoraussetzung des § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, dass ein Kind, welches das 16. Lebensjahr vollendet hat, die deutsche Sprache beherrschen oder sich bundesdeutschen Lebensverhältnisse einfügen muss, eine neue Beschränkung im Sinne der Stillhalteklausel dar (2.). Diese ist jedoch im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt (3.).

1. Der Kläger kann sich auf die assoziationsrechtliche Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union – im Folgenden: Gerichtshof – haben die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 und die Stillhalteklausel in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (BGBl. 1972 II. S. 385) zum Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II, S. 509) – ZP – dasselbe Ziel, weswegen die Auslegung der einen auch für die jeweils andere Geltung beansprucht (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 – C-242/06 [Sahin]–, juris Rn. 65); Urteil vom 29. April 2010 – C-92/07 [Kommission/Niederlande]–, juris Rn. 48; Urteil vom 12. April 2016 – C-561/14 [Genc] –, juris Rn. 41).

Dementsprechend hat der Gerichtshof bezüglich beider Stillhalteklauseln entschieden, dass diese nicht nur auf solche Regelungen anwendbar sind, die unmittelbar Bedingungen für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen behandeln, sondern auch auf solche, die Rechte von deren Familienangehörigen auf dem Gebiet der Familienzusammenführung betreffen (zu Art. 13 ARB 1/80: EuGH, Urteil vom 29. März 2017 – C-652/15 [Tekdemir] – , juris Rn. 25 sowie Urteil Genc, a.a.O., Rn. 42; zu Art. 41 Abs. 1 ZP: Urteil vom 10. Juli 2014 – C-38/13 [Dogan] –, juris Rn. 36). Denn eine Regelung, die eine Familienzusammenführung erschwert oder unmöglich macht, kann sich negativ auf die Entscheidung eines türkischen Staatsangehörigen auswirken, in einem Mitgliedstaat dauerhaft einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (EuGH, Urteil Genc a.a.O., Rn. 40, Urteil Dogan a.a.O., Rn. 35). Um dies zu verhindern kann sich auch ein enger Familienangehöriger, der – wie vorliegend – nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern den Familiennachzug erstrebt, auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen (BVerwG, Urteil vom 6. November 2014 – 1 C 4/14 –, juris Rn. 14).

Für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 13 ARB 1/80 ist weiter erforderlich, dass der Aufenthalt und die Beschäftigung des durch die Regelung Begünstigten ordnungsgemäß sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeutet der Begriff „ordnungsgemäß“, dass der türkische Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und die Beschäftigung beachtet haben muss, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 – C-225/12 [Demir] –, juris Rn. 35). In Fällen, in denen es um Vorschriften geht, die die Familienzusammenführung mit einem türkischen Arbeitnehmer betreffen, ist für die Ordnungsmäßigkeit von Aufenthalt und Beschäftigung im Sinne der Stillhalteklausel auf die Person des stammberechtigten türkischen Arbeitnehmers abzustellen (vgl. EuGH, Urteil Genc, a.a.O., juris Rn. 36; BVerwG, Urteil vom 6. November 2014 – 1 C 4.14, – juris Rn. 15).

Dass der Vaters des Klägers, der seit Oktober 2003 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und seit April 2009 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sich ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhält, steht außer Frage. Auch seine ordnungsgemäße Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt war während des Arbeitsverhältnisses bei der D... von Oktober 2003 bis Januar 2007 und ist jedenfalls seit Aufnahme des bis heute fortbestehenden Arbeitsverhältnisses als Polier bei der P... im Mai 2007 erneut gegeben.

2. Das in § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG geregelte Erfordernis der Sprachbeherrschung stellt eine neue Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 dar.

a. Art. 13 ARB 1/80 enthält ein Verschlechterungsverbot, demzufolge die Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen materieller oder verfahrensrechtlicher Natur einführen dürfen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen ist, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 in dem betreffenden Mitgliedstaat bestanden (vgl. EuGH, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 33; Urteil Demir, Rn. 33 f.; jeweils m.w.N).

In zeitlicher Hinsicht maßgeblich für den Vergleich ist, da hier zwischenzeitlich keine günstigere Regelung existierte, die Rechtslage, welche galt, als die Stillhalteklausel am 1. Dezember 1980 gemäß Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80 in Kraft trat (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 – C-300/09 und C-301/09 [Toprak/ Oguz] – juris Rn. 49, 55 f.).

Ob eine Verschlechterung vorliegt, bestimmt sich nicht allein nach den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklausel geltenden Gesetzes- und Verordnungsnormen. Vielmehr sind auch die zu deren Ausfüllung erlassenen Verwaltungsregelungen zu berücksichtigen, welche Auswirkungen auf die betroffenen Ausländer haben (EuGH, Urteil Toprak/ Oguz, a.a.O., Rn. 30 und 32, unter Bezugnahme auf das zur Richtlinie 68/360/EWG ergangene Urteil vom 10. April 2008 – C-398/06 [Kommission ./. Niederlande] –, dort vgl. Verfahrensgegenstand und Rn. 12 f.,ndl. Volltext unter curia.europa.eu). Zur Ermittlung der Verschlechterung sind ferner die Rechtsprechung zu den damaligen Vorschriften und die mit dieser in Einklang stehende Verwaltungspraxis zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 6/08 –, juris Rn. 19; Urteil vom 26. Februar 2002 –1 C 21.00 –, juris Rn. 14, m.w.N.).

Gegenstand des Vergleiches ist dabei nicht die abstrakte Rechtlage, sondern der konkrete Einzelfall des Betroffenen. Denn maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, „ob die von den zuständigen Behörden auf den Kläger angewandte innerstaatliche Regelung seine Situation im Verhältnis zu den Vorschriften, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens … [der Stillhalteklausel] in diesem Mitgliedstaat galten, erschwert“ (EuGH, Urteil vom 11. Mai 2000 – C-37/98 [Savas]–, juris Rn. 70; ähnlich Urteil Abatay/ Sahin, a.a.O., Rn. 116). Dementsprechend stellt auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf ab, „ob die von den zuständigen Behörden angewandte Regelung für … [den türkischen Staatsangehörigen] im konkreten Einzelfall ungünstiger ist“ (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2002 – 1 C 21/00 –, juris Rn. 14, ähnlich Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 6/08 –, juris Rn. 19).

Ob unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eine neue Beschränkung i.S.d. Art. 13 ARB 1/80 vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs allein von den nationalen Gerichten zu klären (EuGH, Urteil Toprak/ Oguz, a.a.O., Rn. 62).

b. Nach diesem Maßstab ergibt sich vorliegend – entgegen der Ansicht des Klägers – eine „neue Beschränkung“ nicht schon daraus, dass der Gesetzgeber mit der Anforderung der Sprachbeherrschung eine zusätzliche Tatbestandvoraussetzung eingeführt hat. Zwar hat der Gerichtshof in den Entscheidungen Dogan (a.a.O., Rn. 36 ) und Genc (a.a.O., Rn. 39) statuiert, dass eine Regelung, die die Familienzusammenführung erschwert, indem sie die Voraussetzungen für eine erstmalige Aufnahme der Angehörigen im Vergleich zu denjenigen verschärft, die galten, als die Stillhalteklausel in Kraft trat, eine neue Beschränkung i.S.d Art. 13 ARB 1/80 darstellt. Dem lagen jedoch jeweils Konstellationen zugrunde, in denen die Rechtsfolge der Nachzugsregelung – im Fall Dogan ein gebundener Anspruch nach § 30 Abs. 1 des deutschen Aufenthaltsgesetzes (vgl. a.a.O., Rn. 15), im Fall Genc eine Ermessensentscheidung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d des dänischen Ausländergesetzes (vgl. a.a.O., Rn. 9) – im Rahmen der Änderung identisch blieb. In einem solchen Fall erweist sich die Einführung einer weiteren Tatbestandsvoraussetzung stets als nachteilig. Anders liegt der Fall, wenn sich nicht nur die Voraussetzungen – zulasten des Nachzugsberechtigten –, sondern auch die Rechtsfolgen der Nachzugsregelung – zugunsten des Nachzugsberechtigten – ändern. So liegt der Fall hier, da die Neuregelung des § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, falls eine zusätzlichen Voraussetzungen erfüllt ist, einen gebundenen Nachzugsanspruch begründet, während nach der Altregelung des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 die Erteilung im Ermessen der Beklagten stand. In einem solchen Fall kann sich die Änderung im Einzelfall sowohl als vorteilhaft als auch als nachteilig erweisen. Daher bedarf es anderer Kriterien, um zu ermitteln, ob in ihr eine neue Beschränkung liegt.

c. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts scheidet eine neue Beschränkung allerdings auch nicht schon deshalb aus, weil der Nachzug nach alter Rechtslage im Ermessen stand, unter dessen Ausübung eine gleichlautende Entscheidung wie nach neuer Rechtslage hätte ergehen können. Denn eine solche Auslegung würde, entgegen dem vorgenannten Maßstab, auf die abstrakte Reichweite statt auf die konkrete Auswirkung der Genehmigungsnorm abstellen. Der von der Regelung beabsichtigte Bestandschutz wäre damit im Bereich von Ermessensregelungen nahezu vollständig ausgeschlossen. Da das Ausländergesetz 1965 nur eine einzige Rechtsgrundlage für die Erteilung von Aufenthaltstiteln kannte, die eine Ermessensregelung war, hätte die Stillhalteklausel daher zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens in der Bundesrepublik insoweit keinen praktischen Anwendungsbereich gehabt. Damit würde indes die vom Gerichtshof als Auslegungsmaxime herangezogene Intention der Stillhalteklauseln, günstige Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs zu schaffen (EuGH, Urteil Toprak/ Oguz, a.a.O., Rn. 52 und 54 m.w.N), offenkundig verfehlt.

d. Für das Vorliegen einer neuen Beschränkung ist daher darauf abzustellen, ob in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen werden kann, dass unter den konkreten Gegebenheiten des Falls nach alter Rechtslage eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung ergangen wäre als nach neuer Rechtslage. Zu fragen ist mithin, ob dem Kläger, wenn er vor Dezember 1980 ein Visum zum Familiennachzug beantragt hätte, ein solches ungeachtet seiner fehlenden Beherrschung der deutschen Sprache erteilt worden wäre.

Diese Frage ist zu bejahen, weil sich in der Rechtspraxis bis zum Inkrafttreten der Stillhalteklausel des ARB 1/80 keine Hinweise darauf finden lassen, dass der Nachzug 16- bis 18jähriger Kinder türkischer Arbeitnehmer generell oder im Hinblick auf fehlende Sprachkenntnisse Beschränkungen unterworfen war. Bis Dezember 1980 unterlag der Familiennachzug türkischer Angehöriger vielmehr lediglich den folgenden Vorgaben:

Soweit die negative Tatbestandsvoraussetzung erfüllt war, dass die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte, war den handelnden Ausländerbehörden bei der Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 Ermessen eingeräumt, welches unter anderem durch die Ausstrahlungswirkung des Grundgesetzes begrenzt sein konnte. Insbesondere war bei der Ermessensausübung Art. 6 GG zu berücksichtigen, aus dem sich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung indes für ausländische Familienmitglieder kein Anspruch auf Einreise und Aufenthalt ergab (vgl. Kanein, Ausländergesetz, 3. Aufl. 1980, § 2 B.3, S. 35 ff.; BVerwG, Beschluss vom 07. Mai 1981 – 1 B 257/78 –, juris Rn. 3, und Urteil vom 27. September 1978 – I C 79.76 –, juris Rn. 19 und 25).

Das Deutsch-Türkische Anwerbeabkommen enthielt keine Regelungen für einen Familiennachzug. Die ursprüngliche Fassung vom 30. Oktober 1961 (BArBl 1962, 69 ff.) begrenzte den Aufenthalt türkischer Arbeitnehmer vielmehr auf zwei Jahre (sog. Rotation) und ging dementsprechend nicht von einem Familiennachzug aus. Seine geänderte Fassung vom 20. Juli/ 30. September 1964 (BArBl 1965, 125 ff.) sah diese Begrenzung zwar nicht mehr vor, enthielt indes – anders als die Abkommen mit Griechenland, Italien und Spanien – auch keine Regelung über eine wohlwollende Prüfung und schnelle Entscheidung von Familiennachzugsanträgen (vgl. Hunn, Karin, „Nächstes Jahr kehren wir zurück ...“ Die Geschichte der türkischen ‚Gastarbeiter‘ in der Bundesrepublik, Wallstein 2005, S. 30 f.).

Materielle Vorgaben für die den gesetzesausführenden Bundesländern obliegende Ausübung des Genehmigungsermessens wurden erstmals im April 1965 mit den von der Innenministerkonferenz beschlossenen „Grundsätzen zur Ausländerpolitik“ getroffen. Darin verständigten sich die Länder darauf, dass der Nachzug von Familienangehörigen – als solche galten Ehegatten und Kinder unter 21 Jahren – erst nach einer mindestens dreijährigen Beschäftigung des Arbeitnehmers im Bundesgebiet, bei Aussicht auf längerfristige Weiterbeschäftigung und nur dann, wenn eine angemessene Wohnung vorhanden war, gestattet werden sollte (Inhaltswiedergabe nach Barwig, ZAR 2014, 43 f. und Schönwälder in: Oltmer, Migration steuern und verwalten, 2005, S. 131 f.). Auf entsprechende Kritik des Bundesinnenministerium wurde für Angehörige aus EWG-Staaten die Wartefrist gestrichen und für Angehörige aus Anwerbestaaten in Ausnahmerichtlinien von Mai 1966 vorgesehen, dass der Nachzug bereits nach einem Jahr gestattet werden sollte, wenn anzunehmen sei, dass der Arbeitnehmer und seine Familie sich ohne besondere Schwierigkeiten in die deutschen Verhältnisse einleben werden (Schönwälder a.a.O., S. 133, wobei aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. –, juris Rn. 10 hervorgeht, dass dies für alle Anwerbestaaten galt). Die in der Folge erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes vom 7. Juli 1967 nahm keine weitere Spezifizierung vor, sondern führte unter Ziff. 6 zu § 2 aus, dass nach weitem Ermessen zu entscheiden sei, wobei alle einschlägigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen und neben Gründen in der Person des Ausländers auch solcher wirtschaftlicher und politischer Art sowie Belange des Arbeitsmarktes zu beachten seien (GMBl S. 237, vgl. Kanein, Das Ausländergesetz, 1967, S. 35 ff.).

Nachdem im November 1973 der Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer beschlossen worden war,kam es zunächst zu einem kurzzeitigen Rückgang der Einreisezahlen, in der Folge aber zu einem erheblichen Anwachsen der Familiennachzugsfälle, was auf der politischen Ebene als Problem wahrgenommen wurde, ohne dass der Gesetzgeber darauf reagierte (Barwig, ZAR 2014, S. 44, Schönwälder, a.a.O., S. 139, 142). Im Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Dezember 1976 wurde zwar festgestellt, dass der vermehrte Familiennachzug zu Integrationsproblemen auf dem Arbeitsmarkt führe; der darin vorgeschlagene Lösungsansatz, die Erteilung der Arbeitserlaubnis an das Vorhandensein angemessener Sprachkenntnisse oder andere integrationsgewährleistende Umstände zu knüpfen und den Nachzug über 16jähriger Kinder auszuschließen bzw. nur bei Vorhandensein eines Arbeitsplatzes zu gestatten (vgl. Huber, ZRP 1977, S. 114), wurde jedoch in der Folge nicht umgesetzt. In der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes vom 10. Mai 1977 (GMBl. S. 202/ ABl. Berlin S. 701), geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 7. Juli 1978 (GMBl. S. 368/ ABl. Berlin S. 1274), wurden lediglich Vorgaben zur Ermessensausübung bezüglich mit Deutschen verheirateter Ausländer ergänzt. Soweit sich Verwaltungsvorschriften der Länder aus der Zeit vor Dezember 1980 finden lassen, ergibt sich aus diesen eine Einschränkung der Grundsätze von 1965 lediglich dahingehend, dass ein Nachzug bereits volljähriger Kinder ausgeschlossen wurde (Berlin: Ausländererlass vom 22. September 1980, dort Ziff. 2.3.1.1 Satz 1, ABl. S. 1650; Baden-Württemberg: Erlass vom 31. Januar 1975, zitiert nach VGH Mannheim, Beschluss vom 9. Mai 1980 – 2 S 791/80 –, InfAuslR 1980, 231; Nordrhein-Westfalen, Runderlass vom 13. Juni 1966, zitiert nach OVG Münster, Beschluss vom 30. Juli 1981 – 18 B 1183/81 –, juris Orientierungssatz).

Für 16- bis 18jährige Kinder ausländischer Arbeitnehmer finden sich dagegen bis zum Inkrafttreten der Stillhalteklausel keine Vorgaben. Darauf, dass diese bei Erfüllung der in den Grundsätzen von 1965 genannten Voraussetzungen generell mit einer positiver Ermessenausübung rechnen durften, weist der Umstand hin, dass sich weder in der Kommentarliteratur (Kanein, Ausländerrecht 3. Aufl. 1980; Klösel/Christ, Deutsches Ausländerecht, Stand März 1980) noch in der Rechtsprechung Fälle finden, die eine Nachzugsversagung bezüglich 16- bis 18jähriger Kinder thematisieren. Insbesondere in den jährlich von Huber in der Neuen Juristischen Wochenschrift veröffentlichten Rechtsprechungsübersichten finden sich hierzu in den Jahren 1977 bis 1982 keine Fälle, wohingegen sonstige Konstellationen der Familiennachzugsbeschränkung ausführlich und kritisch thematisiert werden (so zur Deutschehe: NJW 1978, 1712 und NJW 1979, 1734; zur Scheinehe: NJW 1980, 1978; zum Nachzug der Großmutter bzw. Tante zur Kinderbetreuung: NJW 1979, 1734, Fn. 28 und 29; zum Nachzug volljähriger Kinder: NJW 1980, 1978; NJW 1981, 1869; NJW 1982, 1915). Vielmehr wird dort ausdrücklich von einer „bis Ende 1981 praktizierten Beschränkung des Familiennachzuges ausländischer Jugendlicher auf das 18. Lebensjahr“ ausgegangen (vgl. NJW 1982, 1915).

Erst in den Jahren 1981 bis 1983, nachdem die Stillhalteklausel bereits wirksam geworden war, kam es zu erheblichen Beschränkungen in der Genehmigungspraxis. Nachdem die Bundesregierung die Bundesländer mit Kabinettsbeschluss vom 2. Dezember 1981 (zitiert in BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. –, Rn. 10 f.) gebeten hatte, zwecks sozialverantwortlicher Steuerung des Familiennachzugs zu Ausländern aus Nicht-EG-Staaten unverzüglich unter anderem 16- und 17jährige ausländische Kinder vom Nachzug auszuschließen, erließen die Bundesländer – mit Ausnahme von Bremen, das insoweit verfassungsrechtliche Bedenken hegte – Verwaltungsvorschriften, welche den Nachzug von Kindern nach Vollendung des 16. Lebensjahres ausschlossen bzw. auf Härtefälle beschränkten (Berlin: Erlass vom 12. November 1981, dort Ziff. 2.3.1.1, InfAuslR 1981, 306; Baden-Württemberg: Erlass vom 30. März 1982, dort Ziff. 2.6.3.1 und 2.6.3.5 sowie Bayern: Erlass vom 17. Mai 1983, jeweils zitiert nach BVerfG, Beschluss vom 12.Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. –, juris Rn. 15 und 16; Hessen: Erlass vom 14. Dezember 1981, Hamburg: Erlass vom 7. Januar 1982; Nordrhein-Westfalen, Schnellbrief vom 3. Dezember 1982, jeweils zitiert nach Huber, InfAuslR 1982, 115). Rechtsprechung, die eine Nachzugsversagung für 16- bis 18jährige Kinder thematisiert, findet sich dementsprechend auch erst nach dem Jahr 1980 (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1983 – 1 B 17/83 –, juris Rn. 4).

Auf dieser Grundlage ist die Annahme gerechtfertigt, dass dem Visumantrag des Klägers – dessen Vater die Vorgaben der Grundsätze von 1965 erfüllte, weil er zum Zeitpunkt der Visumantragstellung mehr als zehn Jahre im Besitz eines Aufenthaltstitels und legal beschäftigt war, eine weitere Beschäftigungsperspektive hatte und über eine Dreizimmerwohnung verfügte – vor Dezember 1980 auch ohne deutsche Sprachkenntnisse stattgegeben worden wäre. Dementsprechend stellt sich die Einführung des Spracherfordernisses im konkreten Fall als „neue Beschränkung“ i.S.d Art. 13 ARB 1/80 dar.

3. Diese Beschränkung erweist sich jedoch im Sinne der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union als gerechtfertigt.

Der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB widersprechende Beschränkungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verboten, sofern sie nicht zu den in Art. 14 ARB 1/80 aufgeführten Beschränkungen gehören oder aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet sind, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen (EuGH, Urteil Tekdemir, a.a.O., Rn. 33; Urteil Genc, a.a.O., Rn. 51; Urteil Demir, a.a.O., Rn. 40; m.w.N. )

Eine Rechtfertigung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 – demzufolge u.a. die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 nur vorbehaltlich solcher Beschränkungen gilt, die aus Gründen der Sicherheit, Ordnung und Gesundheit gerechtfertigt sind – scheidet vorliegend aus, weil aus dem Aufenthalt eines die deutsche Sprache nicht beherrschenden über 16jährigen Kindes mit gesichertem Lebensunterhalt und Wohnraum für sich genommen noch keine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung oder aber der Gesundheit resultiert. Auch der Gerichtshof unterscheidet diesbezüglich zwischen Sicherheitsbelangen und Integrationsinteressen (Urteil Tekdemir, a.a.O., Rn. 34, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 54).

Das in § 32 Abs. 2 AufenthG aufgestellte Erfordernis der Sprachbeherrschung ist jedoch durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

a. Das Erfordernis der Sprachbeherrschung hat den Zweck, eine erfolgreiche Integration des nachziehenden über 16jährigen Kindes in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht sicherzustellen und dient damit einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus der Bedeutung, die Integrationsmaßnahmen im Rahmen des Unionsrechts beigemessen wird. Denn aus Art. 79 Abs. 4 AEUV, der sich auf die Begünstigung der Integration der Drittstaatsangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaaten als zu fördernde und zu unterstützende Bemühungen der Mitgliedstaaten bezieht, und aus den Richtlinien 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung und 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, folgt, dass die Integration von Drittstaatsangehörigen entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beiträgt, welcher seinerseits in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 des EU-Vertrages als eines der Hauptziele der Union benannt ist (EuGH, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 55).

Entgegen der Ansicht des Klägers kann sich eine Rechtfertigung nicht nur aus neuen, d.h. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Stillhalteklausel noch nicht relevanten, Gründen ergeben. Eine entsprechende Einschränkung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht. Sie wäre auch zweckwidrig, weil sie dazu führen würde, dass für eine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses kein praktischer Anwendungsbereich verbleibt. Denn die abstrakten Parameter, an denen sich jede Ausländergesetzgebung ausrichtet – Sicherheit und Ordnung, sozialer und wirtschaftlicher Zusammenhalt, Kontrolle von Migrationsströmen, Belange des Arbeitsmarktes und des Staatshaushaltes, Integration, familiärer und humanitärer Schutz –, sind von jeher so weit gefächert, dass das Bedürfnis für Änderungen auf diesem Gebiet regelmäßig nicht aus dem Hinzutreten gänzlich neuer Belange, sondern daraus erwächst, dass sich deren Bedeutung und Priorität untereinander verschiebt.

b. Das Erfordernis der Sprachbeherrschung ist auch geeignet, eine soziale und wirtschaftliche Integration zu gewährleisten. Denn je besser das nachziehende über 16jährige Kind die deutsche Sprache beherrscht, desto wahrscheinlicher und schneller wird es ihm zum einen nach der Einreise gelingen, eine weiterführende Schulausbildung, eine Berufsausbildung oder ein Studium aufzunehmen und mit Erfolg zu durchlaufen und in der Folge eine qualifizierte Beschäftigungsposition zu erlangen, mittels derer es seinen Lebensunterhalt nach dem absehbaren Ausscheiden aus der elterlichen Bedarfsgemeinschaft selbst zu sichern vermag. Zum anderen wird es ihm desto schneller und leichter gelingen, die Gegebenheiten seines neuen sozialen Umfelds nachzuvollziehen und sich an ihnen zu beteiligen, insbesondere Bekanntschaften mit deutschsprachigen Personen zu schließen und dadurch seine Fremdheit in der neuen Heimat zu überwinden.

c. Das Erfordernis der Sprachbeherrschung ist zur Erreichung dieses Zweckes auch verhältnismäßig.

Hierfür ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes erforderlich, dass die Beschränkung nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des Integrationszweckes erforderlich ist (EuGH, Urteil Tekdemir, a.a.O., Rn. 40 ff., Urteil Genc, a.a.O., Rn. 51, Urteil Dogan, a.a.O., Rn. 40). Von fehlender Erforderlichkeit geht der Gerichtshof aus, wenn ein milderes Mittel existiert, um dem legitimen Zweck Rechnung zu tragen (EuGH, Urteil Tekdemir, a.a.O., Rn. 49 f.), aber auch dann, wenn die Beschränkung unstimmig ist, weil sie nach Maßgabe von Kriterien zur Anwendung kommt, die keinen hinreichenden Zusammenhang mit dem zu erreichenden Zweck aufweisen (EuGH, Urteil Genc, a.a.O., Rn 61- 65). Des Weiteren darf die Nichterfüllung der Tatbestandvoraussetzung nicht automatisch zur Ablehnung führen, ohne dass die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden (EuGH, Urteil Dogan a.a.O., Rn. 37, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 66); eine Anforderung dahingehend, dass jede Beschränkung eine bereichsspezifische Härtefallregelung haben müsste, stellt der Gerichtshof diesbezüglich jedoch nicht auf. Um eine Verwaltungspraxis der systematischen Ablehnung zu vermeiden, muss die Prüfung unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Betroffenen auf der Grundlage hinreichend genauer, objektiver und nicht diskriminierender Kriterien erfolgen, deren Anwendung zu einer mit Gründen versehenen Entscheidung führt, gegen die mit einem wirksamen Rechtsbehelf vorgegangen werden kann (EuGH, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 66). Ferner ist die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Freizügigkeit des türkischen Arbeitnehmers zu beurteilen, hat also eine Zumutbarkeitsprüfung im engeren Sinn zu erfolgen (EuGH, Urteil Genc, a.a.O., Rn. 57).

Diesen Vorgaben trägt die streitgegenständliche Regelung hinreichend Rechnung.

aa. Es ist keine mildere Regelung ersichtlich, die dem legitimen Integrationsinteresse der Bundesrepublik mit gleicher Wirksamkeit Rechnung tragen würde.

Das Erfordernis der Sprachbeherrschung (§ 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 AufenthG) kommt nur dann zum Tragen, wenn das alternative Erfordernis, dass das über 16jährige Kind nicht anderweitig Gewähr dafür bietet, sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einzufügen (§ 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG), nicht erfüllt ist. Dann aber erweist sich die Sprachbeherrschung als zur Gewährleistung der Integration erforderlich, denn die Festlegung eines niedrigeren Sprachniveaus wäre nicht in gleichem Maße geeignet, dieses zur Integration zu befähigen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die geforderten fortgeschrittene Kenntnisse des Sprachniveaus C1 nur wenig unterhalb derjenigen liegen, die für eine Studienzulassung in Deutschland benötigt werden (für die regelmäßig das Sprachniveau C2 oder Telc Deutsch C1 Hochschule nachzuweisen ist, vgl.https://www.study-in.de/de/studium-planen/voraussetzungen/ deutschkenntnisse_26609.php). Angesichts der zunehmenden Theoretisierung und Spezialisierung auch der nichtuniversitären Ausbildung geht der Senat indes davon aus, dass Sprachkenntnisse auf C1-Niveau – welches gerade auf den wirksamen und flexiblen Sprachgebrauch in Berufsleben, Ausbildung und Studium abstellt – nicht dasjenige Maß übersteigen, das erforderlich ist, damit die jeweilige Form der beruflichen Qualifikation ohne Schwierigkeiten und erfolgreich durchlaufen werden kann. Angesichts der Rückläufigkeit unqualifizierter Arbeitsplätze stellt eine erfolgreiche Berufsqualifikation ihrerseits jedoch die wesentliche Voraussetzung für die künftige wirtschaftliche Integration des Kindes dar.

Der Erforderlichkeit steht auch nicht entgegen, dass der nationale Gesetzgeber für den Nachzug von Ehegatten Grundkenntnisse des Sprachniveaus A1 genügen lässt. Denn die diesbezüglich niedrigere Nachzugschwelle beruht nicht auf der gesetzgeberischen Annahme fehlender Integrationserheblichkeit weitergehender Sprachfertigkeiten des Ehegatten, sondern vielmehr auf Erwägungen der Zumutbarkeit des Eingriffs in Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. BT-Ds. 16/5065 S. 173 f.) Auch der Gerichtshof geht davon aus, dass der Umstand, dass eine Ehe auf eine dauerhafte Lebensgemeinschaft zielt, während ältere Kinder nicht unbedingt lange mit den Eltern zusammenleben werden, es rechtfertigt, an ältere Kinder höhere Integrationsanforderungen zu stellen als an Ehegatten (EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – C-540/03 [Parlament./.Kommission]–, juris Rn. 75).

Eine fehlende Erforderlichkeit von Sprachkenntnissen auf C1-Niveau ergibt sich auch nicht daraus, dass – wie der Kläger meint – ein Spracherwerb nach der Einreise schneller möglich ist und den von der Regelung des § 32 Abs. 2 AufenthG erfassten über 16jährigen Kindern üblicherweise leichter fällt als den von den geringeren Anforderungen des § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG betroffenen erwachsenen Ehegatten. Denn der bloße Umstand, dass ein weitergehender Spracherwerb leichter fällt, bietet keine Gewähr dafür, dass dieser im Nachgang einer erfolgten Einreise auch tatsächlich unternommen wird. Im Übrigen geht es gerade um einen Beitrag zur Verbesserung der Ausgangslage des Nachziehenden. Schulungen, die erst nach der Einreise einsetzten, wären daher nicht gleich wirksam (vgl. [zum Ehegattennachzug] BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 1 C 1.16 –, juris Rn. 19, m.w.N.).

bb. Das Erfordernis der Sprachbeherrschung gelangt vorliegend auch nach Maßgabe eines Kriteriums zur Anwendung, das in hinreichendem Zusammenhang zur bezweckten Integrationserleichterung steht.

Anders als im Fall Genc (Rn. 10, 61 ff.), in dem die Voraussetzung, dass das Kind eine seine Integration gewährleistende Verbindung zu Dänemark aufweisen müsse, nicht nach Maßgabe der persönlichen Situation des Kindes, sondern nach dem zeitlichen Abstand zu seiner erstmaligen Nachzugsmöglichkeit zur Anwendung kam, hängt das Spracherfordernis im vorliegenden Fall vom Alter des Kindes und damit von einem Kriterium ab, das einen engen Zusammenhang mit seinen Integrationschancen aufweist. Denn zum einen ist zu vermuten, dass einem Kind die Integration umso leichter fällt, je jünger es ist (BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 – 1 C 22/96 –, juris Rn. 24, 31). Zum anderen endet mit dem Erreichen des 16. Lebensjahres die Schulpflicht und entfällt damit eine wesentliche staatliche Einflussnahmemöglichkeit, für einen Spracherwerb nach der Einreise Sorge zu tragen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass eine Sprachbeherrschung erst vom 16. Lebensjahr an verlangt wird, obwohl sich – wie der Kläger im Termin vorgetragen hat – Kinder „mit 15 Jahren und 364 Tagen“ in einer vergleichbaren Situation befinden. Denn zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte dürfen Stichtage eingeführt werden, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG, Beschluss vom 11. November 2008 – 1 BvL 3/05 –, juris Rn. 73).

cc. Die Nichterfüllung der Tatbestandvoraussetzung führt – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht automatisch zur Ablehnung des Nachzuges, ohne dass die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden.

Isoliert betrachtet trifft es zwar zu, dass im Rahmen der ersten Tatbestandsalternative des §§ 32 Abs. 2 S. 1 AufenthG einzelfallbezogene Umstände außer Betracht bleiben. Nach der Regelungssystematik des Gesetzes erfolgt die gebotene Einzelfallprüfung aber dadurch, dass im Rahmen der zweiten Tatbestandsalternative des § 32 Abs. 2 S. 1 AufenthG geprüft wird, ob sich das Kind, auch ohne die Sprache zu beherrschen, aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann, und dass – wenn dies nicht der Fall ist – im Rahmen von § 32 Abs. 4 AufenthG weiter geprüft wird, ob die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Gründe, aus denen es insoweit einer separaten, auf das Spracherfordernis bezogenen Einzelfallregelung bedürfte, erkennt der Senat nicht. Sämtliche anderen integrationsbegünstigenden Umstände kommen danach im Rahmen von § 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG zur Geltung. Sonstige Umstände, die geeignet sind, das Integrationsinteresse des Staates gegenüber dem Nachzugsinteresse des Kindes bzw. dem Freizügigkeitsinteresse des Elternteils zurücktreten zu lassen, sind im Rahmen von § 32 Abs. 4 AufenthG berücksichtigungsfähig.

In diesem Zusammenhang könnte möglicherweise Fallkonstellationen Rechnung getragen werden, in denen das über 16jährige Kind zum Spracherwerb außer Stande ist, seine rechtzeitigen Anstrengungen zum Erwerb des C1-Niveaus ohne Erfolg geblieben sind oder sich ein ursprünglich vor dem 16. Lebensjahr geplanter Nachzug aus unvorhersehbaren Gründen zerschlagen hat. Dass diese Umstände einen Härtefall nur dann zu begründen vermögen, wenn sie unvorhersehbar waren, also bei der Entscheidung des Elternteils, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen, noch nicht berücksichtigt werden konnten, stellt auch mit Blick auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 keine sachfremde Erwägung dar. Da diese selbst kein Nachzugsrecht begründet und der türkische Stammberechtigte erst dann Rechte aus ihr ableiten kann, wenn er sich bereits ordnungsgemäß im Bundesgebiet aufhält, ist es ihm zuzumuten, solche Umstände, die ihm bereits zuvor bekannt waren, aber nicht von der Einreise abgehalten haben, auch während seines weiteren Aufenthaltes hinzunehmen.

dd. Schließlich erweist sich das Erfordernis der Sprachbeherrschung auch im engeren Sinne als zumutbar.

Anders als im Fall des Ehegattennachzugs, in dem die Lebensgemeinschaft auf Dauer angelegt ist und eine Versagung des Nachzugs dazu führt, dass der Stammberechtigte sich dauerhaft zwischen einer Lebensgemeinschaft in der Türkei und seiner Tätigkeit im Mitgliedsstaat entscheiden muss, war und ist die Beistandsgemeinschaft zwischen einem mehr als sechzehnjährigen Kind und seinen Eltern nur noch für den begrenzten Zeitraum bis zum Erreichen der Volljährigkeit geschützt (bei Inkrafttreten des ARB 1/80 gemäß den nach dem Anwerbestopp beschränkten Grundsätzen von 1965; heute gemäß § 32 AufenthG und Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2003/86/EG). Aus dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angeführten, die Auslegung des Art. 7 ARB 1/80 betreffenden Urteil des EuGH vom 16. Juni 2011 – C-484/07 – [Pehlivan] ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts Gegenteiliges. Nur noch bis zu diesem Zeitpunkt ist der Stammberechtigte dadurch beschwert, sich gegebenenfalls zwischen einer Tätigkeit im Mitgliedsstaat und einem Familienleben mit dem Kind in der Türkei entscheiden zu müssen.

Der Zumutbarkeit des Erfordernisses steht auch nicht entgegen, dass das Sprachniveau C1, für dessen Erlangungen zwischen 800 und 1200 Stunden zu veranschlagen sind (http://www.sprache.uni-halle.de/deutschkurse/course_level/), durch das nachzugswillige Kind oft nicht mehr rechtzeitig zu erlangen sein wird, wenn dieses erst mit Erreichen des 16. Lebensjahres oder gar nach Ablehnung eines danach gestellten Visumantrages mit dem Spracherwerb beginnt. Zweck der Regelung ist es nämlich, die Integrationsfähigkeit des Kindes dadurch sicherzustellen, dass ein von den Eltern regelmäßig seit langem beabsichtigter Kindernachzug entweder bereits vor der Vollendung des 16. Lebensjahres durchgeführt wird, sodass das Kind nach der Einreise noch der Schulpflicht unterliegt, im Rahmen derer es deutsche Sprachkenntnisse erwerben kann, oder aber, sofern er erst nach Vollendung des 16. Lebensjahres erfolgen soll, durch das frühzeitige Erlernen der deutscher Sprache vorbereitet wird.

ee. Auch den formellen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit ist Genüge getan. Die Kriterien, nach denen sich die Einzelfallprüfungen der §§ 32 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 und § 32 Abs. 4 AufenthG vollziehen, sind durch langjährige Rechtsprechung fixiert und im Übrigen in den Verwaltungsvorschriften festgelegt (vgl. Ziffern 32.2.3 bis 32.2.6 und 32.4.3.1 bis 32.4.49 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz), sie sind hinreichend genau und objektiv und lassen keine Diskriminierung erkennen. Zwar ist die Ablehnung im vorliegenden Fall ohne Angabe von Gründen erfolgt, wenn der Kläger jedoch vor Erhebung der Klage von der Möglichkeit der Remonstration Gebrauch gemacht hätte, so hätte er einen mit einer detaillierten Begründung versehenen Ablehnungsbescheid erhalten. Aus dem Visumvorgang (Bl. 20-23) ergibt sich zudem, dass die maßgeblichen Kriterien sowohl von der Beigeladenen als auch von der Beklagten geprüft und der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sind. Auch stand dem Kläger in Gestalt von Remonstration und Klage ein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung, im Rahmen dessen die unbestimmten Rechtsbegriffe des Einfügens in die Lebensverhältnisse und der besonderen Härte voller gerichtlicher Überprüfung unterliegen. Eine Verwaltungspraxis systematischer Ablehnung ist unter diesen Umständen nicht zu befürchten.

4. Der klägerseits begehrten Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht.

Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht für den Senat schon deshalb nicht, weil die vorliegende Entscheidung noch mit einem Rechtsmittel, der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, angefochten werden kann (vgl. Calliess/Ruffert - Wegener, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Rn. 27 zu Art. 267; ebenso zur Vorgängerregelung in Art. 177 Abs. 3 EGV: BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1992 – 5 B 72/92 –, juris Rn. 2).

Von der Vorlagemöglichkeit gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV macht der Senat mangels Sachdienlichkeit keinen Gebrauch. Soweit der Kläger geklärt wissen möchte, ob sein Fall dem Anwendungsbereich des Art. 13 ARB 1/80 unterfällt (Frage 1 des Schriftsatzes vom 28. September 2017) und vorliegend eine neue Beschränkung im Sinne dieser Norm gegeben ist (Fragen 2 und 5), sind diese Fragen nach den obenstehenden Ausführungen schon nicht entscheidungserheblich (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 [Cilfit] -, juris Rn. 10). Dass eine neue Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet und erforderlich ist (Frage 3), ist im Sinne eines acte éclairé offenkundig (vgl. dazu Urteil Cilfit , a.a.O., Rn. 14), weil der Gerichtshof davon in ständiger Rechtsprechung ausgeht (Urteil Tekdemir, a.a.O., Rn. 33; Urteil Genc, a.a.O., Rn. 51; Urteil Demir, a.a.O., Rn. 40; m.w.N.). Welche qualitativen Anforderungen an eine neue Beschränkung mit dem Ziel der Steuerung von Migrationsströmen zu stellen sind (Frage 4), ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, da die vorliegende Beschränkung einem anderen Ziel, der Gewährleistung erfolgreicher Integration, dient. Die Legitimität dieses Ziels und die formellen und materiellen Anforderungen einer Rechtfertigung diesbezüglicher Beschränkungen (Frage 5) hat der Gerichtshof bereits vollständig in der Genc-Entscheidung (a.a.O., Rn. 51 – 66) geklärt, sodass auch insoweit ein acte éclairé gegeben ist.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

V.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.